Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.Erstes Buch. Land, Leute und Technik. Aller Fortschritt der Technik bedeutet Umwege, größere Vorbereitung, Zeit und Wegen des steigenden Kapitalerfordernisses der höheren Technik identifiziert Böhm- Nur klügere, umsichtigere Menschen, ein ganz anderes gegenseitiges Wissen um die Von hier aus verstehen wir aber auch erst den scheinbaren Widerspruch, daß einer- Vollendetere Technik, höheres Wirtschaftsleben und höhere Kultur erscheinen bis Erſtes Buch. Land, Leute und Technik. Aller Fortſchritt der Technik bedeutet Umwege, größere Vorbereitung, Zeit und Wegen des ſteigenden Kapitalerforderniſſes der höheren Technik identifiziert Böhm- Nur klügere, umſichtigere Menſchen, ein ganz anderes gegenſeitiges Wiſſen um die Von hier aus verſtehen wir aber auch erſt den ſcheinbaren Widerſpruch, daß einer- Vollendetere Technik, höheres Wirtſchaftsleben und höhere Kultur erſcheinen bis <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0242" n="226"/> <fw place="top" type="header">Erſtes Buch. Land, Leute und Technik.</fw><lb/> <p>Aller Fortſchritt der Technik bedeutet Umwege, größere Vorbereitung, Zeit und<lb/> Mühe koſtende Mittelglieder zwiſchen Abſicht und Erfolg, bedeutet Vermehrung des<lb/> äußeren wirtſchaftlichen Apparates, der Kapitalaufwendung. Es fragt ſich immer, ob der<lb/> Aufwand dem größeren und beſſeren Reſultate entſpricht, ob nicht die kompliziertere<lb/> Methode zu viel Reibung verurſacht, ein zu ſchwieriges, hemmendes Zuſammenwirken vieler<lb/> Perſonen zur ſelben Zeit oder nacheinander erfordert. Es muß immer die verbeſſerte<lb/> techniſche Methode mit ganz beſonderem Glück und Geſchick erfunden ſein, wenn ſie dieſe<lb/> Hemmniſſe überwinden, wenn der Erfolg dem Aufwande entſprechen ſoll. Auf jeder<lb/> Stufe der Kultur giebt es viele techniſche Verbeſſerungen, die wegen ihrer Koſten, ihres<lb/> Kapital- oder Perſonenerforderniſſes, ihres zu komplizierten ſocialen Mechanismus un-<lb/> ausführbar ſind. Überall wird ein Teil des wirtſchaftlichen Erfolges der höheren Technik<lb/> durch den ſteigend ſchwerfälligen Apparat aufgehoben. Freilich iſt dies in verſchiedenem<lb/> Maße je nach den Gebieten und Stufen der Technik der Fall. Jedenfalls, wo die<lb/> vermehrte oder verbeſſerte Produktion erheblichen natürlichen Widerſtänden begegnet,<lb/> durch phyſiologiſche, chemiſche, phyſikaliſche Grenzen eingeengt iſt, wie in der Landwirt-<lb/> ſchaft, iſt der Fortſchritt der Technik ein doppelt ſchwieriger, von beſtimmten Bedingungen<lb/> abhängiger. Die Erſetzung der wilden Feldgraswirtſchaft durch die Dreifelderwirtſchaft,<lb/> dieſer durch den Fruchtwechſel iſt nur möglich, wenn die erzeugten Früchte ſehr viel<lb/> teurer geworden ſind, Klima und Boden relativ günſtig ſich geſtalten, Kapital und<lb/> Arbeit relativ billig ſind. Aber in gewiſſem Maße iſt jeder techniſche Fortſchritt ſo<lb/> ökonomiſch bedingt durch die jeweiligen wirtſchaftlichen und geſellſchaftlichen Verhältniſſe.<lb/> Die einfache, primitive Wirtſchaft verträgt nur einfache, direkt wirkende techniſche Mittel.<lb/> Nur die höhere Kultur verträgt die Koſten, die komplizierten Mittel und den ſchweren<lb/> geſellſchaftlichen Apparat der höheren Technik.</p><lb/> <p>Wegen des ſteigenden Kapitalerforderniſſes der höheren Technik identifiziert Böhm-<lb/> Bawerk kapitaliſtiſche und moderne Maſchinenproduktion. Und man iſt ihm darin<lb/> vielfach gefolgt. Ebenſo wichtig iſt die zeitliche Auseinanderlegung der wirtſchaftlichen<lb/> Prozeſſe durch alle höhere Technik. Die primitive Wirtſchaft kennt nur eine Thätigkeit<lb/> von heute auf morgen; die ältere Landwirtſchaft rechnet mit 2 — 4 Monaten von der<lb/> Saat bis zur Ernte, die neuere mit 9—10 Monaten. Die höhere gewerbliche Produktion<lb/> fertigt Vorräte für Monate und Jahre, ſie fügt immer mehr neben die Anſtalten, die<lb/> fertige Waren liefern, ſolche, welche Zwiſchenprodukte, Rohſtoffe, Werkzeuge und Maſchinen<lb/> herſtellen. Die Linien zwiſchen Produktion und Konſumtion werden zeitlich und geographiſch<lb/> immer länger und komplizierter, wie wir ſchon erwähnten. Daher aber auch die ſteigende<lb/> geſellſchaftliche Kompliziertheit jeder techniſch höher ſtehenden Volkswirtſchaft, die<lb/> zunehmende Vergeſellſchaftung, die Notwendigkeit gewiſſer centraler beherrſchender Mittel-<lb/> punkte und Direktionen. Ebenſo auch die unendliche Steigerung in der Schwierigkeit<lb/> der einheitlichen gleichmäßigen Vorwärtsbewegung, der Lenkung aller Wirtſchaftsprozeſſe.<lb/> Und endlich die leichte Möglichkeit der Störung, das häufige Vorkommen von Mangel<lb/> und Überfluß der Güter an einzelnen Stellen, zu beſtimmter Zeit; Mißſtände, welche nur<lb/> durch Fortſchritte der Organiſation und der Menſchen zu überwinden ſind, welche den<lb/> techniſchen Fortſchritten die Wage halten oder ſie übertreffen.</p><lb/> <p>Nur klügere, umſichtigere Menſchen, ein ganz anderes gegenſeitiges Wiſſen um die<lb/> Zuſammenhänge, eine viel vollendetere ſociale Zucht, ganz anders ausgebildete ſociale<lb/> Inſtinkte und moraliſch-politiſche Inſtitutionen können die Reibungen und Schwierig-<lb/> keiten einer hohen Technik überwinden.</p><lb/> <p>Von hier aus verſtehen wir aber auch erſt den ſcheinbaren Widerſpruch, daß einer-<lb/> ſeits die höhere Technik die Vorausſetzung aller höheren Kultur überhaupt iſt, und<lb/> andererſeits doch die höhere Technik weder ſtets mit höherer Kultur parallel geht,<lb/> noch ſtets geſunde volkswirtſchaftliche und moraliſch-politiſche Inſtitutionen erzeugt.</p><lb/> <p>Vollendetere Technik, höheres Wirtſchaftsleben und höhere Kultur erſcheinen bis<lb/> auf einen gewiſſen Grad, vor allem bei einem großen Überblick über die Weltgeſchichte, als<lb/> ſich begleitende bedingende Erſcheinungen. Aber im einzelnen fällt doch entfernt nicht<lb/> jeder Schritt der einen Reihe mit jedem der anderen zuſammen. Es giebt Völker, die<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [226/0242]
Erſtes Buch. Land, Leute und Technik.
Aller Fortſchritt der Technik bedeutet Umwege, größere Vorbereitung, Zeit und
Mühe koſtende Mittelglieder zwiſchen Abſicht und Erfolg, bedeutet Vermehrung des
äußeren wirtſchaftlichen Apparates, der Kapitalaufwendung. Es fragt ſich immer, ob der
Aufwand dem größeren und beſſeren Reſultate entſpricht, ob nicht die kompliziertere
Methode zu viel Reibung verurſacht, ein zu ſchwieriges, hemmendes Zuſammenwirken vieler
Perſonen zur ſelben Zeit oder nacheinander erfordert. Es muß immer die verbeſſerte
techniſche Methode mit ganz beſonderem Glück und Geſchick erfunden ſein, wenn ſie dieſe
Hemmniſſe überwinden, wenn der Erfolg dem Aufwande entſprechen ſoll. Auf jeder
Stufe der Kultur giebt es viele techniſche Verbeſſerungen, die wegen ihrer Koſten, ihres
Kapital- oder Perſonenerforderniſſes, ihres zu komplizierten ſocialen Mechanismus un-
ausführbar ſind. Überall wird ein Teil des wirtſchaftlichen Erfolges der höheren Technik
durch den ſteigend ſchwerfälligen Apparat aufgehoben. Freilich iſt dies in verſchiedenem
Maße je nach den Gebieten und Stufen der Technik der Fall. Jedenfalls, wo die
vermehrte oder verbeſſerte Produktion erheblichen natürlichen Widerſtänden begegnet,
durch phyſiologiſche, chemiſche, phyſikaliſche Grenzen eingeengt iſt, wie in der Landwirt-
ſchaft, iſt der Fortſchritt der Technik ein doppelt ſchwieriger, von beſtimmten Bedingungen
abhängiger. Die Erſetzung der wilden Feldgraswirtſchaft durch die Dreifelderwirtſchaft,
dieſer durch den Fruchtwechſel iſt nur möglich, wenn die erzeugten Früchte ſehr viel
teurer geworden ſind, Klima und Boden relativ günſtig ſich geſtalten, Kapital und
Arbeit relativ billig ſind. Aber in gewiſſem Maße iſt jeder techniſche Fortſchritt ſo
ökonomiſch bedingt durch die jeweiligen wirtſchaftlichen und geſellſchaftlichen Verhältniſſe.
Die einfache, primitive Wirtſchaft verträgt nur einfache, direkt wirkende techniſche Mittel.
Nur die höhere Kultur verträgt die Koſten, die komplizierten Mittel und den ſchweren
geſellſchaftlichen Apparat der höheren Technik.
Wegen des ſteigenden Kapitalerforderniſſes der höheren Technik identifiziert Böhm-
Bawerk kapitaliſtiſche und moderne Maſchinenproduktion. Und man iſt ihm darin
vielfach gefolgt. Ebenſo wichtig iſt die zeitliche Auseinanderlegung der wirtſchaftlichen
Prozeſſe durch alle höhere Technik. Die primitive Wirtſchaft kennt nur eine Thätigkeit
von heute auf morgen; die ältere Landwirtſchaft rechnet mit 2 — 4 Monaten von der
Saat bis zur Ernte, die neuere mit 9—10 Monaten. Die höhere gewerbliche Produktion
fertigt Vorräte für Monate und Jahre, ſie fügt immer mehr neben die Anſtalten, die
fertige Waren liefern, ſolche, welche Zwiſchenprodukte, Rohſtoffe, Werkzeuge und Maſchinen
herſtellen. Die Linien zwiſchen Produktion und Konſumtion werden zeitlich und geographiſch
immer länger und komplizierter, wie wir ſchon erwähnten. Daher aber auch die ſteigende
geſellſchaftliche Kompliziertheit jeder techniſch höher ſtehenden Volkswirtſchaft, die
zunehmende Vergeſellſchaftung, die Notwendigkeit gewiſſer centraler beherrſchender Mittel-
punkte und Direktionen. Ebenſo auch die unendliche Steigerung in der Schwierigkeit
der einheitlichen gleichmäßigen Vorwärtsbewegung, der Lenkung aller Wirtſchaftsprozeſſe.
Und endlich die leichte Möglichkeit der Störung, das häufige Vorkommen von Mangel
und Überfluß der Güter an einzelnen Stellen, zu beſtimmter Zeit; Mißſtände, welche nur
durch Fortſchritte der Organiſation und der Menſchen zu überwinden ſind, welche den
techniſchen Fortſchritten die Wage halten oder ſie übertreffen.
Nur klügere, umſichtigere Menſchen, ein ganz anderes gegenſeitiges Wiſſen um die
Zuſammenhänge, eine viel vollendetere ſociale Zucht, ganz anders ausgebildete ſociale
Inſtinkte und moraliſch-politiſche Inſtitutionen können die Reibungen und Schwierig-
keiten einer hohen Technik überwinden.
Von hier aus verſtehen wir aber auch erſt den ſcheinbaren Widerſpruch, daß einer-
ſeits die höhere Technik die Vorausſetzung aller höheren Kultur überhaupt iſt, und
andererſeits doch die höhere Technik weder ſtets mit höherer Kultur parallel geht,
noch ſtets geſunde volkswirtſchaftliche und moraliſch-politiſche Inſtitutionen erzeugt.
Vollendetere Technik, höheres Wirtſchaftsleben und höhere Kultur erſcheinen bis
auf einen gewiſſen Grad, vor allem bei einem großen Überblick über die Weltgeſchichte, als
ſich begleitende bedingende Erſcheinungen. Aber im einzelnen fällt doch entfernt nicht
jeder Schritt der einen Reihe mit jedem der anderen zuſammen. Es giebt Völker, die
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