Zweites Buch. Die gesellschaftliche Verfassung der Volkswirtschaft.
Wir kommen auf diese neuesten Tendenzen weiterhin noch öfter zu sprechen. Über die territoriale Volkswirtschaft müssen wir uns, da der Raum gebricht, mit wenigen Worten begnügen. Was wir allein hier etwas darlegen können, ist die Entstehung der Volkswirtschaft in der merkantilistischen und ihre Ausbildung in der liberalen Zeit, sowie dann die Entstehung des Staatshaushaltes überhaupt und speciell in dieser Epoche.
Die Territorien und Kleinstaaten, die als ganz oder halb selbständige wirtschaft- liche Körper, als kriegerische Mächte, als finanzielle Organisationen vom 12.--19. Jahr- hundert bestanden, haben im einzelnen mannigfachen Charakter. Einzelne sind wirt- schaftlich nicht viel anderes als große Grundherrschaften, andere wieder als erweiterte Stadtwirtschaften; noch andere stellen gleichsam einen Bundesvertrag zwischen einem Domänen besitzenden Fürstentume und den ständischen Korporationen von Adel und Städten eines Gebietes dar. Ihre volle Ausbildung erhalten sie in Venedig und Genua, sowie in den Niederlanden durch eine kaufmännische, im Kirchenstaate durch eine geistliche Aristokratie, in den anderen italienischen Gebieten durch kunstliebende, halb verbreche- rische, halb militärische Despoten, im übrigen Europa durch ständisch gebundene, aber im 17. und 18. Jahrhundert meist schon auf Heer und Beamtentum sich stützende absolute Fürstenhäuser. Die militärische Gewalt, der Handel, die Förderung von Kunst, Technik, Verkehr, die stärker ausgebildete Geldwirtschaft, die etwas größere Kapitalbildung, die Ausbildung des öffentlichen Dienstes, der Steuern und einer centralistischen, weit- ausgreifenden Wirtschaftspolitik, das sind die Kräfte und Elemente, wodurch die gut verwalteten unter diesen Territorien emporkommen, wodurch die kräftigsten unter ihnen die Grundlage und Keime für wirkliche Staaten und nationale Volkswirtschaften schaffen. Meist aber ist das Gebiet nicht groß, nicht abgerundet genug; die Regierung wird nicht recht Herr über Städte und Zünfte, über Grund- und Gutsherrschaften; die alten Wirtschafts- und Betriebsformen erhalten sich, hemmen jetzt aber noch mehr als früher den Fortschritt. Die Naturalwirtschaft bleibt auf dem Lande bestehen, der freie innere Markt fehlt noch vielfach; nach außen sind die meisten dieser Territorien zu schwach. Erst den großen staatlichen Gewalten, wie sie vom 16.--18. Jahrhundert an von den Tudors, den Oraniern, den großen französischen Königen und Ministern, den Hohen- zollern und Habsburgern, in Rußland von Peter d. Gr. geschaffen wurden, gelingt es, große Volkswirtschaften und Staatshaushalte herzustellen. Und beides fällt für die damals Lebenden so zusammen, daß man das Ergebnis dieses einheitlichen Prozesses Staatswirtschaft, economie politique, nannte. Der Versuch, sie theoretisch zu fassen, hat die Anfänge unserer fachwissenschaftlichen Litteratur erzeugt.
Ohne wiederholen zu wollen, was ich zur Erklärung dieser Litteratur (S. 84--88) sagte, möchte ich hier die Volkswirtschafts- und Staatsbildung kurz so charakterisieren.
Ihr Princip war, die Selbständigkeit des nationalen Staates und der Volks- wirtschaft zu erringen und die lokalen, ständisch-egoistischen Wirtschaftsordnungen der Provinzen, der Stände, der Kirche, der Städte und Grundherrschaften, der Zünfte und Korporationen zu brechen und umzuwandeln in dienende Glieder der einheitlichen, von der Regierung geleiteten nationalen Volkswirtschaft. Alle divergierenden Elemente sollten membra unius capitis werden, viribus unitis die gemeinsamen Lasten tragen; das Staatsgebiet sollte richtig abgerundet, ausgedehnt, mit den richtigen Außenplätzen, Handelsstationen, Kolonien, Machtsphären und Einflüssen über andere Märkte versehen werden; nach innen ein freier Markt, nach außen eine geschlossene Volkswirtschaft, die nur zuließ, was an Fremden und Waren ihr paßte, nur hinausließ, was sie als Ganzes mit Vorteil entbehren, womit sie Gewinn zu machen, Geld hereinzubringen hoffen konnte.
Derartiges war nur möglich, wenn eine feste Staatsgewalt sich auf eine große staatliche Beamtenschaft, auf Heer und Kriegsmarine stützen konnte. Dazu gehörte viel Geld, eine ganz neue Ausbildung der Steuern, der staatlichen Regalien und wirtschaft- lichen Vorrechte, ein ausgebildetes Landeszollwesen an der Grenze, ein gut ausgenutztes staatliches Münzwesen, bald auch staatliche oder halbstaatliche Banken, große Handels-, Kolonial-, Versicherungscompagnien, die ganz oder halb von der Staatsregierung ab-
Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft.
Wir kommen auf dieſe neueſten Tendenzen weiterhin noch öfter zu ſprechen. Über die territoriale Volkswirtſchaft müſſen wir uns, da der Raum gebricht, mit wenigen Worten begnügen. Was wir allein hier etwas darlegen können, iſt die Entſtehung der Volkswirtſchaft in der merkantiliſtiſchen und ihre Ausbildung in der liberalen Zeit, ſowie dann die Entſtehung des Staatshaushaltes überhaupt und ſpeciell in dieſer Epoche.
Die Territorien und Kleinſtaaten, die als ganz oder halb ſelbſtändige wirtſchaft- liche Körper, als kriegeriſche Mächte, als finanzielle Organiſationen vom 12.—19. Jahr- hundert beſtanden, haben im einzelnen mannigfachen Charakter. Einzelne ſind wirt- ſchaftlich nicht viel anderes als große Grundherrſchaften, andere wieder als erweiterte Stadtwirtſchaften; noch andere ſtellen gleichſam einen Bundesvertrag zwiſchen einem Domänen beſitzenden Fürſtentume und den ſtändiſchen Korporationen von Adel und Städten eines Gebietes dar. Ihre volle Ausbildung erhalten ſie in Venedig und Genua, ſowie in den Niederlanden durch eine kaufmänniſche, im Kirchenſtaate durch eine geiſtliche Ariſtokratie, in den anderen italieniſchen Gebieten durch kunſtliebende, halb verbreche- riſche, halb militäriſche Despoten, im übrigen Europa durch ſtändiſch gebundene, aber im 17. und 18. Jahrhundert meiſt ſchon auf Heer und Beamtentum ſich ſtützende abſolute Fürſtenhäuſer. Die militäriſche Gewalt, der Handel, die Förderung von Kunſt, Technik, Verkehr, die ſtärker ausgebildete Geldwirtſchaft, die etwas größere Kapitalbildung, die Ausbildung des öffentlichen Dienſtes, der Steuern und einer centraliſtiſchen, weit- ausgreifenden Wirtſchaftspolitik, das ſind die Kräfte und Elemente, wodurch die gut verwalteten unter dieſen Territorien emporkommen, wodurch die kräftigſten unter ihnen die Grundlage und Keime für wirkliche Staaten und nationale Volkswirtſchaften ſchaffen. Meiſt aber iſt das Gebiet nicht groß, nicht abgerundet genug; die Regierung wird nicht recht Herr über Städte und Zünfte, über Grund- und Gutsherrſchaften; die alten Wirtſchafts- und Betriebsformen erhalten ſich, hemmen jetzt aber noch mehr als früher den Fortſchritt. Die Naturalwirtſchaft bleibt auf dem Lande beſtehen, der freie innere Markt fehlt noch vielfach; nach außen ſind die meiſten dieſer Territorien zu ſchwach. Erſt den großen ſtaatlichen Gewalten, wie ſie vom 16.—18. Jahrhundert an von den Tudors, den Oraniern, den großen franzöſiſchen Königen und Miniſtern, den Hohen- zollern und Habsburgern, in Rußland von Peter d. Gr. geſchaffen wurden, gelingt es, große Volkswirtſchaften und Staatshaushalte herzuſtellen. Und beides fällt für die damals Lebenden ſo zuſammen, daß man das Ergebnis dieſes einheitlichen Prozeſſes Staatswirtſchaft, économie politique, nannte. Der Verſuch, ſie theoretiſch zu faſſen, hat die Anfänge unſerer fachwiſſenſchaftlichen Litteratur erzeugt.
Ohne wiederholen zu wollen, was ich zur Erklärung dieſer Litteratur (S. 84—88) ſagte, möchte ich hier die Volkswirtſchafts- und Staatsbildung kurz ſo charakteriſieren.
Ihr Princip war, die Selbſtändigkeit des nationalen Staates und der Volks- wirtſchaft zu erringen und die lokalen, ſtändiſch-egoiſtiſchen Wirtſchaftsordnungen der Provinzen, der Stände, der Kirche, der Städte und Grundherrſchaften, der Zünfte und Korporationen zu brechen und umzuwandeln in dienende Glieder der einheitlichen, von der Regierung geleiteten nationalen Volkswirtſchaft. Alle divergierenden Elemente ſollten membra unius capitis werden, viribus unitis die gemeinſamen Laſten tragen; das Staatsgebiet ſollte richtig abgerundet, ausgedehnt, mit den richtigen Außenplätzen, Handelsſtationen, Kolonien, Machtſphären und Einflüſſen über andere Märkte verſehen werden; nach innen ein freier Markt, nach außen eine geſchloſſene Volkswirtſchaft, die nur zuließ, was an Fremden und Waren ihr paßte, nur hinausließ, was ſie als Ganzes mit Vorteil entbehren, womit ſie Gewinn zu machen, Geld hereinzubringen hoffen konnte.
Derartiges war nur möglich, wenn eine feſte Staatsgewalt ſich auf eine große ſtaatliche Beamtenſchaft, auf Heer und Kriegsmarine ſtützen konnte. Dazu gehörte viel Geld, eine ganz neue Ausbildung der Steuern, der ſtaatlichen Regalien und wirtſchaft- lichen Vorrechte, ein ausgebildetes Landeszollweſen an der Grenze, ein gut ausgenutztes ſtaatliches Münzweſen, bald auch ſtaatliche oder halbſtaatliche Banken, große Handels-, Kolonial-, Verſicherungscompagnien, die ganz oder halb von der Staatsregierung ab-
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Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft.
Wir kommen auf dieſe neueſten Tendenzen weiterhin noch öfter zu ſprechen. Über
die territoriale Volkswirtſchaft müſſen wir uns, da der Raum gebricht, mit wenigen
Worten begnügen. Was wir allein hier etwas darlegen können, iſt die Entſtehung der
Volkswirtſchaft in der merkantiliſtiſchen und ihre Ausbildung in der liberalen Zeit,
ſowie dann die Entſtehung des Staatshaushaltes überhaupt und ſpeciell in dieſer Epoche.
Die Territorien und Kleinſtaaten, die als ganz oder halb ſelbſtändige wirtſchaft-
liche Körper, als kriegeriſche Mächte, als finanzielle Organiſationen vom 12.—19. Jahr-
hundert beſtanden, haben im einzelnen mannigfachen Charakter. Einzelne ſind wirt-
ſchaftlich nicht viel anderes als große Grundherrſchaften, andere wieder als erweiterte
Stadtwirtſchaften; noch andere ſtellen gleichſam einen Bundesvertrag zwiſchen einem
Domänen beſitzenden Fürſtentume und den ſtändiſchen Korporationen von Adel und
Städten eines Gebietes dar. Ihre volle Ausbildung erhalten ſie in Venedig und Genua,
ſowie in den Niederlanden durch eine kaufmänniſche, im Kirchenſtaate durch eine geiſtliche
Ariſtokratie, in den anderen italieniſchen Gebieten durch kunſtliebende, halb verbreche-
riſche, halb militäriſche Despoten, im übrigen Europa durch ſtändiſch gebundene, aber
im 17. und 18. Jahrhundert meiſt ſchon auf Heer und Beamtentum ſich ſtützende
abſolute Fürſtenhäuſer. Die militäriſche Gewalt, der Handel, die Förderung von Kunſt,
Technik, Verkehr, die ſtärker ausgebildete Geldwirtſchaft, die etwas größere Kapitalbildung,
die Ausbildung des öffentlichen Dienſtes, der Steuern und einer centraliſtiſchen, weit-
ausgreifenden Wirtſchaftspolitik, das ſind die Kräfte und Elemente, wodurch die gut
verwalteten unter dieſen Territorien emporkommen, wodurch die kräftigſten unter ihnen
die Grundlage und Keime für wirkliche Staaten und nationale Volkswirtſchaften ſchaffen.
Meiſt aber iſt das Gebiet nicht groß, nicht abgerundet genug; die Regierung wird nicht
recht Herr über Städte und Zünfte, über Grund- und Gutsherrſchaften; die alten
Wirtſchafts- und Betriebsformen erhalten ſich, hemmen jetzt aber noch mehr als früher
den Fortſchritt. Die Naturalwirtſchaft bleibt auf dem Lande beſtehen, der freie innere
Markt fehlt noch vielfach; nach außen ſind die meiſten dieſer Territorien zu ſchwach.
Erſt den großen ſtaatlichen Gewalten, wie ſie vom 16.—18. Jahrhundert an von den
Tudors, den Oraniern, den großen franzöſiſchen Königen und Miniſtern, den Hohen-
zollern und Habsburgern, in Rußland von Peter d. Gr. geſchaffen wurden, gelingt
es, große Volkswirtſchaften und Staatshaushalte herzuſtellen. Und beides fällt für die
damals Lebenden ſo zuſammen, daß man das Ergebnis dieſes einheitlichen Prozeſſes
Staatswirtſchaft, économie politique, nannte. Der Verſuch, ſie theoretiſch zu faſſen,
hat die Anfänge unſerer fachwiſſenſchaftlichen Litteratur erzeugt.
Ohne wiederholen zu wollen, was ich zur Erklärung dieſer Litteratur (S. 84—88)
ſagte, möchte ich hier die Volkswirtſchafts- und Staatsbildung kurz ſo charakteriſieren.
Ihr Princip war, die Selbſtändigkeit des nationalen Staates und der Volks-
wirtſchaft zu erringen und die lokalen, ſtändiſch-egoiſtiſchen Wirtſchaftsordnungen der
Provinzen, der Stände, der Kirche, der Städte und Grundherrſchaften, der Zünfte und
Korporationen zu brechen und umzuwandeln in dienende Glieder der einheitlichen, von
der Regierung geleiteten nationalen Volkswirtſchaft. Alle divergierenden Elemente ſollten
membra unius capitis werden, viribus unitis die gemeinſamen Laſten tragen; das
Staatsgebiet ſollte richtig abgerundet, ausgedehnt, mit den richtigen Außenplätzen,
Handelsſtationen, Kolonien, Machtſphären und Einflüſſen über andere Märkte verſehen
werden; nach innen ein freier Markt, nach außen eine geſchloſſene Volkswirtſchaft, die
nur zuließ, was an Fremden und Waren ihr paßte, nur hinausließ, was ſie als
Ganzes mit Vorteil entbehren, womit ſie Gewinn zu machen, Geld hereinzubringen
hoffen konnte.
Derartiges war nur möglich, wenn eine feſte Staatsgewalt ſich auf eine große
ſtaatliche Beamtenſchaft, auf Heer und Kriegsmarine ſtützen konnte. Dazu gehörte viel
Geld, eine ganz neue Ausbildung der Steuern, der ſtaatlichen Regalien und wirtſchaft-
lichen Vorrechte, ein ausgebildetes Landeszollweſen an der Grenze, ein gut ausgenutztes
ſtaatliches Münzweſen, bald auch ſtaatliche oder halbſtaatliche Banken, große Handels-,
Kolonial-, Verſicherungscompagnien, die ganz oder halb von der Staatsregierung ab-
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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 300. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/316>, abgerufen am 19.07.2024.
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