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Schleinitz, Alexandra von: Offener Brief einer Studirenden an die Gegner der „Studentinnen“ unter den Studenten. Zürich, 1872.

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werden zugeben müssen, auch hier handelt es sich um Prinzipien
und Methoden und leitende Gesichtspunkte; auch hier wird ein
rationelles, auf Einsicht und Erkenntniss gestütztes Verfahren im
Allgemeinen doch wohl leichter und besser Gedeihlicheres erreichen,
als ein rein empirisches Verfahren.

Nun aber bleibt uns ja ausser dem Gebiet der Kunst, dem
der Pädagogik und praktischer Wohlthätigkeit, noch ein weiteres
Feld, ein Feld an dem Sie nicht nur gewissen Antheil uns einräumen;
nein, das Sie uns ganz und gar überlassen; das, als unser aus-
schliessliches Revier zu betrachten, Sie uns erlauben: das Gebiet
der Religion. - Ja, die Religion wollen Sie ganz zur Frauensache
machen. - Sollen wir Ihnen dankbar sein für diese gänzliche
Ueberlassung? Vergessen Sie nicht, was wir Sie nicht mehr
werth halten sehen, das muss - gerade, weil Sie uns Autoritäten
sind, weil wir uns gewöhnt haben, blindlings auf Ihre richtigere
Erkenntniss, auf Ihre schärfere Urtheilskraft zu vertrauen - das
muss allmälig auch für uns an Werth verlieren. - Und selbst
beim besten Willen, wie sollen wir es anfangen, uns unsere
Religion zu behaupten? Den mit ungestümem Anprall gegen sie
anstürmenden Gründen haben wir unsrerseits keine Gegengründe
entgegenzusetzen; keine Einsichten, keine Kenntnisse stehen uns
zu Gebote, auf die uns stützend, wir sie mit Erfolg vertheidigen
könnten. Keine andere Basis, keinen andern Rückhalt besitzen
wir als nur Gefühle - dunkle Gefühle, die schliesslich doch auch
nie ein Erstes sind, sondern das Produkt der eigentlichen Ueber-
zeugungen, der ganzen Seelenrichtung und Gemüthsverfassung,
des gesammten Bildungsstandes, und die endlich auch fort bleiben,
wenn die sie bedingende Beschaffenheit des Bodens fehlt. - Ich
will das Gefühl nicht herabsetzen, allein ich möchte es dem Duft,
dieser Seele der Blume, vergleichen. Aus der Blüthe der Ueber-
zeugung steigt es hervor, und diese Ueberzeugung, die Blume
selbst, muss wurzeln in dem sichern , festen Grunde der Erkennt-
niss und Einsicht. Kein wahres, dauerndes, zuverlässiges Gefühl
ohne die entsprechende Ueberzeugung, keine Ueberzeugung ohne
die entsprechende Einsicht - es müsste denn sich handeln, nicht
um eine Gefühlsausströmung, frisch und lebendig wie Blumenduft,
und wie dieser mit der Beschaffenheit des Ganzen organisch zusammen-
hängend, sondern um die Exhalation eines künstlichen Parfüms -
es müsste sieh handeln um eine Art von orchideenhafter in der
Luft wurzelnder Ueberzeugungen. - Kurz und gut meine Herren,

werden zugeben müssen, auch hier handelt es sich um Prinzipien
und Methoden und leitende Gesichtspunkte; auch hier wird ein
rationelles, auf Einsicht und Erkenntniss gestütztes Verfahren im
Allgemeinen doch wohl leichter und besser Gedeihlicheres erreichen,
als ein rein empirisches Verfahren.

Nun aber bleibt uns ja ausser dem Gebiet der Kunst, dem
der Pädagogik und praktischer Wohlthätigkeit, noch ein weiteres
Feld, ein Feld an dem Sie nicht nur gewissen Antheil uns einräumen;
nein, das Sie uns ganz und gar überlassen; das, als unser aus-
schliessliches Revier zu betrachten, Sie uns erlauben: das Gebiet
der Religion. – Ja, die Religion wollen Sie ganz zur Frauensache
machen. – Sollen wir Ihnen dankbar sein für diese gänzliche
Ueberlassung? Vergessen Sie nicht, was wir Sie nicht mehr
werth halten sehen, das muss – gerade, weil Sie uns Autoritäten
sind, weil wir uns gewöhnt haben, blindlings auf Ihre richtigere
Erkenntniss, auf Ihre schärfere Urtheilskraft zu vertrauen – das
muss allmälig auch für uns an Werth verlieren. – Und selbst
beim besten Willen, wie sollen wir es anfangen, uns unsere
Religion zu behaupten? Den mit ungestümem Anprall gegen sie
anstürmenden Gründen haben wir unsrerseits keine Gegengründe
entgegenzusetzen; keine Einsichten, keine Kenntnisse stehen uns
zu Gebote, auf die uns stützend, wir sie mit Erfolg vertheidigen
könnten. Keine andere Basis, keinen andern Rückhalt besitzen
wir als nur Gefühle – dunkle Gefühle, die schliesslich doch auch
nie ein Erstes sind, sondern das Produkt der eigentlichen Ueber-
zeugungen, der ganzen Seelenrichtung und Gemüthsverfassung,
des gesammten Bildungsstandes, und die endlich auch fort bleiben,
wenn die sie bedingende Beschaffenheit des Bodens fehlt. – Ich
will das Gefühl nicht herabsetzen, allein ich möchte es dem Duft,
dieser Seele der Blume, vergleichen. Aus der Blüthe der Ueber-
zeugung steigt es hervor, und diese Ueberzeugung, die Blume
selbst, muss wurzeln in dem sichern , festen Grunde der Erkennt-
niss und Einsicht. Kein wahres, dauerndes, zuverlässiges Gefühl
ohne die entsprechende Ueberzeugung, keine Ueberzeugung ohne
die entsprechende Einsicht – es müsste denn sich handeln, nicht
um eine Gefühlsausströmung, frisch und lebendig wie Blumenduft,
und wie dieser mit der Beschaffenheit des Ganzen organisch zusammen-
hängend, sondern um die Exhalation eines künstlichen Parfüms –
es müsste sieh handeln um eine Art von orchideenhafter in der
Luft wurzelnder Ueberzeugungen. – Kurz und gut meine Herren,

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Zitationshilfe: Schleinitz, Alexandra von: Offener Brief einer Studirenden an die Gegner der „Studentinnen“ unter den Studenten. Zürich, 1872, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleinitz_brief_1872/8>, abgerufen am 18.04.2024.