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Schleinitz, Alexandra von: Offener Brief einer Studirenden an die Gegner der „Studentinnen“ unter den Studenten. Zürich, 1872.

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wollen Sie überhaupt Religion, so seien auch Sie religiös! Meinen
Sie aber, die Religion sei gut nur für uns, und gestehen Sie nur
diese und nur reine Gefühlsreligion uns zu, nicht aber zugleich
auch Wissenschaft, geben Sie uns die Empfindung, dass Religion
für uns taugt, weil nicht Wissenschaft - und nicht Wissenschaft,
weil Religion: so wird die Religion auch von uns aufgegeben
werden, und wir werden nichts, gar nichts mehr besitzen.

Nach diesen ernsten Worten, eine Frage, die Ihnen vielleicht
ein Lächeln abgewinnt: Sie wollen uns vom Wissen und Erkennen
ausschliessen - haben Sie denn noch nie daran gedacht, dass wir
hier ein Recht der Priorität besitzen, dass die Frau nicht nur
gleich dem Mann, nein, dass sie noch vor dem Manne von dem
Baume der Erkenntniss gegessen hat?

Doch wir thun Ihnen Unrecht, nicht gegen weibliches Wissen
richtet sich Ihr Angriff; sondern vielmehr vorwerfend gegen die
Mangelhaftigkeit unseres Wissens. Diese ist Ihnen ein Stein des
Anstosses. Sie finden uns nicht geistig reif genug für das Studium
an der Universität! Einerseits meinen Sie in freundlicher, bevor-
mundender Fürsorge für unser eigenes Bestes: unvorbereitet wie
wir wären, seien wir doch nicht vermögend den rechten Nutzen
aus den Vorlesungen zu ziehen. Andererseits fürchten Sie, die
Hochschule sei der Gefahr einer allmäligen Degradation ausge-
setzt, wenn Elemente einer niedriger qualificirten Gattung sich mit
Ihnen in die Hörsäle drängen. - Meine Herren, wir wollen es
Ihnen nicht streitig machen, dass Sie, wie die Dinge stehen, in
der That eine gründlichere Vorbildung, ein besseres Wissen vor
uns voraushaben; machen wir gleich aus diesem für Sie ehrenvollen,
für uns traurigen Factum, Ihnen nur ein halbes Verdienst, uns
nur eine halbe Schuld - denn für Sie haben die socialen Einrich-
tungen gesorgt, wie sie für uns nicht gesorgt haben; Ihnen waren
zum Zweck Ihrer Ausbildung von vornherein Mittel und Wege zur
Verfügung gestellt, deren wir entbehren mussten. Doch darum,
wie es kommen musste, dass - weil Sie stets besser unterrichtet
worden - Sie nun auch besser unterrichtet sind, darum kann es
sich in erster Linie nicht handeln; sondern nur um die Thatsache,
dass wir allerdings im Allgemeinen an Kenntnissen hinter Ihnen
zurückstehen. - Freilich eine Prüfung, wie weit eigentlich Ihre -
und die Kenntnisse eines Jeden von Ihnen reichen, und wie weit
eigentlich unsere Kenntnisse, haben wir gegenseitig noch nicht

wollen Sie überhaupt Religion, so seien auch Sie religiös! Meinen
Sie aber, die Religion sei gut nur für uns, und gestehen Sie nur
diese und nur reine Gefühlsreligion uns zu, nicht aber zugleich
auch Wissenschaft, geben Sie uns die Empfindung, dass Religion
für uns taugt, weil nicht Wissenschaft – und nicht Wissenschaft,
weil Religion: so wird die Religion auch von uns aufgegeben
werden, und wir werden nichts, gar nichts mehr besitzen.

Nach diesen ernsten Worten, eine Frage, die Ihnen vielleicht
ein Lächeln abgewinnt: Sie wollen uns vom Wissen und Erkennen
ausschliessen – haben Sie denn noch nie daran gedacht, dass wir
hier ein Recht der Priorität besitzen, dass die Frau nicht nur
gleich dem Mann, nein, dass sie noch vor dem Manne von dem
Baume der Erkenntniss gegessen hat?

Doch wir thun Ihnen Unrecht, nicht gegen weibliches Wissen
richtet sich Ihr Angriff; sondern vielmehr vorwerfend gegen die
Mangelhaftigkeit unseres Wissens. Diese ist Ihnen ein Stein des
Anstosses. Sie finden uns nicht geistig reif genug für das Studium
an der Universität! Einerseits meinen Sie in freundlicher, bevor-
mundender Fürsorge für unser eigenes Bestes: unvorbereitet wie
wir wären, seien wir doch nicht vermögend den rechten Nutzen
aus den Vorlesungen zu ziehen. Andererseits fürchten Sie, die
Hochschule sei der Gefahr einer allmäligen Degradation ausge-
setzt, wenn Elemente einer niedriger qualificirten Gattung sich mit
Ihnen in die Hörsäle drängen. – Meine Herren, wir wollen es
Ihnen nicht streitig machen, dass Sie, wie die Dinge stehen, in
der That eine gründlichere Vorbildung, ein besseres Wissen vor
uns voraushaben; machen wir gleich aus diesem für Sie ehrenvollen,
für uns traurigen Factum, Ihnen nur ein halbes Verdienst, uns
nur eine halbe Schuld – denn für Sie haben die socialen Einrich-
tungen gesorgt, wie sie für uns nicht gesorgt haben; Ihnen waren
zum Zweck Ihrer Ausbildung von vornherein Mittel und Wege zur
Verfügung gestellt, deren wir entbehren mussten. Doch darum,
wie es kommen musste, dass – weil Sie stets besser unterrichtet
worden – Sie nun auch besser unterrichtet sind, darum kann es
sich in erster Linie nicht handeln; sondern nur um die Thatsache,
dass wir allerdings im Allgemeinen an Kenntnissen hinter Ihnen
zurückstehen. – Freilich eine Prüfung, wie weit eigentlich Ihre –
und die Kenntnisse eines Jeden von Ihnen reichen, und wie weit
eigentlich unsere Kenntnisse, haben wir gegenseitig noch nicht

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Zitationshilfe: Schleinitz, Alexandra von: Offener Brief einer Studirenden an die Gegner der „Studentinnen“ unter den Studenten. Zürich, 1872, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleinitz_brief_1872/9>, abgerufen am 26.04.2024.