der andere jene Vorstellung verbindet, so entstehen daraus bewußt und unbewußt Störungen des lexikalischen Verfahrens, daß man bei dem Gebrauch der neutest. Lexika sehr auf seiner Hut sein muß, von dem Interesse des Verfassers nicht verleitet zu werden. Überall aber gilt nach dem Princip des Protestantismus für je- den, der sich als Theolog mit der Erklärung des N. T. beschäf- tigt, daß er möglichst unbefangen und frei von aller doctrinellen Auctorität an das Werk geht und überall selbst zu sehen und zu untersuchen bestrebt ist. Aber ohne alle theologische Voraussezung muß man die sprachbildende Kraft des Christenthums, sofern es ein individuelles Ganzes ist, einräumen, so daß es im N. T. Sprach- formen geben muß, die weder aus dem griechischen noch hebräischen abzuleiten sind. Gelänge es diese in den ursprünglichen christ- lichen Denkmälern aufzufinden und gehörig zusammenzustellen, so wäre dieß der sprachliche Schlüssel zum Verstehen des Christen- thums sofern es sprachbildend geworden ist. Wir haben bei der Werthbestimmung des neutest. Lexikons darnach zu sehen, ob und wieweit es diese Aufgabe zu lösen versucht hat. Es läßt sich da- bei ein zwiefaches Verfahren denken, wovon keins an sich unrich- tig ist. Ein Philolog könnte wie er alle griechischen Sprachge- biete durchforschen muß so auch die Sprache des N. T. vorneh- men. Als Philolog aber hat er nur die eigenthümlichen Wortbe- deutungen des N. T. aufzuführen, nicht aber die Eigenthümlich- keit des Christenthums kennen zu lernen, sondern nur was aus dieser Eigenthümlichkeit entstanden ist in die Einheit der Sprache aufzulösen, wie es darin Analoges hat. Ihm erscheint die neutest. Sprache als die technische des Christenthums, wie z. B. die tech- nische philosophische Sprache. Ein anderes Verfahren ist das theologische im engeren Sinn. Wenn der Theolog auch sonst rein lexikalisch verfährt, er wird immer die Richtung haben, das Ei- genthümliche des Christenthums selbst zur Anschauung zu bringen. Eine Zusammenstellung aller verschiedenen Elemente, worin sich die Sprachbildung des Christenthums manifestirt, würde eine Skiagraphie sein zu einer neutest. Dogmatik und Moral. Denn
der andere jene Vorſtellung verbindet, ſo entſtehen daraus bewußt und unbewußt Stoͤrungen des lexikaliſchen Verfahrens, daß man bei dem Gebrauch der neuteſt. Lexika ſehr auf ſeiner Hut ſein muß, von dem Intereſſe des Verfaſſers nicht verleitet zu werden. Überall aber gilt nach dem Princip des Proteſtantismus fuͤr je- den, der ſich als Theolog mit der Erklaͤrung des N. T. beſchaͤf- tigt, daß er moͤglichſt unbefangen und frei von aller doctrinellen Auctoritaͤt an das Werk geht und uͤberall ſelbſt zu ſehen und zu unterſuchen beſtrebt iſt. Aber ohne alle theologiſche Vorausſezung muß man die ſprachbildende Kraft des Chriſtenthums, ſofern es ein individuelles Ganzes iſt, einraͤumen, ſo daß es im N. T. Sprach- formen geben muß, die weder aus dem griechiſchen noch hebraͤiſchen abzuleiten ſind. Gelaͤnge es dieſe in den urſpruͤnglichen chriſt- lichen Denkmaͤlern aufzufinden und gehoͤrig zuſammenzuſtellen, ſo waͤre dieß der ſprachliche Schluͤſſel zum Verſtehen des Chriſten- thums ſofern es ſprachbildend geworden iſt. Wir haben bei der Werthbeſtimmung des neuteſt. Lexikons darnach zu ſehen, ob und wieweit es dieſe Aufgabe zu loͤſen verſucht hat. Es laͤßt ſich da- bei ein zwiefaches Verfahren denken, wovon keins an ſich unrich- tig iſt. Ein Philolog koͤnnte wie er alle griechiſchen Sprachge- biete durchforſchen muß ſo auch die Sprache des N. T. vorneh- men. Als Philolog aber hat er nur die eigenthuͤmlichen Wortbe- deutungen des N. T. aufzufuͤhren, nicht aber die Eigenthuͤmlich- keit des Chriſtenthums kennen zu lernen, ſondern nur was aus dieſer Eigenthuͤmlichkeit entſtanden iſt in die Einheit der Sprache aufzuloͤſen, wie es darin Analoges hat. Ihm erſcheint die neuteſt. Sprache als die techniſche des Chriſtenthums, wie z. B. die tech- niſche philoſophiſche Sprache. Ein anderes Verfahren iſt das theologiſche im engeren Sinn. Wenn der Theolog auch ſonſt rein lexikaliſch verfaͤhrt, er wird immer die Richtung haben, das Ei- genthuͤmliche des Chriſtenthums ſelbſt zur Anſchauung zu bringen. Eine Zuſammenſtellung aller verſchiedenen Elemente, worin ſich die Sprachbildung des Chriſtenthums manifeſtirt, wuͤrde eine Skiagraphie ſein zu einer neuteſt. Dogmatik und Moral. Denn
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der andere jene Vorſtellung verbindet, ſo entſtehen daraus bewußt
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bei dem Gebrauch der neuteſt. Lexika ſehr auf ſeiner Hut ſein
muß, von dem Intereſſe des Verfaſſers nicht verleitet zu werden.
Überall aber gilt nach dem Princip des Proteſtantismus fuͤr je-
den, der ſich als Theolog mit der Erklaͤrung des N. T. beſchaͤf-
tigt, daß er moͤglichſt unbefangen und frei von aller doctrinellen
Auctoritaͤt an das Werk geht und uͤberall ſelbſt zu ſehen und zu
unterſuchen beſtrebt iſt. Aber ohne alle theologiſche Vorausſezung
muß man die ſprachbildende Kraft des Chriſtenthums, ſofern es ein
individuelles Ganzes iſt, einraͤumen, ſo daß es im N. T. Sprach-
formen geben muß, die weder aus dem griechiſchen noch hebraͤiſchen
abzuleiten ſind. Gelaͤnge es dieſe in den urſpruͤnglichen chriſt-
lichen Denkmaͤlern aufzufinden und gehoͤrig zuſammenzuſtellen, ſo
waͤre dieß der ſprachliche Schluͤſſel zum Verſtehen des Chriſten-
thums ſofern es ſprachbildend geworden iſt. Wir haben bei der
Werthbeſtimmung des neuteſt. Lexikons darnach zu ſehen, ob und
wieweit es dieſe Aufgabe zu loͤſen verſucht hat. Es laͤßt ſich da-
bei ein zwiefaches Verfahren denken, wovon keins an ſich unrich-
tig iſt. Ein Philolog koͤnnte wie er alle griechiſchen Sprachge-
biete durchforſchen muß ſo auch die Sprache des N. T. vorneh-
men. Als Philolog aber hat er nur die eigenthuͤmlichen Wortbe-
deutungen des N. T. aufzufuͤhren, nicht aber die Eigenthuͤmlich-
keit des Chriſtenthums kennen zu lernen, ſondern nur was aus
dieſer Eigenthuͤmlichkeit entſtanden iſt in die Einheit der Sprache
aufzuloͤſen, wie es darin Analoges hat. Ihm erſcheint die neuteſt.
Sprache als die techniſche des Chriſtenthums, wie z. B. die tech-
niſche philoſophiſche Sprache. Ein anderes Verfahren iſt das
theologiſche im engeren Sinn. Wenn der Theolog auch ſonſt rein
lexikaliſch verfaͤhrt, er wird immer die Richtung haben, das Ei-
genthuͤmliche des Chriſtenthums ſelbſt zur Anſchauung zu bringen.
Eine Zuſammenſtellung aller verſchiedenen Elemente, worin ſich
die Sprachbildung des Chriſtenthums manifeſtirt, wuͤrde eine
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Schleiermacher, Friedrich: Hermeneutik und Kritik. Berlin, 1838, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiermacher_hermeneutik_1838/92>, abgerufen am 04.12.2024.
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