Schmidt, Johann Georg: Die gestriegelte Rocken-Philosophia, oder auffrichtige Untersuchung derer von vielen super-klugen Weibern hochgehaltenen Aberglauben. Bd. 1. Chemnitz, 1705.Untersuchung/ derer von super-klugen mich des Lachens nicht enthalten kunte/ und frag-te: Wo denn das Bild aus der Offenbarung Jo- hannis 12. Cap. sey in die Wiege kommen? die- ses wolte die Wöchnerin verschnuppen/ und sag- te: Es sey noch um einen Tag zu thun/ so müsten doch die Leute auffhören zu reden. Als ich aber der Wöchnerin ihre Schwester nach der Be- deutung dieser Rede fragte/ (denn ich verstund es nicht) bekam ich zur Antwort: Weil über 8. Ta- ge der dritte Sonntag wäre/ an welchen sie das Kind anputzten/ damit ihm ins künfftige die Kleider fein stehen möchten/ so meynete ihre Schwester/ die Wöchnerin/ den dritten oder letz- ten Tag/ als denn würde das Kind nicht wieder also angeputzt. Hieraus kan ich schliessen/ daß manche Eltern mehr besorgt sind/ wie ihre Kin- der in Hoffart fein möchten auffwachsen/ als in guten Christlichen Tugenden erzogen werden. Wiewohl diese närrische Ceremonien keineswe- ges den geringsten Effect haben können/ einen Menschen geschickt und wohl gewachsen zu ma- chen/ daß ihm ins künfftige die Kleider solten wohl anstehen. Wohlgewachsenen Leuten stehen wohlgemachte Kleider allzeit fein an; hingegen mache man ein Kleid so geschickt als man will/ und ziehe es einem Kriepel an/ ob es ihm werde wohl anstehen/ wenn er auch gleich die ersten 3. Sonntage in einem güldenen Stück gelegen hätte.
Unterſuchung/ derer von ſuper-klugen mich des Lachens nicht enthalten kunte/ und frag-te: Wo denn das Bild aus der Offenbarung Jo- hannis 12. Cap. ſey in die Wiege kommen? die- ſes wolte die Woͤchnerin verſchnuppen/ und ſag- te: Es ſey noch um einen Tag zu thun/ ſo muͤſten doch die Leute auffhoͤren zu reden. Als ich aber der Woͤchnerin ihre Schweſter nach der Be- deutung dieſer Rede fragte/ (denn ich verſtund es nicht) bekam ich zur Antwort: Weil uͤber 8. Ta- ge der dritte Sonntag waͤre/ an welchen ſie das Kind anputzten/ damit ihm ins kuͤnfftige die Kleider fein ſtehen moͤchten/ ſo meynete ihre Schweſter/ die Woͤchnerin/ den dritten oder letz- ten Tag/ als denn wuͤrde das Kind nicht wieder alſo angeputzt. Hieraus kan ich ſchlieſſen/ daß manche Eltern mehr beſorgt ſind/ wie ihre Kin- der in Hoffart fein moͤchten auffwachſen/ als in guten Chriſtlichen Tugenden erzogen werden. Wiewohl dieſe naͤrriſche Ceremonien keineswe- ges den geringſten Effect haben koͤnnen/ einen Menſchen geſchickt und wohl gewachſen zu ma- chen/ daß ihm ins kuͤnfftige die Kleider ſolten wohl anſtehen. Wohlgewachſenen Leuten ſtehen wohlgemachte Kleider allzeit fein an; hingegen mache man ein Kleid ſo geſchickt als man will/ und ziehe es einem Kriepel an/ ob es ihm werde wohl anſtehen/ wenn er auch gleich die erſten 3. Sonntage in einem guͤldenen Stuͤck gelegen haͤtte.
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Unterſuchung/ derer von ſuper-klugen
mich des Lachens nicht enthalten kunte/ und frag-
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hannis 12. Cap. ſey in die Wiege kommen? die-
ſes wolte die Woͤchnerin verſchnuppen/ und ſag-
te: Es ſey noch um einen Tag zu thun/ ſo muͤſten
doch die Leute auffhoͤren zu reden. Als ich aber
der Woͤchnerin ihre Schweſter nach der Be-
deutung dieſer Rede fragte/ (denn ich verſtund es
nicht) bekam ich zur Antwort: Weil uͤber 8. Ta-
ge der dritte Sonntag waͤre/ an welchen ſie das
Kind anputzten/ damit ihm ins kuͤnfftige die
Kleider fein ſtehen moͤchten/ ſo meynete ihre
Schweſter/ die Woͤchnerin/ den dritten oder letz-
ten Tag/ als denn wuͤrde das Kind nicht wieder
alſo angeputzt. Hieraus kan ich ſchlieſſen/ daß
manche Eltern mehr beſorgt ſind/ wie ihre Kin-
der in Hoffart fein moͤchten auffwachſen/ als in
guten Chriſtlichen Tugenden erzogen werden.
Wiewohl dieſe naͤrriſche Ceremonien keineswe-
ges den geringſten Effect haben koͤnnen/ einen
Menſchen geſchickt und wohl gewachſen zu ma-
chen/ daß ihm ins kuͤnfftige die Kleider ſolten
wohl anſtehen. Wohlgewachſenen Leuten ſtehen
wohlgemachte Kleider allzeit fein an; hingegen
mache man ein Kleid ſo geſchickt als man will/
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Zitationshilfe: | Schmidt, Johann Georg: Die gestriegelte Rocken-Philosophia, oder auffrichtige Untersuchung derer von vielen super-klugen Weibern hochgehaltenen Aberglauben. Bd. 1. Chemnitz, 1705, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmidt_rockenphilosophia01_1705/156>, abgerufen am 16.07.2024. |