Die europäischen Völker als Erben der westasiatischen Technik.
Die Römer wurden durch die Etrusker die Erben der phönikischen, durch die unteritalischen Kolonien die der griechischen Technik. Sie haben mit ihrem praktisch- verständigen Sinn auch technisch Bedeutsames geleistet; sie haben sich teilweise zu einer Großtechnik erhoben, welche die asiatisch-ägyptischen Leistungen übertraf; so im Stein- und Gewölbebau, im Straßen- und Wasserbau. Die Wasserversorgung Roms, sagte Reuleaux 1871, war im ersten Jahrhundert nach Chr. so, daß die Stadt täglich 60 Millionen Kubikfuß Wasser erhielt, dreimal so viel wie heute das achtmal größere London. Es war auch nicht bloß Gemeinde und Staat, die in der Technik so Großes leisteten, die privaten Unternehmer, die Handelsgesellschaften sind im Handel, dem Bergbau, der Landwirtschaft, den Gewerben fast schon so thätig gewesen, haben gerade auch technisch ähnliche Verdienste gehabt wie die Leiter der heutigen Großindustrie. Aber diese sämtlichen technischen Leistungen beruhen doch weniger auf neuen technischen Methoden, als auf der organisatorisch-administrativen und kriegerischen Fähigkeit des Volkes, seinem rechts- und staatsbildenden Sinne, seiner Kunst, unterworfene Völker zu regieren, zu nützen und doch zu erziehen, auf der Weltherrschaft, die für Jahrhunderte einen Frieden und eine ungestörte Handelsmöglichkeit von Cadix bis Indien, von der Sahara bis Britannien schuf.
Die arabischen Reiche haben die ägyptisch-hellenistische, wie die persische, die babylonische und die römische Technik geerbt, sie haben mit der Zähigkeit der Semiten daneben ihre Eigenart bewahrt, auf Grund ihrer kriegerischen Eroberungen rasch eine hohe Kultur erzeugt. Sie wurden, sagt A. v. Humboldt, die Begründer der physikalischen Wissenschaften, sie brachten es zu einem Erforschen und Messen der Naturkräfte, haben vor allem die Chemie gefördert, durch ihre Reisen die Geographie begründet. Man ver- dankt ihnen viele einzelne mathematische und technische Fortschritte: die Bereitung des Alkohols, den Kompaß, die Schnellwage, die Kunst, Baumwollpapier zu machen; ebenso die Einbürgerung der Citrone, der Pomeranze, des Safran, der Baumwollstaude, des Zuckerrohres, der Seidenraupe an den Mittelmeergestaden. Aber sie blieben doch mehr ein Ausläufer der antiken Technik und Kultur, ihre Fortschritte schufen keine neuen Formen der Volkswirtschaft, sie vermittelten mehr dem Abendlande allerlei kleine Künste, so z. B. auch ihre Kaufmanns- und Hafenpraxis. Der Einbruch der Turkotataren vernichtete den größeren Teil ihrer Kultur und damit vieles, was von den Resten der großen asiatischen Vergangenheit bisher noch sich im Osten erhalten hatte.
Die Völkerwanderung in Westeuropa hatte seiner Zeit ähnlich zerstörend gewirkt, aber die neuen Nationen der Italiener, Spanier, Franzosen, Engländer und Deutschen, welche sich von 500--1500 n. Chr. bildeten, waren gegenüber den Turkotataren eine sehr viel höher stehende Rasse, sie waren ganz anders fähig, Christen- tum, antike Gesittung und überlieferte Institutionen, auch rasch gewisse technische Fertig- keiten ihrer südlichen Nachbarn bei sich heimisch zu machen. Sie erwuchsen teils direkt auf dem Boden der antiken Kultur, teils empfingen sie in Krieg und Frieden Jahr- hunderte lang die Anregungen von ihr, standen dann ein Jahrtausend unter der Herr- schaft der römischen Kirche, welche römisch-städtische Technik repräsentierte und verbreitete. Ammianus Marcellinus sagt von den allemannischen Grenzdörfern des 4. Jahrhunderts schon, sie glichen den römischen. Schrift-, Geld- und Marktwesen, Handelsformen, gewerbliche Technik erhielten sich in den romanischen Ländern, drangen in die germa- nischen überall hin, wo die Kirche und die romanisierten oberen Klassen größeren Einfluß hatten. Aber Geist und Gesittung, Familienleben und bäuerliche Wirtschaft blieben in der Masse des Volkes germanisch; letztere änderten sich auch seit den Umwandlungen zur Seßhaftigkeit und zur Dreifelderwirtschaft doch nicht von Grund aus, -- und zwar gilt dies auch für die Zeit von 1400--1800. Die deutschen Städte glichen noch im 12. und 13. Jahrhundert fast großen Dörfern, die Häuser waren damals noch zum großen Teil Lehm-, Holz- und Fachwerksbaracken, die man zu der fahrenden Habe rechnete, zur Strafe nieder- legte. Der Steinbau der Kirchen war bis ins 11. Jahrhundert Sache italienischer Arbeiter (opus italicum) oder der Kleriker. Erst im 15. und 16. Jahrhundert entstehen, besonders an den Straßenecken, um die Brände aufzuhalten, und in Patricierhänden steinerne
Die europäiſchen Völker als Erben der weſtaſiatiſchen Technik.
Die Römer wurden durch die Etrusker die Erben der phönikiſchen, durch die unteritaliſchen Kolonien die der griechiſchen Technik. Sie haben mit ihrem praktiſch- verſtändigen Sinn auch techniſch Bedeutſames geleiſtet; ſie haben ſich teilweiſe zu einer Großtechnik erhoben, welche die aſiatiſch-ägyptiſchen Leiſtungen übertraf; ſo im Stein- und Gewölbebau, im Straßen- und Waſſerbau. Die Waſſerverſorgung Roms, ſagte Reuleaux 1871, war im erſten Jahrhundert nach Chr. ſo, daß die Stadt täglich 60 Millionen Kubikfuß Waſſer erhielt, dreimal ſo viel wie heute das achtmal größere London. Es war auch nicht bloß Gemeinde und Staat, die in der Technik ſo Großes leiſteten, die privaten Unternehmer, die Handelsgeſellſchaften ſind im Handel, dem Bergbau, der Landwirtſchaft, den Gewerben faſt ſchon ſo thätig geweſen, haben gerade auch techniſch ähnliche Verdienſte gehabt wie die Leiter der heutigen Großinduſtrie. Aber dieſe ſämtlichen techniſchen Leiſtungen beruhen doch weniger auf neuen techniſchen Methoden, als auf der organiſatoriſch-adminiſtrativen und kriegeriſchen Fähigkeit des Volkes, ſeinem rechts- und ſtaatsbildenden Sinne, ſeiner Kunſt, unterworfene Völker zu regieren, zu nützen und doch zu erziehen, auf der Weltherrſchaft, die für Jahrhunderte einen Frieden und eine ungeſtörte Handelsmöglichkeit von Cadix bis Indien, von der Sahara bis Britannien ſchuf.
Die arabiſchen Reiche haben die ägyptiſch-helleniſtiſche, wie die perſiſche, die babyloniſche und die römiſche Technik geerbt, ſie haben mit der Zähigkeit der Semiten daneben ihre Eigenart bewahrt, auf Grund ihrer kriegeriſchen Eroberungen raſch eine hohe Kultur erzeugt. Sie wurden, ſagt A. v. Humboldt, die Begründer der phyſikaliſchen Wiſſenſchaften, ſie brachten es zu einem Erforſchen und Meſſen der Naturkräfte, haben vor allem die Chemie gefördert, durch ihre Reiſen die Geographie begründet. Man ver- dankt ihnen viele einzelne mathematiſche und techniſche Fortſchritte: die Bereitung des Alkohols, den Kompaß, die Schnellwage, die Kunſt, Baumwollpapier zu machen; ebenſo die Einbürgerung der Citrone, der Pomeranze, des Safran, der Baumwollſtaude, des Zuckerrohres, der Seidenraupe an den Mittelmeergeſtaden. Aber ſie blieben doch mehr ein Ausläufer der antiken Technik und Kultur, ihre Fortſchritte ſchufen keine neuen Formen der Volkswirtſchaft, ſie vermittelten mehr dem Abendlande allerlei kleine Künſte, ſo z. B. auch ihre Kaufmanns- und Hafenpraxis. Der Einbruch der Turkotataren vernichtete den größeren Teil ihrer Kultur und damit vieles, was von den Reſten der großen aſiatiſchen Vergangenheit bisher noch ſich im Oſten erhalten hatte.
Die Völkerwanderung in Weſteuropa hatte ſeiner Zeit ähnlich zerſtörend gewirkt, aber die neuen Nationen der Italiener, Spanier, Franzoſen, Engländer und Deutſchen, welche ſich von 500—1500 n. Chr. bildeten, waren gegenüber den Turkotataren eine ſehr viel höher ſtehende Raſſe, ſie waren ganz anders fähig, Chriſten- tum, antike Geſittung und überlieferte Inſtitutionen, auch raſch gewiſſe techniſche Fertig- keiten ihrer ſüdlichen Nachbarn bei ſich heimiſch zu machen. Sie erwuchſen teils direkt auf dem Boden der antiken Kultur, teils empfingen ſie in Krieg und Frieden Jahr- hunderte lang die Anregungen von ihr, ſtanden dann ein Jahrtauſend unter der Herr- ſchaft der römiſchen Kirche, welche römiſch-ſtädtiſche Technik repräſentierte und verbreitete. Ammianus Marcellinus ſagt von den allemanniſchen Grenzdörfern des 4. Jahrhunderts ſchon, ſie glichen den römiſchen. Schrift-, Geld- und Marktweſen, Handelsformen, gewerbliche Technik erhielten ſich in den romaniſchen Ländern, drangen in die germa- niſchen überall hin, wo die Kirche und die romaniſierten oberen Klaſſen größeren Einfluß hatten. Aber Geiſt und Geſittung, Familienleben und bäuerliche Wirtſchaft blieben in der Maſſe des Volkes germaniſch; letztere änderten ſich auch ſeit den Umwandlungen zur Seßhaftigkeit und zur Dreifelderwirtſchaft doch nicht von Grund aus, — und zwar gilt dies auch für die Zeit von 1400—1800. Die deutſchen Städte glichen noch im 12. und 13. Jahrhundert faſt großen Dörfern, die Häuſer waren damals noch zum großen Teil Lehm-, Holz- und Fachwerksbaracken, die man zu der fahrenden Habe rechnete, zur Strafe nieder- legte. Der Steinbau der Kirchen war bis ins 11. Jahrhundert Sache italieniſcher Arbeiter (opus italicum) oder der Kleriker. Erſt im 15. und 16. Jahrhundert entſtehen, beſonders an den Straßenecken, um die Brände aufzuhalten, und in Patricierhänden ſteinerne
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Die europäiſchen Völker als Erben der weſtaſiatiſchen Technik.
Die Römer wurden durch die Etrusker die Erben der phönikiſchen, durch die
unteritaliſchen Kolonien die der griechiſchen Technik. Sie haben mit ihrem praktiſch-
verſtändigen Sinn auch techniſch Bedeutſames geleiſtet; ſie haben ſich teilweiſe zu
einer Großtechnik erhoben, welche die aſiatiſch-ägyptiſchen Leiſtungen übertraf; ſo im
Stein- und Gewölbebau, im Straßen- und Waſſerbau. Die Waſſerverſorgung Roms,
ſagte Reuleaux 1871, war im erſten Jahrhundert nach Chr. ſo, daß die Stadt täglich
60 Millionen Kubikfuß Waſſer erhielt, dreimal ſo viel wie heute das achtmal größere
London. Es war auch nicht bloß Gemeinde und Staat, die in der Technik ſo Großes
leiſteten, die privaten Unternehmer, die Handelsgeſellſchaften ſind im Handel, dem
Bergbau, der Landwirtſchaft, den Gewerben faſt ſchon ſo thätig geweſen, haben gerade
auch techniſch ähnliche Verdienſte gehabt wie die Leiter der heutigen Großinduſtrie.
Aber dieſe ſämtlichen techniſchen Leiſtungen beruhen doch weniger auf neuen techniſchen
Methoden, als auf der organiſatoriſch-adminiſtrativen und kriegeriſchen Fähigkeit des
Volkes, ſeinem rechts- und ſtaatsbildenden Sinne, ſeiner Kunſt, unterworfene Völker zu
regieren, zu nützen und doch zu erziehen, auf der Weltherrſchaft, die für Jahrhunderte
einen Frieden und eine ungeſtörte Handelsmöglichkeit von Cadix bis Indien, von der
Sahara bis Britannien ſchuf.
Die arabiſchen Reiche haben die ägyptiſch-helleniſtiſche, wie die perſiſche, die
babyloniſche und die römiſche Technik geerbt, ſie haben mit der Zähigkeit der Semiten
daneben ihre Eigenart bewahrt, auf Grund ihrer kriegeriſchen Eroberungen raſch eine
hohe Kultur erzeugt. Sie wurden, ſagt A. v. Humboldt, die Begründer der phyſikaliſchen
Wiſſenſchaften, ſie brachten es zu einem Erforſchen und Meſſen der Naturkräfte, haben
vor allem die Chemie gefördert, durch ihre Reiſen die Geographie begründet. Man ver-
dankt ihnen viele einzelne mathematiſche und techniſche Fortſchritte: die Bereitung des
Alkohols, den Kompaß, die Schnellwage, die Kunſt, Baumwollpapier zu machen; ebenſo
die Einbürgerung der Citrone, der Pomeranze, des Safran, der Baumwollſtaude, des
Zuckerrohres, der Seidenraupe an den Mittelmeergeſtaden. Aber ſie blieben doch mehr
ein Ausläufer der antiken Technik und Kultur, ihre Fortſchritte ſchufen keine neuen Formen
der Volkswirtſchaft, ſie vermittelten mehr dem Abendlande allerlei kleine Künſte, ſo z. B.
auch ihre Kaufmanns- und Hafenpraxis. Der Einbruch der Turkotataren vernichtete den
größeren Teil ihrer Kultur und damit vieles, was von den Reſten der großen aſiatiſchen
Vergangenheit bisher noch ſich im Oſten erhalten hatte.
Die Völkerwanderung in Weſteuropa hatte ſeiner Zeit ähnlich zerſtörend gewirkt,
aber die neuen Nationen der Italiener, Spanier, Franzoſen, Engländer
und Deutſchen, welche ſich von 500—1500 n. Chr. bildeten, waren gegenüber den
Turkotataren eine ſehr viel höher ſtehende Raſſe, ſie waren ganz anders fähig, Chriſten-
tum, antike Geſittung und überlieferte Inſtitutionen, auch raſch gewiſſe techniſche Fertig-
keiten ihrer ſüdlichen Nachbarn bei ſich heimiſch zu machen. Sie erwuchſen teils direkt
auf dem Boden der antiken Kultur, teils empfingen ſie in Krieg und Frieden Jahr-
hunderte lang die Anregungen von ihr, ſtanden dann ein Jahrtauſend unter der Herr-
ſchaft der römiſchen Kirche, welche römiſch-ſtädtiſche Technik repräſentierte und verbreitete.
Ammianus Marcellinus ſagt von den allemanniſchen Grenzdörfern des 4. Jahrhunderts
ſchon, ſie glichen den römiſchen. Schrift-, Geld- und Marktweſen, Handelsformen,
gewerbliche Technik erhielten ſich in den romaniſchen Ländern, drangen in die germa-
niſchen überall hin, wo die Kirche und die romaniſierten oberen Klaſſen größeren Einfluß
hatten. Aber Geiſt und Geſittung, Familienleben und bäuerliche Wirtſchaft blieben in der
Maſſe des Volkes germaniſch; letztere änderten ſich auch ſeit den Umwandlungen zur
Seßhaftigkeit und zur Dreifelderwirtſchaft doch nicht von Grund aus, — und zwar gilt
dies auch für die Zeit von 1400—1800. Die deutſchen Städte glichen noch im 12. und
13. Jahrhundert faſt großen Dörfern, die Häuſer waren damals noch zum großen Teil Lehm-,
Holz- und Fachwerksbaracken, die man zu der fahrenden Habe rechnete, zur Strafe nieder-
legte. Der Steinbau der Kirchen war bis ins 11. Jahrhundert Sache italieniſcher Arbeiter
(opus italicum) oder der Kleriker. Erſt im 15. und 16. Jahrhundert entſtehen, beſonders
an den Straßenecken, um die Brände aufzuhalten, und in Patricierhänden ſteinerne
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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/223>, abgerufen am 11.12.2024.
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