erzeugt. An einem dieser Punkte, wahrscheinlich in Vorderasien, gelang nun wohl die eigentliche Viehzähmung, die der größeren Tiere.
Von etwa 140 000 Tierarten, deren Zähmung und Nutzung möglich wäre, hat der Mensch -- nach Settegast -- nur 47 dauernd zu seinen Hausgenossen gemacht und für sich als Haustiere zu nutzen gelernt. Es muß also sehr schwierig gewesen sein, diesen technischen Fortschritt zu machen, der zu den allertiefgreifendsten des Menschen- geschlechtes gehört; er hat den Rassen, die ihn zuerst recht ausnutzten, die hauptsächlich die Milchnahrung erlernten, für immer einen Vorsprung verschafft, nämlich den Hamiten, Indogermanen und Semiten. Und doch ist die Zähmung einzelner, besonders kleiner Tiere ziemlich leicht und sicher früher weit verbreitet gewesen.
Die amerikanischen Indianer halten teilweise ganze Menagerien von Vögeln und sonstigen kleinen Gespielen. Der Hund hat schon in sehr frühen Zeiten den Menschen umgeben. Von den Ägyptern und Assyrern wissen wir, daß sie Marder, Meerkatzen und Löwen sich hielten, im Norden hat man Raben und Adler, Füchse und Bären gezähmt. Aber es waren, so weit es sich um größere Tiere handelte, nur solche, die jung gefangen wurden, die nicht in der Gefangenschaft geboren waren. Es scheint, daß man den größeren Teil dieser individuell gezähmten und zumal der kleinen Tiere in ältester Zeit nicht des Nutzens, sondern der Spielerei oder des Kultus wegen, aus ästhetischen Gründen, aus Neigung zu lebendiger Umgebung hielt. Es giebt Stämme, welche Hühnerzucht nur des Federschmuckes wegen, welche Hundezucht haben, ohne die Hunde zur Jagd zu verwenden.
Der entscheidende Punkt für die Tierzähmung war, die größeren Tiere zur Zucht in der Gefangenschaft zu bringen. Wie das beim Elephanten in Indien noch nie gelungen ist, wie die Versuche in unseren Tiergärten mit wilden Tieren noch heute die größten Schwierigkeiten zeigen, so haben stets die gefangenen Tiere eine geringe Brunst und eine so geringe Milchergiebigkeit gezeigt, daß sie entweder keine Jungen bekamen, oder die wenigen geborenen verhungerten. Der Ersatz durch Menschenmilch, der selbst für Hunde und Schweine möglich war und oft vorkam, war bei ihnen ausgeschlossen.
Eduard Hahn stellt nun die ansprechende Hypothese auf, vorderasiatische Stämme seien durch die bekannte, weitverbreitete göttliche Verehrung der Rinder dazu gekommen, diese nach und nach in der Weise zu zähmen, daß man sie gleichsam über ihre Gefangen- schaft täuschte, sie herdenweise in große Gehege zu treiben wußte. Hier hätten sie sich fortgepflanzt und auch nach und nach an den Menschen gewöhnt. Man habe hier die zahmeren Tiere leicht herausfinden, dieselben vor den heiligen Wagen spannen, einzelne männliche Tiere -- auch aus kultlichen Motiven -- kastrieren können; die wilderen Exemplare konnte man durch Schlachtopfer ausmerzen. Die Anspannung des Ochsen vor den Haken und Pflug sieht Hahn ebenfalls als eine ursprünglich kultliche Hand- lung, als das Symbol der Befruchtung der Mutter Erde durch ein heiliges Tier an. Die Milch-, Fleisch- und Zugnutzung glaubt er erst als späte Folgen dieser rituellen Haltung des Rindes betrachten zu dürfen. Die Zähmung des Pferdes, des Kameles, des Schafes, des Esels, der Ziege betrachtet er als spätere Nachahmungen der ursprünglich allein vorhandenen Rindviehhaltung. Er nimmt auch an, daß so die Tierzähmung in der Hauptsache von einem Punkte der Erde ausgegangen sei.
Die Hypothese Hahns wird noch näherer Untersuchung bedürfen. Jedenfalls giebt sie nach ihren psychologischen Gründen und historischen Beweisen eine sehr wahrscheinliche Erklärung, welche der alten Annahme, die Viehzucht sei der Jagd, der Ackerbau der Viehzucht geschichtlich und ursächlich gefolgt, ganz fehlt. Jäger sind nirgends Vieh- züchter geworden, wohl aber haben afrikanische und amerikanische Hackbauern die Haltung des Rindviehes und anderer Tiere in historischer Zeit erlernt. Der Übergang der indo- germanischen Völker, die halb Hirten, halb Ackerbauern waren, nach ihrer Wanderzeit zum seßhaften Ackerbau beweist nicht, daß der wirkliche Nomade den Ackerbau mit Rind- vieh und Pflug begründete. Die uns heute bekannten eigentlichen Nomaden, welche in ganz anderer Weise Wandervölker sind als die Indogermanen, die mongolischen Central- asiaten, haben nur ausnahmsweise Rindvieh, mit dem gar nicht so zu wandern ist wie
Erſtes Buch. Land, Leute und Technik.
erzeugt. An einem dieſer Punkte, wahrſcheinlich in Vorderaſien, gelang nun wohl die eigentliche Viehzähmung, die der größeren Tiere.
Von etwa 140 000 Tierarten, deren Zähmung und Nutzung möglich wäre, hat der Menſch — nach Settegaſt — nur 47 dauernd zu ſeinen Hausgenoſſen gemacht und für ſich als Haustiere zu nutzen gelernt. Es muß alſo ſehr ſchwierig geweſen ſein, dieſen techniſchen Fortſchritt zu machen, der zu den allertiefgreifendſten des Menſchen- geſchlechtes gehört; er hat den Raſſen, die ihn zuerſt recht ausnutzten, die hauptſächlich die Milchnahrung erlernten, für immer einen Vorſprung verſchafft, nämlich den Hamiten, Indogermanen und Semiten. Und doch iſt die Zähmung einzelner, beſonders kleiner Tiere ziemlich leicht und ſicher früher weit verbreitet geweſen.
Die amerikaniſchen Indianer halten teilweiſe ganze Menagerien von Vögeln und ſonſtigen kleinen Geſpielen. Der Hund hat ſchon in ſehr frühen Zeiten den Menſchen umgeben. Von den Ägyptern und Aſſyrern wiſſen wir, daß ſie Marder, Meerkatzen und Löwen ſich hielten, im Norden hat man Raben und Adler, Füchſe und Bären gezähmt. Aber es waren, ſo weit es ſich um größere Tiere handelte, nur ſolche, die jung gefangen wurden, die nicht in der Gefangenſchaft geboren waren. Es ſcheint, daß man den größeren Teil dieſer individuell gezähmten und zumal der kleinen Tiere in älteſter Zeit nicht des Nutzens, ſondern der Spielerei oder des Kultus wegen, aus äſthetiſchen Gründen, aus Neigung zu lebendiger Umgebung hielt. Es giebt Stämme, welche Hühnerzucht nur des Federſchmuckes wegen, welche Hundezucht haben, ohne die Hunde zur Jagd zu verwenden.
Der entſcheidende Punkt für die Tierzähmung war, die größeren Tiere zur Zucht in der Gefangenſchaft zu bringen. Wie das beim Elephanten in Indien noch nie gelungen iſt, wie die Verſuche in unſeren Tiergärten mit wilden Tieren noch heute die größten Schwierigkeiten zeigen, ſo haben ſtets die gefangenen Tiere eine geringe Brunſt und eine ſo geringe Milchergiebigkeit gezeigt, daß ſie entweder keine Jungen bekamen, oder die wenigen geborenen verhungerten. Der Erſatz durch Menſchenmilch, der ſelbſt für Hunde und Schweine möglich war und oft vorkam, war bei ihnen ausgeſchloſſen.
Eduard Hahn ſtellt nun die anſprechende Hypotheſe auf, vorderaſiatiſche Stämme ſeien durch die bekannte, weitverbreitete göttliche Verehrung der Rinder dazu gekommen, dieſe nach und nach in der Weiſe zu zähmen, daß man ſie gleichſam über ihre Gefangen- ſchaft täuſchte, ſie herdenweiſe in große Gehege zu treiben wußte. Hier hätten ſie ſich fortgepflanzt und auch nach und nach an den Menſchen gewöhnt. Man habe hier die zahmeren Tiere leicht herausfinden, dieſelben vor den heiligen Wagen ſpannen, einzelne männliche Tiere — auch aus kultlichen Motiven — kaſtrieren können; die wilderen Exemplare konnte man durch Schlachtopfer ausmerzen. Die Anſpannung des Ochſen vor den Haken und Pflug ſieht Hahn ebenfalls als eine urſprünglich kultliche Hand- lung, als das Symbol der Befruchtung der Mutter Erde durch ein heiliges Tier an. Die Milch-, Fleiſch- und Zugnutzung glaubt er erſt als ſpäte Folgen dieſer rituellen Haltung des Rindes betrachten zu dürfen. Die Zähmung des Pferdes, des Kameles, des Schafes, des Eſels, der Ziege betrachtet er als ſpätere Nachahmungen der urſprünglich allein vorhandenen Rindviehhaltung. Er nimmt auch an, daß ſo die Tierzähmung in der Hauptſache von einem Punkte der Erde ausgegangen ſei.
Die Hypotheſe Hahns wird noch näherer Unterſuchung bedürfen. Jedenfalls giebt ſie nach ihren pſychologiſchen Gründen und hiſtoriſchen Beweiſen eine ſehr wahrſcheinliche Erklärung, welche der alten Annahme, die Viehzucht ſei der Jagd, der Ackerbau der Viehzucht geſchichtlich und urſächlich gefolgt, ganz fehlt. Jäger ſind nirgends Vieh- züchter geworden, wohl aber haben afrikaniſche und amerikaniſche Hackbauern die Haltung des Rindviehes und anderer Tiere in hiſtoriſcher Zeit erlernt. Der Übergang der indo- germaniſchen Völker, die halb Hirten, halb Ackerbauern waren, nach ihrer Wanderzeit zum ſeßhaften Ackerbau beweiſt nicht, daß der wirkliche Nomade den Ackerbau mit Rind- vieh und Pflug begründete. Die uns heute bekannten eigentlichen Nomaden, welche in ganz anderer Weiſe Wandervölker ſind als die Indogermanen, die mongoliſchen Central- aſiaten, haben nur ausnahmsweiſe Rindvieh, mit dem gar nicht ſo zu wandern iſt wie
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0212"n="196"/><fwplace="top"type="header">Erſtes Buch. Land, Leute und Technik.</fw><lb/>
erzeugt. An einem dieſer Punkte, wahrſcheinlich in Vorderaſien, gelang nun wohl die<lb/>
eigentliche Viehzähmung, die der größeren Tiere.</p><lb/><p>Von etwa 140 000 Tierarten, deren Zähmung und Nutzung möglich wäre, hat<lb/>
der Menſch — nach Settegaſt — nur 47 dauernd zu ſeinen Hausgenoſſen gemacht und<lb/>
für ſich als Haustiere zu nutzen gelernt. Es muß alſo ſehr ſchwierig geweſen ſein,<lb/>
dieſen techniſchen Fortſchritt zu machen, der zu den allertiefgreifendſten des Menſchen-<lb/>
geſchlechtes gehört; er hat den Raſſen, die ihn zuerſt recht ausnutzten, die hauptſächlich<lb/>
die Milchnahrung erlernten, für immer einen Vorſprung verſchafft, nämlich den Hamiten,<lb/>
Indogermanen und Semiten. Und doch iſt die Zähmung einzelner, beſonders kleiner<lb/>
Tiere ziemlich leicht und ſicher früher weit verbreitet geweſen.</p><lb/><p>Die amerikaniſchen Indianer halten teilweiſe ganze Menagerien von Vögeln und<lb/>ſonſtigen kleinen Geſpielen. Der Hund hat ſchon in ſehr frühen Zeiten den Menſchen<lb/>
umgeben. Von den Ägyptern und Aſſyrern wiſſen wir, daß ſie Marder, Meerkatzen<lb/>
und Löwen ſich hielten, im Norden hat man Raben und Adler, Füchſe und Bären<lb/>
gezähmt. Aber es waren, ſo weit es ſich um größere Tiere handelte, nur ſolche, die<lb/>
jung gefangen wurden, die nicht in der Gefangenſchaft geboren waren. Es ſcheint, daß<lb/>
man den größeren Teil dieſer individuell gezähmten und zumal der kleinen Tiere in<lb/>
älteſter Zeit nicht des Nutzens, ſondern der Spielerei oder des Kultus wegen, aus<lb/>
äſthetiſchen Gründen, aus Neigung zu lebendiger Umgebung hielt. Es giebt Stämme,<lb/>
welche Hühnerzucht nur des Federſchmuckes wegen, welche Hundezucht haben, ohne die<lb/>
Hunde zur Jagd zu verwenden.</p><lb/><p>Der entſcheidende Punkt für die Tierzähmung war, die größeren Tiere zur Zucht<lb/>
in der Gefangenſchaft zu bringen. Wie das beim Elephanten in Indien noch nie<lb/>
gelungen iſt, wie die Verſuche in unſeren Tiergärten mit wilden Tieren noch heute die<lb/>
größten Schwierigkeiten zeigen, ſo haben ſtets die gefangenen Tiere eine geringe Brunſt<lb/>
und eine ſo geringe Milchergiebigkeit gezeigt, daß ſie entweder keine Jungen bekamen,<lb/>
oder die wenigen geborenen verhungerten. Der Erſatz durch Menſchenmilch, der ſelbſt<lb/>
für Hunde und Schweine möglich war und oft vorkam, war bei ihnen ausgeſchloſſen.</p><lb/><p>Eduard Hahn ſtellt nun die anſprechende Hypotheſe auf, vorderaſiatiſche Stämme<lb/>ſeien durch die bekannte, weitverbreitete göttliche Verehrung der Rinder dazu gekommen,<lb/>
dieſe nach und nach in der Weiſe zu zähmen, daß man ſie gleichſam über ihre Gefangen-<lb/>ſchaft täuſchte, ſie herdenweiſe in große Gehege zu treiben wußte. Hier hätten ſie ſich<lb/>
fortgepflanzt und auch nach und nach an den Menſchen gewöhnt. Man habe hier die<lb/>
zahmeren Tiere leicht herausfinden, dieſelben vor den heiligen Wagen ſpannen, einzelne<lb/>
männliche Tiere — auch aus kultlichen Motiven — kaſtrieren können; die wilderen<lb/>
Exemplare konnte man durch Schlachtopfer ausmerzen. Die Anſpannung des Ochſen<lb/>
vor den Haken und Pflug ſieht Hahn ebenfalls als eine urſprünglich kultliche Hand-<lb/>
lung, als das Symbol der Befruchtung der Mutter Erde durch ein heiliges Tier an.<lb/>
Die Milch-, Fleiſch- und Zugnutzung glaubt er erſt als ſpäte Folgen dieſer rituellen<lb/>
Haltung des Rindes betrachten zu dürfen. Die Zähmung des Pferdes, des Kameles,<lb/>
des Schafes, des Eſels, der Ziege betrachtet er als ſpätere Nachahmungen der urſprünglich<lb/>
allein vorhandenen Rindviehhaltung. Er nimmt auch an, daß ſo die Tierzähmung in<lb/>
der Hauptſache von einem Punkte der Erde ausgegangen ſei.</p><lb/><p>Die Hypotheſe Hahns wird noch näherer Unterſuchung bedürfen. Jedenfalls giebt<lb/>ſie nach ihren pſychologiſchen Gründen und hiſtoriſchen Beweiſen eine ſehr wahrſcheinliche<lb/>
Erklärung, welche der alten Annahme, die Viehzucht ſei der Jagd, der Ackerbau der<lb/>
Viehzucht geſchichtlich und urſächlich gefolgt, ganz fehlt. Jäger ſind nirgends Vieh-<lb/>
züchter geworden, wohl aber haben afrikaniſche und amerikaniſche Hackbauern die Haltung<lb/>
des Rindviehes und anderer Tiere in hiſtoriſcher Zeit erlernt. Der Übergang der indo-<lb/>
germaniſchen Völker, die halb Hirten, halb Ackerbauern waren, nach ihrer Wanderzeit<lb/>
zum ſeßhaften Ackerbau beweiſt nicht, daß der wirkliche Nomade den Ackerbau mit Rind-<lb/>
vieh und Pflug begründete. Die uns heute bekannten eigentlichen Nomaden, welche in<lb/>
ganz anderer Weiſe Wandervölker ſind als die Indogermanen, die mongoliſchen Central-<lb/>
aſiaten, haben nur ausnahmsweiſe Rindvieh, mit dem gar nicht ſo zu wandern iſt wie<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[196/0212]
Erſtes Buch. Land, Leute und Technik.
erzeugt. An einem dieſer Punkte, wahrſcheinlich in Vorderaſien, gelang nun wohl die
eigentliche Viehzähmung, die der größeren Tiere.
Von etwa 140 000 Tierarten, deren Zähmung und Nutzung möglich wäre, hat
der Menſch — nach Settegaſt — nur 47 dauernd zu ſeinen Hausgenoſſen gemacht und
für ſich als Haustiere zu nutzen gelernt. Es muß alſo ſehr ſchwierig geweſen ſein,
dieſen techniſchen Fortſchritt zu machen, der zu den allertiefgreifendſten des Menſchen-
geſchlechtes gehört; er hat den Raſſen, die ihn zuerſt recht ausnutzten, die hauptſächlich
die Milchnahrung erlernten, für immer einen Vorſprung verſchafft, nämlich den Hamiten,
Indogermanen und Semiten. Und doch iſt die Zähmung einzelner, beſonders kleiner
Tiere ziemlich leicht und ſicher früher weit verbreitet geweſen.
Die amerikaniſchen Indianer halten teilweiſe ganze Menagerien von Vögeln und
ſonſtigen kleinen Geſpielen. Der Hund hat ſchon in ſehr frühen Zeiten den Menſchen
umgeben. Von den Ägyptern und Aſſyrern wiſſen wir, daß ſie Marder, Meerkatzen
und Löwen ſich hielten, im Norden hat man Raben und Adler, Füchſe und Bären
gezähmt. Aber es waren, ſo weit es ſich um größere Tiere handelte, nur ſolche, die
jung gefangen wurden, die nicht in der Gefangenſchaft geboren waren. Es ſcheint, daß
man den größeren Teil dieſer individuell gezähmten und zumal der kleinen Tiere in
älteſter Zeit nicht des Nutzens, ſondern der Spielerei oder des Kultus wegen, aus
äſthetiſchen Gründen, aus Neigung zu lebendiger Umgebung hielt. Es giebt Stämme,
welche Hühnerzucht nur des Federſchmuckes wegen, welche Hundezucht haben, ohne die
Hunde zur Jagd zu verwenden.
Der entſcheidende Punkt für die Tierzähmung war, die größeren Tiere zur Zucht
in der Gefangenſchaft zu bringen. Wie das beim Elephanten in Indien noch nie
gelungen iſt, wie die Verſuche in unſeren Tiergärten mit wilden Tieren noch heute die
größten Schwierigkeiten zeigen, ſo haben ſtets die gefangenen Tiere eine geringe Brunſt
und eine ſo geringe Milchergiebigkeit gezeigt, daß ſie entweder keine Jungen bekamen,
oder die wenigen geborenen verhungerten. Der Erſatz durch Menſchenmilch, der ſelbſt
für Hunde und Schweine möglich war und oft vorkam, war bei ihnen ausgeſchloſſen.
Eduard Hahn ſtellt nun die anſprechende Hypotheſe auf, vorderaſiatiſche Stämme
ſeien durch die bekannte, weitverbreitete göttliche Verehrung der Rinder dazu gekommen,
dieſe nach und nach in der Weiſe zu zähmen, daß man ſie gleichſam über ihre Gefangen-
ſchaft täuſchte, ſie herdenweiſe in große Gehege zu treiben wußte. Hier hätten ſie ſich
fortgepflanzt und auch nach und nach an den Menſchen gewöhnt. Man habe hier die
zahmeren Tiere leicht herausfinden, dieſelben vor den heiligen Wagen ſpannen, einzelne
männliche Tiere — auch aus kultlichen Motiven — kaſtrieren können; die wilderen
Exemplare konnte man durch Schlachtopfer ausmerzen. Die Anſpannung des Ochſen
vor den Haken und Pflug ſieht Hahn ebenfalls als eine urſprünglich kultliche Hand-
lung, als das Symbol der Befruchtung der Mutter Erde durch ein heiliges Tier an.
Die Milch-, Fleiſch- und Zugnutzung glaubt er erſt als ſpäte Folgen dieſer rituellen
Haltung des Rindes betrachten zu dürfen. Die Zähmung des Pferdes, des Kameles,
des Schafes, des Eſels, der Ziege betrachtet er als ſpätere Nachahmungen der urſprünglich
allein vorhandenen Rindviehhaltung. Er nimmt auch an, daß ſo die Tierzähmung in
der Hauptſache von einem Punkte der Erde ausgegangen ſei.
Die Hypotheſe Hahns wird noch näherer Unterſuchung bedürfen. Jedenfalls giebt
ſie nach ihren pſychologiſchen Gründen und hiſtoriſchen Beweiſen eine ſehr wahrſcheinliche
Erklärung, welche der alten Annahme, die Viehzucht ſei der Jagd, der Ackerbau der
Viehzucht geſchichtlich und urſächlich gefolgt, ganz fehlt. Jäger ſind nirgends Vieh-
züchter geworden, wohl aber haben afrikaniſche und amerikaniſche Hackbauern die Haltung
des Rindviehes und anderer Tiere in hiſtoriſcher Zeit erlernt. Der Übergang der indo-
germaniſchen Völker, die halb Hirten, halb Ackerbauern waren, nach ihrer Wanderzeit
zum ſeßhaften Ackerbau beweiſt nicht, daß der wirkliche Nomade den Ackerbau mit Rind-
vieh und Pflug begründete. Die uns heute bekannten eigentlichen Nomaden, welche in
ganz anderer Weiſe Wandervölker ſind als die Indogermanen, die mongoliſchen Central-
aſiaten, haben nur ausnahmsweiſe Rindvieh, mit dem gar nicht ſo zu wandern iſt wie
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/212>, abgerufen am 20.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.