Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.Das heutige Arbeitsverhältnis. Größe und Zusammensetzung der Arbeiterklasse. ohne die Post und die Eisenbahn); das waren 1882 23 %, 1895 25 % der Gesamt-bevölkerung. Für Frankreich hat man neuerdings noch die Arbeiter auf 18,3, die Unternehmer auf 21,9 % der Bevölkerung berechnet (Herkner). Für England giebt Webb die männlichen Arbeiter zu 18 % an; mit den Frauen würden sie also wohl über 25 % ausmachen. Eine große Zunahme der Arbeiterbevölkerung ist also von 1800--1900 sicher Das Verhältnis der Lohnarbeiterzahl zur Gesamtbevölkerung giebt überdies auch Im Jahre 1895 kamen in Deutschland in den drei großen Gebieten der Land- [Tabelle] Von dieser hinter der Gesamtbevölkerung um 7--8 Mill. zurückbleibenden Gruppe Unter diesen Arbeitern stecken nun aber über 2 Mill. mithelfende Familienglieder; Auf die Scheidung des Lohnarbeiterstandes in gelernte und ungelernte Arbeiter, in Das heutige Arbeitsverhältnis. Größe und Zuſammenſetzung der Arbeiterklaſſe. ohne die Poſt und die Eiſenbahn); das waren 1882 23 %, 1895 25 % der Geſamt-bevölkerung. Für Frankreich hat man neuerdings noch die Arbeiter auf 18,3, die Unternehmer auf 21,9 % der Bevölkerung berechnet (Herkner). Für England giebt Webb die männlichen Arbeiter zu 18 % an; mit den Frauen würden ſie alſo wohl über 25 % ausmachen. Eine große Zunahme der Arbeiterbevölkerung iſt alſo von 1800—1900 ſicher Das Verhältnis der Lohnarbeiterzahl zur Geſamtbevölkerung giebt überdies auch Im Jahre 1895 kamen in Deutſchland in den drei großen Gebieten der Land- [Tabelle] Von dieſer hinter der Geſamtbevölkerung um 7—8 Mill. zurückbleibenden Gruppe Unter dieſen Arbeitern ſtecken nun aber über 2 Mill. mithelfende Familienglieder; Auf die Scheidung des Lohnarbeiterſtandes in gelernte und ungelernte Arbeiter, in <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0361" n="345"/><fw place="top" type="header">Das heutige Arbeitsverhältnis. Größe und Zuſammenſetzung der Arbeiterklaſſe.</fw><lb/> ohne die Poſt und die Eiſenbahn); das waren 1882 23 %, 1895 25 % der Geſamt-<lb/> bevölkerung. Für Frankreich hat man neuerdings noch die Arbeiter auf 18,<hi rendition="#sub">3</hi>, die<lb/> Unternehmer auf 21,<hi rendition="#sub">9</hi> % der Bevölkerung berechnet (Herkner). Für England giebt Webb<lb/> die männlichen Arbeiter zu 18 % an; mit den Frauen würden ſie alſo wohl über 25 %<lb/> ausmachen.</p><lb/> <p>Eine große Zunahme der Arbeiterbevölkerung iſt alſo von 1800—1900 ſicher<lb/> eingetreten; immer erreicht ſie auch heute noch nicht die relative Zahl der Sklaven oder<lb/> gar der Hörigen früherer Zeiten. Die verſchiedene Zunahme der Zahl der Lohnarbeiter<lb/> in den einzelnen Volkswirtſchaften, die wir hier ſtatiſtiſch nicht weiter verfolgen können,<lb/> wird davon abhängig ſein, wie früh und raſch der kleine Bauern- und Handwerker-<lb/> ſtand abnahm, der Großbetrieb zunahm; im Süden und Oſten Europas wird er alſo<lb/> weniger umfangreich ſein als in England, wo die frühe Vernichtung des Bauernſtandes<lb/> ihn am früheſten anſchwellen ließ. Mag die Erhaltung des Bauernſtandes für jedes<lb/> Land, da und dort auch die längere Erhaltung des kleinen Handwerkers ein Glück ſein,<lb/> im übrigen darf die Zunahme des Lohnarbeiterſtandes nicht unter allen Umſtänden als<lb/> ein ungünſtiges Symptom, als eine Vernichtung des Mittelſtandes, als eine Zunahme<lb/> abhängiger Exiſtenzen gedeutet werden. Sie iſt an ſich ein Zeichen moderner Technik<lb/> und Betriebsverhältniſſe, kann proletariſches Elend, aber auch je nach Zuſammenſetzung,<lb/> Lohn, Arbeitseinrichtungen eine neue Füllung des Mittelſtandes, normale Verhältniſſe<lb/> der unteren Klaſſen bedeuten.</p><lb/> <p>Das Verhältnis der Lohnarbeiterzahl zur Geſamtbevölkerung giebt überdies auch<lb/> ſtatiſtiſch noch keinen erſchöpfenden Aufſchluß über die Bedeutung derſelben gegenüber<lb/> den Unternehmern und über die in ihnen ſtehenden Arbeiterfamilien. Darüber noch<lb/> einige Worte und Zahlen.</p><lb/> <p>Im Jahre 1895 kamen in Deutſchland in den drei großen Gebieten der Land-<lb/> wirtſchaft, der Induſtrie und des Handels nach der Berufszählung:<lb/><table><row><cell/></row></table></p> <p>Von dieſer hinter der Geſamtbevölkerung um 7—8 Mill. zurückbleibenden Gruppe<lb/> der Nation machten alſo die Arbeiter 67,<hi rendition="#sub">8</hi>, mit den Familien 54,<hi rendition="#sub">3</hi> % aus.</p><lb/> <p>Unter dieſen Arbeitern ſtecken nun aber über 2 Mill. mithelfende Familienglieder;<lb/> von ihrer Geſamtzahl ſind 66,<hi rendition="#sub">6</hi> % ledige, 58—60 % jüngere Leute unter 30 Jahren.<lb/> Verheiratete männliche Arbeiter ſind nur 3,<hi rendition="#sub">7</hi> Mill., verheiratete weibliche nur 0,<hi rendition="#sub">8</hi> Mill.,<lb/> zuſammen 4,<hi rendition="#sub">5</hi> Mill. (von den 12,<hi rendition="#sub">8</hi> Mill. Arbeitern) vorhanden; es werden alſo, da<lb/> wohl viele der verheirateten Männer und Frauen derſelben Familie angehörten, nicht<lb/> viel über 4 Mill. Arbeiterfamilien in Deutſchland 1895 auf 11—12 Mill. Familien<lb/> des Reiches exiſtiert haben. Wir ſehen zugleich daraus, daß unter den Geſamtzahlen<lb/> unſerer Arbeiter auch heute noch die jungen ledigen Leute, die unverheirateten, weit<lb/> überwiegen, daß unter ihnen viele Tauſende ſind, die ſpäter in Unternehmer- oder<lb/> andere Stellungen einrücken, dem Mittelſtand, teilweiſe den höheren Klaſſen angehören,<lb/> ſich in andere Kreiſe verheiraten. Unſere heutige Statiſtik muß den Millionärsſohn,<lb/> der als Commis in einem Geſchäfte arbeitet, die Tochter des Bauern, die irgendwo<lb/> dient, ebenſo zum Arbeiterſtande rechnen wie den letzten proletariſchen Arbeiter.</p><lb/> <p>Auf die Scheidung des Lohnarbeiterſtandes in gelernte und ungelernte Arbeiter, in<lb/> eine Hierarchie von Kreiſen, deren obere Beamtenqualität haben oder ſich ihr nahen,<lb/> den liberalen Kreiſen, dem Mittelſtand angehören, ebenſo ſehr geiſtige wie mechaniſche<lb/> Arbeit verrichten, haben wir nicht hier, ſondern anderweit einzugehen. Dieſe Differen-<lb/> zierung des Arbeiterſtandes ſelbſt iſt aber eine der wichtigſten und auch der erfreulichſten<lb/> Erſcheinungen der neueſten volkswirtſchaftlichen Entwickelung.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [345/0361]
Das heutige Arbeitsverhältnis. Größe und Zuſammenſetzung der Arbeiterklaſſe.
ohne die Poſt und die Eiſenbahn); das waren 1882 23 %, 1895 25 % der Geſamt-
bevölkerung. Für Frankreich hat man neuerdings noch die Arbeiter auf 18,3, die
Unternehmer auf 21,9 % der Bevölkerung berechnet (Herkner). Für England giebt Webb
die männlichen Arbeiter zu 18 % an; mit den Frauen würden ſie alſo wohl über 25 %
ausmachen.
Eine große Zunahme der Arbeiterbevölkerung iſt alſo von 1800—1900 ſicher
eingetreten; immer erreicht ſie auch heute noch nicht die relative Zahl der Sklaven oder
gar der Hörigen früherer Zeiten. Die verſchiedene Zunahme der Zahl der Lohnarbeiter
in den einzelnen Volkswirtſchaften, die wir hier ſtatiſtiſch nicht weiter verfolgen können,
wird davon abhängig ſein, wie früh und raſch der kleine Bauern- und Handwerker-
ſtand abnahm, der Großbetrieb zunahm; im Süden und Oſten Europas wird er alſo
weniger umfangreich ſein als in England, wo die frühe Vernichtung des Bauernſtandes
ihn am früheſten anſchwellen ließ. Mag die Erhaltung des Bauernſtandes für jedes
Land, da und dort auch die längere Erhaltung des kleinen Handwerkers ein Glück ſein,
im übrigen darf die Zunahme des Lohnarbeiterſtandes nicht unter allen Umſtänden als
ein ungünſtiges Symptom, als eine Vernichtung des Mittelſtandes, als eine Zunahme
abhängiger Exiſtenzen gedeutet werden. Sie iſt an ſich ein Zeichen moderner Technik
und Betriebsverhältniſſe, kann proletariſches Elend, aber auch je nach Zuſammenſetzung,
Lohn, Arbeitseinrichtungen eine neue Füllung des Mittelſtandes, normale Verhältniſſe
der unteren Klaſſen bedeuten.
Das Verhältnis der Lohnarbeiterzahl zur Geſamtbevölkerung giebt überdies auch
ſtatiſtiſch noch keinen erſchöpfenden Aufſchluß über die Bedeutung derſelben gegenüber
den Unternehmern und über die in ihnen ſtehenden Arbeiterfamilien. Darüber noch
einige Worte und Zahlen.
Im Jahre 1895 kamen in Deutſchland in den drei großen Gebieten der Land-
wirtſchaft, der Induſtrie und des Handels nach der Berufszählung:
Von dieſer hinter der Geſamtbevölkerung um 7—8 Mill. zurückbleibenden Gruppe
der Nation machten alſo die Arbeiter 67,8, mit den Familien 54,3 % aus.
Unter dieſen Arbeitern ſtecken nun aber über 2 Mill. mithelfende Familienglieder;
von ihrer Geſamtzahl ſind 66,6 % ledige, 58—60 % jüngere Leute unter 30 Jahren.
Verheiratete männliche Arbeiter ſind nur 3,7 Mill., verheiratete weibliche nur 0,8 Mill.,
zuſammen 4,5 Mill. (von den 12,8 Mill. Arbeitern) vorhanden; es werden alſo, da
wohl viele der verheirateten Männer und Frauen derſelben Familie angehörten, nicht
viel über 4 Mill. Arbeiterfamilien in Deutſchland 1895 auf 11—12 Mill. Familien
des Reiches exiſtiert haben. Wir ſehen zugleich daraus, daß unter den Geſamtzahlen
unſerer Arbeiter auch heute noch die jungen ledigen Leute, die unverheirateten, weit
überwiegen, daß unter ihnen viele Tauſende ſind, die ſpäter in Unternehmer- oder
andere Stellungen einrücken, dem Mittelſtand, teilweiſe den höheren Klaſſen angehören,
ſich in andere Kreiſe verheiraten. Unſere heutige Statiſtik muß den Millionärsſohn,
der als Commis in einem Geſchäfte arbeitet, die Tochter des Bauern, die irgendwo
dient, ebenſo zum Arbeiterſtande rechnen wie den letzten proletariſchen Arbeiter.
Auf die Scheidung des Lohnarbeiterſtandes in gelernte und ungelernte Arbeiter, in
eine Hierarchie von Kreiſen, deren obere Beamtenqualität haben oder ſich ihr nahen,
den liberalen Kreiſen, dem Mittelſtand angehören, ebenſo ſehr geiſtige wie mechaniſche
Arbeit verrichten, haben wir nicht hier, ſondern anderweit einzugehen. Dieſe Differen-
zierung des Arbeiterſtandes ſelbſt iſt aber eine der wichtigſten und auch der erfreulichſten
Erſcheinungen der neueſten volkswirtſchaftlichen Entwickelung.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |