Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.Ausschließliche Dorfsiedlung der älteren Zeit. Antike Städtebildung. hängt von Natur- und historischen Verhältnissen, von Frieden und Kampf, von Stammes-organisation und Schicksal, von Bautechnik und Baumaterialien, auch von den kleinen Verschiedenheiten des wirtschaftlichen Lebens ab. Die einzelnen Dörfer zeigen unter sich keine erhebliche Verschiedenheit, keine Eigentümlichkeit. Auch die höchststehenden Rassen, vor allem die indogermanischen Völker, haben nach 95. Die antike Städtebildung haben wir in unserer Anschauung anzu- Schmoller, Grundriß der Volkswirtschaftslehre. I. 17
Ausſchließliche Dorfſiedlung der älteren Zeit. Antike Städtebildung. hängt von Natur- und hiſtoriſchen Verhältniſſen, von Frieden und Kampf, von Stammes-organiſation und Schickſal, von Bautechnik und Baumaterialien, auch von den kleinen Verſchiedenheiten des wirtſchaftlichen Lebens ab. Die einzelnen Dörfer zeigen unter ſich keine erhebliche Verſchiedenheit, keine Eigentümlichkeit. Auch die höchſtſtehenden Raſſen, vor allem die indogermaniſchen Völker, haben nach 95. Die antike Städtebildung haben wir in unſerer Anſchauung anzu- Schmoller, Grundriß der Volkswirtſchaftslehre. I. 17
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Eine Anzahl Dörfer zuſammen bildeten Gaue, Hundert-<lb/> ſchaften oder wie die Gruppen hießen; mehrere ſolcher den Stamm, der ſich meiſt mit einem<lb/> breiten, unbebauten Grenzgebiete umgab, das ihn von anderen Stämmen und Völkern<lb/> trennte und ſchützte. Die Dörfer und Gaue lagen im ganzen nicht ſo weit auseinander,<lb/> daß man ſich nicht ſehen, die Volksverſammlung beſuchen konnte. Gallien hatte zur Zeit<lb/> Cäſars 300—400 <hi rendition="#aq">„populi“</hi>, während das heutige Frankreich 87 Departements und<lb/> 362 Arondiſſements zählt. 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Zuerſt<lb/> die Weſtaſiaten und Ägypter, dann die Griechen und Römer kamen ſo frühe zu einem<lb/> größeren ſtadtartigen, befeſtigten Mittelpunkte für jede Volksgemeinde, der bei günſtiger<lb/> Verkehrslage und in überreichen Tiefländern oft ſehr großen Umfang annahm; Babylon<lb/> hatte zu Nebukadnezars Zeit eine Ringmauer von 8 Meilen Umfang, faſt unüberſteig-<lb/> lich, 350′ hoch, 87′ dick; das gab einen ungeheuren Wohn- und Lagerplatz, Weiden<lb/> und Äcker für ein ganzes Volk einſchließend, größer als die Pariſer Enceinte, die 1830<lb/> bis 1840 gebaut wurde. Die Griechen haben ſchon zu Homers Zeit da Städte, wo<lb/> politiſche Macht ſich geſammelt. Und waren die meiſten helleniſchen Städte vor<lb/> Alexanders Zeiten nach unſeren Vorſtellungen klein, das Verlaſſen der alten Siedlung<lb/> in Komen, d. h. Dorfſchaften, das Zuſammenbauen, der ſogenannte Synoikismos galt<lb/> doch früh als das Zeichen der höheren griechiſchen gegenüber der barbariſchen Kultur.<lb/> Von Theſeus berichtet die Sage, er habe die Räte der übrigen Orte Attikas aufgehoben<lb/> und das ganze Gebiet unter den Rat Athens geſtellt. Alle Wohlhabenden, Einfluß-<lb/> reichen mußten, wo der Synoikismos ſich vollzogen, nun dauernd oder zeitweiſe in der<lb/> Hauptſtadt leben. Selbſt von den im Gebirge lebenden, der Stadtverfaſſung wider-<lb/> ſtrebenden Arkadern berichtet Pauſanias, man habe 40 Komen zu der Stadt Megalo-<lb/> polis vereinigt. Alle höhere politiſche und wirtſchaftliche Kultur erſchien eben den<lb/> Griechen nur möglich mit Hülfe einer einheitlichen, centraliſierten Stadtgemeinde, in<lb/> der alle Glieder der Volksgemeinde Bürger waren. 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Ausſchließliche Dorfſiedlung der älteren Zeit. Antike Städtebildung.
hängt von Natur- und hiſtoriſchen Verhältniſſen, von Frieden und Kampf, von Stammes-
organiſation und Schickſal, von Bautechnik und Baumaterialien, auch von den kleinen
Verſchiedenheiten des wirtſchaftlichen Lebens ab. Die einzelnen Dörfer zeigen unter ſich
keine erhebliche Verſchiedenheit, keine Eigentümlichkeit.
Auch die höchſtſtehenden Raſſen, vor allem die indogermaniſchen Völker, haben nach
allem, was wir von ihnen wiſſen, in ihrer älteren Zeit ein ſolch’ überwiegendes Wohnen
und Leben in kleinen Dörfern gehabt. Eine Anzahl Dörfer zuſammen bildeten Gaue, Hundert-
ſchaften oder wie die Gruppen hießen; mehrere ſolcher den Stamm, der ſich meiſt mit einem
breiten, unbebauten Grenzgebiete umgab, das ihn von anderen Stämmen und Völkern
trennte und ſchützte. Die Dörfer und Gaue lagen im ganzen nicht ſo weit auseinander,
daß man ſich nicht ſehen, die Volksverſammlung beſuchen konnte. Gallien hatte zur Zeit
Cäſars 300—400 „populi“, während das heutige Frankreich 87 Departements und
362 Arondiſſements zählt. Das letztere mit ſeinen 26 Geviertmeilen (1466 Geviert-
kilometern) dürfte alſo dem geographiſchen Gebiete eines damaligen „populus“ entſprechen.
Die Völkerſchaft würde (bei 500 Seelen pro Geviertmeile) alſo etwa 13000 Seelen
gezählt haben; ſie würde 130 Ortſchaften zu 100, 65 zu 200 Seelen umfaßt haben.
Gewiß eine rohe Schätzung, aber wenigſtens eine konkrete Vorſtellung!
95. Die antike Städtebildung haben wir in unſerer Anſchauung anzu-
knüpfen an Völker von 10000—200000 Seelen auf je etwa 1000—20000 Geviert-
kilometern, die beſonders begabt, techniſch und kriegeriſch vorangeſchritten, im ganzen
noch als einheitliche Volksgemeinden ſich fühlten; die lokalen dorf-, die ſippenſchaftlichen
Verbände hatten als Teile derſelben eben durch die zuſammenfaſſende Entwickelung der
Geſamtvolksgemeinde es noch nicht zu ausgebildetem Sonderleben gebracht. War die
Urſache einer ſolchen Volks- und Staatsverfaſſung weſentlich politiſch und kriegeriſch,
drückte ſie ſich in einer ſtarken Königsgewalt oder Ariſtokratie, in einer Prieſter- oder
Kriegerherrſchaft aus, ſo fand die Centraliſation und kriegeriſche Selbſtbehauptung baulich
und wirtſchaftlich hauptſächlich ihren Ausdruck in der Stadtgründung. In dem bunten
Kampfe der kleinen Völker und Kantone unter einander kamen nur die obenauf, die
es verſtanden, den längſt in der Regel als Zufluchtsort befeſtigten, als Verſammlungs-
ort, Marktplatz und Truppenaushebungsort, ſowie als Opfer- und Tempelſtätte dienenden
Mittelpunkt der Volksgemeinde zu einer ſtarken, belagerungsfähigen Feſtung, zu einem
größeren, die Regierung und Verteidigung erleichternden Wohnplatze zu erheben. Zuerſt
die Weſtaſiaten und Ägypter, dann die Griechen und Römer kamen ſo frühe zu einem
größeren ſtadtartigen, befeſtigten Mittelpunkte für jede Volksgemeinde, der bei günſtiger
Verkehrslage und in überreichen Tiefländern oft ſehr großen Umfang annahm; Babylon
hatte zu Nebukadnezars Zeit eine Ringmauer von 8 Meilen Umfang, faſt unüberſteig-
lich, 350′ hoch, 87′ dick; das gab einen ungeheuren Wohn- und Lagerplatz, Weiden
und Äcker für ein ganzes Volk einſchließend, größer als die Pariſer Enceinte, die 1830
bis 1840 gebaut wurde. Die Griechen haben ſchon zu Homers Zeit da Städte, wo
politiſche Macht ſich geſammelt. Und waren die meiſten helleniſchen Städte vor
Alexanders Zeiten nach unſeren Vorſtellungen klein, das Verlaſſen der alten Siedlung
in Komen, d. h. Dorfſchaften, das Zuſammenbauen, der ſogenannte Synoikismos galt
doch früh als das Zeichen der höheren griechiſchen gegenüber der barbariſchen Kultur.
Von Theſeus berichtet die Sage, er habe die Räte der übrigen Orte Attikas aufgehoben
und das ganze Gebiet unter den Rat Athens geſtellt. Alle Wohlhabenden, Einfluß-
reichen mußten, wo der Synoikismos ſich vollzogen, nun dauernd oder zeitweiſe in der
Hauptſtadt leben. Selbſt von den im Gebirge lebenden, der Stadtverfaſſung wider-
ſtrebenden Arkadern berichtet Pauſanias, man habe 40 Komen zu der Stadt Megalo-
polis vereinigt. Alle höhere politiſche und wirtſchaftliche Kultur erſchien eben den
Griechen nur möglich mit Hülfe einer einheitlichen, centraliſierten Stadtgemeinde, in
der alle Glieder der Volksgemeinde Bürger waren. Wo die Schöpfung gelang, barg
die Stadt vielfach mit der Zeit einen übermäßigen Teil des Volkes dauernd in ſich.
Die dem griechiſchen Heimatlande an Umfang und Bevölkerung gleichkommenden grie-
chiſchen Kolonialgebiete waren von Haus aus abſichtliche Städtegründungen mit mäßigem,
Schmoller, Grundriß der Volkswirtſchaftslehre. I. 17
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