Die Entstehung der Gebietskörperschaften; ihr Wesen.
Der Stoff, den wir hier vorzuführen haben, ist ein sehr umfangreicher; er ist für die neuere Zeit wohl nach manchen Seiten schon eingehend, für die ältere aber noch entfernt nicht vollständig durchforscht. Was wir hier geben können, muß sich auf einige Umrisse, Einzelausschnitte und Principienfragen beschränken. Die Lehre von der Korporations- wirtschaft hier vor der der Unternehmungen vorzutragen, ist insofern berechtigt, als sie, wie die Familienwirtschaft, doch das historisch Ältere und die historische und begriffliche Voraussetzung alles privatwirtschaftlichen Getriebes ist. Natürlich sind die höheren Formen der Gemeinde- und Staatswirtschaft erst entstanden unter dem Einfluß der Arbeitsteilung, der Geld- und Kreditwirtschaft, des Marktes, der Unternehmungen, die wir erst weiterhin schildern. Aber da wir es für richtig halten, in diesem Buche die gesellschaftliche Verfassung der Volkswirtschaft, erst im folgenden deren Einzelbewegungen zu schildern, so konnte die Anordnung nur die sein, mit der Familie zu beginnen, die Korporationswirtschaft folgen zu lassen und mit der Unternehmung zu endigen. --
Alle Wirtschaft der Gebietskörperschaften ist entstanden durch die Beziehungen und Bedürfnisse, die Gefühle und Handlungen der Nachbarn und der Volksgenossen untereinander. Jede Siedlung, selbst der einsame Hof, welcher mit seiner Umzäunung Wohnung und Ställe, Scheune und Knechtgelasse umspannt, erzeugte ein alles Leben der Beteiligten durch seine Folgen beherrschendes System materieller, moralischer und geistiger Beziehungen. Noch stärker wird jedes Dorf, jede Stadt, jede geographische und durch Stammes- und politische Bande verbundene Gruppe von Ortschaften, von Kreisen und Provinzen mehr und mehr der sichtbare Ausdruck einer psychischen und materiellen Gemeinschaft, welche durch Gebäude, Wege, Grenzen, Verteidigungswerke auf dem Boden sich festgewurzelt hat. Aus der Stammes- und Volksgemeinschaft wird durch die feste Siedlung die Gebietsgemeinschaft. Ursprünglich bluts- und sprachfremde Menschen, die im selben Orte, im selben Gebiete wohnen, werden Nachbarn, Volks- und Staatsgenossen. Das Heimatsgefühl mit seiner sympathisch verbindenden Kraft, das Nachbargefühl mit seiner natürlichen Hülfsbereitschaft verbindet und eint die Menschen. Und wenn in größeren Gebieten und Ländern diese Gefühle sich abschwächen, so werden sie nach und nach durch die Einsicht in den Wert der gemeinsamen gesellschaftlichen Einrichtungen, der gemeinsamen Verteidigung, der gemeinsamen Friedensordnung ersetzt. Ein Prozeß örtlicher Gruppenbildung vollzieht sich, der mit der Dichtigkeit der Bevölkerung, der Wegsamkeit, der Arbeitsteilung, dem Verkehr, der Ausbildung der Presse und anderer psychophysischer Bindemittel wächst, die Theilnehmenden geistig und wirtschaftlich auf einander verweist und gemeinsame Rechts- und Wirtschaftsinstitutionen erzeugt. Die Bewohner desselben Dorfes, derselben Stadt, desselben Kreises und desselben Staates sind immer im ganzen und durchschnittlich mehr auf einander als auf andere angewiesen. Die natürlich-geographische Absonderung wird durch die absichtliche, staatliche Grenz- bildung mit ihren Hindernissen für Verkehr und Berührung gesteigert. Die Organe und Vorstände der Stämme und Völker werden solche der Gebiete und Länder, die Volks- könige werden Landeskönige. Und so entstehen die über bestimmte Gebiete sich erhebenden socialen Körper, welche das Land und alle dauernd auf ihm Lebenden beherrschen; die Gebietskörperschaften werden zu Gemeinschaften, welche alle anderen in ihnen enthaltenen Vereine und Genossenschaften, alle persönlichen und dinglichen Gruppen, alle Familien und Individuen zusammenfassen und regulieren. Sie werden überall zu Zwangsgemeinschaften mit einer die einzelnen durch Macht und äußere Gewalt beherrschenden Spitze, weil kein Grundstück und kein Mitglied derselben ohne Schaden und Nachteil fürs Ganze sich gewissen gemeinsamen Einrichtungen entziehen kann. Ihre führenden Organe üben diesen Zwang aus, übernehmen mit höherer Kultur immer größere Funktionen, von welchen ein erheblicher Teil wirtschaftlich ist, der übrige der wirtschaftlichen Mittel bedarf.
Wir haben von ihnen oben schon (S. 8, S. 129) gesprochen; die Gebiete und Völker müssen sich nach außen gemeinsam schützen, verteidigen, sich eine kriegerische Verfassung geben, aus der eine Befehlsgewalt hervorgeht; sie müssen eine geordnete Rechtspflege und Polizei herstellen, die ebenfalls der Zwangsgewalt bedarf, weil nur sie den Frieden garantiert. Sie müssen im Innern Wälder und Weiden, Äcker und Wohnstellen ver-
Die Entſtehung der Gebietskörperſchaften; ihr Weſen.
Der Stoff, den wir hier vorzuführen haben, iſt ein ſehr umfangreicher; er iſt für die neuere Zeit wohl nach manchen Seiten ſchon eingehend, für die ältere aber noch entfernt nicht vollſtändig durchforſcht. Was wir hier geben können, muß ſich auf einige Umriſſe, Einzelausſchnitte und Principienfragen beſchränken. Die Lehre von der Korporations- wirtſchaft hier vor der der Unternehmungen vorzutragen, iſt inſofern berechtigt, als ſie, wie die Familienwirtſchaft, doch das hiſtoriſch Ältere und die hiſtoriſche und begriffliche Vorausſetzung alles privatwirtſchaftlichen Getriebes iſt. Natürlich ſind die höheren Formen der Gemeinde- und Staatswirtſchaft erſt entſtanden unter dem Einfluß der Arbeitsteilung, der Geld- und Kreditwirtſchaft, des Marktes, der Unternehmungen, die wir erſt weiterhin ſchildern. Aber da wir es für richtig halten, in dieſem Buche die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft, erſt im folgenden deren Einzelbewegungen zu ſchildern, ſo konnte die Anordnung nur die ſein, mit der Familie zu beginnen, die Korporationswirtſchaft folgen zu laſſen und mit der Unternehmung zu endigen. —
Alle Wirtſchaft der Gebietskörperſchaften iſt entſtanden durch die Beziehungen und Bedürfniſſe, die Gefühle und Handlungen der Nachbarn und der Volksgenoſſen untereinander. Jede Siedlung, ſelbſt der einſame Hof, welcher mit ſeiner Umzäunung Wohnung und Ställe, Scheune und Knechtgelaſſe umſpannt, erzeugte ein alles Leben der Beteiligten durch ſeine Folgen beherrſchendes Syſtem materieller, moraliſcher und geiſtiger Beziehungen. Noch ſtärker wird jedes Dorf, jede Stadt, jede geographiſche und durch Stammes- und politiſche Bande verbundene Gruppe von Ortſchaften, von Kreiſen und Provinzen mehr und mehr der ſichtbare Ausdruck einer pſychiſchen und materiellen Gemeinſchaft, welche durch Gebäude, Wege, Grenzen, Verteidigungswerke auf dem Boden ſich feſtgewurzelt hat. Aus der Stammes- und Volksgemeinſchaft wird durch die feſte Siedlung die Gebietsgemeinſchaft. Urſprünglich bluts- und ſprachfremde Menſchen, die im ſelben Orte, im ſelben Gebiete wohnen, werden Nachbarn, Volks- und Staatsgenoſſen. Das Heimatsgefühl mit ſeiner ſympathiſch verbindenden Kraft, das Nachbargefühl mit ſeiner natürlichen Hülfsbereitſchaft verbindet und eint die Menſchen. Und wenn in größeren Gebieten und Ländern dieſe Gefühle ſich abſchwächen, ſo werden ſie nach und nach durch die Einſicht in den Wert der gemeinſamen geſellſchaftlichen Einrichtungen, der gemeinſamen Verteidigung, der gemeinſamen Friedensordnung erſetzt. Ein Prozeß örtlicher Gruppenbildung vollzieht ſich, der mit der Dichtigkeit der Bevölkerung, der Wegſamkeit, der Arbeitsteilung, dem Verkehr, der Ausbildung der Preſſe und anderer pſychophyſiſcher Bindemittel wächſt, die Theilnehmenden geiſtig und wirtſchaftlich auf einander verweiſt und gemeinſame Rechts- und Wirtſchaftsinſtitutionen erzeugt. Die Bewohner desſelben Dorfes, derſelben Stadt, desſelben Kreiſes und desſelben Staates ſind immer im ganzen und durchſchnittlich mehr auf einander als auf andere angewieſen. Die natürlich-geographiſche Abſonderung wird durch die abſichtliche, ſtaatliche Grenz- bildung mit ihren Hinderniſſen für Verkehr und Berührung geſteigert. Die Organe und Vorſtände der Stämme und Völker werden ſolche der Gebiete und Länder, die Volks- könige werden Landeskönige. Und ſo entſtehen die über beſtimmte Gebiete ſich erhebenden ſocialen Körper, welche das Land und alle dauernd auf ihm Lebenden beherrſchen; die Gebietskörperſchaften werden zu Gemeinſchaften, welche alle anderen in ihnen enthaltenen Vereine und Genoſſenſchaften, alle perſönlichen und dinglichen Gruppen, alle Familien und Individuen zuſammenfaſſen und regulieren. Sie werden überall zu Zwangsgemeinſchaften mit einer die einzelnen durch Macht und äußere Gewalt beherrſchenden Spitze, weil kein Grundſtück und kein Mitglied derſelben ohne Schaden und Nachteil fürs Ganze ſich gewiſſen gemeinſamen Einrichtungen entziehen kann. Ihre führenden Organe üben dieſen Zwang aus, übernehmen mit höherer Kultur immer größere Funktionen, von welchen ein erheblicher Teil wirtſchaftlich iſt, der übrige der wirtſchaftlichen Mittel bedarf.
Wir haben von ihnen oben ſchon (S. 8, S. 129) geſprochen; die Gebiete und Völker müſſen ſich nach außen gemeinſam ſchützen, verteidigen, ſich eine kriegeriſche Verfaſſung geben, aus der eine Befehlsgewalt hervorgeht; ſie müſſen eine geordnete Rechtspflege und Polizei herſtellen, die ebenfalls der Zwangsgewalt bedarf, weil nur ſie den Frieden garantiert. Sie müſſen im Innern Wälder und Weiden, Äcker und Wohnſtellen ver-
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Die Entſtehung der Gebietskörperſchaften; ihr Weſen.
Der Stoff, den wir hier vorzuführen haben, iſt ein ſehr umfangreicher; er iſt für die
neuere Zeit wohl nach manchen Seiten ſchon eingehend, für die ältere aber noch entfernt
nicht vollſtändig durchforſcht. Was wir hier geben können, muß ſich auf einige Umriſſe,
Einzelausſchnitte und Principienfragen beſchränken. Die Lehre von der Korporations-
wirtſchaft hier vor der der Unternehmungen vorzutragen, iſt inſofern berechtigt, als ſie,
wie die Familienwirtſchaft, doch das hiſtoriſch Ältere und die hiſtoriſche und begriffliche
Vorausſetzung alles privatwirtſchaftlichen Getriebes iſt. Natürlich ſind die höheren
Formen der Gemeinde- und Staatswirtſchaft erſt entſtanden unter dem Einfluß der
Arbeitsteilung, der Geld- und Kreditwirtſchaft, des Marktes, der Unternehmungen, die
wir erſt weiterhin ſchildern. Aber da wir es für richtig halten, in dieſem Buche die
geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft, erſt im folgenden deren Einzelbewegungen
zu ſchildern, ſo konnte die Anordnung nur die ſein, mit der Familie zu beginnen, die
Korporationswirtſchaft folgen zu laſſen und mit der Unternehmung zu endigen. —
Alle Wirtſchaft der Gebietskörperſchaften iſt entſtanden durch die Beziehungen
und Bedürfniſſe, die Gefühle und Handlungen der Nachbarn und der Volksgenoſſen
untereinander. Jede Siedlung, ſelbſt der einſame Hof, welcher mit ſeiner Umzäunung
Wohnung und Ställe, Scheune und Knechtgelaſſe umſpannt, erzeugte ein alles Leben
der Beteiligten durch ſeine Folgen beherrſchendes Syſtem materieller, moraliſcher und
geiſtiger Beziehungen. Noch ſtärker wird jedes Dorf, jede Stadt, jede geographiſche und
durch Stammes- und politiſche Bande verbundene Gruppe von Ortſchaften, von Kreiſen
und Provinzen mehr und mehr der ſichtbare Ausdruck einer pſychiſchen und materiellen
Gemeinſchaft, welche durch Gebäude, Wege, Grenzen, Verteidigungswerke auf dem Boden
ſich feſtgewurzelt hat. Aus der Stammes- und Volksgemeinſchaft wird durch die feſte
Siedlung die Gebietsgemeinſchaft. Urſprünglich bluts- und ſprachfremde Menſchen, die
im ſelben Orte, im ſelben Gebiete wohnen, werden Nachbarn, Volks- und Staatsgenoſſen.
Das Heimatsgefühl mit ſeiner ſympathiſch verbindenden Kraft, das Nachbargefühl mit
ſeiner natürlichen Hülfsbereitſchaft verbindet und eint die Menſchen. Und wenn in
größeren Gebieten und Ländern dieſe Gefühle ſich abſchwächen, ſo werden ſie nach und
nach durch die Einſicht in den Wert der gemeinſamen geſellſchaftlichen Einrichtungen,
der gemeinſamen Verteidigung, der gemeinſamen Friedensordnung erſetzt. Ein Prozeß
örtlicher Gruppenbildung vollzieht ſich, der mit der Dichtigkeit der Bevölkerung, der
Wegſamkeit, der Arbeitsteilung, dem Verkehr, der Ausbildung der Preſſe und anderer
pſychophyſiſcher Bindemittel wächſt, die Theilnehmenden geiſtig und wirtſchaftlich auf
einander verweiſt und gemeinſame Rechts- und Wirtſchaftsinſtitutionen erzeugt. Die
Bewohner desſelben Dorfes, derſelben Stadt, desſelben Kreiſes und desſelben Staates
ſind immer im ganzen und durchſchnittlich mehr auf einander als auf andere angewieſen.
Die natürlich-geographiſche Abſonderung wird durch die abſichtliche, ſtaatliche Grenz-
bildung mit ihren Hinderniſſen für Verkehr und Berührung geſteigert. Die Organe
und Vorſtände der Stämme und Völker werden ſolche der Gebiete und Länder, die Volks-
könige werden Landeskönige. Und ſo entſtehen die über beſtimmte Gebiete ſich erhebenden
ſocialen Körper, welche das Land und alle dauernd auf ihm Lebenden beherrſchen; die
Gebietskörperſchaften werden zu Gemeinſchaften, welche alle anderen in ihnen enthaltenen
Vereine und Genoſſenſchaften, alle perſönlichen und dinglichen Gruppen, alle Familien und
Individuen zuſammenfaſſen und regulieren. Sie werden überall zu Zwangsgemeinſchaften
mit einer die einzelnen durch Macht und äußere Gewalt beherrſchenden Spitze, weil
kein Grundſtück und kein Mitglied derſelben ohne Schaden und Nachteil fürs Ganze ſich
gewiſſen gemeinſamen Einrichtungen entziehen kann. Ihre führenden Organe üben dieſen
Zwang aus, übernehmen mit höherer Kultur immer größere Funktionen, von welchen
ein erheblicher Teil wirtſchaftlich iſt, der übrige der wirtſchaftlichen Mittel bedarf.
Wir haben von ihnen oben ſchon (S. 8, S. 129) geſprochen; die Gebiete und Völker
müſſen ſich nach außen gemeinſam ſchützen, verteidigen, ſich eine kriegeriſche Verfaſſung
geben, aus der eine Befehlsgewalt hervorgeht; ſie müſſen eine geordnete Rechtspflege
und Polizei herſtellen, die ebenfalls der Zwangsgewalt bedarf, weil nur ſie den Frieden
garantiert. Sie müſſen im Innern Wälder und Weiden, Äcker und Wohnſtellen ver-
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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 279. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/295>, abgerufen am 22.11.2024.
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