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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.

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Zweites Buch. Die gesellschaftliche Verfassung der Volkswirtschaft.
Die erzielten Produkte, die Jagdbeute, die erzielten Erze, die gefangenen Fische werden
in Natura geteilt, jedem bleibt überlassen, ob er seinen Anteil verzehren oder verkaufen
will. Es sind in älterer Zeit rein naturalwirtschaftliche Arbeitsgenossen-
schaften
, auch heute noch haben sie teilweise diesen Charakter, teilweise sind sie zu
Genossenschaften von Lohnarbeitern geworden, die gemeinsame Arbeiten übernehmen,
in den Dienst eines Unternehmers treten. Der Verdienst wird nach Köpfen geteilt,
dem Führer, dem Koch, dem Steuermann wird eine Vorzugsportion überlassen. Diese
Genossenschaften waren in älterer Zeit viel zahlreicher als später, sie kommen heute noch,
z. B. als sogenannte Artels in Rußland, dann in China sehr häufig vor. Teilweise sind
aus ihnen in der Folge anderweite kompliziertere Unternehmerorganisationen erwachsen.
Unsere ganze Bergwerksverfassung entsprang dem gruppenweisen Zusammenarbeiten von
4, 8, 16 Erzgräbern, die noch bis ins 14. Jahrhundert ihren Verdienst in dem
betreffenden Erzanteil hatten, den sie teilten. In der Fischerei arbeiten noch heute
in vielen Ländern einige Männer genossenschaftlich zusammen und teilen den Fang.
Die ganze Geschichte der Matrosenlöhnung ist nur verständlich als allmähliche Umbildung
des genossenschaftlichen Anteils an der Fracht und des Rechts jedes Genossen, Waren
mitzuführen, in den späteren Geldlohn, die Heuer. Die Lippeschen Ziegelarbeiter, die
italienischen Maurer, in gewissem Sinne alle Gruppenaccorde gehören diesem Typus
der Organisation an. Noch heute wird besonders bei gefahrvollen Beschäftigungen die
große Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit solcher Arbeitsgenossenschaften gerühmt; es
lebt in diesen Gruppen ein straffes Ehrgefühl, eine strenge Auslese, die nur tüchtige
Leute aufnimmt, da jeder Faule oder Unzuverlässige allen schadet.

Aber es ist festzuhalten, daß für die meisten technischen Arbeitsoperationen über-
haupt in älterer Zeit keine solchen Gruppen von Männern nötig waren; der Ackerbau
und die gewöhnlichen Gewerbe forderten sie nicht, lagen in den Händen von einzelnen
oder Familien. Alle Handelsentwickelung ruht auf dem individuellen Erwerbstrieb.
Die zur Meerfahrt ausziehenden Wikinger schworen, die Beute zu teilen, den Handels-
gewinn jedoch jedem persönlich zu lassen. Aber wo der Großhändler, der Plantagen- und
Bergwerksbesitzer eine größere Zahl zum Zusammenarbeiten eingeschulter dienender Kräfte
bedarf, werden wir uns seine Leute, seine Sklaven vielfach als solche Arbeitsgenossen-
schaften zu denken haben.

So weit in älterer Zeit solche Arbeitsgenossenschaften in größerer Zahl blühten
und selbständig thätig waren, ihre Produkte verkauften, kam stets leicht für sie die Zeit,
wo ihre Organisation versagte, eben weil sie keine eigentlichen Unternehmungen waren
und zu solchen nicht werden konnten. Sie waren zu technischem Fortschritt, zur Arbeits-
teilung, zu reicherer Kapitalanwendung nicht fähig, noch weniger zur kaufmännischen
Ausnützung ihrer Thätigkeit. Auch heute beobachten wir den Prozeß der Auflösung
bei den noch so zahlreichen Fischereigenossenschaften; wo größere Schiffe nötig sind,
tritt ein kapitalistischer Unternehmer an die Spitze; die genossenschaftlichen Fischer sind
zum Verkauf ihrer Fische, zur Aufsuchung besserer Märkte unfähig, fallen dabei Wucherern
in die Hände; sie verbessern heute ihre Lage häufig, wenn sie geldgelohnte Arbeiter
werden. Erst wo die Betreffenden durch die Schule des individualistischen Erwerbs-
lebens mit all' seinen Einrichtungen, seiner Buchführung, seiner Marktkenntnis hindurch-
gegangen sind, kann der genossenschaftliche Geist wieder neue kräftige Blüten treiben,
zu lebensfähigen Unternehmungen kommen. In Ländern wie Rußland, Italien und
anderwärts, wo der moderne Individualismus noch wenig Herrschaft errungen hat,
knüpft die neueste Agitation für Genossenschaftswesen mannigfach an die Reste dieser
uralten Arbeitsgruppen an.

Im ganzen aber haben nicht die brüderlichen Traditionen der Sippe, sondern
die herrschaftlichen der Familie die Grundlage für die Unternehmungen gegeben.

Wir haben oben (S. 239--244) die Entstehung der patriarchalischen
Familie
und ihre Funktion als wirtschaftliches Organ kennen gelernt; sie faßt eine
Anzahl Menschen zu gemeinsamer Arbeit zusammen, hat eine feste monarchische Spitze
im Familenvater, der allen Gliedern ihre Aufgabe zuweist, sie kontrolliert, zur Thätigkeit

Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft.
Die erzielten Produkte, die Jagdbeute, die erzielten Erze, die gefangenen Fiſche werden
in Natura geteilt, jedem bleibt überlaſſen, ob er ſeinen Anteil verzehren oder verkaufen
will. Es ſind in älterer Zeit rein naturalwirtſchaftliche Arbeitsgenoſſen-
ſchaften
, auch heute noch haben ſie teilweiſe dieſen Charakter, teilweiſe ſind ſie zu
Genoſſenſchaften von Lohnarbeitern geworden, die gemeinſame Arbeiten übernehmen,
in den Dienſt eines Unternehmers treten. Der Verdienſt wird nach Köpfen geteilt,
dem Führer, dem Koch, dem Steuermann wird eine Vorzugsportion überlaſſen. Dieſe
Genoſſenſchaften waren in älterer Zeit viel zahlreicher als ſpäter, ſie kommen heute noch,
z. B. als ſogenannte Artels in Rußland, dann in China ſehr häufig vor. Teilweiſe ſind
aus ihnen in der Folge anderweite kompliziertere Unternehmerorganiſationen erwachſen.
Unſere ganze Bergwerksverfaſſung entſprang dem gruppenweiſen Zuſammenarbeiten von
4, 8, 16 Erzgräbern, die noch bis ins 14. Jahrhundert ihren Verdienſt in dem
betreffenden Erzanteil hatten, den ſie teilten. In der Fiſcherei arbeiten noch heute
in vielen Ländern einige Männer genoſſenſchaftlich zuſammen und teilen den Fang.
Die ganze Geſchichte der Matroſenlöhnung iſt nur verſtändlich als allmähliche Umbildung
des genoſſenſchaftlichen Anteils an der Fracht und des Rechts jedes Genoſſen, Waren
mitzuführen, in den ſpäteren Geldlohn, die Heuer. Die Lippeſchen Ziegelarbeiter, die
italieniſchen Maurer, in gewiſſem Sinne alle Gruppenaccorde gehören dieſem Typus
der Organiſation an. Noch heute wird beſonders bei gefahrvollen Beſchäftigungen die
große Leiſtungsfähigkeit und Zuverläſſigkeit ſolcher Arbeitsgenoſſenſchaften gerühmt; es
lebt in dieſen Gruppen ein ſtraffes Ehrgefühl, eine ſtrenge Ausleſe, die nur tüchtige
Leute aufnimmt, da jeder Faule oder Unzuverläſſige allen ſchadet.

Aber es iſt feſtzuhalten, daß für die meiſten techniſchen Arbeitsoperationen über-
haupt in älterer Zeit keine ſolchen Gruppen von Männern nötig waren; der Ackerbau
und die gewöhnlichen Gewerbe forderten ſie nicht, lagen in den Händen von einzelnen
oder Familien. Alle Handelsentwickelung ruht auf dem individuellen Erwerbstrieb.
Die zur Meerfahrt ausziehenden Wikinger ſchworen, die Beute zu teilen, den Handels-
gewinn jedoch jedem perſönlich zu laſſen. Aber wo der Großhändler, der Plantagen- und
Bergwerksbeſitzer eine größere Zahl zum Zuſammenarbeiten eingeſchulter dienender Kräfte
bedarf, werden wir uns ſeine Leute, ſeine Sklaven vielfach als ſolche Arbeitsgenoſſen-
ſchaften zu denken haben.

So weit in älterer Zeit ſolche Arbeitsgenoſſenſchaften in größerer Zahl blühten
und ſelbſtändig thätig waren, ihre Produkte verkauften, kam ſtets leicht für ſie die Zeit,
wo ihre Organiſation verſagte, eben weil ſie keine eigentlichen Unternehmungen waren
und zu ſolchen nicht werden konnten. Sie waren zu techniſchem Fortſchritt, zur Arbeits-
teilung, zu reicherer Kapitalanwendung nicht fähig, noch weniger zur kaufmänniſchen
Ausnützung ihrer Thätigkeit. Auch heute beobachten wir den Prozeß der Auflöſung
bei den noch ſo zahlreichen Fiſchereigenoſſenſchaften; wo größere Schiffe nötig ſind,
tritt ein kapitaliſtiſcher Unternehmer an die Spitze; die genoſſenſchaftlichen Fiſcher ſind
zum Verkauf ihrer Fiſche, zur Aufſuchung beſſerer Märkte unfähig, fallen dabei Wucherern
in die Hände; ſie verbeſſern heute ihre Lage häufig, wenn ſie geldgelohnte Arbeiter
werden. Erſt wo die Betreffenden durch die Schule des individualiſtiſchen Erwerbs-
lebens mit all’ ſeinen Einrichtungen, ſeiner Buchführung, ſeiner Marktkenntnis hindurch-
gegangen ſind, kann der genoſſenſchaftliche Geiſt wieder neue kräftige Blüten treiben,
zu lebensfähigen Unternehmungen kommen. In Ländern wie Rußland, Italien und
anderwärts, wo der moderne Individualismus noch wenig Herrſchaft errungen hat,
knüpft die neueſte Agitation für Genoſſenſchaftsweſen mannigfach an die Reſte dieſer
uralten Arbeitsgruppen an.

Im ganzen aber haben nicht die brüderlichen Traditionen der Sippe, ſondern
die herrſchaftlichen der Familie die Grundlage für die Unternehmungen gegeben.

Wir haben oben (S. 239—244) die Entſtehung der patriarchaliſchen
Familie
und ihre Funktion als wirtſchaftliches Organ kennen gelernt; ſie faßt eine
Anzahl Menſchen zu gemeinſamer Arbeit zuſammen, hat eine feſte monarchiſche Spitze
im Familenvater, der allen Gliedern ihre Aufgabe zuweiſt, ſie kontrolliert, zur Thätigkeit

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[416/0432] Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft. Die erzielten Produkte, die Jagdbeute, die erzielten Erze, die gefangenen Fiſche werden in Natura geteilt, jedem bleibt überlaſſen, ob er ſeinen Anteil verzehren oder verkaufen will. Es ſind in älterer Zeit rein naturalwirtſchaftliche Arbeitsgenoſſen- ſchaften, auch heute noch haben ſie teilweiſe dieſen Charakter, teilweiſe ſind ſie zu Genoſſenſchaften von Lohnarbeitern geworden, die gemeinſame Arbeiten übernehmen, in den Dienſt eines Unternehmers treten. Der Verdienſt wird nach Köpfen geteilt, dem Führer, dem Koch, dem Steuermann wird eine Vorzugsportion überlaſſen. Dieſe Genoſſenſchaften waren in älterer Zeit viel zahlreicher als ſpäter, ſie kommen heute noch, z. B. als ſogenannte Artels in Rußland, dann in China ſehr häufig vor. Teilweiſe ſind aus ihnen in der Folge anderweite kompliziertere Unternehmerorganiſationen erwachſen. Unſere ganze Bergwerksverfaſſung entſprang dem gruppenweiſen Zuſammenarbeiten von 4, 8, 16 Erzgräbern, die noch bis ins 14. Jahrhundert ihren Verdienſt in dem betreffenden Erzanteil hatten, den ſie teilten. In der Fiſcherei arbeiten noch heute in vielen Ländern einige Männer genoſſenſchaftlich zuſammen und teilen den Fang. Die ganze Geſchichte der Matroſenlöhnung iſt nur verſtändlich als allmähliche Umbildung des genoſſenſchaftlichen Anteils an der Fracht und des Rechts jedes Genoſſen, Waren mitzuführen, in den ſpäteren Geldlohn, die Heuer. Die Lippeſchen Ziegelarbeiter, die italieniſchen Maurer, in gewiſſem Sinne alle Gruppenaccorde gehören dieſem Typus der Organiſation an. Noch heute wird beſonders bei gefahrvollen Beſchäftigungen die große Leiſtungsfähigkeit und Zuverläſſigkeit ſolcher Arbeitsgenoſſenſchaften gerühmt; es lebt in dieſen Gruppen ein ſtraffes Ehrgefühl, eine ſtrenge Ausleſe, die nur tüchtige Leute aufnimmt, da jeder Faule oder Unzuverläſſige allen ſchadet. Aber es iſt feſtzuhalten, daß für die meiſten techniſchen Arbeitsoperationen über- haupt in älterer Zeit keine ſolchen Gruppen von Männern nötig waren; der Ackerbau und die gewöhnlichen Gewerbe forderten ſie nicht, lagen in den Händen von einzelnen oder Familien. Alle Handelsentwickelung ruht auf dem individuellen Erwerbstrieb. Die zur Meerfahrt ausziehenden Wikinger ſchworen, die Beute zu teilen, den Handels- gewinn jedoch jedem perſönlich zu laſſen. Aber wo der Großhändler, der Plantagen- und Bergwerksbeſitzer eine größere Zahl zum Zuſammenarbeiten eingeſchulter dienender Kräfte bedarf, werden wir uns ſeine Leute, ſeine Sklaven vielfach als ſolche Arbeitsgenoſſen- ſchaften zu denken haben. So weit in älterer Zeit ſolche Arbeitsgenoſſenſchaften in größerer Zahl blühten und ſelbſtändig thätig waren, ihre Produkte verkauften, kam ſtets leicht für ſie die Zeit, wo ihre Organiſation verſagte, eben weil ſie keine eigentlichen Unternehmungen waren und zu ſolchen nicht werden konnten. Sie waren zu techniſchem Fortſchritt, zur Arbeits- teilung, zu reicherer Kapitalanwendung nicht fähig, noch weniger zur kaufmänniſchen Ausnützung ihrer Thätigkeit. Auch heute beobachten wir den Prozeß der Auflöſung bei den noch ſo zahlreichen Fiſchereigenoſſenſchaften; wo größere Schiffe nötig ſind, tritt ein kapitaliſtiſcher Unternehmer an die Spitze; die genoſſenſchaftlichen Fiſcher ſind zum Verkauf ihrer Fiſche, zur Aufſuchung beſſerer Märkte unfähig, fallen dabei Wucherern in die Hände; ſie verbeſſern heute ihre Lage häufig, wenn ſie geldgelohnte Arbeiter werden. Erſt wo die Betreffenden durch die Schule des individualiſtiſchen Erwerbs- lebens mit all’ ſeinen Einrichtungen, ſeiner Buchführung, ſeiner Marktkenntnis hindurch- gegangen ſind, kann der genoſſenſchaftliche Geiſt wieder neue kräftige Blüten treiben, zu lebensfähigen Unternehmungen kommen. In Ländern wie Rußland, Italien und anderwärts, wo der moderne Individualismus noch wenig Herrſchaft errungen hat, knüpft die neueſte Agitation für Genoſſenſchaftsweſen mannigfach an die Reſte dieſer uralten Arbeitsgruppen an. Im ganzen aber haben nicht die brüderlichen Traditionen der Sippe, ſondern die herrſchaftlichen der Familie die Grundlage für die Unternehmungen gegeben. Wir haben oben (S. 239—244) die Entſtehung der patriarchaliſchen Familie und ihre Funktion als wirtſchaftliches Organ kennen gelernt; ſie faßt eine Anzahl Menſchen zu gemeinſamer Arbeit zuſammen, hat eine feſte monarchiſche Spitze im Familenvater, der allen Gliedern ihre Aufgabe zuweiſt, ſie kontrolliert, zur Thätigkeit

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 416. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/432>, abgerufen am 22.11.2024.