Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.Erstes Buch. Land, Leute und Technik. erzeugt. An einem dieser Punkte, wahrscheinlich in Vorderasien, gelang nun wohl dieeigentliche Viehzähmung, die der größeren Tiere. Von etwa 140 000 Tierarten, deren Zähmung und Nutzung möglich wäre, hat Die amerikanischen Indianer halten teilweise ganze Menagerien von Vögeln und Der entscheidende Punkt für die Tierzähmung war, die größeren Tiere zur Zucht Eduard Hahn stellt nun die ansprechende Hypothese auf, vorderasiatische Stämme Die Hypothese Hahns wird noch näherer Untersuchung bedürfen. Jedenfalls giebt Erſtes Buch. Land, Leute und Technik. erzeugt. An einem dieſer Punkte, wahrſcheinlich in Vorderaſien, gelang nun wohl dieeigentliche Viehzähmung, die der größeren Tiere. Von etwa 140 000 Tierarten, deren Zähmung und Nutzung möglich wäre, hat Die amerikaniſchen Indianer halten teilweiſe ganze Menagerien von Vögeln und Der entſcheidende Punkt für die Tierzähmung war, die größeren Tiere zur Zucht Eduard Hahn ſtellt nun die anſprechende Hypotheſe auf, vorderaſiatiſche Stämme Die Hypotheſe Hahns wird noch näherer Unterſuchung bedürfen. Jedenfalls giebt <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0212" n="196"/><fw place="top" type="header">Erſtes Buch. Land, Leute und Technik.</fw><lb/> erzeugt. An einem dieſer Punkte, wahrſcheinlich in Vorderaſien, gelang nun wohl die<lb/> eigentliche Viehzähmung, die der größeren Tiere.</p><lb/> <p>Von etwa 140 000 Tierarten, deren Zähmung und Nutzung möglich wäre, hat<lb/> der Menſch — nach Settegaſt — nur 47 dauernd zu ſeinen Hausgenoſſen gemacht und<lb/> für ſich als Haustiere zu nutzen gelernt. Es muß alſo ſehr ſchwierig geweſen ſein,<lb/> dieſen techniſchen Fortſchritt zu machen, der zu den allertiefgreifendſten des Menſchen-<lb/> geſchlechtes gehört; er hat den Raſſen, die ihn zuerſt recht ausnutzten, die hauptſächlich<lb/> die Milchnahrung erlernten, für immer einen Vorſprung verſchafft, nämlich den Hamiten,<lb/> Indogermanen und Semiten. Und doch iſt die Zähmung einzelner, beſonders kleiner<lb/> Tiere ziemlich leicht und ſicher früher weit verbreitet geweſen.</p><lb/> <p>Die amerikaniſchen Indianer halten teilweiſe ganze Menagerien von Vögeln und<lb/> ſonſtigen kleinen Geſpielen. Der Hund hat ſchon in ſehr frühen Zeiten den Menſchen<lb/> umgeben. Von den Ägyptern und Aſſyrern wiſſen wir, daß ſie Marder, Meerkatzen<lb/> und Löwen ſich hielten, im Norden hat man Raben und Adler, Füchſe und Bären<lb/> gezähmt. Aber es waren, ſo weit es ſich um größere Tiere handelte, nur ſolche, die<lb/> jung gefangen wurden, die nicht in der Gefangenſchaft geboren waren. Es ſcheint, daß<lb/> man den größeren Teil dieſer individuell gezähmten und zumal der kleinen Tiere in<lb/> älteſter Zeit nicht des Nutzens, ſondern der Spielerei oder des Kultus wegen, aus<lb/> äſthetiſchen Gründen, aus Neigung zu lebendiger Umgebung hielt. Es giebt Stämme,<lb/> welche Hühnerzucht nur des Federſchmuckes wegen, welche Hundezucht haben, ohne die<lb/> Hunde zur Jagd zu verwenden.</p><lb/> <p>Der entſcheidende Punkt für die Tierzähmung war, die größeren Tiere zur Zucht<lb/> in der Gefangenſchaft zu bringen. Wie das beim Elephanten in Indien noch nie<lb/> gelungen iſt, wie die Verſuche in unſeren Tiergärten mit wilden Tieren noch heute die<lb/> größten Schwierigkeiten zeigen, ſo haben ſtets die gefangenen Tiere eine geringe Brunſt<lb/> und eine ſo geringe Milchergiebigkeit gezeigt, daß ſie entweder keine Jungen bekamen,<lb/> oder die wenigen geborenen verhungerten. Der Erſatz durch Menſchenmilch, der ſelbſt<lb/> für Hunde und Schweine möglich war und oft vorkam, war bei ihnen ausgeſchloſſen.</p><lb/> <p>Eduard Hahn ſtellt nun die anſprechende Hypotheſe auf, vorderaſiatiſche Stämme<lb/> ſeien durch die bekannte, weitverbreitete göttliche Verehrung der Rinder dazu gekommen,<lb/> dieſe nach und nach in der Weiſe zu zähmen, daß man ſie gleichſam über ihre Gefangen-<lb/> ſchaft täuſchte, ſie herdenweiſe in große Gehege zu treiben wußte. Hier hätten ſie ſich<lb/> fortgepflanzt und auch nach und nach an den Menſchen gewöhnt. Man habe hier die<lb/> zahmeren Tiere leicht herausfinden, dieſelben vor den heiligen Wagen ſpannen, einzelne<lb/> männliche Tiere — auch aus kultlichen Motiven — kaſtrieren können; die wilderen<lb/> Exemplare konnte man durch Schlachtopfer ausmerzen. Die Anſpannung des Ochſen<lb/> vor den Haken und Pflug ſieht Hahn ebenfalls als eine urſprünglich kultliche Hand-<lb/> lung, als das Symbol der Befruchtung der Mutter Erde durch ein heiliges Tier an.<lb/> Die Milch-, Fleiſch- und Zugnutzung glaubt er erſt als ſpäte Folgen dieſer rituellen<lb/> Haltung des Rindes betrachten zu dürfen. Die Zähmung des Pferdes, des Kameles,<lb/> des Schafes, des Eſels, der Ziege betrachtet er als ſpätere Nachahmungen der urſprünglich<lb/> allein vorhandenen Rindviehhaltung. Er nimmt auch an, daß ſo die Tierzähmung in<lb/> der Hauptſache von einem Punkte der Erde ausgegangen ſei.</p><lb/> <p>Die Hypotheſe Hahns wird noch näherer Unterſuchung bedürfen. Jedenfalls giebt<lb/> ſie nach ihren pſychologiſchen Gründen und hiſtoriſchen Beweiſen eine ſehr wahrſcheinliche<lb/> Erklärung, welche der alten Annahme, die Viehzucht ſei der Jagd, der Ackerbau der<lb/> Viehzucht geſchichtlich und urſächlich gefolgt, ganz fehlt. Jäger ſind nirgends Vieh-<lb/> züchter geworden, wohl aber haben afrikaniſche und amerikaniſche Hackbauern die Haltung<lb/> des Rindviehes und anderer Tiere in hiſtoriſcher Zeit erlernt. Der Übergang der indo-<lb/> germaniſchen Völker, die halb Hirten, halb Ackerbauern waren, nach ihrer Wanderzeit<lb/> zum ſeßhaften Ackerbau beweiſt nicht, daß der wirkliche Nomade den Ackerbau mit Rind-<lb/> vieh und Pflug begründete. Die uns heute bekannten eigentlichen Nomaden, welche in<lb/> ganz anderer Weiſe Wandervölker ſind als die Indogermanen, die mongoliſchen Central-<lb/> aſiaten, haben nur ausnahmsweiſe Rindvieh, mit dem gar nicht ſo zu wandern iſt wie<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [196/0212]
Erſtes Buch. Land, Leute und Technik.
erzeugt. An einem dieſer Punkte, wahrſcheinlich in Vorderaſien, gelang nun wohl die
eigentliche Viehzähmung, die der größeren Tiere.
Von etwa 140 000 Tierarten, deren Zähmung und Nutzung möglich wäre, hat
der Menſch — nach Settegaſt — nur 47 dauernd zu ſeinen Hausgenoſſen gemacht und
für ſich als Haustiere zu nutzen gelernt. Es muß alſo ſehr ſchwierig geweſen ſein,
dieſen techniſchen Fortſchritt zu machen, der zu den allertiefgreifendſten des Menſchen-
geſchlechtes gehört; er hat den Raſſen, die ihn zuerſt recht ausnutzten, die hauptſächlich
die Milchnahrung erlernten, für immer einen Vorſprung verſchafft, nämlich den Hamiten,
Indogermanen und Semiten. Und doch iſt die Zähmung einzelner, beſonders kleiner
Tiere ziemlich leicht und ſicher früher weit verbreitet geweſen.
Die amerikaniſchen Indianer halten teilweiſe ganze Menagerien von Vögeln und
ſonſtigen kleinen Geſpielen. Der Hund hat ſchon in ſehr frühen Zeiten den Menſchen
umgeben. Von den Ägyptern und Aſſyrern wiſſen wir, daß ſie Marder, Meerkatzen
und Löwen ſich hielten, im Norden hat man Raben und Adler, Füchſe und Bären
gezähmt. Aber es waren, ſo weit es ſich um größere Tiere handelte, nur ſolche, die
jung gefangen wurden, die nicht in der Gefangenſchaft geboren waren. Es ſcheint, daß
man den größeren Teil dieſer individuell gezähmten und zumal der kleinen Tiere in
älteſter Zeit nicht des Nutzens, ſondern der Spielerei oder des Kultus wegen, aus
äſthetiſchen Gründen, aus Neigung zu lebendiger Umgebung hielt. Es giebt Stämme,
welche Hühnerzucht nur des Federſchmuckes wegen, welche Hundezucht haben, ohne die
Hunde zur Jagd zu verwenden.
Der entſcheidende Punkt für die Tierzähmung war, die größeren Tiere zur Zucht
in der Gefangenſchaft zu bringen. Wie das beim Elephanten in Indien noch nie
gelungen iſt, wie die Verſuche in unſeren Tiergärten mit wilden Tieren noch heute die
größten Schwierigkeiten zeigen, ſo haben ſtets die gefangenen Tiere eine geringe Brunſt
und eine ſo geringe Milchergiebigkeit gezeigt, daß ſie entweder keine Jungen bekamen,
oder die wenigen geborenen verhungerten. Der Erſatz durch Menſchenmilch, der ſelbſt
für Hunde und Schweine möglich war und oft vorkam, war bei ihnen ausgeſchloſſen.
Eduard Hahn ſtellt nun die anſprechende Hypotheſe auf, vorderaſiatiſche Stämme
ſeien durch die bekannte, weitverbreitete göttliche Verehrung der Rinder dazu gekommen,
dieſe nach und nach in der Weiſe zu zähmen, daß man ſie gleichſam über ihre Gefangen-
ſchaft täuſchte, ſie herdenweiſe in große Gehege zu treiben wußte. Hier hätten ſie ſich
fortgepflanzt und auch nach und nach an den Menſchen gewöhnt. Man habe hier die
zahmeren Tiere leicht herausfinden, dieſelben vor den heiligen Wagen ſpannen, einzelne
männliche Tiere — auch aus kultlichen Motiven — kaſtrieren können; die wilderen
Exemplare konnte man durch Schlachtopfer ausmerzen. Die Anſpannung des Ochſen
vor den Haken und Pflug ſieht Hahn ebenfalls als eine urſprünglich kultliche Hand-
lung, als das Symbol der Befruchtung der Mutter Erde durch ein heiliges Tier an.
Die Milch-, Fleiſch- und Zugnutzung glaubt er erſt als ſpäte Folgen dieſer rituellen
Haltung des Rindes betrachten zu dürfen. Die Zähmung des Pferdes, des Kameles,
des Schafes, des Eſels, der Ziege betrachtet er als ſpätere Nachahmungen der urſprünglich
allein vorhandenen Rindviehhaltung. Er nimmt auch an, daß ſo die Tierzähmung in
der Hauptſache von einem Punkte der Erde ausgegangen ſei.
Die Hypotheſe Hahns wird noch näherer Unterſuchung bedürfen. Jedenfalls giebt
ſie nach ihren pſychologiſchen Gründen und hiſtoriſchen Beweiſen eine ſehr wahrſcheinliche
Erklärung, welche der alten Annahme, die Viehzucht ſei der Jagd, der Ackerbau der
Viehzucht geſchichtlich und urſächlich gefolgt, ganz fehlt. Jäger ſind nirgends Vieh-
züchter geworden, wohl aber haben afrikaniſche und amerikaniſche Hackbauern die Haltung
des Rindviehes und anderer Tiere in hiſtoriſcher Zeit erlernt. Der Übergang der indo-
germaniſchen Völker, die halb Hirten, halb Ackerbauern waren, nach ihrer Wanderzeit
zum ſeßhaften Ackerbau beweiſt nicht, daß der wirkliche Nomade den Ackerbau mit Rind-
vieh und Pflug begründete. Die uns heute bekannten eigentlichen Nomaden, welche in
ganz anderer Weiſe Wandervölker ſind als die Indogermanen, die mongoliſchen Central-
aſiaten, haben nur ausnahmsweiſe Rindvieh, mit dem gar nicht ſo zu wandern iſt wie
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