Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.Zweites Buch. Die gesellschaftliche Verfassung der Volkswirtschaft. einzelnen Arbeitsleistungen werden das Instrument, die Arbeitsteilung in größeremMaßstabe als je früher durchzuführen. Das System ist einer geographischen Aus- dehnung, einer qualitativen Steigerung, einer Verfeinerung fähig, wie keine der anderen Formen. Auf Grund desselben haben sich Landwirtschaft und Gewerbe, Handel und Verkehr in ihrer heutigen specialisierten Gestaltung ausgebildet. Die bisherige National- ökonomie hat an diese Form fast ausschließlich gedacht, wenn sie von der Arbeitsteilung und ihren Bedingungen sprach. Daher die bekannten Sätze: die Ausdehnung des Marktes sei die Grenze der Arbeitsteilung, die höchste Arbeitsteilung finde statt bei der Produktion der transportabelsten Waren, deren Markt über die ganze Erde sich erstrecke; größere Arbeitsteilung in der Stadt als auf dem Dorfe, in der dichtbevölkerten als in der sparsam bevölkerten Gegend, im Lande mit Flüssen, Kanälen und Eisenbahnen als in dem mit schlechten Landwegen; größere Arbeitsteilung im Gewerbe als in der Land- wirtschaft mit ihren schwer transportablen Waren. Kurz die Lehre: der Verkehr und seine Ausbildung sei das große Schwungrad für die Ausbildung der Arbeitsteilung. Der Markt, die Börse, das Maß-, Gewichts- und Geldwesen, die Unternehmung, Die Resultate dieser Art der Arbeitsteilung sind bald über alle Maßen verherrlicht, Neben den neuen Institutionen, welche die Arbeitsteilung ermöglichen, kommen Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft. einzelnen Arbeitsleiſtungen werden das Inſtrument, die Arbeitsteilung in größeremMaßſtabe als je früher durchzuführen. Das Syſtem iſt einer geographiſchen Aus- dehnung, einer qualitativen Steigerung, einer Verfeinerung fähig, wie keine der anderen Formen. Auf Grund desſelben haben ſich Landwirtſchaft und Gewerbe, Handel und Verkehr in ihrer heutigen ſpecialiſierten Geſtaltung ausgebildet. Die bisherige National- ökonomie hat an dieſe Form faſt ausſchließlich gedacht, wenn ſie von der Arbeitsteilung und ihren Bedingungen ſprach. Daher die bekannten Sätze: die Ausdehnung des Marktes ſei die Grenze der Arbeitsteilung, die höchſte Arbeitsteilung finde ſtatt bei der Produktion der transportabelſten Waren, deren Markt über die ganze Erde ſich erſtrecke; größere Arbeitsteilung in der Stadt als auf dem Dorfe, in der dichtbevölkerten als in der ſparſam bevölkerten Gegend, im Lande mit Flüſſen, Kanälen und Eiſenbahnen als in dem mit ſchlechten Landwegen; größere Arbeitsteilung im Gewerbe als in der Land- wirtſchaft mit ihren ſchwer transportablen Waren. Kurz die Lehre: der Verkehr und ſeine Ausbildung ſei das große Schwungrad für die Ausbildung der Arbeitsteilung. Der Markt, die Börſe, das Maß-, Gewichts- und Geldweſen, die Unternehmung, Die Reſultate dieſer Art der Arbeitsteilung ſind bald über alle Maßen verherrlicht, Neben den neuen Inſtitutionen, welche die Arbeitsteilung ermöglichen, kommen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0378" n="362"/><fw place="top" type="header">Zweites Buch. 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Angebot und Nachfrage ſowie Preisbildung ſind die<lb/> ſocialen Hülfsmittel, um die Cirkulation der Güter und Arbeitsleiſtungen in Bewegung<lb/> zu halten. Von all’ dieſen Erſcheinungen iſt an anderen Orten zu reden.</p><lb/> <p>Die Reſultate dieſer Art der Arbeitsteilung ſind bald über alle Maßen verherrlicht,<lb/> bald maßlos angegriffen worden. Sicher iſt, daß durch dieſe Arbeitsteilung die Indi-<lb/> viduen bei ſteigender Thätigkeit für andere doch unabhängiger von einander werden, daß<lb/> die höhere wirtſchaftliche und ſittliche Entwickelung der Individualität mit ihr in Ver-<lb/> bindung ſteht, daß ſie aber auch die Menſchen zunächſt trennt und in ſcharfe Konflikte<lb/> und Intereſſengegenſätze hineinführt, daß die Ausbildung der richtigen Inſtitutionen,<lb/> Gefühle und Sitten ſo viel Schwierigkeiten macht, daß die richtigen Grenzen und<lb/> Gegengewichte gegen übermäßige Arbeitsteilung hier oft lange nicht gefunden werden.<lb/> Wenn dieſe Form der Arbeitsteilung alſo auch bei vollendeter Ausbildung einerſeits<lb/> freie Bewegung und Wegfall von Zwangsmaßregeln, andererſeits eine im ganzen<lb/> zunehmende Gerechtigkeit der Einkommensverteilung herbeiführt oder wenigſtens nicht<lb/> ausſchließt, ſo iſt doch der allgemeine Satz Dürkheims, daß die zunehmende Arbeits-<lb/> teilung ſtets wachſende Solidarität bedeute, nur beſchränkt wahr; das iſt mehr eine<lb/> ideale Möglichkeit als eine Wirklichkeit, wenigſtens für unſere heutige ſich umbildende,<lb/> an Kriſen und Verkümmerung großer ſocialer Klaſſen leidende Volkswirtſchaft. Und<lb/> daß dieſe Mißſtände mit der Arbeitsteilung, mit den aus ihr entſprungenen Inſtitutionen<lb/> entſtanden ſind, wird man nicht leugnen können. Es fragt ſich nur, ob dieſe Übel-<lb/> ſtände nicht doch gegenüber den älteren und anderen Rechtsformen der Arbeitsteilung<lb/> und ihren Härten die geringeren, ob ſie nicht zu beſeitigen ſind. Und jedenfalls wird<lb/> jede denkbare Organiſation der Volkswirtſchaft aus einer irgendwie vollzogenen Miſchung<lb/> der vier erwähnten Formen haushalten müſſen. —</p><lb/> <p>Neben den neuen Inſtitutionen, welche die Arbeitsteilung ermöglichen, kommen<lb/> nun als letzte Vorbedingung derſelben die Veränderungen im ganzen Seelenleben der<lb/> Menſchen. Die Menſchen ohne weſentliche Arbeitsteilung werden wirtſchaftlich durch das<lb/> einfache Motiv, ihren Bedarf zu decken, beherrſcht und direkt geleitet; die Intereſſen-<lb/> gegenſätze ſind geringer, Habſucht und Erwerbsſinn fehlen; in Hauswirtſchaft, Sippe,<lb/> Stamm, Gemeinde, Staat entſtehen in ſolcher Zeit unſchwer die verbindenden ſympa-<lb/> thiſchen Gefühle, ohne welche die Geſellſchaft nicht beſtehen kann. Mit der Arbeitsteilung<lb/> hört die klare, einfache Leitung des wirtſchaftlichen Handelns nach dem Bedarfe auf; jeder<lb/> muß nun, ſtatt direkt auf die wirtſchaftliche Verſorgung loszugehen, nach Arbeits-<lb/> gelegenheit, Abſatz, Gewinn, Verdienſt ſich umſehen, darum mit anderen kämpfen; der<lb/> Erwerbsſinn, die Konkurrenzleidenſchaft entſteht bei den oberen Kreiſen; die unteren<lb/> ſollen für ferne, ihnen unverſtändliche Zwecke arbeiten, was ſie lange nur gezwungen,<lb/> durch Not und Hunger getrieben thun. In jedes individuelle Leben zieht nun ein<lb/> kompliziertes Syſtem von wirtſchaftlichen Motiven ein: Hunger und Durſt, die Vor-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [362/0378]
Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft.
einzelnen Arbeitsleiſtungen werden das Inſtrument, die Arbeitsteilung in größerem
Maßſtabe als je früher durchzuführen. Das Syſtem iſt einer geographiſchen Aus-
dehnung, einer qualitativen Steigerung, einer Verfeinerung fähig, wie keine der anderen
Formen. Auf Grund desſelben haben ſich Landwirtſchaft und Gewerbe, Handel und
Verkehr in ihrer heutigen ſpecialiſierten Geſtaltung ausgebildet. Die bisherige National-
ökonomie hat an dieſe Form faſt ausſchließlich gedacht, wenn ſie von der Arbeitsteilung
und ihren Bedingungen ſprach. Daher die bekannten Sätze: die Ausdehnung des Marktes
ſei die Grenze der Arbeitsteilung, die höchſte Arbeitsteilung finde ſtatt bei der Produktion
der transportabelſten Waren, deren Markt über die ganze Erde ſich erſtrecke; größere
Arbeitsteilung in der Stadt als auf dem Dorfe, in der dichtbevölkerten als in der
ſparſam bevölkerten Gegend, im Lande mit Flüſſen, Kanälen und Eiſenbahnen als in
dem mit ſchlechten Landwegen; größere Arbeitsteilung im Gewerbe als in der Land-
wirtſchaft mit ihren ſchwer transportablen Waren. Kurz die Lehre: der Verkehr und
ſeine Ausbildung ſei das große Schwungrad für die Ausbildung der Arbeitsteilung.
Der Markt, die Börſe, das Maß-, Gewichts- und Geldweſen, die Unternehmung,
das Arbeitsvertragsrecht ſind die ſocialen Inſtitutionen, die zur Verwirklichung dieſer
Art von Arbeitsteilung gehören. Angebot und Nachfrage ſowie Preisbildung ſind die
ſocialen Hülfsmittel, um die Cirkulation der Güter und Arbeitsleiſtungen in Bewegung
zu halten. Von all’ dieſen Erſcheinungen iſt an anderen Orten zu reden.
Die Reſultate dieſer Art der Arbeitsteilung ſind bald über alle Maßen verherrlicht,
bald maßlos angegriffen worden. Sicher iſt, daß durch dieſe Arbeitsteilung die Indi-
viduen bei ſteigender Thätigkeit für andere doch unabhängiger von einander werden, daß
die höhere wirtſchaftliche und ſittliche Entwickelung der Individualität mit ihr in Ver-
bindung ſteht, daß ſie aber auch die Menſchen zunächſt trennt und in ſcharfe Konflikte
und Intereſſengegenſätze hineinführt, daß die Ausbildung der richtigen Inſtitutionen,
Gefühle und Sitten ſo viel Schwierigkeiten macht, daß die richtigen Grenzen und
Gegengewichte gegen übermäßige Arbeitsteilung hier oft lange nicht gefunden werden.
Wenn dieſe Form der Arbeitsteilung alſo auch bei vollendeter Ausbildung einerſeits
freie Bewegung und Wegfall von Zwangsmaßregeln, andererſeits eine im ganzen
zunehmende Gerechtigkeit der Einkommensverteilung herbeiführt oder wenigſtens nicht
ausſchließt, ſo iſt doch der allgemeine Satz Dürkheims, daß die zunehmende Arbeits-
teilung ſtets wachſende Solidarität bedeute, nur beſchränkt wahr; das iſt mehr eine
ideale Möglichkeit als eine Wirklichkeit, wenigſtens für unſere heutige ſich umbildende,
an Kriſen und Verkümmerung großer ſocialer Klaſſen leidende Volkswirtſchaft. Und
daß dieſe Mißſtände mit der Arbeitsteilung, mit den aus ihr entſprungenen Inſtitutionen
entſtanden ſind, wird man nicht leugnen können. Es fragt ſich nur, ob dieſe Übel-
ſtände nicht doch gegenüber den älteren und anderen Rechtsformen der Arbeitsteilung
und ihren Härten die geringeren, ob ſie nicht zu beſeitigen ſind. Und jedenfalls wird
jede denkbare Organiſation der Volkswirtſchaft aus einer irgendwie vollzogenen Miſchung
der vier erwähnten Formen haushalten müſſen. —
Neben den neuen Inſtitutionen, welche die Arbeitsteilung ermöglichen, kommen
nun als letzte Vorbedingung derſelben die Veränderungen im ganzen Seelenleben der
Menſchen. Die Menſchen ohne weſentliche Arbeitsteilung werden wirtſchaftlich durch das
einfache Motiv, ihren Bedarf zu decken, beherrſcht und direkt geleitet; die Intereſſen-
gegenſätze ſind geringer, Habſucht und Erwerbsſinn fehlen; in Hauswirtſchaft, Sippe,
Stamm, Gemeinde, Staat entſtehen in ſolcher Zeit unſchwer die verbindenden ſympa-
thiſchen Gefühle, ohne welche die Geſellſchaft nicht beſtehen kann. Mit der Arbeitsteilung
hört die klare, einfache Leitung des wirtſchaftlichen Handelns nach dem Bedarfe auf; jeder
muß nun, ſtatt direkt auf die wirtſchaftliche Verſorgung loszugehen, nach Arbeits-
gelegenheit, Abſatz, Gewinn, Verdienſt ſich umſehen, darum mit anderen kämpfen; der
Erwerbsſinn, die Konkurrenzleidenſchaft entſteht bei den oberen Kreiſen; die unteren
ſollen für ferne, ihnen unverſtändliche Zwecke arbeiten, was ſie lange nur gezwungen,
durch Not und Hunger getrieben thun. In jedes individuelle Leben zieht nun ein
kompliziertes Syſtem von wirtſchaftlichen Motiven ein: Hunger und Durſt, die Vor-
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