Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.Die merkantilistische und die liberale Staatspraxis. hängig waren; auch ein ausgedehnter Staatsbesitz, große staatliche gewerbliche Betriebe,Bergwerke und Manufakturen waren erwünscht. Mit Steuern und Zöllen, mit Gewerbe- inspektoren und gewerblichen Reglements, mit Markt-, Wege-, Wasser-, Forst- und anderen Ordnungen wurde das ganze wirtschaftliche innere Getriebe beherrscht, reguliert, die Produktion und der Verkehr, die Märkte und die Aus- und Einfuhr im Gange gehalten. Nach außen suchte man oft gewaltthätig, oft durch Betrug Absatz, Einfluß, unter Umständen die Kredit- und Handelsabhängigkeit der Nachbarn zu erlangen; durch Schiffahrtsgesetze förderte man die Küstenschiffahrt und die Handelsmarine, durch die staatlichen Flotten, auf welchen teilweise auch der private Handel stattfand, beherrschte man die eigenen Kolonien, die man den Fremden verschloß, die man als Ausbeutungs- länder behandelte, wie die Konkurrenten, deren Produktion und Handel man nieder- zuhalten suchte. Wenn es nötig war, führte man handelspolitische Kriege gegen die Konkurrenten, vernichtete ihre Handelsmarine. Wenn dies nicht ging, schloß man sich durch Aus- und Einfuhrverbote ab, um auf dem eigenen Gebiete wenigstens eine durch inneren Verkehr blühende Volkswirtschaft, ein blühendes Gewerbe, eine Landwirtschaft mit ausgiebigem Absatz zu schaffen. Es war vom 16.--18. Jahrhundert keine falsche Tendenz, in dieser Weise große So einseitig und schief diese Auffassung war, so enthielt sie die notwendige Die merkantiliſtiſche und die liberale Staatspraxis. hängig waren; auch ein ausgedehnter Staatsbeſitz, große ſtaatliche gewerbliche Betriebe,Bergwerke und Manufakturen waren erwünſcht. Mit Steuern und Zöllen, mit Gewerbe- inſpektoren und gewerblichen Reglements, mit Markt-, Wege-, Waſſer-, Forſt- und anderen Ordnungen wurde das ganze wirtſchaftliche innere Getriebe beherrſcht, reguliert, die Produktion und der Verkehr, die Märkte und die Aus- und Einfuhr im Gange gehalten. Nach außen ſuchte man oft gewaltthätig, oft durch Betrug Abſatz, Einfluß, unter Umſtänden die Kredit- und Handelsabhängigkeit der Nachbarn zu erlangen; durch Schiffahrtsgeſetze förderte man die Küſtenſchiffahrt und die Handelsmarine, durch die ſtaatlichen Flotten, auf welchen teilweiſe auch der private Handel ſtattfand, beherrſchte man die eigenen Kolonien, die man den Fremden verſchloß, die man als Ausbeutungs- länder behandelte, wie die Konkurrenten, deren Produktion und Handel man nieder- zuhalten ſuchte. Wenn es nötig war, führte man handelspolitiſche Kriege gegen die Konkurrenten, vernichtete ihre Handelsmarine. Wenn dies nicht ging, ſchloß man ſich durch Aus- und Einfuhrverbote ab, um auf dem eigenen Gebiete wenigſtens eine durch inneren Verkehr blühende Volkswirtſchaft, ein blühendes Gewerbe, eine Landwirtſchaft mit ausgiebigem Abſatz zu ſchaffen. Es war vom 16.—18. Jahrhundert keine falſche Tendenz, in dieſer Weiſe große So einſeitig und ſchief dieſe Auffaſſung war, ſo enthielt ſie die notwendige <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0317" n="301"/><fw place="top" type="header">Die merkantiliſtiſche und die liberale Staatspraxis.</fw><lb/> hängig waren; auch ein ausgedehnter Staatsbeſitz, große ſtaatliche gewerbliche Betriebe,<lb/> Bergwerke und Manufakturen waren erwünſcht. Mit Steuern und Zöllen, mit Gewerbe-<lb/> inſpektoren und gewerblichen Reglements, mit Markt-, Wege-, Waſſer-, Forſt- und<lb/> anderen Ordnungen wurde das ganze wirtſchaftliche innere Getriebe beherrſcht, reguliert,<lb/> die Produktion und der Verkehr, die Märkte und die Aus- und Einfuhr im Gange<lb/> gehalten. Nach außen ſuchte man oft gewaltthätig, oft durch Betrug Abſatz, Einfluß,<lb/> unter Umſtänden die Kredit- und Handelsabhängigkeit der Nachbarn zu erlangen; durch<lb/> Schiffahrtsgeſetze förderte man die Küſtenſchiffahrt und die Handelsmarine, durch die<lb/> ſtaatlichen Flotten, auf welchen teilweiſe auch der private Handel ſtattfand, beherrſchte<lb/> man die eigenen Kolonien, die man den Fremden verſchloß, die man als Ausbeutungs-<lb/> länder behandelte, wie die Konkurrenten, deren Produktion und Handel man nieder-<lb/> zuhalten ſuchte. Wenn es nötig war, führte man handelspolitiſche Kriege gegen die<lb/> Konkurrenten, vernichtete ihre Handelsmarine. Wenn dies nicht ging, ſchloß man ſich<lb/> durch Aus- und Einfuhrverbote ab, um auf dem eigenen Gebiete wenigſtens eine durch<lb/> inneren Verkehr blühende Volkswirtſchaft, ein blühendes Gewerbe, eine Landwirtſchaft<lb/> mit ausgiebigem Abſatz zu ſchaffen.</p><lb/> <p>Es war vom 16.—18. Jahrhundert keine falſche Tendenz, in dieſer Weiſe große<lb/> ſtaatliche und wirtſchaftliche Körper mit einer gewiſſen Selbſtändigkeit und Geſchloſſen-<lb/> heit, mit lebendigem innern Verkehr, mit einem alles übrige Wirtſchaftsleben beherrſchenden<lb/> Staatshaushalte herzuſtellen. Es war die natürliche Kehrſeite dieſer Tendenz, daß die<lb/> Staaten und Volkswirtſchaften ſich in Handelsneid, Feindſchaft, ja in Handels- und<lb/> Kolonialkriegen gegenüberſtanden, daß die innere Centraliſation und Vielregiererei zu<lb/> weit ging, unter Umſtänden alles lokale und individuelle Leben lähmte. Anders konnten<lb/> die neuen Staaten und Volkswirtſchaften zunächſt nicht ſich ausbilden. Aber es mußte<lb/> eine Umkehr, eine veränderte Auffaſſung nach und nach, 1750—1850, Platz greifen. Man<lb/> empfand, daß die individuelle Freiheit, der Rechtsſchutz der Perſon, der Gemeinden, der<lb/> Korporationen mangele, daß Handelsneid und Handelskriege zu viel Schaden anrichten,<lb/> daß im internationalen Handel nicht notwendig der eine Staat verliere, was der andere<lb/> gewinne, daß im friedlichen Austauſche auch beide gewinnen, ſich fördern können, daß<lb/> das Übermaß der volkswirtſchaftlichen Centraliſation, der Handels- und Wirtſchafts-<lb/> leitung häufig mehr ſchade als nütze. Es entſtand die Naturlehre der Volkswirtſchaft,<lb/> welche ohne Erinnerung an die Entſtehung des vorhandenen Wirtſchaftslebens dieſes<lb/> als ein bloßes Spiel freier, natürlicher Kräfte auffaßte, die man beſſer ſich ſelber über-<lb/> laſſe, die, harmoniſch von der Vorſehung geordnet, auf dem freien Markte, unter dem<lb/> Geſetze der Arbeitsteilung ungehindert ſich bethätigen ſollen. Für Staat und Staats-<lb/> haushalt, Handels- und Gewerbepolitik war bei dieſer Auffaſſung der Volkswirtſchaft<lb/> überhaupt kein rechter Platz. Man kam über dieſe Schwierigkeit am beſten weg, wenn<lb/> man ihren Begriff nur auf die Markt- und Verkehrsvorgänge beſchränkte, Staat und<lb/> Recht als etwas von ihr gänzlich Geſchiedenes betrachtete.</p><lb/> <p>So einſeitig und ſchief dieſe Auffaſſung war, ſo enthielt ſie die notwendige<lb/> Korrektur der merkantiliſtiſchen Staats- und Wirtſchaftspolitik. Man hatte durch die<lb/> Bevormundung zu viel Kräfte gelähmt, man hatte durch Beamte und Reglements das<lb/> aufkommende Bürgertum niedergehalten und beleidigt; dieſes wollte, mündig, klug,<lb/> reich geworden, nun ſelbſtändig die Betriebe, den Markt, den Handel in die Hand<lb/> nehmen; man hatte durch die Sperrmaßregeln nach außen zu oft den Handel und den<lb/> Abſatz gehindert; die alte Bureaukratie war gegenüber der neuen Technik, dem neuen<lb/> Verkehr, den neuen Betriebsformen unfähig, ihnen ſofort die rechten Bahnen und Formen<lb/> vorzuſchreiben; die Freiheit der Perſon und des Eigentums, der Niederlaſſung und der<lb/> Kapitalbewegung wirkte im 19. Jahrhundert vielfach wie ein befruchtender Tau auf<lb/> alles Wirtſchaftsleben. Kein Wunder, daß die Vorſtellung ſich bilden konnte: alle ältere<lb/> Zeit mit ihrer Gebundenheit und ihrer autoritativen Leitung des Wirtſchaftslebens ſei<lb/> Barbarei geweſen; nun ſei die vollendete, auf perſönliche Freiheit und freies Privateigentum<lb/> gegründete Erwerbsordnung gefunden; nur ſie ganz auszubauen und zu erhalten, könne<lb/> das Ziel ſein.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [301/0317]
Die merkantiliſtiſche und die liberale Staatspraxis.
hängig waren; auch ein ausgedehnter Staatsbeſitz, große ſtaatliche gewerbliche Betriebe,
Bergwerke und Manufakturen waren erwünſcht. Mit Steuern und Zöllen, mit Gewerbe-
inſpektoren und gewerblichen Reglements, mit Markt-, Wege-, Waſſer-, Forſt- und
anderen Ordnungen wurde das ganze wirtſchaftliche innere Getriebe beherrſcht, reguliert,
die Produktion und der Verkehr, die Märkte und die Aus- und Einfuhr im Gange
gehalten. Nach außen ſuchte man oft gewaltthätig, oft durch Betrug Abſatz, Einfluß,
unter Umſtänden die Kredit- und Handelsabhängigkeit der Nachbarn zu erlangen; durch
Schiffahrtsgeſetze förderte man die Küſtenſchiffahrt und die Handelsmarine, durch die
ſtaatlichen Flotten, auf welchen teilweiſe auch der private Handel ſtattfand, beherrſchte
man die eigenen Kolonien, die man den Fremden verſchloß, die man als Ausbeutungs-
länder behandelte, wie die Konkurrenten, deren Produktion und Handel man nieder-
zuhalten ſuchte. Wenn es nötig war, führte man handelspolitiſche Kriege gegen die
Konkurrenten, vernichtete ihre Handelsmarine. Wenn dies nicht ging, ſchloß man ſich
durch Aus- und Einfuhrverbote ab, um auf dem eigenen Gebiete wenigſtens eine durch
inneren Verkehr blühende Volkswirtſchaft, ein blühendes Gewerbe, eine Landwirtſchaft
mit ausgiebigem Abſatz zu ſchaffen.
Es war vom 16.—18. Jahrhundert keine falſche Tendenz, in dieſer Weiſe große
ſtaatliche und wirtſchaftliche Körper mit einer gewiſſen Selbſtändigkeit und Geſchloſſen-
heit, mit lebendigem innern Verkehr, mit einem alles übrige Wirtſchaftsleben beherrſchenden
Staatshaushalte herzuſtellen. Es war die natürliche Kehrſeite dieſer Tendenz, daß die
Staaten und Volkswirtſchaften ſich in Handelsneid, Feindſchaft, ja in Handels- und
Kolonialkriegen gegenüberſtanden, daß die innere Centraliſation und Vielregiererei zu
weit ging, unter Umſtänden alles lokale und individuelle Leben lähmte. Anders konnten
die neuen Staaten und Volkswirtſchaften zunächſt nicht ſich ausbilden. Aber es mußte
eine Umkehr, eine veränderte Auffaſſung nach und nach, 1750—1850, Platz greifen. Man
empfand, daß die individuelle Freiheit, der Rechtsſchutz der Perſon, der Gemeinden, der
Korporationen mangele, daß Handelsneid und Handelskriege zu viel Schaden anrichten,
daß im internationalen Handel nicht notwendig der eine Staat verliere, was der andere
gewinne, daß im friedlichen Austauſche auch beide gewinnen, ſich fördern können, daß
das Übermaß der volkswirtſchaftlichen Centraliſation, der Handels- und Wirtſchafts-
leitung häufig mehr ſchade als nütze. Es entſtand die Naturlehre der Volkswirtſchaft,
welche ohne Erinnerung an die Entſtehung des vorhandenen Wirtſchaftslebens dieſes
als ein bloßes Spiel freier, natürlicher Kräfte auffaßte, die man beſſer ſich ſelber über-
laſſe, die, harmoniſch von der Vorſehung geordnet, auf dem freien Markte, unter dem
Geſetze der Arbeitsteilung ungehindert ſich bethätigen ſollen. Für Staat und Staats-
haushalt, Handels- und Gewerbepolitik war bei dieſer Auffaſſung der Volkswirtſchaft
überhaupt kein rechter Platz. Man kam über dieſe Schwierigkeit am beſten weg, wenn
man ihren Begriff nur auf die Markt- und Verkehrsvorgänge beſchränkte, Staat und
Recht als etwas von ihr gänzlich Geſchiedenes betrachtete.
So einſeitig und ſchief dieſe Auffaſſung war, ſo enthielt ſie die notwendige
Korrektur der merkantiliſtiſchen Staats- und Wirtſchaftspolitik. Man hatte durch die
Bevormundung zu viel Kräfte gelähmt, man hatte durch Beamte und Reglements das
aufkommende Bürgertum niedergehalten und beleidigt; dieſes wollte, mündig, klug,
reich geworden, nun ſelbſtändig die Betriebe, den Markt, den Handel in die Hand
nehmen; man hatte durch die Sperrmaßregeln nach außen zu oft den Handel und den
Abſatz gehindert; die alte Bureaukratie war gegenüber der neuen Technik, dem neuen
Verkehr, den neuen Betriebsformen unfähig, ihnen ſofort die rechten Bahnen und Formen
vorzuſchreiben; die Freiheit der Perſon und des Eigentums, der Niederlaſſung und der
Kapitalbewegung wirkte im 19. Jahrhundert vielfach wie ein befruchtender Tau auf
alles Wirtſchaftsleben. Kein Wunder, daß die Vorſtellung ſich bilden konnte: alle ältere
Zeit mit ihrer Gebundenheit und ihrer autoritativen Leitung des Wirtſchaftslebens ſei
Barbarei geweſen; nun ſei die vollendete, auf perſönliche Freiheit und freies Privateigentum
gegründete Erwerbsordnung gefunden; nur ſie ganz auszubauen und zu erhalten, könne
das Ziel ſein.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |