Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.Allgemeine Würdigung des Maschinenzeitalters. sociale Züge, je nach Rasse, Geschichte, Volksgeist, überlieferter Vermögens- und Ein-kommensverteilung, je nach den verschiedenen Institutionen. Wohlstand und Lebenshaltung ist allerwärts außerordentlich gestiegen; aber in Aber aller Fortschritt in der Naturbeherrschung ist nur dauernd von Segen, wenn Immer ist ihm zu erwidern: alles wahre menschliche Glück liegt in dem Gleich- 86. Schlußergebnisse. Liegt in der vorstehenden Würdigung des Maschinen- Schmoller, Grundriß der Volkswirtschaftslehre. I. 15
Allgemeine Würdigung des Maſchinenzeitalters. ſociale Züge, je nach Raſſe, Geſchichte, Volksgeiſt, überlieferter Vermögens- und Ein-kommensverteilung, je nach den verſchiedenen Inſtitutionen. Wohlſtand und Lebenshaltung iſt allerwärts außerordentlich geſtiegen; aber in Aber aller Fortſchritt in der Naturbeherrſchung iſt nur dauernd von Segen, wenn Immer iſt ihm zu erwidern: alles wahre menſchliche Glück liegt in dem Gleich- 86. Schlußergebniſſe. Liegt in der vorſtehenden Würdigung des Maſchinen- Schmoller, Grundriß der Volkswirtſchaftslehre. I. 15
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Allgemeine Würdigung des Maſchinenzeitalters.
ſociale Züge, je nach Raſſe, Geſchichte, Volksgeiſt, überlieferter Vermögens- und Ein-
kommensverteilung, je nach den verſchiedenen Inſtitutionen.
Wohlſtand und Lebenshaltung iſt allerwärts außerordentlich geſtiegen; aber in
den einzelnen Ländern nehmen daran die verſchiedenen Klaſſen ſehr verſchieden teil.
Auch iſt Vermehrung und Verbilligung der Produktion in den einzelnen wirtſchaftlichen
Zweigen eine ſehr verſchiedene; in Gewerbe und Verkehr liegen, wie wir ſahen, die
Glanzſeiten. Allgemeiner aber ſind die Wirkungen auf vermehrte Berührung aller
Menſchen, auf größere Kenntniſſe, geſtiegene Beweglichkeit. Die feineren Lebensgenüſſe
ſind allgemein gewachſen, das Leben iſt im ganzen verſchönert, äſthetiſch gehoben. Ebenſo
iſt alles Wirtſchaftsleben, auch das im Hauſe, auf dem Bauernhofe, rationaliſiert, iſt
von naturwiſſenſchaftlichen Kenntniſſen mehr beherrſcht, iſt rühriger, energiſcher geworden;
es iſt freilich auch unendlich komplizierter geworden, iſt durch die Verknüpfung mit an-
deren Wirtſchaften von Geſamturſachen abhängiger, leichter geſtört, von Kriſen leichter
heimgeſucht. Indem man immer mehr für die Zukunft, für die Ferne produziert, iſt
Irrtum leichter möglich. Aber dafür hat man größere Vorräte, welche beſſeren Aus-
gleich zwiſchen verſchiedenen Orten und Zeiten geſtatten. Man wird über Not, Kriſen,
Störungen im ganzen doch beſſer Herr als früher. Je höher die Technik ſteigt, deſto
mehr kann ſie den Zufall beherrſchen. Alle fortſchreitende Technik ſtellt Siege des Geiſtes
über die Natur dar.
Aber aller Fortſchritt in der Naturbeherrſchung iſt nur dauernd von Segen, wenn
der Menſch ſich ſelbſt beherrſcht, wenn die Geſellſchaft die neue revolutionierte Geſtaltung
des Wirtſchaftslebens nach den ewigen ſittlichen Idealen zu ordnen weiß. Daran fehlt
es noch. Unvermittelt ſteht das Alte und das Neue nebeneinander; alles gärt und
brodelt; die alten Ordnungen löſen ſich auf, die neuen ſind noch nicht gefunden. Der
Fleiß, die Arbeitſamkeit ſind außerordentlich geſtiegen, aber auch der Erwerbstrieb, die
Haſtigkeit, die Habſucht, die Genußſucht, die Neigung den Konkurrenten tot zu ſchlagen,
die Frivolität, das cyniſche, materialiſtiſche Leben in den Tag hinein. Vornehme Ge-
ſinnung, religiöſer Sinn, feines Empfinden iſt bei den führenden wirtſchaftlichen Kreiſen
nicht im Fortſchritt. Das innere Glück iſt weder bei den Reichen durch ihren maßloſen
Genuß, noch bei dem Mittelſtande und den Armen, die jenen ihren Luxus neiden,
entſprechend geſtiegen. Ein großer Techniker ſelbſt konnte vor einigen Jahren unſere
überſtolze Zeit mit den nicht unwahren Worten charakteriſieren: „Genußmenſchen ohne
Liebe und Fachmenſchen ohne Geiſt, dies Nichts bildet ſich ein, auf einer in der Geſchichte
unerreichten Höhe der Menſchheit zu ſtehen!“
Immer iſt ihm zu erwidern: alles wahre menſchliche Glück liegt in dem Gleich-
gewicht zwiſchen den Trieben und den Idealen, zwiſchen den Hoffnungen und der prak-
tiſchen Möglichkeit der Befriedigung. Eine gärende Zeit materiellen Aufſchwunges,
geſtiegenen Luxus’, zunehmender Bedürfniſſe, welche das Lebensideal beſcheidener Genüg-
ſamkeit und innerlicher Durchbildung hinter das thatkräftiger Selbſtbehauptung zurück-
geſtellt hat, muß eine geringere Zahl glücklicher und harmoniſcher Menſchen haben.
Aber es wird nicht ausſchließen, daß eine künftige beruhigtere Zeit auf Grund der
techniſchen Fortſchritte doch mehr ſubjektives Glücksgefühl erzeugen wird. Und in Bezug
auf die Geſellſchaft möchte ich ſagen: ſie baue ſich mit der neuen Technik ein neues,
unendlich beſſeres Wohnhaus, habe aber die neuen ſittlichen Lebensordnungen für die
richtige Benutzung desſelben noch nicht gefunden; das ſei die große Aufgabe der
Gegenwart. Und, möchte ich beifügen: wir müſſen heute neben den techniſchen Bau-
meiſtern den Männern danken und ihnen folgen, die uns lehren, den techniſchen Fort-
ſchritt richtig im ſittlichen Geiſte, im Geſamtintereſſe aller zu nützen!
86. Schlußergebniſſe. Liegt in der vorſtehenden Würdigung des Maſchinen-
zeitalters ſchon gewiſſermaßen eine ſolche der techniſchen Entwickelung im ganzen, ſo ſind
doch noch einige ergänzende Schlußworte über das Verhältnis von Technik und Volks-
wirtſchaft überhaupt und über ihre Beziehungen zum geiſtig-moraliſchen Leben, ſowie
zu den volkswirtſchaftlichen Inſtitutionen hinzuzufügen.
Schmoller, Grundriß der Volkswirtſchaftslehre. I. 15
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