Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.Die vier Formen gesellschaftlicher Ordnung der Arbeitsteilung. ausgebildet; der Individualismus stand nicht hindernd im Wege. Heute ist diese Artder Organisation wohl in der Familie noch leicht zu ermöglichen, aber wo sie über dieselbe hinausreicht, ist die Durchführung nur mit schärfster Disciplin möglich. Die zunehmende Abneigung der modernen Menschen, sich von oben nicht bloß die Arbeit und die Hausordnung, sondern auch Kleidung, Essen und Trinken und jede Bewegung vorschreiben zu lassen, erschwert die Bildung solcher Verbände. Und wir sehen daher, daß diese Form, zumal seit dem Siege der Geldwirtschaft, immer mehr verlassen wird. Die nötige Unterordnung unter eine strenge Arbeits- und Hausordnung wird heute wohl noch von der Jugend in Erziehungshäusern und Kasernen, von frommen Mönchen in Klöstern, von Armen in Armenhäusern, von Verbrechern in Zuchthäusern ertragen, im übrigen können nur utopische Schwärmer davon träumen, die ganze Volkswirtschaft unter Aufhebung des Geldverkehrs aus solchen Verbänden aufzubauen oder gar ein Volk von Millionen wieder in einen einzigen solchen naturalwirtschaftlichen Verband zu verwandeln. b) Wo Gemeinde, Stamm und Staat mit der Seßhaftigkeit, der Priester- und c) In dem Maße, wie die Geldwirtschaft vordringt, hört nicht bloß der Natural- d) Der Haupterfolg der Geldwirtschaft aber ist die Verwandlung des Tausch- Die vier Formen geſellſchaftlicher Ordnung der Arbeitsteilung. ausgebildet; der Individualismus ſtand nicht hindernd im Wege. Heute iſt dieſe Artder Organiſation wohl in der Familie noch leicht zu ermöglichen, aber wo ſie über dieſelbe hinausreicht, iſt die Durchführung nur mit ſchärfſter Disciplin möglich. Die zunehmende Abneigung der modernen Menſchen, ſich von oben nicht bloß die Arbeit und die Hausordnung, ſondern auch Kleidung, Eſſen und Trinken und jede Bewegung vorſchreiben zu laſſen, erſchwert die Bildung ſolcher Verbände. Und wir ſehen daher, daß dieſe Form, zumal ſeit dem Siege der Geldwirtſchaft, immer mehr verlaſſen wird. Die nötige Unterordnung unter eine ſtrenge Arbeits- und Hausordnung wird heute wohl noch von der Jugend in Erziehungshäuſern und Kaſernen, von frommen Mönchen in Klöſtern, von Armen in Armenhäuſern, von Verbrechern in Zuchthäuſern ertragen, im übrigen können nur utopiſche Schwärmer davon träumen, die ganze Volkswirtſchaft unter Aufhebung des Geldverkehrs aus ſolchen Verbänden aufzubauen oder gar ein Volk von Millionen wieder in einen einzigen ſolchen naturalwirtſchaftlichen Verband zu verwandeln. b) Wo Gemeinde, Stamm und Staat mit der Seßhaftigkeit, der Prieſter- und c) In dem Maße, wie die Geldwirtſchaft vordringt, hört nicht bloß der Natural- d) Der Haupterfolg der Geldwirtſchaft aber iſt die Verwandlung des Tauſch- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0377" n="361"/><fw place="top" type="header">Die vier Formen geſellſchaftlicher Ordnung der Arbeitsteilung.</fw><lb/> ausgebildet; der Individualismus ſtand nicht hindernd im Wege. 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Ein<lb/> erheblicher Teil der älteren Arbeitsteilung und Klaſſenordnung ruht auf einem ſolchen<lb/> Syſteme, das in ſeiner Entſtehung ſtets vorausſetzt, daß die ſo Ausgeſtatteten ihre Kräfte<lb/> dem Ganzen widmen. Aber es fehlt in der Regel die Kontrolle der Leiſtungen, und<lb/> daher tritt ſo leicht die Entartung zu einer Ariſtokratie des Beſitzes ein, die nur ver-<lb/> zehren und genießen, höchſtens herrſchen, aber nicht mehr arbeiten will.</p><lb/> <p><hi rendition="#aq">c</hi>) In dem Maße, wie die Geldwirtſchaft vordringt, hört nicht bloß der Natural-<lb/> tauſch auf, ſondern werden auch die eben erwähnten Formen der herrſchaftlichen Organi-<lb/> ſation und der Dotierung mit Land und Naturalabgaben nach und nach beſeitigt. Der<lb/> Staat und die Korporationen ſammeln nun Vermögen oder legen Steuern um und<lb/> erhalten ſo die Geldmittel, um für beſtimmte ſpecialiſierte Berufe Leute feſt anzuſtellen<lb/> und zu beſolden: Geiſtliche, Beamte, Offiziere, Soldaten, Lehrer, oft auch Ärzte und<lb/> andere Perſonen verpflichten ſich, gegen feſte Jahresgehalte beſtimmte arbeitsteilige<lb/> Thätigkeiten zu übernehmen; neuerdings ſtellen auch Privatunternehmungen und Aktien-<lb/> geſellſchaften Hunderte und Tauſende ſo an. Im ganzen findet dieſe Form mehr in<lb/> den oberen Schichten der Geſellſchaft ihre Anwendung. Immer iſt heute bereits ein<lb/> ſehr großer Teil der arbeitsteilig thätigen Geſellſchaft in dieſer Weiſe eingegliedert in<lb/> den Zuſammenhang der Volkswirtſchaft. Die Bezahlung durch Jahresgehalte ſetzt ein<lb/> gleichmäßiges Bedürfnis nach den Leiſtungen, durch Sitte und Recht geordnete Carrieren<lb/> und eine ſtete Beaufſichtigung der Leiſtungen voraus. Da die Kontrollen aber ſtets<lb/> ſehr ſchwierig ſind, ſo wird das Syſtem leicht zu Faulheit und Schlendrian Anlaß<lb/> geben; es wird in den unteren Klaſſen der Geſellſchaft ohne eiſerne Disciplin nicht leicht<lb/> beſtehen können; für die mittleren und oberen kann dieſe wenigſtens teilweiſe erſetzt<lb/> werden durch ein hochgeſpanntes Ehr- und Pflichtgefühl, durch das Bewußtſein größerer<lb/> Verantwortung und ſteter Kontrolle durch die Öffentlichkeit. Das Syſtem hat vor der<lb/> naturalwirtſchaftlichen Eingliederung in einen Herrſchaftsverband den Vorzug, die weit-<lb/> gehendſte Arbeitsteilung möglich zu machen bei größter Freiheit des Familien- und des<lb/> individuellen Lebens in den dienſtfreien Stunden. Vor der Bezahlung der einzelnen<lb/> Ware oder Leiſtung hat es den Vorzug, den Angeſtellten vor den täglichen Schwan-<lb/> kungen des Marktes zu bewahren, aber den Nachteil, weniger zu Fleiß und Anſtrengung<lb/> anzuſpornen, Leiſtung und Belohnung unvollkommener einander anzupaſſen.</p><lb/> <p><hi rendition="#aq">d</hi>) Der Haupterfolg der Geldwirtſchaft aber iſt die Verwandlung des Tauſch-<lb/> verkehrs in das Kauf- und Verkaufsgeſchäft, der älteren gebundenen Arbeitsverhältniſſe<lb/> in das jederzeit lösbare Geldlohnverhältnis: die Produktion der Waren für den Markt<lb/> und der daran ſich ſchließende Warenhandel, ſowie die freien Arbeitsverträge über die<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [361/0377]
Die vier Formen geſellſchaftlicher Ordnung der Arbeitsteilung.
ausgebildet; der Individualismus ſtand nicht hindernd im Wege. Heute iſt dieſe Art
der Organiſation wohl in der Familie noch leicht zu ermöglichen, aber wo ſie über
dieſelbe hinausreicht, iſt die Durchführung nur mit ſchärfſter Disciplin möglich. Die
zunehmende Abneigung der modernen Menſchen, ſich von oben nicht bloß die Arbeit
und die Hausordnung, ſondern auch Kleidung, Eſſen und Trinken und jede Bewegung
vorſchreiben zu laſſen, erſchwert die Bildung ſolcher Verbände. Und wir ſehen daher,
daß dieſe Form, zumal ſeit dem Siege der Geldwirtſchaft, immer mehr verlaſſen wird.
Die nötige Unterordnung unter eine ſtrenge Arbeits- und Hausordnung wird heute wohl
noch von der Jugend in Erziehungshäuſern und Kaſernen, von frommen Mönchen in
Klöſtern, von Armen in Armenhäuſern, von Verbrechern in Zuchthäuſern ertragen, im
übrigen können nur utopiſche Schwärmer davon träumen, die ganze Volkswirtſchaft
unter Aufhebung des Geldverkehrs aus ſolchen Verbänden aufzubauen oder gar ein
Volk von Millionen wieder in einen einzigen ſolchen naturalwirtſchaftlichen Verband zu
verwandeln.
b) Wo Gemeinde, Stamm und Staat mit der Seßhaftigkeit, der Prieſter- und
Kriegerverfaſſung und einem geordneten Ackerbau mit Sklaven und Hörigen zu einer
feſten, geordneten Organiſation, zur Sammlung von Vorräten, zur Erhebung von
Zehnten und Derartigem gelangen, da wird es möglich, ariſtokratiſche Familien mit
Land und abhängigen Arbeitern, ſowie mit Zehnten zu dotieren, auch Beamte, unter
Umſtänden Handwerker mit periodiſch zu erhebenden Naturalabgaben auszuſtatten. Ein
erheblicher Teil der älteren Arbeitsteilung und Klaſſenordnung ruht auf einem ſolchen
Syſteme, das in ſeiner Entſtehung ſtets vorausſetzt, daß die ſo Ausgeſtatteten ihre Kräfte
dem Ganzen widmen. Aber es fehlt in der Regel die Kontrolle der Leiſtungen, und
daher tritt ſo leicht die Entartung zu einer Ariſtokratie des Beſitzes ein, die nur ver-
zehren und genießen, höchſtens herrſchen, aber nicht mehr arbeiten will.
c) In dem Maße, wie die Geldwirtſchaft vordringt, hört nicht bloß der Natural-
tauſch auf, ſondern werden auch die eben erwähnten Formen der herrſchaftlichen Organi-
ſation und der Dotierung mit Land und Naturalabgaben nach und nach beſeitigt. Der
Staat und die Korporationen ſammeln nun Vermögen oder legen Steuern um und
erhalten ſo die Geldmittel, um für beſtimmte ſpecialiſierte Berufe Leute feſt anzuſtellen
und zu beſolden: Geiſtliche, Beamte, Offiziere, Soldaten, Lehrer, oft auch Ärzte und
andere Perſonen verpflichten ſich, gegen feſte Jahresgehalte beſtimmte arbeitsteilige
Thätigkeiten zu übernehmen; neuerdings ſtellen auch Privatunternehmungen und Aktien-
geſellſchaften Hunderte und Tauſende ſo an. Im ganzen findet dieſe Form mehr in
den oberen Schichten der Geſellſchaft ihre Anwendung. Immer iſt heute bereits ein
ſehr großer Teil der arbeitsteilig thätigen Geſellſchaft in dieſer Weiſe eingegliedert in
den Zuſammenhang der Volkswirtſchaft. Die Bezahlung durch Jahresgehalte ſetzt ein
gleichmäßiges Bedürfnis nach den Leiſtungen, durch Sitte und Recht geordnete Carrieren
und eine ſtete Beaufſichtigung der Leiſtungen voraus. Da die Kontrollen aber ſtets
ſehr ſchwierig ſind, ſo wird das Syſtem leicht zu Faulheit und Schlendrian Anlaß
geben; es wird in den unteren Klaſſen der Geſellſchaft ohne eiſerne Disciplin nicht leicht
beſtehen können; für die mittleren und oberen kann dieſe wenigſtens teilweiſe erſetzt
werden durch ein hochgeſpanntes Ehr- und Pflichtgefühl, durch das Bewußtſein größerer
Verantwortung und ſteter Kontrolle durch die Öffentlichkeit. Das Syſtem hat vor der
naturalwirtſchaftlichen Eingliederung in einen Herrſchaftsverband den Vorzug, die weit-
gehendſte Arbeitsteilung möglich zu machen bei größter Freiheit des Familien- und des
individuellen Lebens in den dienſtfreien Stunden. Vor der Bezahlung der einzelnen
Ware oder Leiſtung hat es den Vorzug, den Angeſtellten vor den täglichen Schwan-
kungen des Marktes zu bewahren, aber den Nachteil, weniger zu Fleiß und Anſtrengung
anzuſpornen, Leiſtung und Belohnung unvollkommener einander anzupaſſen.
d) Der Haupterfolg der Geldwirtſchaft aber iſt die Verwandlung des Tauſch-
verkehrs in das Kauf- und Verkaufsgeſchäft, der älteren gebundenen Arbeitsverhältniſſe
in das jederzeit lösbare Geldlohnverhältnis: die Produktion der Waren für den Markt
und der daran ſich ſchließende Warenhandel, ſowie die freien Arbeitsverträge über die
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