Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.Der Selbsterhaltungs-, Geschlechts- und Thätigkeitstrieb. lischen Seite nichts ist als die unwillkürliche lautliche Entladung gewisser Nerven- undMuskelkräfte. Der Thätigkeitstrieb nötigt uns aber nicht bloß Muskeln und Nerven zu beschäftigen, unter dem Einfluß ordnender, mit dem Zweckleben sich ergebender Vor- stellungen und Lustgefühle will er sie sachgemäß beschäftigen, er will die Kräfte üben, die Grenzen der eigenen Macht erproben; er geht so dem erwachenden Selbstgefühl parallel; ursprünglich ein Ergebnis rein animalischen Daseins nimmt er alle höheren menschlichen Zwecke, sofern wir unsere Kraft an ihnen versuchen, in sich auf; die ihm eigentümlichen Luft- und Schmerzgefühle verbinden sich auf jeder Kulturstufe mit Gefühlen höherer Ordnung. Äußert er sich beim Kannibalen nur in der Befriedigung, einen Feind getötet oder Aus diesem Trieb entspringt nebenbei auch das Selbstgefühl und Selbstbewußt- 16. Der Anerkennungs- und der Rivalitätstrieb. Gehen wir nach Der Selbſterhaltungs-, Geſchlechts- und Thätigkeitstrieb. liſchen Seite nichts iſt als die unwillkürliche lautliche Entladung gewiſſer Nerven- undMuskelkräfte. Der Thätigkeitstrieb nötigt uns aber nicht bloß Muskeln und Nerven zu beſchäftigen, unter dem Einfluß ordnender, mit dem Zweckleben ſich ergebender Vor- ſtellungen und Luſtgefühle will er ſie ſachgemäß beſchäftigen, er will die Kräfte üben, die Grenzen der eigenen Macht erproben; er geht ſo dem erwachenden Selbſtgefühl parallel; urſprünglich ein Ergebnis rein animaliſchen Daſeins nimmt er alle höheren menſchlichen Zwecke, ſofern wir unſere Kraft an ihnen verſuchen, in ſich auf; die ihm eigentümlichen Luft- und Schmerzgefühle verbinden ſich auf jeder Kulturſtufe mit Gefühlen höherer Ordnung. Äußert er ſich beim Kannibalen nur in der Befriedigung, einen Feind getötet oder Aus dieſem Trieb entſpringt nebenbei auch das Selbſtgefühl und Selbſtbewußt- 16. Der Anerkennungs- und der Rivalitätstrieb. Gehen wir nach <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0045" n="29"/><fw place="top" type="header">Der Selbſterhaltungs-, Geſchlechts- und Thätigkeitstrieb.</fw><lb/> liſchen Seite nichts iſt als die unwillkürliche lautliche Entladung gewiſſer Nerven- und<lb/> Muskelkräfte. Der Thätigkeitstrieb nötigt uns aber nicht bloß Muskeln und Nerven<lb/> zu beſchäftigen, unter dem Einfluß ordnender, mit dem Zweckleben ſich ergebender Vor-<lb/> ſtellungen und Luſtgefühle will er ſie ſachgemäß beſchäftigen, er will die Kräfte üben,<lb/> die Grenzen der eigenen Macht erproben; er geht ſo dem erwachenden Selbſtgefühl<lb/> parallel; urſprünglich ein Ergebnis rein animaliſchen Daſeins nimmt er alle höheren<lb/> menſchlichen Zwecke, ſofern wir unſere Kraft an ihnen verſuchen, in ſich auf; die ihm<lb/> eigentümlichen Luft- und Schmerzgefühle verbinden ſich auf jeder Kulturſtufe mit Gefühlen<lb/> höherer Ordnung.</p><lb/> <p>Äußert er ſich beim Kannibalen nur in der Befriedigung, einen Feind getötet oder<lb/> ſkalpiert zu haben, beim rohen Jäger in der Spannung und dem Genuß, welchen die<lb/> Erlegung des Elchs und des Hirſches gewähren, ſo werden die Ziele desſelben beim<lb/> Kulturmenſchen unendlich mannigfaltige, die Luſt aber bleibt immer dieſelbe. Es iſt<lb/> die Freude, die eigene Kraft richtig eingeſetzt und verwertet zu haben. Wir beobachten<lb/> den Trieb ſchon beim Kinde, das mit Bauklötzchen ein Haus baut, das ſägen und leimen,<lb/> pappen und malen will, das in tauſenderlei Formen die kleine Welt der Hauswirtſchaft<lb/> wie die große der Technik in ſeinen Spielereien nachahmt und entzückt in die Händchen<lb/> ſchlägt, wenn ihm die kleinen Kraft- und Kunſtproben gelungen ſind. Und was der<lb/> Jugend das Spiel, iſt dem Alter die Wirklichkeit. Den Schmied, welchem der rechte<lb/> Schlag mit dem Hammer gelungen iſt, die Köchin, welche den duftenden Sonntagsbraten<lb/> anrichtet, den Maler, welcher vor dem fertigen Bilde den Pinſel weglegt, den Maſchinen-<lb/> fabrikanten, der die tauſendſte Lokomotive auf die Ausſtellung ſchickt, durchglüht dasſelbe<lb/> Innervationsgefühl gelungener eigener Thätigkeit wie den hungernden Prediger, welcher<lb/> mit dem Bewußtſein von der Kanzel ſteigt, wieder einmal als Wecker der Gewiſſen die<lb/> Herzen und Nieren ſeiner Gemeindeglieder erſchüttert zu haben. Es giebt keine größere<lb/> Freude für den Menſchen als die Luſt thätigen Schaffens und Wirkens, und ſie iſt<lb/> bis auf einen gewiſſen Grad unabhängig von dem ökonomiſchen Erfolg, der Bezahlung<lb/> des Produktes, dem Lohn oder Gehalt. Millionen von Menſchen arbeiten in der Familie<lb/> und in Staat und Kirche ohne direkte Bezahlung, bei anderen Millionen iſt Belohnung<lb/> und Arbeit nicht in ſo nahe Beziehung und oft nicht ſo in Proportion gebracht, daß<lb/> die Belohnung das allein ausſchlaggebende Motiv wäre. Aber ſie arbeiten um des<lb/> Erfolges willen. Ihr Vorſtellungsvermögen und ihre Nervenerregung läßt ihnen keine<lb/> Ruhe, es treibt ſie unwiderſtehlich zur Thätigkeit; die weſentlichſten wirtſchaftlichen<lb/> Tugenden, die Ausdauer, der Mut des kühnen Unternehmers, die friſche Erfindungsgabe<lb/> des Zeichners und Modelleurs entſpringen hier. Der reiche Mann will noch mehr<lb/> gewinnen, nicht ſo ſehr weil ihn der Mehrbeſitz als weil ihn das Kraftgefühl der Erwerbs-<lb/> fähigkeit erfreut. In dieſem Thätigkeitstrieb hat der ſittliche Segen der Arbeit ſeine<lb/> natürliche Wurzel. Die Thätigkeit, welche ſich ganz in den Gegenſtand verſenkt, darüber<lb/> das eigene Ich und ſeine Kümmerniſſe vergißt, iſt das einzige, was auf die Dauer für<lb/> die Mehrzahl der Menſchen jenes harmoniſche Gleichgewicht zwiſchen Luſt- und Unluſt-<lb/> gefühlen herſtellt, das wir als dauernde Zufriedenheit bezeichnen.</p><lb/> <p>Aus dieſem Trieb entſpringt nebenbei auch das Selbſtgefühl und Selbſtbewußt-<lb/> ſein; freilich nicht aus ihm allein; es iſt ein kompliziertes Ergebnis individueller<lb/> und geſellſchaftlicher Vorgänge; die Anerkennung in der Geſellſchaft ſtärkt es, wie das<lb/> Bewußtſein des Beſitzes, das die Furcht, von der Gnade anderer leben zu müſſen, ver-<lb/> bannt. Vor allem aber erzeugt das Bewußtſein, auf beſtimmtem Gebiet etwas Vollendetes<lb/> leiſten zu können, die beſtimmte Sicherheit des Auftretens, die zu unſerem inneren Glück<lb/> ebenſo notwendig iſt wie zu jedem äußeren Erfolg. Und das Kolorit des Selbſtgefühls<lb/> entſteht durch die beſtimmte Art der Arbeit. Der Maſchinenarbeiter ſchlägt mit Leiden-<lb/> ſchaft auf den Tiſch, der Schneider ſtreichelt ſanft den Freund über Achſel und Arm,<lb/> zugleich den Stoff befühlend; der Soldat erinnert an die Feldzüge, die er mitgemacht,<lb/> der Kaufmann erzählt von den Spekulationen, die ihm gelungen.</p><lb/> <p>16. <hi rendition="#g">Der Anerkennungs- und der Rivalitätstrieb</hi>. Gehen wir nach<lb/> dieſen elementaren Trieben, die in ihrer Wurzel alle an beſtimmte phyſiſche Luſtgefühle<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [29/0045]
Der Selbſterhaltungs-, Geſchlechts- und Thätigkeitstrieb.
liſchen Seite nichts iſt als die unwillkürliche lautliche Entladung gewiſſer Nerven- und
Muskelkräfte. Der Thätigkeitstrieb nötigt uns aber nicht bloß Muskeln und Nerven
zu beſchäftigen, unter dem Einfluß ordnender, mit dem Zweckleben ſich ergebender Vor-
ſtellungen und Luſtgefühle will er ſie ſachgemäß beſchäftigen, er will die Kräfte üben,
die Grenzen der eigenen Macht erproben; er geht ſo dem erwachenden Selbſtgefühl
parallel; urſprünglich ein Ergebnis rein animaliſchen Daſeins nimmt er alle höheren
menſchlichen Zwecke, ſofern wir unſere Kraft an ihnen verſuchen, in ſich auf; die ihm
eigentümlichen Luft- und Schmerzgefühle verbinden ſich auf jeder Kulturſtufe mit Gefühlen
höherer Ordnung.
Äußert er ſich beim Kannibalen nur in der Befriedigung, einen Feind getötet oder
ſkalpiert zu haben, beim rohen Jäger in der Spannung und dem Genuß, welchen die
Erlegung des Elchs und des Hirſches gewähren, ſo werden die Ziele desſelben beim
Kulturmenſchen unendlich mannigfaltige, die Luſt aber bleibt immer dieſelbe. Es iſt
die Freude, die eigene Kraft richtig eingeſetzt und verwertet zu haben. Wir beobachten
den Trieb ſchon beim Kinde, das mit Bauklötzchen ein Haus baut, das ſägen und leimen,
pappen und malen will, das in tauſenderlei Formen die kleine Welt der Hauswirtſchaft
wie die große der Technik in ſeinen Spielereien nachahmt und entzückt in die Händchen
ſchlägt, wenn ihm die kleinen Kraft- und Kunſtproben gelungen ſind. Und was der
Jugend das Spiel, iſt dem Alter die Wirklichkeit. Den Schmied, welchem der rechte
Schlag mit dem Hammer gelungen iſt, die Köchin, welche den duftenden Sonntagsbraten
anrichtet, den Maler, welcher vor dem fertigen Bilde den Pinſel weglegt, den Maſchinen-
fabrikanten, der die tauſendſte Lokomotive auf die Ausſtellung ſchickt, durchglüht dasſelbe
Innervationsgefühl gelungener eigener Thätigkeit wie den hungernden Prediger, welcher
mit dem Bewußtſein von der Kanzel ſteigt, wieder einmal als Wecker der Gewiſſen die
Herzen und Nieren ſeiner Gemeindeglieder erſchüttert zu haben. Es giebt keine größere
Freude für den Menſchen als die Luſt thätigen Schaffens und Wirkens, und ſie iſt
bis auf einen gewiſſen Grad unabhängig von dem ökonomiſchen Erfolg, der Bezahlung
des Produktes, dem Lohn oder Gehalt. Millionen von Menſchen arbeiten in der Familie
und in Staat und Kirche ohne direkte Bezahlung, bei anderen Millionen iſt Belohnung
und Arbeit nicht in ſo nahe Beziehung und oft nicht ſo in Proportion gebracht, daß
die Belohnung das allein ausſchlaggebende Motiv wäre. Aber ſie arbeiten um des
Erfolges willen. Ihr Vorſtellungsvermögen und ihre Nervenerregung läßt ihnen keine
Ruhe, es treibt ſie unwiderſtehlich zur Thätigkeit; die weſentlichſten wirtſchaftlichen
Tugenden, die Ausdauer, der Mut des kühnen Unternehmers, die friſche Erfindungsgabe
des Zeichners und Modelleurs entſpringen hier. Der reiche Mann will noch mehr
gewinnen, nicht ſo ſehr weil ihn der Mehrbeſitz als weil ihn das Kraftgefühl der Erwerbs-
fähigkeit erfreut. In dieſem Thätigkeitstrieb hat der ſittliche Segen der Arbeit ſeine
natürliche Wurzel. Die Thätigkeit, welche ſich ganz in den Gegenſtand verſenkt, darüber
das eigene Ich und ſeine Kümmerniſſe vergißt, iſt das einzige, was auf die Dauer für
die Mehrzahl der Menſchen jenes harmoniſche Gleichgewicht zwiſchen Luſt- und Unluſt-
gefühlen herſtellt, das wir als dauernde Zufriedenheit bezeichnen.
Aus dieſem Trieb entſpringt nebenbei auch das Selbſtgefühl und Selbſtbewußt-
ſein; freilich nicht aus ihm allein; es iſt ein kompliziertes Ergebnis individueller
und geſellſchaftlicher Vorgänge; die Anerkennung in der Geſellſchaft ſtärkt es, wie das
Bewußtſein des Beſitzes, das die Furcht, von der Gnade anderer leben zu müſſen, ver-
bannt. Vor allem aber erzeugt das Bewußtſein, auf beſtimmtem Gebiet etwas Vollendetes
leiſten zu können, die beſtimmte Sicherheit des Auftretens, die zu unſerem inneren Glück
ebenſo notwendig iſt wie zu jedem äußeren Erfolg. Und das Kolorit des Selbſtgefühls
entſteht durch die beſtimmte Art der Arbeit. Der Maſchinenarbeiter ſchlägt mit Leiden-
ſchaft auf den Tiſch, der Schneider ſtreichelt ſanft den Freund über Achſel und Arm,
zugleich den Stoff befühlend; der Soldat erinnert an die Feldzüge, die er mitgemacht,
der Kaufmann erzählt von den Spekulationen, die ihm gelungen.
16. Der Anerkennungs- und der Rivalitätstrieb. Gehen wir nach
dieſen elementaren Trieben, die in ihrer Wurzel alle an beſtimmte phyſiſche Luſtgefühle
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