Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.Die Nomaden. Die eigentlichen Ackerbauer. mangelnden und vereinzelten bis zur stärksten Düngung, von geringer zu starker Vieh-haltung, vom extensiven Betrieb einer rohen Feldgraswirtschaft bis zum intensiven Fruchtwechsel. Aber wir wollen zunächst von diesen Graden der Intensivität, d. h. von der Zunahme der Verwendung von Arbeit und Kapital auf dieselbe Bodenfläche ab- sehen und im allgemeinen fragen, welche Bedeutung der Ackerbau überhaupt für die Ent- wickelung der Technik und Kultur der Menschen habe. Wir sehen es, wenn wir ihn und seine Folgen mit den Zuständen des Jägers, des Wie die erforderliche Arbeit sich vermehrte, so steigerte sich die Gewöhnung an Aber nicht nur die Arbeit des einzelnen wurde eine ganz andere, nicht nur die Die Nomaden. Die eigentlichen Ackerbauer. mangelnden und vereinzelten bis zur ſtärkſten Düngung, von geringer zu ſtarker Vieh-haltung, vom extenſiven Betrieb einer rohen Feldgraswirtſchaft bis zum intenſiven Fruchtwechſel. Aber wir wollen zunächſt von dieſen Graden der Intenſivität, d. h. von der Zunahme der Verwendung von Arbeit und Kapital auf dieſelbe Bodenfläche ab- ſehen und im allgemeinen fragen, welche Bedeutung der Ackerbau überhaupt für die Ent- wickelung der Technik und Kultur der Menſchen habe. Wir ſehen es, wenn wir ihn und ſeine Folgen mit den Zuſtänden des Jägers, des Wie die erforderliche Arbeit ſich vermehrte, ſo ſteigerte ſich die Gewöhnung an Aber nicht nur die Arbeit des einzelnen wurde eine ganz andere, nicht nur die <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0215" n="199"/><fw place="top" type="header">Die Nomaden. Die eigentlichen Ackerbauer.</fw><lb/> mangelnden und vereinzelten bis zur ſtärkſten Düngung, von geringer zu ſtarker Vieh-<lb/> haltung, vom extenſiven Betrieb einer rohen Feldgraswirtſchaft bis zum intenſiven<lb/> Fruchtwechſel. Aber wir wollen zunächſt von dieſen Graden der Intenſivität, d. h. von<lb/> der Zunahme der Verwendung von Arbeit und Kapital auf dieſelbe Bodenfläche ab-<lb/> ſehen und im allgemeinen fragen, welche Bedeutung der Ackerbau überhaupt für die Ent-<lb/> wickelung der Technik und Kultur der Menſchen habe.</p><lb/> <p>Wir ſehen es, wenn wir ihn und ſeine Folgen mit den Zuſtänden des Jägers, des<lb/> Nomaden und des Hackbauers vergleichen; der Hackbau hat freilich mancherlei Folgen mit<lb/> dem Ackerbau gemein, wie z. B. die Wirkung auf Fleiß und Anſtrengung, die Begünſtigung<lb/> des Seßhaftwerdens, der dichteren Bevölkerung, eines Anfanges der Arbeitsteilung und<lb/> der Feldgemeinſchaft. Aber er unterſcheidet ſich doch im weſentlichen von ihm: auch wenn<lb/> der hölzerne Haken, aus dem der Pflug entſtand, urſprünglich durch Mann und Frau<lb/> (<hi rendition="#aq">conjux, conjugium</hi>) gezogen wurde, im ganzen wurde die tieriſche Kraft benützt und<lb/> damit der Boden ſehr viel leichter und tiefer gelockert. Die Benutzung der tieriſchen<lb/> Kräfte zum Anbau, zur Laſtenbeförderung, bald auch als Hülfsmittel für Göpel und<lb/> Triebrad bedeutet einen außerordentlichen Fortſchritt gegenüber der viel ſchwächeren<lb/> Menſchenkraft; ſie wurde gleichſam verdoppelt oder vervierfacht. Der Anbau wurde<lb/> aus einer bloßen Weiber- ziemlich allgemein Männerſache; größere Flächen wurden<lb/> beſtellt, ertragsreichere Früchte gebaut. Die bisherigen Gemüſe-, Knollen- und Wurzel-<lb/> eſſer erhielten mit Gerſte, Roggen und Weizen und den weiteren daran ſich ſchließenden<lb/> Früchten eine viel beſſere und ſicherere Ernährung. Die Erinnerung an den großen<lb/> Fortſchritt lebte im Altertum lebendig fort, wie z. B. Homer die älteſten Einwohner Ägyp-<lb/> tens, die ſich von Lotos und Bohnen nährten, vergleicht mit den ſtarken Männern,<lb/> welche die Früchte des Halmes genießen; jene hätten jedes Auftrags und jeder Pflicht<lb/> vergeſſen. Forſſac berechnete 1840, der Ackerbau nähre 20—30 mal ſo viel Menſchen<lb/> wie die Nomadie, dieſe 20 mal ſo viel wie die Jagd. Wir haben oben (S. 183) die<lb/> ſteigende Ernährungsmöglichkeit, welche der Ackerbau ſchafft, ſchon zahlenmäßig nach dem<lb/> Stande der heutigen Statiſtik belegt. Die Verbindung der Getreide-, Fleiſch- und<lb/> Milchnahrung erzeugt die kräftigſten Menſchen, iſt bis heute als die phyſiologiſch<lb/> günſtigſte angeſehen. Wenn auch Viehſterben und Mißernten noch lange große Gefahren<lb/> brachten, die Unſicherheit der Jäger-, Fiſcher- und Nomadenwirtſchaft war doch beſeitigt<lb/> und wich weiter in dem Maße, wie die Vielſeitigkeit des Anbaues verſchiedener Früchte<lb/> wuchs, die Vorratsſammlung ernſter genommen wurde.</p><lb/> <p>Wie die erforderliche Arbeit ſich vermehrte, ſo ſteigerte ſich die Gewöhnung an<lb/> Arbeit, Umſicht, Beſonnenheit mit dem Ackerbau ſehr; das komplizierte Ineinandergreifen<lb/> der Viehhaltung und des Anbaues nötigten zu Plänen und Berechnungen aller Art,<lb/> zur Fürſorge für den Winter, für die Zukunft. Die Ackerwerkzeuge, der ganze Betrieb,<lb/> der Bau von Haus, Stall und Scheuer wurden komplizierter. Und all das ſteigerte<lb/> ſich noch ſehr, wenn der Anbau von Obſtbäumen, die Pflanzung des Wein- und<lb/> Olivenbaumes, die Terraſſierungsarbeiten, die Waſſerbenützung und die Waſſerbauten,<lb/> die Düngung hinzukamen. Die definitive Seßhaftigkeit war mit dem Hausbau, der<lb/> Bodenverteilung und -vermeſſung, dem beſſern Anbau für immer gegeben.</p><lb/> <p>Aber nicht nur die Arbeit des einzelnen wurde eine ganz andere, nicht nur die<lb/> Hauswirtſchaft der Familie bildete ſich feiner als beim Hackbau aus, auch die gemein-<lb/> ſamen Arbeiten des Stammes, der Sippen, der zuſammen im Dorfe Wohnenden<lb/> ſteigerten ſich gegenüber den ähnlichen Einrichtungen beim Hackbau, teilweiſe auch gegen-<lb/> über denen der Nomaden. Da und dort entſtand gemeinſamer Anbau; oft wenigſtens<lb/> ſpannten zwei bis vier Familienväter ihre Ochſen bei ſchwerem Boden gemeinſam vor<lb/> den Pflug; die Dorfgenoſſen wohnten gemeinſam, bauten gemeinſam ihre Holzhäuſer,<lb/> hüteten gemeinſam ihr Vieh, legten ihre Ackerbeete und ihre Wege nach gemeinſamem Plane<lb/> an, verwalteten Wald und Weide gemeinſam: Flurzwang und Feldgemeinſchaft ſind die<lb/> weitverbreiteten genoſſenſchaftlichen Folgen erſt des Hack-, aber noch mehr des Ackerbaues.<lb/> Noch viel größer werden die gemeinſamen Arbeiten, wo die Waſſerzu- oder Ableitung eine<lb/> große Rolle ſpielt, wie in Ägypten und anderwärts; da wird der Ackerbau zu einer<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [199/0215]
Die Nomaden. Die eigentlichen Ackerbauer.
mangelnden und vereinzelten bis zur ſtärkſten Düngung, von geringer zu ſtarker Vieh-
haltung, vom extenſiven Betrieb einer rohen Feldgraswirtſchaft bis zum intenſiven
Fruchtwechſel. Aber wir wollen zunächſt von dieſen Graden der Intenſivität, d. h. von
der Zunahme der Verwendung von Arbeit und Kapital auf dieſelbe Bodenfläche ab-
ſehen und im allgemeinen fragen, welche Bedeutung der Ackerbau überhaupt für die Ent-
wickelung der Technik und Kultur der Menſchen habe.
Wir ſehen es, wenn wir ihn und ſeine Folgen mit den Zuſtänden des Jägers, des
Nomaden und des Hackbauers vergleichen; der Hackbau hat freilich mancherlei Folgen mit
dem Ackerbau gemein, wie z. B. die Wirkung auf Fleiß und Anſtrengung, die Begünſtigung
des Seßhaftwerdens, der dichteren Bevölkerung, eines Anfanges der Arbeitsteilung und
der Feldgemeinſchaft. Aber er unterſcheidet ſich doch im weſentlichen von ihm: auch wenn
der hölzerne Haken, aus dem der Pflug entſtand, urſprünglich durch Mann und Frau
(conjux, conjugium) gezogen wurde, im ganzen wurde die tieriſche Kraft benützt und
damit der Boden ſehr viel leichter und tiefer gelockert. Die Benutzung der tieriſchen
Kräfte zum Anbau, zur Laſtenbeförderung, bald auch als Hülfsmittel für Göpel und
Triebrad bedeutet einen außerordentlichen Fortſchritt gegenüber der viel ſchwächeren
Menſchenkraft; ſie wurde gleichſam verdoppelt oder vervierfacht. Der Anbau wurde
aus einer bloßen Weiber- ziemlich allgemein Männerſache; größere Flächen wurden
beſtellt, ertragsreichere Früchte gebaut. Die bisherigen Gemüſe-, Knollen- und Wurzel-
eſſer erhielten mit Gerſte, Roggen und Weizen und den weiteren daran ſich ſchließenden
Früchten eine viel beſſere und ſicherere Ernährung. Die Erinnerung an den großen
Fortſchritt lebte im Altertum lebendig fort, wie z. B. Homer die älteſten Einwohner Ägyp-
tens, die ſich von Lotos und Bohnen nährten, vergleicht mit den ſtarken Männern,
welche die Früchte des Halmes genießen; jene hätten jedes Auftrags und jeder Pflicht
vergeſſen. Forſſac berechnete 1840, der Ackerbau nähre 20—30 mal ſo viel Menſchen
wie die Nomadie, dieſe 20 mal ſo viel wie die Jagd. Wir haben oben (S. 183) die
ſteigende Ernährungsmöglichkeit, welche der Ackerbau ſchafft, ſchon zahlenmäßig nach dem
Stande der heutigen Statiſtik belegt. Die Verbindung der Getreide-, Fleiſch- und
Milchnahrung erzeugt die kräftigſten Menſchen, iſt bis heute als die phyſiologiſch
günſtigſte angeſehen. Wenn auch Viehſterben und Mißernten noch lange große Gefahren
brachten, die Unſicherheit der Jäger-, Fiſcher- und Nomadenwirtſchaft war doch beſeitigt
und wich weiter in dem Maße, wie die Vielſeitigkeit des Anbaues verſchiedener Früchte
wuchs, die Vorratsſammlung ernſter genommen wurde.
Wie die erforderliche Arbeit ſich vermehrte, ſo ſteigerte ſich die Gewöhnung an
Arbeit, Umſicht, Beſonnenheit mit dem Ackerbau ſehr; das komplizierte Ineinandergreifen
der Viehhaltung und des Anbaues nötigten zu Plänen und Berechnungen aller Art,
zur Fürſorge für den Winter, für die Zukunft. Die Ackerwerkzeuge, der ganze Betrieb,
der Bau von Haus, Stall und Scheuer wurden komplizierter. Und all das ſteigerte
ſich noch ſehr, wenn der Anbau von Obſtbäumen, die Pflanzung des Wein- und
Olivenbaumes, die Terraſſierungsarbeiten, die Waſſerbenützung und die Waſſerbauten,
die Düngung hinzukamen. Die definitive Seßhaftigkeit war mit dem Hausbau, der
Bodenverteilung und -vermeſſung, dem beſſern Anbau für immer gegeben.
Aber nicht nur die Arbeit des einzelnen wurde eine ganz andere, nicht nur die
Hauswirtſchaft der Familie bildete ſich feiner als beim Hackbau aus, auch die gemein-
ſamen Arbeiten des Stammes, der Sippen, der zuſammen im Dorfe Wohnenden
ſteigerten ſich gegenüber den ähnlichen Einrichtungen beim Hackbau, teilweiſe auch gegen-
über denen der Nomaden. Da und dort entſtand gemeinſamer Anbau; oft wenigſtens
ſpannten zwei bis vier Familienväter ihre Ochſen bei ſchwerem Boden gemeinſam vor
den Pflug; die Dorfgenoſſen wohnten gemeinſam, bauten gemeinſam ihre Holzhäuſer,
hüteten gemeinſam ihr Vieh, legten ihre Ackerbeete und ihre Wege nach gemeinſamem Plane
an, verwalteten Wald und Weide gemeinſam: Flurzwang und Feldgemeinſchaft ſind die
weitverbreiteten genoſſenſchaftlichen Folgen erſt des Hack-, aber noch mehr des Ackerbaues.
Noch viel größer werden die gemeinſamen Arbeiten, wo die Waſſerzu- oder Ableitung eine
große Rolle ſpielt, wie in Ägypten und anderwärts; da wird der Ackerbau zu einer
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