Schliemann, Heinrich: Trojanische Alterthümer. Bericht über die Ausgrabungen in Troja. Leipzig, 1874.einleitung. und stündlich Gelegenheit gehabt, mich zu überzeugen,dass wir uns, nach dem Massstabe unserer eigenen oder der altgriechischen Lebensweise, von dem Leben und Treiben der vier Völker, welche das eine nach dem andern vor der Zeit der griechischen Ansiedelung die- sen Berg bewohnt haben, gar keinen Begriff machen können; es muss heilloss bei ihnen zugegangen sein, denn sonst könnte man nicht in beständiger unregel- mässiger Reihenfolge auf den verschütteten Resten des einen Hauses die Wände eines andern finden; und eben weil wir uns keinen Begriff davon machen können, wie diese Nationen gewirthschaftet und welche Calamitäten sie zu ertragen gehabt haben, können wir unmöglich nach der Dicke ihrer Trümmer die Dauer ihrer Existenz auch nur annähernd berechnen. Höchst merkwürdig, aber durch die fortwährenden Calamitäten, welche diese Stadt befallen haben, vollkommen erklärlich ist es, dass bei allen vier Völkern die Civilisation stets abgenommen hat; die Terracotten, welche fortwährende decadence zeigen, lassen keinen Zweifel darüber. Die erste Ansiedelung dieses Berges scheint jeden- einleitung. und stündlich Gelegenheit gehabt, mich zu überzeugen,dass wir uns, nach dem Massstabe unserer eigenen oder der altgriechischen Lebensweise, von dem Leben und Treiben der vier Völker, welche das eine nach dem andern vor der Zeit der griechischen Ansiedelung die- sen Berg bewohnt haben, gar keinen Begriff machen können; es muss heilloss bei ihnen zugegangen sein, denn sonst könnte man nicht in beständiger unregel- mässiger Reihenfolge auf den verschütteten Resten des einen Hauses die Wände eines andern finden; und eben weil wir uns keinen Begriff davon machen können, wie diese Nationen gewirthschaftet und welche Calamitäten sie zu ertragen gehabt haben, können wir unmöglich nach der Dicke ihrer Trümmer die Dauer ihrer Existenz auch nur annähernd berechnen. Höchst merkwürdig, aber durch die fortwährenden Calamitäten, welche diese Stadt befallen haben, vollkommen erklärlich ist es, dass bei allen vier Völkern die Civilisation stets abgenommen hat; die Terracotten, welche fortwährende décadence zeigen, lassen keinen Zweifel darüber. Die erste Ansiedelung dieses Berges scheint jeden- <TEI> <text> <front> <div n="1"> <p><pb facs="#f0014" n="VIII"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#k">einleitung</hi>.</fw><lb/> und stündlich Gelegenheit gehabt, mich zu überzeugen,<lb/> dass wir uns, nach dem Massstabe unserer eigenen oder<lb/> der altgriechischen Lebensweise, von dem Leben und<lb/> Treiben der vier Völker, welche das eine nach dem<lb/> andern vor der Zeit der griechischen Ansiedelung die-<lb/> sen Berg bewohnt haben, gar keinen Begriff machen<lb/> können; es muss heilloss bei ihnen zugegangen sein,<lb/> denn sonst könnte man nicht in beständiger unregel-<lb/> mässiger Reihenfolge auf den verschütteten Resten des<lb/> einen Hauses die Wände eines andern finden; und eben<lb/> weil wir uns keinen Begriff davon machen können, wie<lb/> diese Nationen gewirthschaftet und welche Calamitäten sie<lb/> zu ertragen gehabt haben, können wir unmöglich nach<lb/> der Dicke ihrer Trümmer die Dauer ihrer Existenz<lb/> auch nur annähernd berechnen. Höchst merkwürdig,<lb/> aber durch die fortwährenden Calamitäten, welche diese<lb/> Stadt befallen haben, vollkommen erklärlich ist es, dass<lb/> bei allen vier Völkern die Civilisation stets abgenommen<lb/> hat; die Terracotten, welche fortwährende <hi rendition="#i">décadence</hi><lb/> zeigen, lassen keinen Zweifel darüber.</p><lb/> <p>Die erste Ansiedelung dieses Berges scheint jeden-<lb/> falls von längster Dauer gewesen zu sein, denn ihre<lb/> Trümmer bedecken den Felsen bis zu einer Höhe von<lb/> 4 und 6 Meter. Ihre Häuser und Festungsmauern waren<lb/> von grossen und kleinen, mit Erde verbundenen Steinen<lb/> gebaut, und sieht man mehrfach Reste davon in meinen<lb/> Ausgrabungen. Ich glaubte im vorigen Jahre, diese<lb/> Ansiedler seien identisch mit den von Homer besunge-<lb/> nen Trojanern, weil ich bei ihnen Bruchstücke des Dop-<lb/> pelbechers, des homerischen δέπας ἀμφικύπελλον gefunden<lb/> zu haben vermeinte. Bei genauer Prüfung hat es sich<lb/></p> </div> </front> </text> </TEI> [VIII/0014]
einleitung.
und stündlich Gelegenheit gehabt, mich zu überzeugen,
dass wir uns, nach dem Massstabe unserer eigenen oder
der altgriechischen Lebensweise, von dem Leben und
Treiben der vier Völker, welche das eine nach dem
andern vor der Zeit der griechischen Ansiedelung die-
sen Berg bewohnt haben, gar keinen Begriff machen
können; es muss heilloss bei ihnen zugegangen sein,
denn sonst könnte man nicht in beständiger unregel-
mässiger Reihenfolge auf den verschütteten Resten des
einen Hauses die Wände eines andern finden; und eben
weil wir uns keinen Begriff davon machen können, wie
diese Nationen gewirthschaftet und welche Calamitäten sie
zu ertragen gehabt haben, können wir unmöglich nach
der Dicke ihrer Trümmer die Dauer ihrer Existenz
auch nur annähernd berechnen. Höchst merkwürdig,
aber durch die fortwährenden Calamitäten, welche diese
Stadt befallen haben, vollkommen erklärlich ist es, dass
bei allen vier Völkern die Civilisation stets abgenommen
hat; die Terracotten, welche fortwährende décadence
zeigen, lassen keinen Zweifel darüber.
Die erste Ansiedelung dieses Berges scheint jeden-
falls von längster Dauer gewesen zu sein, denn ihre
Trümmer bedecken den Felsen bis zu einer Höhe von
4 und 6 Meter. Ihre Häuser und Festungsmauern waren
von grossen und kleinen, mit Erde verbundenen Steinen
gebaut, und sieht man mehrfach Reste davon in meinen
Ausgrabungen. Ich glaubte im vorigen Jahre, diese
Ansiedler seien identisch mit den von Homer besunge-
nen Trojanern, weil ich bei ihnen Bruchstücke des Dop-
pelbechers, des homerischen δέπας ἀμφικύπελλον gefunden
zu haben vermeinte. Bei genauer Prüfung hat es sich
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