Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.Die Entwickelung der Familienwirtschaft zur Unternehmung. zwingt; sie ist ein Organ, das Herden-, Land-, Kapitalbesitz zu sammeln, zu verwalten,von Geschlecht zu Geschlecht zu überliefern versteht. Aber ihre Hauswirtschaft hat ursprünglich nur die eigene Versorgung der Familie Die Haus- und Familienwirtschaft der älteren Zeit ist so keine Unter- Die Familienwirtschaften, die zu Unternehmungen werden, tragen Schmoller, Grundriß der Volkswirtschaftslehre. I. 27
Die Entwickelung der Familienwirtſchaft zur Unternehmung. zwingt; ſie iſt ein Organ, das Herden-, Land-, Kapitalbeſitz zu ſammeln, zu verwalten,von Geſchlecht zu Geſchlecht zu überliefern verſteht. Aber ihre Hauswirtſchaft hat urſprünglich nur die eigene Verſorgung der Familie Die Haus- und Familienwirtſchaft der älteren Zeit iſt ſo keine Unter- Die Familienwirtſchaften, die zu Unternehmungen werden, tragen Schmoller, Grundriß der Volkswirtſchaftslehre. I. 27
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Aber ſie hat eine feſte, klare, leiſtungsfähige<lb/> Organiſation, ſie bildet eine Arbeitsteilung aus; ſie lehrt die Menſchen, planvoll für<lb/> die Zukunft arbeiten und ſparen; ſie iſt ein ausgezeichnetes Mittel der Schulung und<lb/> Heranziehung jüngerer Arbeitskräfte; ſie hat in dem unbeſtrittenen Kommando des<lb/> Familienvaters das einfachſte Mittel, mehrere, ja viele ohne Reibung zuſammen wirken<lb/> und die Fähigkeiten des Befehlenden zu vollſtem Effekt gelangen zu laſſen. Sie iſt<lb/> hierin der Arbeitsgenoſſenſchaft unendlich überlegen. Und deshalb wird ſie für Jahr-<lb/> hunderte und Jahrtauſende nicht bloß das Organ der menſchlichen Fortpflanzung, des<lb/> Wohnens und des Haushalts, des ſittlichen Lebens, ſondern auch der Keimpunkt, an<lb/> den ſich ganz überwiegend die entſtehende Unternehmung anſetzt.</p><lb/> <p>Die <hi rendition="#g">Familienwirtſchaften, die zu Unternehmungen werden</hi>, tragen<lb/> ſehr lange Zeit noch überwiegend den Stempel der Haus- und Familienwirtſchaft mit dem<lb/> Zweck der Eigenproduktion an ſich; nur langſam knüpft ſich je nach den Naturverhältniſſen,<lb/> je nach den produzierten Früchten und Tieren, Geräten und Gegenſtänden ein Verkaufs-<lb/> geſchäft, eine Überſchußproduktion an ſie an; aber letzteres bleibt Nebenſache; die ganze<lb/> Organiſation, die Wohnung, die Arbeitsſtätten, die Sinnes- und Lebensweiſe der Betreffenden<lb/> bleibt die familienwirtſchaftliche. Die Fiſcher und Zeidler, die Köhler und Salzſieder des<lb/> älteren Mittelalters haben früher und mehr zu verkaufen als der Bauer; aber alle leben<lb/> in erſter Linie von den Erzeugniſſen ihres Fleißes, ſtellen ſich Wohnung, Kleidung und<lb/> Eſſen, ja die Mehrzahl der Werkzeuge ſelbſt her. Auch der Handwerker, der Berg-<lb/> arbeiter, der Kaufmann hat vielfach noch lange in erſter Linie eine agrariſche Haus-<lb/> wirtſchaft, ſeine anderweite Thätigkeit iſt lange nur ein Anhängſel dieſer. Aber doch<lb/> gelangt, der Natur dieſer auf den Markt gerichteten Thätigkeiten entſprechend, das<lb/><hi rendition="#aq">„foro rerum venalium studere“</hi> nach und nach zu einer Bedeutung, die es beim Bauer<lb/> nicht hat, oder erſt in unſern Tagen der vollendeten Geld- und Verkehrswirtſchaft da<lb/> und dort bekommt. So lange der Kleinbauer, ſei er Eigentümer, vertreibbarer Stellen-<lb/> inhaber oder Halbpächter, ſeine etwaigen Überſchüſſe <hi rendition="#aq">in natura</hi> dem Grundherren abliefern<lb/> muß, kann das, was er zu Markt liefert, nicht viel ſein; er hat darum auch wenig<lb/> Sinn für techniſchen Fortſchritt, Kapitalbildung, Gewinn; hat er gelegentlich übriges<lb/> Geld, ſo legt er es in den Schrank oder kauft Land oder verſpielt und vertrinkt es.<lb/> Muß er aber ſtaatliche Geldſteuern aufbringen, entſtehen Märkte, Verkehr, Geldwirtſchaft<lb/> in ſeiner Nähe, ſo beginnt er doch, in ſteigendem Maße für den Verkauf zu produzieren;<lb/> zuerſt und lange handelt es ſich nur um einige Prozente ſeiner Früchte, die er verkauft,<lb/> heute können wir jedenfalls annehmen, daß es in Deutſchland die Hälfte derſelben,<lb/> vielfach auch mehr ſeien. Der heutige Bauer iſt damit auch zum halben Unternehmer<lb/> geworden und kommt täglich mehr unter die Gewalt der Geſichtspunkte, die mit der<lb/> Unternehmung an ſich gegeben ſind. Am meiſten der Gärtner, der vorſtädtiſche, der<lb/> Tabaks-, der Gemüſebauer.</p><lb/> <fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Schmoller</hi>, Grundriß der Volkswirtſchaftslehre. <hi rendition="#aq">I.</hi> 27</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [417/0433]
Die Entwickelung der Familienwirtſchaft zur Unternehmung.
zwingt; ſie iſt ein Organ, das Herden-, Land-, Kapitalbeſitz zu ſammeln, zu verwalten,
von Geſchlecht zu Geſchlecht zu überliefern verſteht.
Aber ihre Hauswirtſchaft hat urſprünglich nur die eigene Verſorgung der Familie
zum Zweck, nicht eine Überſchußproduktion für den Markt; höchſtens ſo viel ſuchen die
Familien außer für den eigenen Bedarf zu ſchaffen, wie etwa für Gemeinde und Grund-
herren, für Kirche und Staat noch nötig iſt; denn an dieſe geſellſchaftlichen Verbände
muß die Familie Dienſte und Naturalabgaben liefern; ſo groß iſt ihre Hufe bemeſſen,
daß ſie das kann; und auch der größere Vieh- oder Landbeſitzer, der Grundherr, das
Kloſter, ſie haben in älterer Zeit nicht ſowohl eine Überſchußproduktion und Gewinn-
erzielung im Auge als eine ſo große Eigenproduktion, daß die lokalen Verwaltungs-
zwecke, die Zwecke einer militäriſchen, kirchlichen, ariſtokratiſchen Familienorganiſation,
die mit dem größeren Beſitz verbunden iſt, befriedigt werden, ſo und ſo viel Diener,
Ritter, Kloſterbrüder wie nötig, behauſt, geſpeiſt und ſonſt unterhalten werden können.
Die Haus- und Familienwirtſchaft der älteren Zeit iſt ſo keine Unter-
nehmung, es fehlt ihr die Geſchäftsſeite, die Verbindung mit dem Markt; ihr Zweck
iſt nicht Gewinn, ſondern Unterhalt. Aber ſie hat eine feſte, klare, leiſtungsfähige
Organiſation, ſie bildet eine Arbeitsteilung aus; ſie lehrt die Menſchen, planvoll für
die Zukunft arbeiten und ſparen; ſie iſt ein ausgezeichnetes Mittel der Schulung und
Heranziehung jüngerer Arbeitskräfte; ſie hat in dem unbeſtrittenen Kommando des
Familienvaters das einfachſte Mittel, mehrere, ja viele ohne Reibung zuſammen wirken
und die Fähigkeiten des Befehlenden zu vollſtem Effekt gelangen zu laſſen. Sie iſt
hierin der Arbeitsgenoſſenſchaft unendlich überlegen. Und deshalb wird ſie für Jahr-
hunderte und Jahrtauſende nicht bloß das Organ der menſchlichen Fortpflanzung, des
Wohnens und des Haushalts, des ſittlichen Lebens, ſondern auch der Keimpunkt, an
den ſich ganz überwiegend die entſtehende Unternehmung anſetzt.
Die Familienwirtſchaften, die zu Unternehmungen werden, tragen
ſehr lange Zeit noch überwiegend den Stempel der Haus- und Familienwirtſchaft mit dem
Zweck der Eigenproduktion an ſich; nur langſam knüpft ſich je nach den Naturverhältniſſen,
je nach den produzierten Früchten und Tieren, Geräten und Gegenſtänden ein Verkaufs-
geſchäft, eine Überſchußproduktion an ſie an; aber letzteres bleibt Nebenſache; die ganze
Organiſation, die Wohnung, die Arbeitsſtätten, die Sinnes- und Lebensweiſe der Betreffenden
bleibt die familienwirtſchaftliche. Die Fiſcher und Zeidler, die Köhler und Salzſieder des
älteren Mittelalters haben früher und mehr zu verkaufen als der Bauer; aber alle leben
in erſter Linie von den Erzeugniſſen ihres Fleißes, ſtellen ſich Wohnung, Kleidung und
Eſſen, ja die Mehrzahl der Werkzeuge ſelbſt her. Auch der Handwerker, der Berg-
arbeiter, der Kaufmann hat vielfach noch lange in erſter Linie eine agrariſche Haus-
wirtſchaft, ſeine anderweite Thätigkeit iſt lange nur ein Anhängſel dieſer. Aber doch
gelangt, der Natur dieſer auf den Markt gerichteten Thätigkeiten entſprechend, das
„foro rerum venalium studere“ nach und nach zu einer Bedeutung, die es beim Bauer
nicht hat, oder erſt in unſern Tagen der vollendeten Geld- und Verkehrswirtſchaft da
und dort bekommt. So lange der Kleinbauer, ſei er Eigentümer, vertreibbarer Stellen-
inhaber oder Halbpächter, ſeine etwaigen Überſchüſſe in natura dem Grundherren abliefern
muß, kann das, was er zu Markt liefert, nicht viel ſein; er hat darum auch wenig
Sinn für techniſchen Fortſchritt, Kapitalbildung, Gewinn; hat er gelegentlich übriges
Geld, ſo legt er es in den Schrank oder kauft Land oder verſpielt und vertrinkt es.
Muß er aber ſtaatliche Geldſteuern aufbringen, entſtehen Märkte, Verkehr, Geldwirtſchaft
in ſeiner Nähe, ſo beginnt er doch, in ſteigendem Maße für den Verkauf zu produzieren;
zuerſt und lange handelt es ſich nur um einige Prozente ſeiner Früchte, die er verkauft,
heute können wir jedenfalls annehmen, daß es in Deutſchland die Hälfte derſelben,
vielfach auch mehr ſeien. Der heutige Bauer iſt damit auch zum halben Unternehmer
geworden und kommt täglich mehr unter die Gewalt der Geſichtspunkte, die mit der
Unternehmung an ſich gegeben ſind. Am meiſten der Gärtner, der vorſtädtiſche, der
Tabaks-, der Gemüſebauer.
Schmoller, Grundriß der Volkswirtſchaftslehre. I. 27
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