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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.

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Die Entstehung der Gewerbe. Die handwerksmäßige Arbeitsteilung.
scheinliche ist, daß sie sie von Fremden lernten und durch sie als tapfere Krieger
emporstiegen.

In den homerischen Gesängen tritt zum Schmied und zum Holzarbeiter der Töpfer
und der Lederbearbeiter, der lederne Schläuche, Riemen, Gürtel, Helmbänder fertigt;
das Gerben war Sache der Hauswirtschaft, wie bei uns bis tief ins Mittelalter hinein.
So sind bei allen Völkern, die im Begriff stehen, zu höherer wirtschaftlicher Kultur
überzugehen, nur einige wenige Arten von Gewerbetreibenden vorhanden, die meist noch
ähnlich leben wie die anderen Stammesgenossen, aber nebenher für andere um Entgelt
häufig im Umherziehen thätig sind, sofern sie nicht als Sklaven arbeiten; sie sind nicht
Verkäufer von Waren, sondern von Arbeit, sie sind Lohnwerker. Sie erscheinen je nach
der Schätzung ihrer Kunst teils als gewöhnliche Bürger, teils als Vornehme, wie die
erwähnten germanischen Schmiede oder die geistlichen Baumeister, Glockengießer und
Glasmaler des älteren Mittelalters. Auch als Gemeindebeamte treten sie auf, wie in
Indien oder im ältesten Griechenland.

Eine breitere Ausbildung von arbeitsteiligen Gewerbetreibenden, wie wir sie in
Ägypten schon von 2000 v. Chr., in Indien von 700--800 v. Chr., in Griechenland vom
6. Jahrhundert an, in Rom in der späteren Zeit der Republik, in Deutschland vom
12. und 13. Jahrhundert an beobachten, setzt die Werkzeugtechnik seßhafter Völker, die
Anfänge städtischen Wesens, der Baukunst, der Metallverwendung, der Markteinrichtungen
voraus (vergl. S. 203--205). Fast überall wiederholen sich dieselben Haupthandwerke:
die Bäcker, die Schmiede, die Goldarbeiter, die Zimmerleute, die Wagner, die Kürschner,
die Gerber und Schuhmacher, die Sattler und Riemer, die Tischler, die Töpfer, die
Maurer, die Färber, die Walker, die Kupferschmiede, bald auch die Maler und Metall-
gießer, die Metzger und die Weber. Wie 8 Handwerksarten schon unter König Numa
erwähnt werden, so treffen wir mit der Ausbildung städtischer Kultur fast überall die
10--20 Handwerksberufe, die für Jahrhunderte die breitbesetzten bleiben. Im 13. bis
15. Jahrhundert haben nur wenige Städte über 12--20 anerkannte gewerbliche
Innungen gehabt (Basel 15, Straßburg 20, Magdeburg 12, Danzig 16, Leipzig
und Köln 26, Frankfurt a. M. 1355 14, 1387 20, 1500 28, 1614 40, nur
Wien 1288 50, 1463 66, Lübeck 1474 50, Brügge 1368 59, 1562 72). Freilich
umfaßten einzelne dieser Innungen bereits verschiedene Gewerbe. Wenn man auch die
gewerblichen Berufe besonders zählt, die nur einzelne Vertreter in einer Stadt und
kein Innungsrecht hatten, einschließlich aller Arten persönlicher Gewerbe, wie Barbiere,
Musiker, Tänzer, Lastträger, Messer etc., so ist 200--500 Jahre nach den Anfängen
städtischer Arbeitsteilung die Zahl der zu unterscheidenden Berufe schon nach Hunderten
zu schätzen. Für das spätere Ägypten und Griechenland ist uns das ebenso bezeugt
wie für Rom in der Kaiserzeit. Der im Codex Theodosianus aufgeführten aristokratischen
Handwerke, die von den sordidis muneribus 337 n. Chr. befreit werden, sind es
allein 35. Für Wien im Jahre 1463 hat Feil schon gegen 100, für Frankfurt 1387
Bücher 148, 1440 191, bis gegen 1500 gegen 300 Arten, für Rostock 1594 Paasche
180 Arten von überwiegend gewerblichen Berufen nachgewiesen. Nach Geering sind in
Basel (14.--15. Jahrhundert) in der Safranzunft allein gegen 100 verschiedene Berufs-
arten. Und in der Renaissancezeit sowie im 17. und 18. Jahrhundert steigt diese Zahl
noch. Bratring zählt für die brandenburgischen Städte 1801 467 verschiedene Berufs-
arten, von denen drei Viertel etwa gewerbliche sind, während für China die Zahl der
Gewerbszweige neuerdings von kundiger Seite auf etwa 350 geschätzt wird. Für die
kleine bayerische Stadt Landsberg hat Krallinger nachgewiesen, daß sie 1643 42, 1702
60, 1792 70, 1883 100 Arten von Gewerbetreibenden hatte. Die Zahl der zünftigen
Gewerbe hat in den einzelnen deutschen Städten und Ländern im 18. Jahrhundert
zwischen 25 und 80--100 geschwankt, so daß überall daneben eine große Zahl unzünftiger
freilich viel weniger besetzter vorhanden war. Für Paris weist Savary 1760 120
eigentliche Gewerbekorporationen nach.

Wir können die ganze gewerbliche Arbeitsteilung dieser Zeit als die Epoche der
handwerksmäßigen Berufs- und Produktionsteilung
bezeichnen. Sind

Die Entſtehung der Gewerbe. Die handwerksmäßige Arbeitsteilung.
ſcheinliche iſt, daß ſie ſie von Fremden lernten und durch ſie als tapfere Krieger
emporſtiegen.

In den homeriſchen Geſängen tritt zum Schmied und zum Holzarbeiter der Töpfer
und der Lederbearbeiter, der lederne Schläuche, Riemen, Gürtel, Helmbänder fertigt;
das Gerben war Sache der Hauswirtſchaft, wie bei uns bis tief ins Mittelalter hinein.
So ſind bei allen Völkern, die im Begriff ſtehen, zu höherer wirtſchaftlicher Kultur
überzugehen, nur einige wenige Arten von Gewerbetreibenden vorhanden, die meiſt noch
ähnlich leben wie die anderen Stammesgenoſſen, aber nebenher für andere um Entgelt
häufig im Umherziehen thätig ſind, ſofern ſie nicht als Sklaven arbeiten; ſie ſind nicht
Verkäufer von Waren, ſondern von Arbeit, ſie ſind Lohnwerker. Sie erſcheinen je nach
der Schätzung ihrer Kunſt teils als gewöhnliche Bürger, teils als Vornehme, wie die
erwähnten germaniſchen Schmiede oder die geiſtlichen Baumeiſter, Glockengießer und
Glasmaler des älteren Mittelalters. Auch als Gemeindebeamte treten ſie auf, wie in
Indien oder im älteſten Griechenland.

Eine breitere Ausbildung von arbeitsteiligen Gewerbetreibenden, wie wir ſie in
Ägypten ſchon von 2000 v. Chr., in Indien von 700—800 v. Chr., in Griechenland vom
6. Jahrhundert an, in Rom in der ſpäteren Zeit der Republik, in Deutſchland vom
12. und 13. Jahrhundert an beobachten, ſetzt die Werkzeugtechnik ſeßhafter Völker, die
Anfänge ſtädtiſchen Weſens, der Baukunſt, der Metallverwendung, der Markteinrichtungen
voraus (vergl. S. 203—205). Faſt überall wiederholen ſich dieſelben Haupthandwerke:
die Bäcker, die Schmiede, die Goldarbeiter, die Zimmerleute, die Wagner, die Kürſchner,
die Gerber und Schuhmacher, die Sattler und Riemer, die Tiſchler, die Töpfer, die
Maurer, die Färber, die Walker, die Kupferſchmiede, bald auch die Maler und Metall-
gießer, die Metzger und die Weber. Wie 8 Handwerksarten ſchon unter König Numa
erwähnt werden, ſo treffen wir mit der Ausbildung ſtädtiſcher Kultur faſt überall die
10—20 Handwerksberufe, die für Jahrhunderte die breitbeſetzten bleiben. Im 13. bis
15. Jahrhundert haben nur wenige Städte über 12—20 anerkannte gewerbliche
Innungen gehabt (Baſel 15, Straßburg 20, Magdeburg 12, Danzig 16, Leipzig
und Köln 26, Frankfurt a. M. 1355 14, 1387 20, 1500 28, 1614 40, nur
Wien 1288 50, 1463 66, Lübeck 1474 50, Brügge 1368 59, 1562 72). Freilich
umfaßten einzelne dieſer Innungen bereits verſchiedene Gewerbe. Wenn man auch die
gewerblichen Berufe beſonders zählt, die nur einzelne Vertreter in einer Stadt und
kein Innungsrecht hatten, einſchließlich aller Arten perſönlicher Gewerbe, wie Barbiere,
Muſiker, Tänzer, Laſtträger, Meſſer ꝛc., ſo iſt 200—500 Jahre nach den Anfängen
ſtädtiſcher Arbeitsteilung die Zahl der zu unterſcheidenden Berufe ſchon nach Hunderten
zu ſchätzen. Für das ſpätere Ägypten und Griechenland iſt uns das ebenſo bezeugt
wie für Rom in der Kaiſerzeit. Der im Codex Theodoſianus aufgeführten ariſtokratiſchen
Handwerke, die von den sordidis muneribus 337 n. Chr. befreit werden, ſind es
allein 35. Für Wien im Jahre 1463 hat Feil ſchon gegen 100, für Frankfurt 1387
Bücher 148, 1440 191, bis gegen 1500 gegen 300 Arten, für Roſtock 1594 Paaſche
180 Arten von überwiegend gewerblichen Berufen nachgewieſen. Nach Geering ſind in
Baſel (14.—15. Jahrhundert) in der Safranzunft allein gegen 100 verſchiedene Berufs-
arten. Und in der Renaiſſancezeit ſowie im 17. und 18. Jahrhundert ſteigt dieſe Zahl
noch. Bratring zählt für die brandenburgiſchen Städte 1801 467 verſchiedene Berufs-
arten, von denen drei Viertel etwa gewerbliche ſind, während für China die Zahl der
Gewerbszweige neuerdings von kundiger Seite auf etwa 350 geſchätzt wird. Für die
kleine bayeriſche Stadt Landsberg hat Krallinger nachgewieſen, daß ſie 1643 42, 1702
60, 1792 70, 1883 100 Arten von Gewerbetreibenden hatte. Die Zahl der zünftigen
Gewerbe hat in den einzelnen deutſchen Städten und Ländern im 18. Jahrhundert
zwiſchen 25 und 80—100 geſchwankt, ſo daß überall daneben eine große Zahl unzünftiger
freilich viel weniger beſetzter vorhanden war. Für Paris weiſt Savary 1760 120
eigentliche Gewerbekorporationen nach.

Wir können die ganze gewerbliche Arbeitsteilung dieſer Zeit als die Epoche der
handwerksmäßigen Berufs- und Produktionsteilung
bezeichnen. Sind

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[349/0365] Die Entſtehung der Gewerbe. Die handwerksmäßige Arbeitsteilung. ſcheinliche iſt, daß ſie ſie von Fremden lernten und durch ſie als tapfere Krieger emporſtiegen. In den homeriſchen Geſängen tritt zum Schmied und zum Holzarbeiter der Töpfer und der Lederbearbeiter, der lederne Schläuche, Riemen, Gürtel, Helmbänder fertigt; das Gerben war Sache der Hauswirtſchaft, wie bei uns bis tief ins Mittelalter hinein. So ſind bei allen Völkern, die im Begriff ſtehen, zu höherer wirtſchaftlicher Kultur überzugehen, nur einige wenige Arten von Gewerbetreibenden vorhanden, die meiſt noch ähnlich leben wie die anderen Stammesgenoſſen, aber nebenher für andere um Entgelt häufig im Umherziehen thätig ſind, ſofern ſie nicht als Sklaven arbeiten; ſie ſind nicht Verkäufer von Waren, ſondern von Arbeit, ſie ſind Lohnwerker. Sie erſcheinen je nach der Schätzung ihrer Kunſt teils als gewöhnliche Bürger, teils als Vornehme, wie die erwähnten germaniſchen Schmiede oder die geiſtlichen Baumeiſter, Glockengießer und Glasmaler des älteren Mittelalters. Auch als Gemeindebeamte treten ſie auf, wie in Indien oder im älteſten Griechenland. Eine breitere Ausbildung von arbeitsteiligen Gewerbetreibenden, wie wir ſie in Ägypten ſchon von 2000 v. Chr., in Indien von 700—800 v. Chr., in Griechenland vom 6. Jahrhundert an, in Rom in der ſpäteren Zeit der Republik, in Deutſchland vom 12. und 13. Jahrhundert an beobachten, ſetzt die Werkzeugtechnik ſeßhafter Völker, die Anfänge ſtädtiſchen Weſens, der Baukunſt, der Metallverwendung, der Markteinrichtungen voraus (vergl. S. 203—205). Faſt überall wiederholen ſich dieſelben Haupthandwerke: die Bäcker, die Schmiede, die Goldarbeiter, die Zimmerleute, die Wagner, die Kürſchner, die Gerber und Schuhmacher, die Sattler und Riemer, die Tiſchler, die Töpfer, die Maurer, die Färber, die Walker, die Kupferſchmiede, bald auch die Maler und Metall- gießer, die Metzger und die Weber. Wie 8 Handwerksarten ſchon unter König Numa erwähnt werden, ſo treffen wir mit der Ausbildung ſtädtiſcher Kultur faſt überall die 10—20 Handwerksberufe, die für Jahrhunderte die breitbeſetzten bleiben. Im 13. bis 15. Jahrhundert haben nur wenige Städte über 12—20 anerkannte gewerbliche Innungen gehabt (Baſel 15, Straßburg 20, Magdeburg 12, Danzig 16, Leipzig und Köln 26, Frankfurt a. M. 1355 14, 1387 20, 1500 28, 1614 40, nur Wien 1288 50, 1463 66, Lübeck 1474 50, Brügge 1368 59, 1562 72). Freilich umfaßten einzelne dieſer Innungen bereits verſchiedene Gewerbe. Wenn man auch die gewerblichen Berufe beſonders zählt, die nur einzelne Vertreter in einer Stadt und kein Innungsrecht hatten, einſchließlich aller Arten perſönlicher Gewerbe, wie Barbiere, Muſiker, Tänzer, Laſtträger, Meſſer ꝛc., ſo iſt 200—500 Jahre nach den Anfängen ſtädtiſcher Arbeitsteilung die Zahl der zu unterſcheidenden Berufe ſchon nach Hunderten zu ſchätzen. Für das ſpätere Ägypten und Griechenland iſt uns das ebenſo bezeugt wie für Rom in der Kaiſerzeit. Der im Codex Theodoſianus aufgeführten ariſtokratiſchen Handwerke, die von den sordidis muneribus 337 n. Chr. befreit werden, ſind es allein 35. Für Wien im Jahre 1463 hat Feil ſchon gegen 100, für Frankfurt 1387 Bücher 148, 1440 191, bis gegen 1500 gegen 300 Arten, für Roſtock 1594 Paaſche 180 Arten von überwiegend gewerblichen Berufen nachgewieſen. Nach Geering ſind in Baſel (14.—15. Jahrhundert) in der Safranzunft allein gegen 100 verſchiedene Berufs- arten. Und in der Renaiſſancezeit ſowie im 17. und 18. Jahrhundert ſteigt dieſe Zahl noch. Bratring zählt für die brandenburgiſchen Städte 1801 467 verſchiedene Berufs- arten, von denen drei Viertel etwa gewerbliche ſind, während für China die Zahl der Gewerbszweige neuerdings von kundiger Seite auf etwa 350 geſchätzt wird. Für die kleine bayeriſche Stadt Landsberg hat Krallinger nachgewieſen, daß ſie 1643 42, 1702 60, 1792 70, 1883 100 Arten von Gewerbetreibenden hatte. Die Zahl der zünftigen Gewerbe hat in den einzelnen deutſchen Städten und Ländern im 18. Jahrhundert zwiſchen 25 und 80—100 geſchwankt, ſo daß überall daneben eine große Zahl unzünftiger freilich viel weniger beſetzter vorhanden war. Für Paris weiſt Savary 1760 120 eigentliche Gewerbekorporationen nach. Wir können die ganze gewerbliche Arbeitsteilung dieſer Zeit als die Epoche der handwerksmäßigen Berufs- und Produktionsteilung bezeichnen. Sind

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 349. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/365>, abgerufen am 22.11.2024.