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Schliemann, Heinrich: Trojanische Alterthümer. Bericht über die Ausgrabungen in Troja. Leipzig, 1874.

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fortwährender wind; das "stürmische" ilium.
kostet, und übersteigen somit die Gesammtkosten der
Ausgrabungen täglich 400 Frs. Ausser Böcken,
Ketten und Winden bestehen meine Werkzeuge aus
24 grossen eisernen Hebeln, 108 Spaten und 103 Hacken,
alle besten englischen Fabrikats. Es wird von Son-
nenaufgang bis Sonnenuntergang eifrig gearbeitet, denn
ich habe drei tüchtige Aufseher, und meine Frau und
ich sind stets bei den Arbeiten. Dennoch kann ich
nicht rechnen, dass ich jetzt mehr als 300 Kubikmeter
Schutt täglich fortschaffe, denn die Entfernung wird
immer grösser und übersteigt an mehrern Stellen
schon 80 Meter, und ausserdem ist auch der beständige
Nordsturm, der uns den Staub fortwährend in die Augen
treibt und uns blendet, bei den Arbeiten äusserst hin-
derlich. Dieser immerwährende Sturm erklärt sich viel-
leicht dadurch, dass zunächst das Meer von Marmara
und dann das Schwarze Meer durch eine verhält-
nissmässig so enge Wasserstrasse mit dem Aegäischen
Meere verbunden sind. Da man aber solche fortwäh-
rende Stürme sonst nirgends in der Welt kennt, so
muss Homer in der Ebene von Troja gelebt haben,
denn sonst könnte er seiner Ilios nicht so oft das so
treffende Beiwort "enemoessa" (das windige oder stür-
mische) geben, welches er sonst keinem andern Orte
gibt.

Wie bereits erwähnt, habe ich in 12 Meter senk-
rechter Tiefe unter dem Berggipfel, auf der Baustelle
des wahrscheinlich von Lysimachus gebauten Tempels,
eine unten 31, oben 34 Meter breite Plateforme getrie-
ben, die bereits eine Länge von 25 Meter erreicht hat.
Aber zu meinem grössten Schrecken sehe ich, dass ich

fortwährender wind; das „stürmische“ ilium.
kostet, und übersteigen somit die Gesammtkosten der
Ausgrabungen täglich 400 Frs. Ausser Böcken,
Ketten und Winden bestehen meine Werkzeuge aus
24 grossen eisernen Hebeln, 108 Spaten und 103 Hacken,
alle besten englischen Fabrikats. Es wird von Son-
nenaufgang bis Sonnenuntergang eifrig gearbeitet, denn
ich habe drei tüchtige Aufseher, und meine Frau und
ich sind stets bei den Arbeiten. Dennoch kann ich
nicht rechnen, dass ich jetzt mehr als 300 Kubikmeter
Schutt täglich fortschaffe, denn die Entfernung wird
immer grösser und übersteigt an mehrern Stellen
schon 80 Meter, und ausserdem ist auch der beständige
Nordsturm, der uns den Staub fortwährend in die Augen
treibt und uns blendet, bei den Arbeiten äusserst hin-
derlich. Dieser immerwährende Sturm erklärt sich viel-
leicht dadurch, dass zunächst das Meer von Marmara
und dann das Schwarze Meer durch eine verhält-
nissmässig so enge Wasserstrasse mit dem Aegäischen
Meere verbunden sind. Da man aber solche fortwäh-
rende Stürme sonst nirgends in der Welt kennt, so
muss Homer in der Ebene von Troja gelebt haben,
denn sonst könnte er seiner Ἴλιος nicht so oft das so
treffende Beiwort „ἠνεμόεσσα“ (das windige oder stür-
mische) geben, welches er sonst keinem andern Orte
gibt.

Wie bereits erwähnt, habe ich in 12 Meter senk-
rechter Tiefe unter dem Berggipfel, auf der Baustelle
des wahrscheinlich von Lysimachus gebauten Tempels,
eine unten 31, oben 34 Meter breite Plateforme getrie-
ben, die bereits eine Länge von 25 Meter erreicht hat.
Aber zu meinem grössten Schrecken sehe ich, dass ich

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[140/0206] fortwährender wind; das „stürmische“ ilium. kostet, und übersteigen somit die Gesammtkosten der Ausgrabungen täglich 400 Frs. Ausser Böcken, Ketten und Winden bestehen meine Werkzeuge aus 24 grossen eisernen Hebeln, 108 Spaten und 103 Hacken, alle besten englischen Fabrikats. Es wird von Son- nenaufgang bis Sonnenuntergang eifrig gearbeitet, denn ich habe drei tüchtige Aufseher, und meine Frau und ich sind stets bei den Arbeiten. Dennoch kann ich nicht rechnen, dass ich jetzt mehr als 300 Kubikmeter Schutt täglich fortschaffe, denn die Entfernung wird immer grösser und übersteigt an mehrern Stellen schon 80 Meter, und ausserdem ist auch der beständige Nordsturm, der uns den Staub fortwährend in die Augen treibt und uns blendet, bei den Arbeiten äusserst hin- derlich. Dieser immerwährende Sturm erklärt sich viel- leicht dadurch, dass zunächst das Meer von Marmara und dann das Schwarze Meer durch eine verhält- nissmässig so enge Wasserstrasse mit dem Aegäischen Meere verbunden sind. Da man aber solche fortwäh- rende Stürme sonst nirgends in der Welt kennt, so muss Homer in der Ebene von Troja gelebt haben, denn sonst könnte er seiner Ἴλιος nicht so oft das so treffende Beiwort „ἠνεμόεσσα“ (das windige oder stür- mische) geben, welches er sonst keinem andern Orte gibt. Wie bereits erwähnt, habe ich in 12 Meter senk- rechter Tiefe unter dem Berggipfel, auf der Baustelle des wahrscheinlich von Lysimachus gebauten Tempels, eine unten 31, oben 34 Meter breite Plateforme getrie- ben, die bereits eine Länge von 25 Meter erreicht hat. Aber zu meinem grössten Schrecken sehe ich, dass ich

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Zitationshilfe: Schliemann, Heinrich: Trojanische Alterthümer. Bericht über die Ausgrabungen in Troja. Leipzig, 1874, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schliemann_trojanische_1874/206>, abgerufen am 25.11.2024.