Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.Die neuere Handelsentwickelung, ihre Arbeitsentwickelung und Bedeutung. gesunde und große Grundaristokratie, eine ausgebildete Heeres- und Beamtenverfassungist, existieren noch starke Gegengewichte, welche ihren monopolartigen Einfluß in der Volkswirtschaft und Gesetzgebung, sowie im Staatsleben im ganzen hemmen, ihren großen Gewinnen gewisse Schranken setzen. Die höhere Schicht der kaufmännischen Welt stützt sich auf ihren beweglichen Für das Verständnis der neueren politischen und volkswirtschaftlichen Entwicke- Die Handelsaristokratie der Gegenwart konnte und kann nicht ebenso verschwinden, 116. Die Entstehung eines Arbeiterstandes. Sklaverei, Leibeigen- Schmoller, Grundriß der Volkswirtschaftslehre. I. 22
Die neuere Handelsentwickelung, ihre Arbeitsentwickelung und Bedeutung. geſunde und große Grundariſtokratie, eine ausgebildete Heeres- und Beamtenverfaſſungiſt, exiſtieren noch ſtarke Gegengewichte, welche ihren monopolartigen Einfluß in der Volkswirtſchaft und Geſetzgebung, ſowie im Staatsleben im ganzen hemmen, ihren großen Gewinnen gewiſſe Schranken ſetzen. Die höhere Schicht der kaufmänniſchen Welt ſtützt ſich auf ihren beweglichen Für das Verſtändnis der neueren politiſchen und volkswirtſchaftlichen Entwicke- Die Handelsariſtokratie der Gegenwart konnte und kann nicht ebenſo verſchwinden, 116. Die Entſtehung eines Arbeiterſtandes. Sklaverei, Leibeigen- Schmoller, Grundriß der Volkswirtſchaftslehre. I. 22
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Aber es iſt eine ſehr<lb/> ſchiefe Auffaſſung, aus dem Kapital an ſich alles heute abzuleiten, was Folge der<lb/> techniſchen, geiſtigen und moraliſchen Eigenſchaften der Kaufleute, was das Ergebnis<lb/> ihrer Marktkenntnis und -beherrſchung, ihrer Organiſation, ihres teilweiſe vorhandenen<lb/> Monopolbeſitzes der Geſchäftsformen und Geſchäftsgeheimniſſe iſt. Ihre Stellung in<lb/> der modernen Volkswirtſchaft hat man lange von der günſtigſten Seite, neuerdings unter<lb/> dem Eindrucke gewiſſer Mißbräuche und Entartungen, auch unter dem Einfluſſe ſocia-<lb/> liſtiſcher Theorien vielfach überwiegend zu ungünſtig be- und verurteilt. Gewiß kann<lb/> der habſüchtige Handelsgeiſt entarten, in herrſchſüchtiger Monopolſtellung für Volks-<lb/> wirtſchaft und Staat große Gefahren bringen. Aber nie ſollte man dabei überſehen,<lb/> daß die arbeitsteilige Ausbildung des Handelsſtandes der Fortſchritt iſt, der unſere<lb/> moderne Volks- und Weltwirtſchaft ſchuf. Und ſtets ſollte man ſich klar ſein, daß dieſer<lb/> Handelsgeiſt je nach den Menſchen, ihren Gefühlen und Sitten, ihrer Moral und Raſſe<lb/> etwas ſehr Verſchiedenes ſein kann. Eine fortſchreitende Verſittlichung der Geſchäftsformen<lb/> kann die Auswüchſe des egoiſtiſchen Handelsgeiſtes abſchneiden; ein reeller Geſchäfts-<lb/> verkehr, eine ſteigende Ehrlichkeit und Anſtändigkeit in Handel und Wandel kann Platz<lb/> greifen; durch Staats- und Kommunalbanken, durch Genoſſenſchaften und Vereine, die<lb/> wirtſchaftliche Funktionen übernehmen, teilweiſe auch durch das Aktienweſen und ſeine<lb/> Beamten kommt in einen Teil des Geſchäftslebens ein anderer, zugleich auf Geſamt-<lb/> intereſſen gerichteter Geiſt. Die großen Organiſationen der Induſtrie und der Land-<lb/> wirtſchaft haben ſich teilweiſe ſchon von der Vorherrſchaft des Händlertums befreit.<lb/> Alle Gefahren wucheriſcher Ausbeutung der übrigen Volksklaſſen und des Staates durch<lb/> die Händler werden in dem Maße zurückgedrängt, wie das ganze Volk die modernen<lb/> Handels- und Kreditformen erlernt und beherrſcht.</p><lb/> <p>Für das Verſtändnis der neueren politiſchen und volkswirtſchaftlichen Entwicke-<lb/> lung der Kulturvölker iſt es eine Erſcheinung von größter Bedeutung, daß von den<lb/> drei bisher geſchilderten, durch Arbeitsteilung entſtandenen ariſtokratiſchen Gruppen der<lb/> Geſellſchaft die beiden erſteren, die Prieſter und Krieger, wenn nicht verſchwunden, ſo<lb/> doch ihrer Übermacht entkleidet ſind; ihre Berufe dauern in weſentlich anderen geſell-<lb/> ſchaftlichen Formen heute fort. Wohl giebt es noch Staaten mit ſtarker Prieſterſchaft;<lb/> aber die höher civiliſierten, beſonders die proteſtantiſchen, haben eine Geiſtlichkeit, einen<lb/> Lehrerſtand ohne wirtſchaftliche Vorrechte und Übermacht. Wohl giebt es noch Militär-<lb/> ſtaaten, wie Preußen, aber der Offiziersſtand herrſcht nicht, rekrutiert ſich aus allen<lb/> Kreiſen der Gebildeten; die allgemeine Wehrpflicht hat das proletariſche Söldnerberufs-<lb/> heer mit ſeiner einſeitigen Arbeitsteilung abgelöſt.</p><lb/> <p>Die Handelsariſtokratie der Gegenwart konnte und kann nicht ebenſo verſchwinden,<lb/> weil ihre arbeitsteilige Funktion, die Leitung und Regulierung der wirtſchaftlichen Pro-<lb/> duktion, der Verteilung der Güter erſt in den letzten 2—3 Jahrhunderten entſtand und heute<lb/> unentbehrlich iſt. Wäre der Handel aller Zwiſchenhändler ſo entbehrlich, wie die Socialiſten<lb/> meinen, verdienten die kaufmänniſchen Fabrikleiter ihre Gewinne nur mit demſelben<lb/> Rechtstitel wie die Jungen, die über die Mauer ſteigen, um Äpfel zu ſtehlen (Kautsky),<lb/> dann wäre dieſe Handelsariſtokratie auch ſchon verſchwunden. Sie wird bleiben, ſo<lb/> lange ſie am beſten große und wichtige Funktionen der Volkswirtſchaft verſieht. Aber<lb/> ihre einſeitige Herrſchaft wird abnehmen, wie wir eben ſchon andeuteten. —</p><lb/> <p>116. <hi rendition="#g">Die Entſtehung eines Arbeiterſtandes. Sklaverei, Leibeigen-<lb/> ſchaft</hi>. Die drei Gruppen der Geſellſchaft: Prieſter, Krieger, Händler, bleiben die<lb/> Grundtypen aller Ariſtokratie. 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Die neuere Handelsentwickelung, ihre Arbeitsentwickelung und Bedeutung.
geſunde und große Grundariſtokratie, eine ausgebildete Heeres- und Beamtenverfaſſung
iſt, exiſtieren noch ſtarke Gegengewichte, welche ihren monopolartigen Einfluß in der
Volkswirtſchaft und Geſetzgebung, ſowie im Staatsleben im ganzen hemmen, ihren großen
Gewinnen gewiſſe Schranken ſetzen.
Die höhere Schicht der kaufmänniſchen Welt ſtützt ſich auf ihren beweglichen
Kapitalbeſitz, wie die Grundariſtokratie auf ihren Grundbeſitz. Aber es iſt eine ſehr
ſchiefe Auffaſſung, aus dem Kapital an ſich alles heute abzuleiten, was Folge der
techniſchen, geiſtigen und moraliſchen Eigenſchaften der Kaufleute, was das Ergebnis
ihrer Marktkenntnis und -beherrſchung, ihrer Organiſation, ihres teilweiſe vorhandenen
Monopolbeſitzes der Geſchäftsformen und Geſchäftsgeheimniſſe iſt. Ihre Stellung in
der modernen Volkswirtſchaft hat man lange von der günſtigſten Seite, neuerdings unter
dem Eindrucke gewiſſer Mißbräuche und Entartungen, auch unter dem Einfluſſe ſocia-
liſtiſcher Theorien vielfach überwiegend zu ungünſtig be- und verurteilt. Gewiß kann
der habſüchtige Handelsgeiſt entarten, in herrſchſüchtiger Monopolſtellung für Volks-
wirtſchaft und Staat große Gefahren bringen. Aber nie ſollte man dabei überſehen,
daß die arbeitsteilige Ausbildung des Handelsſtandes der Fortſchritt iſt, der unſere
moderne Volks- und Weltwirtſchaft ſchuf. Und ſtets ſollte man ſich klar ſein, daß dieſer
Handelsgeiſt je nach den Menſchen, ihren Gefühlen und Sitten, ihrer Moral und Raſſe
etwas ſehr Verſchiedenes ſein kann. Eine fortſchreitende Verſittlichung der Geſchäftsformen
kann die Auswüchſe des egoiſtiſchen Handelsgeiſtes abſchneiden; ein reeller Geſchäfts-
verkehr, eine ſteigende Ehrlichkeit und Anſtändigkeit in Handel und Wandel kann Platz
greifen; durch Staats- und Kommunalbanken, durch Genoſſenſchaften und Vereine, die
wirtſchaftliche Funktionen übernehmen, teilweiſe auch durch das Aktienweſen und ſeine
Beamten kommt in einen Teil des Geſchäftslebens ein anderer, zugleich auf Geſamt-
intereſſen gerichteter Geiſt. Die großen Organiſationen der Induſtrie und der Land-
wirtſchaft haben ſich teilweiſe ſchon von der Vorherrſchaft des Händlertums befreit.
Alle Gefahren wucheriſcher Ausbeutung der übrigen Volksklaſſen und des Staates durch
die Händler werden in dem Maße zurückgedrängt, wie das ganze Volk die modernen
Handels- und Kreditformen erlernt und beherrſcht.
Für das Verſtändnis der neueren politiſchen und volkswirtſchaftlichen Entwicke-
lung der Kulturvölker iſt es eine Erſcheinung von größter Bedeutung, daß von den
drei bisher geſchilderten, durch Arbeitsteilung entſtandenen ariſtokratiſchen Gruppen der
Geſellſchaft die beiden erſteren, die Prieſter und Krieger, wenn nicht verſchwunden, ſo
doch ihrer Übermacht entkleidet ſind; ihre Berufe dauern in weſentlich anderen geſell-
ſchaftlichen Formen heute fort. Wohl giebt es noch Staaten mit ſtarker Prieſterſchaft;
aber die höher civiliſierten, beſonders die proteſtantiſchen, haben eine Geiſtlichkeit, einen
Lehrerſtand ohne wirtſchaftliche Vorrechte und Übermacht. Wohl giebt es noch Militär-
ſtaaten, wie Preußen, aber der Offiziersſtand herrſcht nicht, rekrutiert ſich aus allen
Kreiſen der Gebildeten; die allgemeine Wehrpflicht hat das proletariſche Söldnerberufs-
heer mit ſeiner einſeitigen Arbeitsteilung abgelöſt.
Die Handelsariſtokratie der Gegenwart konnte und kann nicht ebenſo verſchwinden,
weil ihre arbeitsteilige Funktion, die Leitung und Regulierung der wirtſchaftlichen Pro-
duktion, der Verteilung der Güter erſt in den letzten 2—3 Jahrhunderten entſtand und heute
unentbehrlich iſt. Wäre der Handel aller Zwiſchenhändler ſo entbehrlich, wie die Socialiſten
meinen, verdienten die kaufmänniſchen Fabrikleiter ihre Gewinne nur mit demſelben
Rechtstitel wie die Jungen, die über die Mauer ſteigen, um Äpfel zu ſtehlen (Kautsky),
dann wäre dieſe Handelsariſtokratie auch ſchon verſchwunden. Sie wird bleiben, ſo
lange ſie am beſten große und wichtige Funktionen der Volkswirtſchaft verſieht. Aber
ihre einſeitige Herrſchaft wird abnehmen, wie wir eben ſchon andeuteten. —
116. Die Entſtehung eines Arbeiterſtandes. Sklaverei, Leibeigen-
ſchaft. Die drei Gruppen der Geſellſchaft: Prieſter, Krieger, Händler, bleiben die
Grundtypen aller Ariſtokratie. Die betreffenden Individuen und Geſellſchaftsgruppen
ſteigen durch eigentümliche Kräfte und Vorzüge empor, erreichen durch ſie die größere
Schmoller, Grundriß der Volkswirtſchaftslehre. I. 22
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