Schleinitz, Alexandra von: Offener Brief einer Studirenden an die Gegner der „Studentinnen“ unter den Studenten. Zürich, 1872.Aetherregion der Wissenschaft zu wagen - nur des Mannes sonnen- Doch nein, nicht ängstliche, kleinliche Eifersucht, nicht kasten- Aetherregion der Wissenschaft zu wagen – nur des Mannes sonnen- Doch nein, nicht ängstliche, kleinliche Eifersucht, nicht kasten- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0005" n="5"/> Aetherregion der Wissenschaft zu wagen – nur des Mannes sonnen-<lb/> haftes Auge trage in sich die Berechtigung der Wahrheit in’s Antlitz<lb/> zu schauen, sie als das ewig lockende, wenn auch ewig unerreich-<lb/> bare Ziel alles Strebens zu erfassen? – Meine Herren, wenn wir<lb/> wirklich nicht fliegen <hi rendition="#g">können</hi>, so werden wir es lassen müssen,<lb/> ohne dass Sie es uns verwehren; haben wir aber die Fähigkeit, so<lb/> wäre es Ihrerseits Ungerechtigkeit, Grausamkeit, Tyrannei, uns nie-<lb/> derhalten zu wollen; und ob Sie es uns tausendmal verwehren, wir<lb/> werden unsere Fittiche entfalten und empor in die sonnigen Lüfte<lb/> steigen! –</p><lb/> <p>Doch nein, nicht ängstliche, kleinliche Eifersucht, nicht kasten-<lb/> artiger Stolz, nicht privilegienzäher Eigennutz, nicht die Tendenz,<lb/> sich Rechte und Gebiet zu wahren, von Ihnen bisher ausschliesslich<lb/> in Besitz genommen, machen Sie überhaupt im Grossen und Ganzen<lb/> zu Gegnern der Frauenemanzipation; sondern die Sorge für das<lb/> Wohl der Frau, die Achtung für ihre Besonderheit, die Anerken-<lb/> nung und Verehrung ihrer zartern, idealern, höhern Natur. Sie<lb/> möchten überhaupt jede rauhe Wirklichkeit von ihr fern gehalten<lb/> wissen, das Leben eigentlich gar nicht an sie herantreten lassen,<lb/> jede Empfindung von Noth und Schmerz, jeden Blick in die dunkeln<lb/> Tiefen menschlicher Zustände ihr ersparen, kurz ihr vorenthalten<lb/> Alles und Jedes, was Einsicht, was Erkenntniss heisst. Sie möchten<lb/> einzig und allein, geborgen vor dem Lärm und Streit des Tages,<lb/> dem Gewirr der Gassen, sie walten sehen als festlich geschmückte<lb/> Priesterin in der heiligen Dämmerung des umfriedeten Hauses. –<lb/> Meine Herren, dafür, dass Sie so gut es mit uns meinen, sind wir<lb/> Ihnen sehr dankbar. Aber steht es wirklich in Ihrer Macht, uns vor<lb/> jedem Elend, jeder rauhen Berührung, jeder bittern deprimirenden<lb/> Einsicht zu schützen? Sind in der That für uns Alle die bergenden<lb/> Tempel aufgerichtet, in die wir nur einzutreten brauchen, um ein<lb/> stilles, sicheres, sorgenloses Leben führen zu können – unbekümmert<lb/> um das Draussen, ahnungslos und gleichgültig gegen das was in<lb/> der Welt geschieht? – Gibt es nicht in der That unzählige Frauen,<lb/> jedes Standes und Alters, die darauf angewiesen sind um ihre<lb/> Existenz zu ringen, die obdachlos den Stürmen und der Unbill des<lb/> Lebens preisgegeben sind? – Nein, mit dem besten Willen können<lb/> Sie uns vor dem Jammer des Lebens nicht bewahren; können nicht<lb/> verhüten, dass nicht Blitze selbst den schützenden Tempel verheeren,<lb/> Winde sein Dach abtragen, dass nicht selbst in die heilige Freistatt<lb/> des Hauses die Noth hereindringt, mit ihrem furchtbaren Arm uns<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [5/0005]
Aetherregion der Wissenschaft zu wagen – nur des Mannes sonnen-
haftes Auge trage in sich die Berechtigung der Wahrheit in’s Antlitz
zu schauen, sie als das ewig lockende, wenn auch ewig unerreich-
bare Ziel alles Strebens zu erfassen? – Meine Herren, wenn wir
wirklich nicht fliegen können, so werden wir es lassen müssen,
ohne dass Sie es uns verwehren; haben wir aber die Fähigkeit, so
wäre es Ihrerseits Ungerechtigkeit, Grausamkeit, Tyrannei, uns nie-
derhalten zu wollen; und ob Sie es uns tausendmal verwehren, wir
werden unsere Fittiche entfalten und empor in die sonnigen Lüfte
steigen! –
Doch nein, nicht ängstliche, kleinliche Eifersucht, nicht kasten-
artiger Stolz, nicht privilegienzäher Eigennutz, nicht die Tendenz,
sich Rechte und Gebiet zu wahren, von Ihnen bisher ausschliesslich
in Besitz genommen, machen Sie überhaupt im Grossen und Ganzen
zu Gegnern der Frauenemanzipation; sondern die Sorge für das
Wohl der Frau, die Achtung für ihre Besonderheit, die Anerken-
nung und Verehrung ihrer zartern, idealern, höhern Natur. Sie
möchten überhaupt jede rauhe Wirklichkeit von ihr fern gehalten
wissen, das Leben eigentlich gar nicht an sie herantreten lassen,
jede Empfindung von Noth und Schmerz, jeden Blick in die dunkeln
Tiefen menschlicher Zustände ihr ersparen, kurz ihr vorenthalten
Alles und Jedes, was Einsicht, was Erkenntniss heisst. Sie möchten
einzig und allein, geborgen vor dem Lärm und Streit des Tages,
dem Gewirr der Gassen, sie walten sehen als festlich geschmückte
Priesterin in der heiligen Dämmerung des umfriedeten Hauses. –
Meine Herren, dafür, dass Sie so gut es mit uns meinen, sind wir
Ihnen sehr dankbar. Aber steht es wirklich in Ihrer Macht, uns vor
jedem Elend, jeder rauhen Berührung, jeder bittern deprimirenden
Einsicht zu schützen? Sind in der That für uns Alle die bergenden
Tempel aufgerichtet, in die wir nur einzutreten brauchen, um ein
stilles, sicheres, sorgenloses Leben führen zu können – unbekümmert
um das Draussen, ahnungslos und gleichgültig gegen das was in
der Welt geschieht? – Gibt es nicht in der That unzählige Frauen,
jedes Standes und Alters, die darauf angewiesen sind um ihre
Existenz zu ringen, die obdachlos den Stürmen und der Unbill des
Lebens preisgegeben sind? – Nein, mit dem besten Willen können
Sie uns vor dem Jammer des Lebens nicht bewahren; können nicht
verhüten, dass nicht Blitze selbst den schützenden Tempel verheeren,
Winde sein Dach abtragen, dass nicht selbst in die heilige Freistatt
des Hauses die Noth hereindringt, mit ihrem furchtbaren Arm uns
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