ganze Stämme und Staaten einheitlich verbindenden Einrichtung. Die Ausbildung der Feldmeßkunst, die Versteinung der Felder wird bei jeder definitiven Landzuteilung und allem geregelten Ackerbau eine wichtige genossenschaftliche oder Staatsaufgabe.
Man hat gesagt, der Hackbau erzeuge Dörfer, der Ackerbau Städte. Jedenfalls ging Ackerbau und Stadtbau vielfach im Altertum Hand in Hand, was wir in dem Kapitel über Siedlung noch sehen werden; die Ackerbauern der fruchtbaren Stromländer schufen große Verteidigungswerke, in welche ganze Völkerschaften sich retten konnten. Das Friedensbedürfnis der Ackerbauer ist ein viel größeres als das der Hackbauern und der Nomaden und wächst mit dem Obst- und Weinbau, mit dem steigenden Wert aller Anlagen. Der Krieg mit den Nachbarn wurde ein anderer. Neben dem mög- lichen Schutz durch Mauern, Wasser, Kanäle sucht der Ackerbauer durch Schutzwaffen, Leder- und Metallkleidung, Schilde und Helme, aber auch durch bessere und kompliziertere Kriegsverfassung sich gegen seine Feinde zu sichern.
Das ganze geordnete gesellschaftliche Leben der Kulturvölker steht mit dem Acker- bau in Zusammenhang. Die Alten, sagt Roscher, haben der Landbaugöttin Demeter die Einführung der Ehe und der Gesetze beigelegt. Schäffle thut den Ausspruch: "die Einzel- und die Volksseele kam erst mit dem Übergang zum Ackerbau zu höherer Ver- nunftsentwickelung."
Man hat neuerdings darauf hingewiesen, daß man oft die wirtschaftlichen, socialen und geistigen Folgen des Ackerbaues überschätzt habe, daß nur eine gewisse Entwickelung des Ackerbaues, nämlich die mit Seßhaftigkeit, Hausbau etc. verknüpfte, diese Folgen habe. Das ist richtig. Wir haben dem teilweise durch die Scheidung von Hackbau und Ackerbau Rechnung getragen. Im übrigen könnten wir nur durch eine eingehende wirtschaftsgeschichtliche Scheidung der verschiedenen Stufen des Ackerbaues genauer fest- stellen, wann und wo diese günstigen Folgen eintraten. Dazu ist hier nicht der Raum. Nur die wichtigsten Phasen des agrarischen Entwickelungsprozesses, wie er sich in Europa abspielte, seien hier zum Schlusse angedeutet.
Die Weidewirtschaft oder wilde Feldgraswirtschaft benutzt den Wald und die Weiden nur zur Viehernährung, bricht an geeigneter Stelle kleine Stücke der Weide zur Beackerung auf, baut da Buchweizen, Hirse, Gerste, Roggen zwei oder drei Jahre hintereinander ohne Düngung, bis der Boden erschöpft ist; oft genügt als Saat, was bei der Ernte ausfällt. Der erschöpfte Boden wird verlassen, fliegt wieder als Weide oder Wald an, anderer wird in Angriff genommen.
An eine solche Wirtschaft haben wir auch für die ungetrennten Indogermanen zu denken, die Gerste bauten, Joch oder Pflug und feste Holzhäuser hatten. Auf der Wanderung trat dann die Viehwirtschaft mehr in den Vordergrund, aber der Ackerbau hörte nicht auf; wir treffen sogar bei dem europäischen Zweige der Indogermanen den Weizen- und Spelzbau, bei den Germanen den Pflug mit eiserner Schar, was nicht ausschließt, daß die Sueben zu Cäsars Zeit, in Vorwärtsbewegung begriffen, keine festen Wohnsitze hatten, erst in den nun folgenden Jahrhunderten zur definitiven Seßhaftigkeit, zu der Dorf-, Hufen- und Gewannenverfassung übergingen.
So entstanden hier aus der wilden Feldgraswirtschaft und Brennwirtschaft nach und nach die Feldsysteme mit ewiger Weide. Unter der Brennwirtschaft verstehen wir eine solche, welche einzelne Stücke Moor oder Wald zum Zwecke des Anbaues nieder- brennt und eine Anzahl Jahre bebaut. Eine solche war in Deutschland, Skandinavien, Frankreich bis ins Mittelalter weit verbreitet, erforderte wegen der Brandgefahren Vorsicht und gesellschaftliche Ordnung und Überwachung. Im Gegensatz zu diesem Herumgehen des Baulandes in der Flur, im Gut, in der Gegend steht die Ein-, Zwei-, Drei- felderwirtschaft, welche als ewiges Ackerland in der Nähe der Wohnungen ursprünglich 10--20 Prozente aussondert, den Rest als Wald und ewige Weide benutzt. Die Ein- felderwirtschaft bebaut jährlich mit Düngung dieselben Flächen, die Zwei- und Dreifelder- wirtschaft bebaut abwechselnd jährlich die Hälfte, ein oder zwei Drittel des Ackerlandes und läßt das übrige als Brache ausruhen und als Viehweide dienen. Gedüngt wird ursprünglich nur durch den Viehgang oder durch Überschwemmung, wo Bewässerungs-
Erſtes Buch. Land, Leute und Technik.
ganze Stämme und Staaten einheitlich verbindenden Einrichtung. Die Ausbildung der Feldmeßkunſt, die Verſteinung der Felder wird bei jeder definitiven Landzuteilung und allem geregelten Ackerbau eine wichtige genoſſenſchaftliche oder Staatsaufgabe.
Man hat geſagt, der Hackbau erzeuge Dörfer, der Ackerbau Städte. Jedenfalls ging Ackerbau und Stadtbau vielfach im Altertum Hand in Hand, was wir in dem Kapitel über Siedlung noch ſehen werden; die Ackerbauern der fruchtbaren Stromländer ſchufen große Verteidigungswerke, in welche ganze Völkerſchaften ſich retten konnten. Das Friedensbedürfnis der Ackerbauer iſt ein viel größeres als das der Hackbauern und der Nomaden und wächſt mit dem Obſt- und Weinbau, mit dem ſteigenden Wert aller Anlagen. Der Krieg mit den Nachbarn wurde ein anderer. Neben dem mög- lichen Schutz durch Mauern, Waſſer, Kanäle ſucht der Ackerbauer durch Schutzwaffen, Leder- und Metallkleidung, Schilde und Helme, aber auch durch beſſere und kompliziertere Kriegsverfaſſung ſich gegen ſeine Feinde zu ſichern.
Das ganze geordnete geſellſchaftliche Leben der Kulturvölker ſteht mit dem Acker- bau in Zuſammenhang. Die Alten, ſagt Roſcher, haben der Landbaugöttin Demeter die Einführung der Ehe und der Geſetze beigelegt. Schäffle thut den Ausſpruch: „die Einzel- und die Volksſeele kam erſt mit dem Übergang zum Ackerbau zu höherer Ver- nunftsentwickelung.“
Man hat neuerdings darauf hingewieſen, daß man oft die wirtſchaftlichen, ſocialen und geiſtigen Folgen des Ackerbaues überſchätzt habe, daß nur eine gewiſſe Entwickelung des Ackerbaues, nämlich die mit Seßhaftigkeit, Hausbau ꝛc. verknüpfte, dieſe Folgen habe. Das iſt richtig. Wir haben dem teilweiſe durch die Scheidung von Hackbau und Ackerbau Rechnung getragen. Im übrigen könnten wir nur durch eine eingehende wirtſchaftsgeſchichtliche Scheidung der verſchiedenen Stufen des Ackerbaues genauer feſt- ſtellen, wann und wo dieſe günſtigen Folgen eintraten. Dazu iſt hier nicht der Raum. Nur die wichtigſten Phaſen des agrariſchen Entwickelungsprozeſſes, wie er ſich in Europa abſpielte, ſeien hier zum Schluſſe angedeutet.
Die Weidewirtſchaft oder wilde Feldgraswirtſchaft benutzt den Wald und die Weiden nur zur Viehernährung, bricht an geeigneter Stelle kleine Stücke der Weide zur Beackerung auf, baut da Buchweizen, Hirſe, Gerſte, Roggen zwei oder drei Jahre hintereinander ohne Düngung, bis der Boden erſchöpft iſt; oft genügt als Saat, was bei der Ernte ausfällt. Der erſchöpfte Boden wird verlaſſen, fliegt wieder als Weide oder Wald an, anderer wird in Angriff genommen.
An eine ſolche Wirtſchaft haben wir auch für die ungetrennten Indogermanen zu denken, die Gerſte bauten, Joch oder Pflug und feſte Holzhäuſer hatten. Auf der Wanderung trat dann die Viehwirtſchaft mehr in den Vordergrund, aber der Ackerbau hörte nicht auf; wir treffen ſogar bei dem europäiſchen Zweige der Indogermanen den Weizen- und Spelzbau, bei den Germanen den Pflug mit eiſerner Schar, was nicht ausſchließt, daß die Sueben zu Cäſars Zeit, in Vorwärtsbewegung begriffen, keine feſten Wohnſitze hatten, erſt in den nun folgenden Jahrhunderten zur definitiven Seßhaftigkeit, zu der Dorf-, Hufen- und Gewannenverfaſſung übergingen.
So entſtanden hier aus der wilden Feldgraswirtſchaft und Brennwirtſchaft nach und nach die Feldſyſteme mit ewiger Weide. Unter der Brennwirtſchaft verſtehen wir eine ſolche, welche einzelne Stücke Moor oder Wald zum Zwecke des Anbaues nieder- brennt und eine Anzahl Jahre bebaut. Eine ſolche war in Deutſchland, Skandinavien, Frankreich bis ins Mittelalter weit verbreitet, erforderte wegen der Brandgefahren Vorſicht und geſellſchaftliche Ordnung und Überwachung. Im Gegenſatz zu dieſem Herumgehen des Baulandes in der Flur, im Gut, in der Gegend ſteht die Ein-, Zwei-, Drei- felderwirtſchaft, welche als ewiges Ackerland in der Nähe der Wohnungen urſprünglich 10—20 Prozente ausſondert, den Reſt als Wald und ewige Weide benutzt. Die Ein- felderwirtſchaft bebaut jährlich mit Düngung dieſelben Flächen, die Zwei- und Dreifelder- wirtſchaft bebaut abwechſelnd jährlich die Hälfte, ein oder zwei Drittel des Ackerlandes und läßt das übrige als Brache ausruhen und als Viehweide dienen. Gedüngt wird urſprünglich nur durch den Viehgang oder durch Überſchwemmung, wo Bewäſſerungs-
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Erſtes Buch. Land, Leute und Technik.
ganze Stämme und Staaten einheitlich verbindenden Einrichtung. Die Ausbildung
der Feldmeßkunſt, die Verſteinung der Felder wird bei jeder definitiven Landzuteilung
und allem geregelten Ackerbau eine wichtige genoſſenſchaftliche oder Staatsaufgabe.
Man hat geſagt, der Hackbau erzeuge Dörfer, der Ackerbau Städte. Jedenfalls
ging Ackerbau und Stadtbau vielfach im Altertum Hand in Hand, was wir in dem
Kapitel über Siedlung noch ſehen werden; die Ackerbauern der fruchtbaren Stromländer
ſchufen große Verteidigungswerke, in welche ganze Völkerſchaften ſich retten konnten.
Das Friedensbedürfnis der Ackerbauer iſt ein viel größeres als das der Hackbauern
und der Nomaden und wächſt mit dem Obſt- und Weinbau, mit dem ſteigenden Wert
aller Anlagen. Der Krieg mit den Nachbarn wurde ein anderer. Neben dem mög-
lichen Schutz durch Mauern, Waſſer, Kanäle ſucht der Ackerbauer durch Schutzwaffen,
Leder- und Metallkleidung, Schilde und Helme, aber auch durch beſſere und kompliziertere
Kriegsverfaſſung ſich gegen ſeine Feinde zu ſichern.
Das ganze geordnete geſellſchaftliche Leben der Kulturvölker ſteht mit dem Acker-
bau in Zuſammenhang. Die Alten, ſagt Roſcher, haben der Landbaugöttin Demeter
die Einführung der Ehe und der Geſetze beigelegt. Schäffle thut den Ausſpruch: „die
Einzel- und die Volksſeele kam erſt mit dem Übergang zum Ackerbau zu höherer Ver-
nunftsentwickelung.“
Man hat neuerdings darauf hingewieſen, daß man oft die wirtſchaftlichen, ſocialen
und geiſtigen Folgen des Ackerbaues überſchätzt habe, daß nur eine gewiſſe Entwickelung
des Ackerbaues, nämlich die mit Seßhaftigkeit, Hausbau ꝛc. verknüpfte, dieſe Folgen
habe. Das iſt richtig. Wir haben dem teilweiſe durch die Scheidung von Hackbau und
Ackerbau Rechnung getragen. Im übrigen könnten wir nur durch eine eingehende
wirtſchaftsgeſchichtliche Scheidung der verſchiedenen Stufen des Ackerbaues genauer feſt-
ſtellen, wann und wo dieſe günſtigen Folgen eintraten. Dazu iſt hier nicht der Raum.
Nur die wichtigſten Phaſen des agrariſchen Entwickelungsprozeſſes, wie er ſich in Europa
abſpielte, ſeien hier zum Schluſſe angedeutet.
Die Weidewirtſchaft oder wilde Feldgraswirtſchaft benutzt den Wald
und die Weiden nur zur Viehernährung, bricht an geeigneter Stelle kleine Stücke der
Weide zur Beackerung auf, baut da Buchweizen, Hirſe, Gerſte, Roggen zwei oder drei
Jahre hintereinander ohne Düngung, bis der Boden erſchöpft iſt; oft genügt als Saat,
was bei der Ernte ausfällt. Der erſchöpfte Boden wird verlaſſen, fliegt wieder als
Weide oder Wald an, anderer wird in Angriff genommen.
An eine ſolche Wirtſchaft haben wir auch für die ungetrennten Indogermanen zu
denken, die Gerſte bauten, Joch oder Pflug und feſte Holzhäuſer hatten. Auf der
Wanderung trat dann die Viehwirtſchaft mehr in den Vordergrund, aber der Ackerbau
hörte nicht auf; wir treffen ſogar bei dem europäiſchen Zweige der Indogermanen den
Weizen- und Spelzbau, bei den Germanen den Pflug mit eiſerner Schar, was nicht
ausſchließt, daß die Sueben zu Cäſars Zeit, in Vorwärtsbewegung begriffen, keine feſten
Wohnſitze hatten, erſt in den nun folgenden Jahrhunderten zur definitiven Seßhaftigkeit,
zu der Dorf-, Hufen- und Gewannenverfaſſung übergingen.
So entſtanden hier aus der wilden Feldgraswirtſchaft und Brennwirtſchaft nach und
nach die Feldſyſteme mit ewiger Weide. Unter der Brennwirtſchaft verſtehen
wir eine ſolche, welche einzelne Stücke Moor oder Wald zum Zwecke des Anbaues nieder-
brennt und eine Anzahl Jahre bebaut. Eine ſolche war in Deutſchland, Skandinavien,
Frankreich bis ins Mittelalter weit verbreitet, erforderte wegen der Brandgefahren Vorſicht
und geſellſchaftliche Ordnung und Überwachung. Im Gegenſatz zu dieſem Herumgehen
des Baulandes in der Flur, im Gut, in der Gegend ſteht die Ein-, Zwei-, Drei-
felderwirtſchaft, welche als ewiges Ackerland in der Nähe der Wohnungen urſprünglich
10—20 Prozente ausſondert, den Reſt als Wald und ewige Weide benutzt. Die Ein-
felderwirtſchaft bebaut jährlich mit Düngung dieſelben Flächen, die Zwei- und Dreifelder-
wirtſchaft bebaut abwechſelnd jährlich die Hälfte, ein oder zwei Drittel des Ackerlandes
und läßt das übrige als Brache ausruhen und als Viehweide dienen. Gedüngt wird
urſprünglich nur durch den Viehgang oder durch Überſchwemmung, wo Bewäſſerungs-
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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/216>, abgerufen am 19.07.2024.
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