Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.Erstes Buch. Land, Leute und Technik. Privathäuser, werden Glasfenster üblich, sowie die Beheizung durch Öfen. Von Straßen-bau war keine Rede; der Verkehr war auf das Wasser, im übrigen auf die nächste Umgebung beschränkt; nur wenige sehr wertvolle Waren konnten größere Wege zurück- legen. Immer aber hatte die handwerksmäßige Technik der Städte zuerst in Italien, später im Norden große Fortschritte vom 11.--17. Jahrhundert gemacht. Es hatte sich in dieser Kleintechnik eine teilweise direkt mit dem Altertum zusammenhängende Virtuosität und Meisterschaft in den Bauhütten, den Seiden- und Tuchwebereien Italiens und Mittel- europas, in den Glas- und Mosaikwerkstätten Venedigs, bei den Holzschnitz- und Schmiedearbeiten Deutschlands ausgebildet, die aber auf persönlicher Erziehung und Überlieferung in engen Kreisen beruhte, hohe Kunst-, aber keine durchschlagenden und großen wirtschaftlichen Leistungen erzeugte. So blieb die technische Signatur der europäischen Staaten vom 12.--18. Jahr- Der langsame technische Fortschritt, den wir eben meinten, bezieht sich 1. auf die So lange der Mensch auf seine und seiner Haustiere Kraft für alle Bewegung Immer scheint ein eigentlicher Fortschritt, eine weite Verbreitung der Wasser- Erſtes Buch. Land, Leute und Technik. Privathäuſer, werden Glasfenſter üblich, ſowie die Beheizung durch Öfen. Von Straßen-bau war keine Rede; der Verkehr war auf das Waſſer, im übrigen auf die nächſte Umgebung beſchränkt; nur wenige ſehr wertvolle Waren konnten größere Wege zurück- legen. Immer aber hatte die handwerksmäßige Technik der Städte zuerſt in Italien, ſpäter im Norden große Fortſchritte vom 11.—17. Jahrhundert gemacht. Es hatte ſich in dieſer Kleintechnik eine teilweiſe direkt mit dem Altertum zuſammenhängende Virtuoſität und Meiſterſchaft in den Bauhütten, den Seiden- und Tuchwebereien Italiens und Mittel- europas, in den Glas- und Moſaikwerkſtätten Venedigs, bei den Holzſchnitz- und Schmiedearbeiten Deutſchlands ausgebildet, die aber auf perſönlicher Erziehung und Überlieferung in engen Kreiſen beruhte, hohe Kunſt-, aber keine durchſchlagenden und großen wirtſchaftlichen Leiſtungen erzeugte. So blieb die techniſche Signatur der europäiſchen Staaten vom 12.—18. Jahr- Der langſame techniſche Fortſchritt, den wir eben meinten, bezieht ſich 1. auf die So lange der Menſch auf ſeine und ſeiner Haustiere Kraft für alle Bewegung Immer ſcheint ein eigentlicher Fortſchritt, eine weite Verbreitung der Waſſer- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0224" n="208"/><fw place="top" type="header">Erſtes Buch. Land, Leute und Technik.</fw><lb/> Privathäuſer, werden Glasfenſter üblich, ſowie die Beheizung durch Öfen. Von Straßen-<lb/> bau war keine Rede; der Verkehr war auf das Waſſer, im übrigen auf die nächſte<lb/> Umgebung beſchränkt; nur wenige ſehr wertvolle Waren konnten größere Wege zurück-<lb/> legen. Immer aber hatte die handwerksmäßige Technik der Städte zuerſt in Italien, ſpäter<lb/> im Norden große Fortſchritte vom 11.—17. Jahrhundert gemacht. Es hatte ſich in dieſer<lb/> Kleintechnik eine teilweiſe direkt mit dem Altertum zuſammenhängende Virtuoſität und<lb/> Meiſterſchaft in den Bauhütten, den Seiden- und Tuchwebereien Italiens und Mittel-<lb/> europas, in den Glas- und Moſaikwerkſtätten Venedigs, bei den Holzſchnitz- und<lb/> Schmiedearbeiten Deutſchlands ausgebildet, die aber auf perſönlicher Erziehung und<lb/> Überlieferung in engen Kreiſen beruhte, hohe Kunſt-, aber keine durchſchlagenden und<lb/> großen wirtſchaftlichen Leiſtungen erzeugte.</p><lb/> <p>So blieb die techniſche Signatur der europäiſchen Staaten vom 12.—18. Jahr-<lb/> hundert in vieler Beziehung hinter der antiken zurück; ſie hatten keine Großtechnik, keinen<lb/> Straßenbau, keine Großſtädte, keinen Großhandel wie jene; ſoweit ſie im einzelnen<lb/> techniſch höheres leiſteten, war es zu beſchränkt, um die ganze Volkswirtſchaft um-<lb/> zugeſtalten; wir kommen auf die wichtigſten dieſer Fortſchritte gleich. Der techniſche<lb/> Geſamtaufbau der Geſellſchaft war ein ähnlicher wie im Altertum: die Familienwirtſchaft,<lb/> der kleinbäuerliche und Kleinhandwerksbetrieb, der lokale Markt, der Gegenſatz von Stadt<lb/> und Land, die Arbeitsteilung und ſociale Gliederung zeigen ähnliche Grundzüge. Aber<lb/> freilich erhalten ſie durch den germaniſch-chriſtlichen Geiſt, durch die veränderten Sitten<lb/> und Lebensauffaſſung, durch die großen agrariſchen Flächenſtaaten Mitteleuropas im<lb/> Gegenſatze zu Vorderaſien und den Mittelmeerküſten, durch die höher ſtehenden Inſtitutionen<lb/> einen weſentlich anderen, geſünderen, ſittlich harmoniſcheren Charakter.</p><lb/> <p>Der langſame techniſche Fortſchritt, den wir eben meinten, bezieht ſich 1. auf die<lb/> Benutzung der Waſſerkraft und das Mühlenweſen, 2. auf das Eiſengewerbe und die<lb/> Feuerbenutzung und 3. auf die Handelstechnik.</p><lb/> <p>So lange der Menſch auf ſeine und ſeiner Haustiere Kraft für alle Bewegung<lb/> angewieſen war, mußte man entweder auf alle großen wirtſchaftlichen Leiſtungen ver-<lb/> zichten, oder für die Zuſammenbringung und -Wirkung großer Mengen von Menſchen<lb/> und Tieren mit enormen Koſten und Schwierigkeiten, wie beim Pyramidenbau und in<lb/> den antiken Bergwerken ſorgen; das ſchädliche Waſſer in dieſen z. B. wurde im Alter-<lb/> tume und bei den Chineſen mit Schöpfeimern herausgeſchafft. Schöpfräder, von Menſchen<lb/> und Tieren getreten, die in oben ſich entleerenden Käſtchen das Waſſer hoben, kannte<lb/> man ſchon in Babylon und Ägypten; Vitruv beſchreibt dann ſolche Heberäder, deren<lb/> Schaufeln zugleich durch das Waſſer getrieben wurden. Für das mühſelige Geſchäft<lb/> des Mahlens hatte das ganze Altertum und ein großer Teil des Mittelalters nur<lb/> die Handmühle; in Oſtpreußen war ſie im vorigen und noch im Anfange dieſes Jahr-<lb/> hunderts weit verbreitet. Man rechnete im ganzen, daß eine Perſon ſo täglich für 25<lb/> andere das Mehl bereiten könne; im Palaſt des Odyſſeus ſind zwölf Sklaven damit<lb/> beſchäftigt. Man hat dann zuerſt die Mühlſteine durch Eſel bewegt. Unter Mithridates<lb/> tritt die Waſſermühle uns zuerſt entgegen; unter Auguſtus iſt ſie für die großen<lb/> öffentlichen Mühlen in Anwendung, für das übrige Publikum erſt unter Honorius und<lb/> Arkadus. Im 4. Jahrhunderte werden Mahl- und Marmormühlen an der Moſel<lb/> erwähnt, im Fluſſe verankerte Schiffsmühlen unter Beliſar. Auch die Franken haben<lb/> zur Zeit ihrer Geſetzbücher ſchon einfache Waſſermühlen, die neben der Schmiede als<lb/><hi rendition="#g">öffentliche</hi> Gebäude erwähnt werden. Die Ordnung des Waſſerlaufes, Damm,<lb/> Schleuſe, auch die koſtbaren Eiſenteile am Mühlſteine weiſen, ſagt Lamprecht, auf Er-<lb/> richtung durch die Dorfgenoſſenſchaft hin; erſt viel ſpäter begegnen uns grundherrliche<lb/> und ſonſt als privates Eigentum beſeſſene Waſſermühlen.</p><lb/> <p>Immer ſcheint ein eigentlicher Fortſchritt, eine weite Verbreitung der <hi rendition="#g">Waſſer-<lb/> mühlen</hi> in Deutſchland erſt in die Zeit vom 13. Jahrhundert an zu fallen. Das<lb/> Walken der Tuche beſorgten im Altertume und im älteren Mittelalter noch die Füße<lb/> der Walker; große Walkerzünfte exiſtierten; tauſende von Walkern mußten mit der<lb/> Verbreitung der Walkmühle im 13.—14. Jahrhundert überflüſſig werden. Die Wind-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [208/0224]
Erſtes Buch. Land, Leute und Technik.
Privathäuſer, werden Glasfenſter üblich, ſowie die Beheizung durch Öfen. Von Straßen-
bau war keine Rede; der Verkehr war auf das Waſſer, im übrigen auf die nächſte
Umgebung beſchränkt; nur wenige ſehr wertvolle Waren konnten größere Wege zurück-
legen. Immer aber hatte die handwerksmäßige Technik der Städte zuerſt in Italien, ſpäter
im Norden große Fortſchritte vom 11.—17. Jahrhundert gemacht. Es hatte ſich in dieſer
Kleintechnik eine teilweiſe direkt mit dem Altertum zuſammenhängende Virtuoſität und
Meiſterſchaft in den Bauhütten, den Seiden- und Tuchwebereien Italiens und Mittel-
europas, in den Glas- und Moſaikwerkſtätten Venedigs, bei den Holzſchnitz- und
Schmiedearbeiten Deutſchlands ausgebildet, die aber auf perſönlicher Erziehung und
Überlieferung in engen Kreiſen beruhte, hohe Kunſt-, aber keine durchſchlagenden und
großen wirtſchaftlichen Leiſtungen erzeugte.
So blieb die techniſche Signatur der europäiſchen Staaten vom 12.—18. Jahr-
hundert in vieler Beziehung hinter der antiken zurück; ſie hatten keine Großtechnik, keinen
Straßenbau, keine Großſtädte, keinen Großhandel wie jene; ſoweit ſie im einzelnen
techniſch höheres leiſteten, war es zu beſchränkt, um die ganze Volkswirtſchaft um-
zugeſtalten; wir kommen auf die wichtigſten dieſer Fortſchritte gleich. Der techniſche
Geſamtaufbau der Geſellſchaft war ein ähnlicher wie im Altertum: die Familienwirtſchaft,
der kleinbäuerliche und Kleinhandwerksbetrieb, der lokale Markt, der Gegenſatz von Stadt
und Land, die Arbeitsteilung und ſociale Gliederung zeigen ähnliche Grundzüge. Aber
freilich erhalten ſie durch den germaniſch-chriſtlichen Geiſt, durch die veränderten Sitten
und Lebensauffaſſung, durch die großen agrariſchen Flächenſtaaten Mitteleuropas im
Gegenſatze zu Vorderaſien und den Mittelmeerküſten, durch die höher ſtehenden Inſtitutionen
einen weſentlich anderen, geſünderen, ſittlich harmoniſcheren Charakter.
Der langſame techniſche Fortſchritt, den wir eben meinten, bezieht ſich 1. auf die
Benutzung der Waſſerkraft und das Mühlenweſen, 2. auf das Eiſengewerbe und die
Feuerbenutzung und 3. auf die Handelstechnik.
So lange der Menſch auf ſeine und ſeiner Haustiere Kraft für alle Bewegung
angewieſen war, mußte man entweder auf alle großen wirtſchaftlichen Leiſtungen ver-
zichten, oder für die Zuſammenbringung und -Wirkung großer Mengen von Menſchen
und Tieren mit enormen Koſten und Schwierigkeiten, wie beim Pyramidenbau und in
den antiken Bergwerken ſorgen; das ſchädliche Waſſer in dieſen z. B. wurde im Alter-
tume und bei den Chineſen mit Schöpfeimern herausgeſchafft. Schöpfräder, von Menſchen
und Tieren getreten, die in oben ſich entleerenden Käſtchen das Waſſer hoben, kannte
man ſchon in Babylon und Ägypten; Vitruv beſchreibt dann ſolche Heberäder, deren
Schaufeln zugleich durch das Waſſer getrieben wurden. Für das mühſelige Geſchäft
des Mahlens hatte das ganze Altertum und ein großer Teil des Mittelalters nur
die Handmühle; in Oſtpreußen war ſie im vorigen und noch im Anfange dieſes Jahr-
hunderts weit verbreitet. Man rechnete im ganzen, daß eine Perſon ſo täglich für 25
andere das Mehl bereiten könne; im Palaſt des Odyſſeus ſind zwölf Sklaven damit
beſchäftigt. Man hat dann zuerſt die Mühlſteine durch Eſel bewegt. Unter Mithridates
tritt die Waſſermühle uns zuerſt entgegen; unter Auguſtus iſt ſie für die großen
öffentlichen Mühlen in Anwendung, für das übrige Publikum erſt unter Honorius und
Arkadus. Im 4. Jahrhunderte werden Mahl- und Marmormühlen an der Moſel
erwähnt, im Fluſſe verankerte Schiffsmühlen unter Beliſar. Auch die Franken haben
zur Zeit ihrer Geſetzbücher ſchon einfache Waſſermühlen, die neben der Schmiede als
öffentliche Gebäude erwähnt werden. Die Ordnung des Waſſerlaufes, Damm,
Schleuſe, auch die koſtbaren Eiſenteile am Mühlſteine weiſen, ſagt Lamprecht, auf Er-
richtung durch die Dorfgenoſſenſchaft hin; erſt viel ſpäter begegnen uns grundherrliche
und ſonſt als privates Eigentum beſeſſene Waſſermühlen.
Immer ſcheint ein eigentlicher Fortſchritt, eine weite Verbreitung der Waſſer-
mühlen in Deutſchland erſt in die Zeit vom 13. Jahrhundert an zu fallen. Das
Walken der Tuche beſorgten im Altertume und im älteren Mittelalter noch die Füße
der Walker; große Walkerzünfte exiſtierten; tauſende von Walkern mußten mit der
Verbreitung der Walkmühle im 13.—14. Jahrhundert überflüſſig werden. Die Wind-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |