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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.

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Zweites Buch. Die gesellschaftliche Verfassung der Volkswirtschaft.
nur die Einzelsiedlungen zurückgingen. Freilich zeigen solch' summarische Zahlen nicht
das einzelne. In England ging die Bevölkerung 1871--91 in 11 Grafschaften um
10--16 %, in 23 um 5--8 % absolut zurück; in den drei Getreidegrafschaften Norfolk,
Suffolk, Essex 1851--91 um 13,8 %, in vier westlichen, jetzt überwiegend als Weide-
grafschaften charakterisierten 1841--91 um 22,3 %. Ebenso zeigt sich bei uns neuer-
dings in vielen der östlichen agrarischen Distrikte, für Frankreich in zahlreichen Departe-
ments eine absolute Abnahme; dort klagte man schon im 18. Jahrhundert über die
Landflucht.

Die absolute oder relative Abnahme der Landbevölkerung ist außerhalb Europas
kaum vorhanden, in Europa ist sie sehr verschieden, aber fast überall zu konstatieren;
am stärksten in England und Frankreich. Der Eintritt der ganzen Veränderung ist
nicht vor 1840--50 zu setzen, d. h. nicht vor die Zeit der modernen Verkehrsmittel.
Natürlich kam auch vor 1840 wesentlich in Betracht, ob und inwieweit eine Zunahme
der landwirtschaftlichen Bevölkerung im einzelnen noch nach Boden, vorheriger ländlicher
Bevölkerung, Besitz- und Pachtverhältnissen, unbebautem Land möglich war. Daß eine
solche bis in die Mitte unseres Jahrhunderts vielfach vorkam, beweisen folgende An-
gaben. In der Kurmark hatte 1748--86 das platte Land jährlich um 1,23, die
Städte (ohne Berlin) um 0,48 % zugenommen; in dem Jahrhundert 1748--1846 stieg
das platte Land der Kurmark um 253 %, die Städte (ohne Berlin) um 261, also fast
gleich. Bis in die vierziger Jahre nahmen von allen preußischen Provinzen die östlichen
(Pommern, Preußen), überwiegend ländlichen, am meisten zu; von 1829--86 blieb in
Belgien das Verhältnis von Stadt und Land fast gleich, in Holland nahm noch
1839--49 das platte Land etwas mehr zu.

Wie sehr man neben der Frage der prozentualen Zu- und Abnahme von Stadt
und Land die absoluten Zahlen der Landbevölkerung im Auge behalten muß, wenn man
die sogenannte Landflucht, die gewiß in manchen Gegenden großen und bedenklichen
Umfang neuerdings angenommen hat, richtig schätzen will, lehren die folgenden Zahlen.
Sie geben die landwirtschaftliche Bevölkerung auf je 100 Hektar landwirtschaftliche Fläche:

[Tabelle]
Also überall eine Abnahme der absoluten Zahlen; aber es bleibt jedenfalls in den
Gegenden des Kleinbesitzes ein genügender Bestand. Und man sieht, daß in erster Linie
die übermäßige Anhäufung des Grundbesitzes in wenigen Händen die Landbevölkerung
im deutschen Osten absolut zu klein macht.

Wie mäßig in der Zeit vor den Eisenbahnen die Zunahme auch besonders glücklich
gelegener, industriell oder durch Handel hervorragender Städte gegen später war, mögen
folgende Zahlen lehren:
Es hatten Seelen:

[Tabelle]

Von den englischen Städten freilich sind viele schon im 18. und in der ersten
Hälfte des 19. Jahrhunderts erheblich gewachsen.

Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft.
nur die Einzelſiedlungen zurückgingen. Freilich zeigen ſolch’ ſummariſche Zahlen nicht
das einzelne. In England ging die Bevölkerung 1871—91 in 11 Grafſchaften um
10—16 %, in 23 um 5—8 % abſolut zurück; in den drei Getreidegrafſchaften Norfolk,
Suffolk, Eſſex 1851—91 um 13,8 %, in vier weſtlichen, jetzt überwiegend als Weide-
grafſchaften charakteriſierten 1841—91 um 22,3 %. Ebenſo zeigt ſich bei uns neuer-
dings in vielen der öſtlichen agrariſchen Diſtrikte, für Frankreich in zahlreichen Departe-
ments eine abſolute Abnahme; dort klagte man ſchon im 18. Jahrhundert über die
Landflucht.

Die abſolute oder relative Abnahme der Landbevölkerung iſt außerhalb Europas
kaum vorhanden, in Europa iſt ſie ſehr verſchieden, aber faſt überall zu konſtatieren;
am ſtärkſten in England und Frankreich. Der Eintritt der ganzen Veränderung iſt
nicht vor 1840—50 zu ſetzen, d. h. nicht vor die Zeit der modernen Verkehrsmittel.
Natürlich kam auch vor 1840 weſentlich in Betracht, ob und inwieweit eine Zunahme
der landwirtſchaftlichen Bevölkerung im einzelnen noch nach Boden, vorheriger ländlicher
Bevölkerung, Beſitz- und Pachtverhältniſſen, unbebautem Land möglich war. Daß eine
ſolche bis in die Mitte unſeres Jahrhunderts vielfach vorkam, beweiſen folgende An-
gaben. In der Kurmark hatte 1748—86 das platte Land jährlich um 1,23, die
Städte (ohne Berlin) um 0,48 % zugenommen; in dem Jahrhundert 1748—1846 ſtieg
das platte Land der Kurmark um 253 %, die Städte (ohne Berlin) um 261, alſo faſt
gleich. Bis in die vierziger Jahre nahmen von allen preußiſchen Provinzen die öſtlichen
(Pommern, Preußen), überwiegend ländlichen, am meiſten zu; von 1829—86 blieb in
Belgien das Verhältnis von Stadt und Land faſt gleich, in Holland nahm noch
1839—49 das platte Land etwas mehr zu.

Wie ſehr man neben der Frage der prozentualen Zu- und Abnahme von Stadt
und Land die abſoluten Zahlen der Landbevölkerung im Auge behalten muß, wenn man
die ſogenannte Landflucht, die gewiß in manchen Gegenden großen und bedenklichen
Umfang neuerdings angenommen hat, richtig ſchätzen will, lehren die folgenden Zahlen.
Sie geben die landwirtſchaftliche Bevölkerung auf je 100 Hektar landwirtſchaftliche Fläche:

[Tabelle]
Alſo überall eine Abnahme der abſoluten Zahlen; aber es bleibt jedenfalls in den
Gegenden des Kleinbeſitzes ein genügender Beſtand. Und man ſieht, daß in erſter Linie
die übermäßige Anhäufung des Grundbeſitzes in wenigen Händen die Landbevölkerung
im deutſchen Oſten abſolut zu klein macht.

Wie mäßig in der Zeit vor den Eiſenbahnen die Zunahme auch beſonders glücklich
gelegener, induſtriell oder durch Handel hervorragender Städte gegen ſpäter war, mögen
folgende Zahlen lehren:
Es hatten Seelen:

[Tabelle]

Von den engliſchen Städten freilich ſind viele ſchon im 18. und in der erſten
Hälfte des 19. Jahrhunderts erheblich gewachſen.

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[270/0286] Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft. nur die Einzelſiedlungen zurückgingen. Freilich zeigen ſolch’ ſummariſche Zahlen nicht das einzelne. In England ging die Bevölkerung 1871—91 in 11 Grafſchaften um 10—16 %, in 23 um 5—8 % abſolut zurück; in den drei Getreidegrafſchaften Norfolk, Suffolk, Eſſex 1851—91 um 13,8 %, in vier weſtlichen, jetzt überwiegend als Weide- grafſchaften charakteriſierten 1841—91 um 22,3 %. Ebenſo zeigt ſich bei uns neuer- dings in vielen der öſtlichen agrariſchen Diſtrikte, für Frankreich in zahlreichen Departe- ments eine abſolute Abnahme; dort klagte man ſchon im 18. Jahrhundert über die Landflucht. Die abſolute oder relative Abnahme der Landbevölkerung iſt außerhalb Europas kaum vorhanden, in Europa iſt ſie ſehr verſchieden, aber faſt überall zu konſtatieren; am ſtärkſten in England und Frankreich. Der Eintritt der ganzen Veränderung iſt nicht vor 1840—50 zu ſetzen, d. h. nicht vor die Zeit der modernen Verkehrsmittel. Natürlich kam auch vor 1840 weſentlich in Betracht, ob und inwieweit eine Zunahme der landwirtſchaftlichen Bevölkerung im einzelnen noch nach Boden, vorheriger ländlicher Bevölkerung, Beſitz- und Pachtverhältniſſen, unbebautem Land möglich war. Daß eine ſolche bis in die Mitte unſeres Jahrhunderts vielfach vorkam, beweiſen folgende An- gaben. In der Kurmark hatte 1748—86 das platte Land jährlich um 1,23, die Städte (ohne Berlin) um 0,48 % zugenommen; in dem Jahrhundert 1748—1846 ſtieg das platte Land der Kurmark um 253 %, die Städte (ohne Berlin) um 261, alſo faſt gleich. Bis in die vierziger Jahre nahmen von allen preußiſchen Provinzen die öſtlichen (Pommern, Preußen), überwiegend ländlichen, am meiſten zu; von 1829—86 blieb in Belgien das Verhältnis von Stadt und Land faſt gleich, in Holland nahm noch 1839—49 das platte Land etwas mehr zu. Wie ſehr man neben der Frage der prozentualen Zu- und Abnahme von Stadt und Land die abſoluten Zahlen der Landbevölkerung im Auge behalten muß, wenn man die ſogenannte Landflucht, die gewiß in manchen Gegenden großen und bedenklichen Umfang neuerdings angenommen hat, richtig ſchätzen will, lehren die folgenden Zahlen. Sie geben die landwirtſchaftliche Bevölkerung auf je 100 Hektar landwirtſchaftliche Fläche: Alſo überall eine Abnahme der abſoluten Zahlen; aber es bleibt jedenfalls in den Gegenden des Kleinbeſitzes ein genügender Beſtand. Und man ſieht, daß in erſter Linie die übermäßige Anhäufung des Grundbeſitzes in wenigen Händen die Landbevölkerung im deutſchen Oſten abſolut zu klein macht. Wie mäßig in der Zeit vor den Eiſenbahnen die Zunahme auch beſonders glücklich gelegener, induſtriell oder durch Handel hervorragender Städte gegen ſpäter war, mögen folgende Zahlen lehren: Es hatten Seelen: Von den engliſchen Städten freilich ſind viele ſchon im 18. und in der erſten Hälfte des 19. Jahrhunderts erheblich gewachſen.

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 270. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/286>, abgerufen am 22.11.2024.