Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.Zweites Buch. Die gesellschaftliche Verfassung der Volkswirtschaft. eines bestimmten Handels oder einer bestimmten specialisierten Produktion von Warenzu einer selbständigen Anstalt mit bestimmter Verfassung, mit eigenem Lebensinteresse wird. Nur in den späteren Stadien der antiken und in den letzten Jahrhunderten der europäischen und der von ihr abhängigen kolonialen Kultur haben sich diese Unter- nehmungen voll und ganz ausgebildet, während vorher nur Ansätze dazu, hauptsächlich in den Handelsgeschäften, dann auch im Handwerk, in gewissen landwirtschaftlichen Betrieben vorhanden waren und ähnlich noch heute in allen Ländern niedriger oder halbentwickelter Kultur nur solche Anfänge der Unternehmung bestehen. Es ist daher begreiflich, daß erst die beginnende Volkswirtschaftslehre des 18. Jahr- Wir werfen zuerst einen Blick auf die Ausgangspunkte, aus denen heraus die In die Wirtschaftsführung der Menschen und Familien kommt damit ein neues Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft. eines beſtimmten Handels oder einer beſtimmten ſpecialiſierten Produktion von Warenzu einer ſelbſtändigen Anſtalt mit beſtimmter Verfaſſung, mit eigenem Lebensintereſſe wird. Nur in den ſpäteren Stadien der antiken und in den letzten Jahrhunderten der europäiſchen und der von ihr abhängigen kolonialen Kultur haben ſich dieſe Unter- nehmungen voll und ganz ausgebildet, während vorher nur Anſätze dazu, hauptſächlich in den Handelsgeſchäften, dann auch im Handwerk, in gewiſſen landwirtſchaftlichen Betrieben vorhanden waren und ähnlich noch heute in allen Ländern niedriger oder halbentwickelter Kultur nur ſolche Anfänge der Unternehmung beſtehen. Es iſt daher begreiflich, daß erſt die beginnende Volkswirtſchaftslehre des 18. Jahr- Wir werfen zuerſt einen Blick auf die Ausgangspunkte, aus denen heraus die In die Wirtſchaftsführung der Menſchen und Familien kommt damit ein neues <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0430" n="414"/><fw place="top" type="header">Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft.</fw><lb/> eines beſtimmten Handels oder einer beſtimmten ſpecialiſierten Produktion von Waren<lb/> zu einer ſelbſtändigen Anſtalt mit beſtimmter Verfaſſung, mit eigenem Lebensintereſſe<lb/> wird. Nur in den ſpäteren Stadien der antiken und in den letzten Jahrhunderten der<lb/> europäiſchen und der von ihr abhängigen kolonialen Kultur haben ſich dieſe Unter-<lb/> nehmungen voll und ganz ausgebildet, während vorher nur Anſätze dazu, hauptſächlich<lb/> in den Handelsgeſchäften, dann auch im Handwerk, in gewiſſen landwirtſchaftlichen<lb/> Betrieben vorhanden waren und ähnlich noch heute in allen Ländern niedriger oder<lb/> halbentwickelter Kultur nur ſolche Anfänge der Unternehmung beſtehen.</p><lb/> <p>Es iſt daher begreiflich, daß erſt die beginnende Volkswirtſchaftslehre des 18. Jahr-<lb/> hunderts von einem Unternehmer ſprach, daß ſie in ihrer Richtung auf Unterſuchung<lb/> der Einkommensverteilung weſentlich die Frage erörterte, welche Natur der Unternehmer-<lb/> gewinn habe. Die Engländer ſahen in ihm weſentlich einen Kapitalgewinn, identifizierten<lb/> ihn vielfach mit der Kapitalrente; die Franzoſen ſahen in ihm eine Art Arbeitslohn. Die<lb/> Deutſchen begannen ihn als eine ſelbſtändige Einkommensart aufzufaſſen. Nachdem der<lb/> Socialismus gegen das Weſen der Unternehmung, als der Organiſationsform, welche<lb/> den innerſten Kern, den Pol der heutigen Volkswirtſchaft ausmache, welche aus dem<lb/> Dienſte der Geſamtheit private Gewinne für die Leiter herausſchlage, ſeine heftigen<lb/> Angriffe gerichtet hatte, konnte die Wiſſenſchaft nicht mehr bei der Frage ſtehen bleiben,<lb/> ob der Unternehmergewinn unter dieſe oder jene privatrechtliche oder wirtſchaftliche<lb/> Kategorie falle; ſie mußte beginnen, die verſchiedenen Arten der Unternehmung zu<lb/> beſchreiben, ſie pſychologiſch und hiſtoriſch, techniſch und wirtſchaftlich aus ihren Urſachen<lb/> zu erklären, um ſo zu einem abſchließenden Urteil über ihr Weſen, ihre Entwickelung<lb/> und Berechtigung zu kommen, ſie im Zuſammenhang der ganzen ſocialen und geſell-<lb/> ſchaftlichen Organiſationsfragen zu begreifen. —</p><lb/> <p>Wir werfen zuerſt einen Blick auf die Ausgangspunkte, aus denen heraus die<lb/> Unternehmung ſich hiſtoriſch entwickeln konnte: Wo Handel und Verkehr Platz greifen,<lb/> Nomaden und Schiffer auf Beute und Gewinn ausziehen, Märkte entſtehen, da bildet<lb/> ſich mit dem Tauſch, mit der Erkenntnis der großen örtlichen Preisdifferenzen, mit der<lb/> Erſpähung der verſchiedenen Bedürfniſſe da und dort der Sinn für den Handelsgewinn;<lb/> er iſt der pſychologiſche Keim der Geſchäftsſeite aller Unternehmung.</p><lb/> <p>In die Wirtſchaftsführung der Menſchen und Familien kommt damit ein neues<lb/> anderes Element; der bisher ausſchließlich auf die Hauswirtſchaft gerichtete Sinn, der<lb/> nur Vorräte für den Gebrauch, nur ihre Herrichtung für den eigenen Bedarf kannte,<lb/> greift jetzt über dieſen Kreis hinaus; er will erwerben, erbeuten, einkaufen, um fremden<lb/> Menſchen die Ware zuzuführen, und damit einen Gewinn machen. Dazu gehört Welt-<lb/> und Menſchenkenntnis, wagender Mut, rechnender Verſtand, (vergl. oben S. 335). Die<lb/> bisher nur mit Familien und Stammesgenoſſen freundlich, mit Fremden feindlich<lb/> Verkehrenden kommen nun beim Tauſch und Handel mit Fremden und bald auch mit<lb/> den Stammesgenoſſen in jene den Tauſchverkehr charakteriſierende Berührung, die<lb/> einerſeits Sympathie und Rückſichtnahme zurücktreten läßt, andererſeits den Verzicht<lb/> auf Tötung und Beraubung nach und nach fordert: man macht ein Geſchäft, man hat<lb/> eine perſönlich gleichgültige Berührung; Käufer und Verkäufer ſtehen ſich gleichſam in<lb/> abſtrakter Ferne gegenüber, ohne daß nähere ſittliche Bande aus dem Geſchäft entſtehen,<lb/> wie ſie bisher innerhalb der Familie, der Gens, des Stammes alle wirtſchaftliche<lb/> Berührung begleitet hatten. Nur der lockende Gewinn, der ſich dem Egoismus, dem<lb/> Erwerbstrieb darbietet, konnte den Umweg bilden, auf dem Fremde in andere als feindliche<lb/> Berührung kamen, einander dienſtbar wurden. Aber die Art, wie ſie ſich dienſtbar<lb/> wurden, wie ſie in immer größerer Zahl vorübergehend, flüchtig, ohne näheres Kennen-<lb/> lernen, ohne dauernde Beziehung durch Tauſch und Verkehr ſich berührten, ſchloß auch<lb/> das engere Verbundenſein, die weitergehenden gegenſeitigen Pflichten aus, wie ſie in<lb/> den engeren geſellſchaftlichen Verbänden bisher gefordert wurden; Übervorteilung,<lb/> Täuſchung, Bewucherung, ja unter Umſtänden Liſt und Gewalt galt lange im Handel<lb/> als erlaubt. Sein Zweck iſt nicht, einen Freund, einen Verwandten zu verſorgen, ſondern<lb/> einen Gewinn, ein rentierendes Geſchäft zu machen, das Kapital einzuſetzen, die Leiden-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [414/0430]
Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft.
eines beſtimmten Handels oder einer beſtimmten ſpecialiſierten Produktion von Waren
zu einer ſelbſtändigen Anſtalt mit beſtimmter Verfaſſung, mit eigenem Lebensintereſſe
wird. Nur in den ſpäteren Stadien der antiken und in den letzten Jahrhunderten der
europäiſchen und der von ihr abhängigen kolonialen Kultur haben ſich dieſe Unter-
nehmungen voll und ganz ausgebildet, während vorher nur Anſätze dazu, hauptſächlich
in den Handelsgeſchäften, dann auch im Handwerk, in gewiſſen landwirtſchaftlichen
Betrieben vorhanden waren und ähnlich noch heute in allen Ländern niedriger oder
halbentwickelter Kultur nur ſolche Anfänge der Unternehmung beſtehen.
Es iſt daher begreiflich, daß erſt die beginnende Volkswirtſchaftslehre des 18. Jahr-
hunderts von einem Unternehmer ſprach, daß ſie in ihrer Richtung auf Unterſuchung
der Einkommensverteilung weſentlich die Frage erörterte, welche Natur der Unternehmer-
gewinn habe. Die Engländer ſahen in ihm weſentlich einen Kapitalgewinn, identifizierten
ihn vielfach mit der Kapitalrente; die Franzoſen ſahen in ihm eine Art Arbeitslohn. Die
Deutſchen begannen ihn als eine ſelbſtändige Einkommensart aufzufaſſen. Nachdem der
Socialismus gegen das Weſen der Unternehmung, als der Organiſationsform, welche
den innerſten Kern, den Pol der heutigen Volkswirtſchaft ausmache, welche aus dem
Dienſte der Geſamtheit private Gewinne für die Leiter herausſchlage, ſeine heftigen
Angriffe gerichtet hatte, konnte die Wiſſenſchaft nicht mehr bei der Frage ſtehen bleiben,
ob der Unternehmergewinn unter dieſe oder jene privatrechtliche oder wirtſchaftliche
Kategorie falle; ſie mußte beginnen, die verſchiedenen Arten der Unternehmung zu
beſchreiben, ſie pſychologiſch und hiſtoriſch, techniſch und wirtſchaftlich aus ihren Urſachen
zu erklären, um ſo zu einem abſchließenden Urteil über ihr Weſen, ihre Entwickelung
und Berechtigung zu kommen, ſie im Zuſammenhang der ganzen ſocialen und geſell-
ſchaftlichen Organiſationsfragen zu begreifen. —
Wir werfen zuerſt einen Blick auf die Ausgangspunkte, aus denen heraus die
Unternehmung ſich hiſtoriſch entwickeln konnte: Wo Handel und Verkehr Platz greifen,
Nomaden und Schiffer auf Beute und Gewinn ausziehen, Märkte entſtehen, da bildet
ſich mit dem Tauſch, mit der Erkenntnis der großen örtlichen Preisdifferenzen, mit der
Erſpähung der verſchiedenen Bedürfniſſe da und dort der Sinn für den Handelsgewinn;
er iſt der pſychologiſche Keim der Geſchäftsſeite aller Unternehmung.
In die Wirtſchaftsführung der Menſchen und Familien kommt damit ein neues
anderes Element; der bisher ausſchließlich auf die Hauswirtſchaft gerichtete Sinn, der
nur Vorräte für den Gebrauch, nur ihre Herrichtung für den eigenen Bedarf kannte,
greift jetzt über dieſen Kreis hinaus; er will erwerben, erbeuten, einkaufen, um fremden
Menſchen die Ware zuzuführen, und damit einen Gewinn machen. Dazu gehört Welt-
und Menſchenkenntnis, wagender Mut, rechnender Verſtand, (vergl. oben S. 335). Die
bisher nur mit Familien und Stammesgenoſſen freundlich, mit Fremden feindlich
Verkehrenden kommen nun beim Tauſch und Handel mit Fremden und bald auch mit
den Stammesgenoſſen in jene den Tauſchverkehr charakteriſierende Berührung, die
einerſeits Sympathie und Rückſichtnahme zurücktreten läßt, andererſeits den Verzicht
auf Tötung und Beraubung nach und nach fordert: man macht ein Geſchäft, man hat
eine perſönlich gleichgültige Berührung; Käufer und Verkäufer ſtehen ſich gleichſam in
abſtrakter Ferne gegenüber, ohne daß nähere ſittliche Bande aus dem Geſchäft entſtehen,
wie ſie bisher innerhalb der Familie, der Gens, des Stammes alle wirtſchaftliche
Berührung begleitet hatten. Nur der lockende Gewinn, der ſich dem Egoismus, dem
Erwerbstrieb darbietet, konnte den Umweg bilden, auf dem Fremde in andere als feindliche
Berührung kamen, einander dienſtbar wurden. Aber die Art, wie ſie ſich dienſtbar
wurden, wie ſie in immer größerer Zahl vorübergehend, flüchtig, ohne näheres Kennen-
lernen, ohne dauernde Beziehung durch Tauſch und Verkehr ſich berührten, ſchloß auch
das engere Verbundenſein, die weitergehenden gegenſeitigen Pflichten aus, wie ſie in
den engeren geſellſchaftlichen Verbänden bisher gefordert wurden; Übervorteilung,
Täuſchung, Bewucherung, ja unter Umſtänden Liſt und Gewalt galt lange im Handel
als erlaubt. Sein Zweck iſt nicht, einen Freund, einen Verwandten zu verſorgen, ſondern
einen Gewinn, ein rentierendes Geſchäft zu machen, das Kapital einzuſetzen, die Leiden-
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