Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.Die Entstehung des Gesellschaftswesens. Die offene Handels- und die Aktiengesellschaft. des städtisch-kaufmännischen Patriciats fähig, die offenen Handelsgesellschaften, dieKommanditgesellschaften und die großen Compagnien des 17.--18. Jahrhunderts, die Vorläufer der Aktiengesellschaften, zu schaffen. Die offene Handelsgesellschaft, wie sie sich im heutigen europäischen Rechte kon- Die Aktiengesellschaften sind erwachsen aus der Geschäftspraxis und den Die Entſtehung des Geſellſchaftsweſens. Die offene Handels- und die Aktiengeſellſchaft. des ſtädtiſch-kaufmänniſchen Patriciats fähig, die offenen Handelsgeſellſchaften, dieKommanditgeſellſchaften und die großen Compagnien des 17.—18. Jahrhunderts, die Vorläufer der Aktiengeſellſchaften, zu ſchaffen. Die offene Handelsgeſellſchaft, wie ſie ſich im heutigen europäiſchen Rechte kon- Die Aktiengeſellſchaften ſind erwachſen aus der Geſchäftspraxis und den <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0457" n="441"/><fw place="top" type="header">Die Entſtehung des Geſellſchaftsweſens. Die offene Handels- und die Aktiengeſellſchaft.</fw><lb/> des ſtädtiſch-kaufmänniſchen Patriciats fähig, die offenen Handelsgeſellſchaften, die<lb/> Kommanditgeſellſchaften und die großen Compagnien des 17.—18. Jahrhunderts, die<lb/> Vorläufer der Aktiengeſellſchaften, zu ſchaffen.</p><lb/> <p>Die <hi rendition="#g">offene Handelsgeſellſchaft</hi>, wie ſie ſich im heutigen europäiſchen Rechte kon-<lb/> ſolidiert und in neuerer Zeit immer weiter ausgedehnt hat, gedeiht auch heute noch am<lb/> beſten in den Händen von Verwandten; ſie ſtellt den gemeinſamen Betrieb eines Geſchäftes<lb/> durch mehrere gleichberechtigte Geſellſchafter unter voller Haft derſelben dar. Eine<lb/> einheitliche Firma und ein vom Privatvermögen der Geſellſchafter getrenntes Geſellſchafts-<lb/> vermögen ſtellt die Einheit nach außen in viel ſtärkerer Weiſe als einſt in der römiſchen<lb/><hi rendition="#aq">societas</hi> her; Tod, Austritt, Bankerott eines Geſellſchafters endigt das Geſchäft nicht<lb/> notwendig; meiſt ſetzen es die Erben fort; die innere Einheit iſt am beſten gewahrt,<lb/> wenn die an ſich gleichberechtigten Socii doch einem, dem Vater, dem Älteſten oder<lb/> Fähigſten ſich thatſächlich fügen. Die offene Handelsgeſellſchaft erhält die Geſchäfte<lb/> durch Generationen, verſtärkt das Geſchäftskapital, verhindert Auszahlung an Miterben;<lb/> ſie ſetzt an die Stelle des einen mehrere Leiter, die paſſend ſich in die Geſchäfte teilen<lb/> können, während das Riſiko und der Erwerbstrieb doch ähnliche bleiben, wie im Privat-<lb/> geſchäft mit einem Leiter. Immer iſt die Schlagfertigkeit und Energie der Leitung<lb/> geringer; die inneren Reibungen bringen eine große Zahl der neugegründeten Handels-<lb/> geſellſchaften ſtets wieder zu raſcher Auflöſung. In Preußen waren in den achtziger<lb/> Jahren von 102000 — 111000 ins Handelsregiſter eingetragenen Firmen etwa der<lb/> vierte Teil, 21—25000 Handelsgeſellſchaften, von letzteren wurden jährlich 2300—3500<lb/> neu eingetragen, 1700—3100 gelöſcht. In Deutſchland zählte man 1882 51108, 1895<lb/> 55239 offene Handelsgeſellſchaften, von welchen 32216 auf die Gewerbe mit 1,<hi rendition="#sub">25</hi> Mill.<lb/> Perſonen, 22426 auf Handel und Verkehr mit 0,<hi rendition="#sub">21</hi> Mill. Perſonen kamen. Im<lb/> Gebiete des Handels iſt dieſe Form des vergrößerten Leitungsapparates der Geſchäfte<lb/> älter, verbreiteter, ſchon bei geringerer Zahl der beſchäftigten Perſonen angezeigt; eine<lb/> offene Handelsgeſellſchaft umfaßt im ganzen hier 9—10, in den Gewerben 39—40<lb/> Perſonen; 1882 waren es 7 und 28.</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Die Aktiengeſellſchaften</hi> ſind erwachſen aus der Geſchäftspraxis und den<lb/> Privilegien der großen Compagnien des 17. und 18. Jahrhunderts. Dieſe waren teils<lb/> im Anſchluß an die Sitten der älteren Handelsgeſellſchaften und Schiffspartnerſchaften<lb/> entſtanden, teils hatten ſie anderen Einrichtungen einzelnes entnommen: ſo die Teilung<lb/> eines großen Kapitals in viele kleinere, gleichgroße Anteile den älteren italieniſchen<lb/> Staatsanleihen, den gleichzeitigen Betrieb großer Handelsgeſchäfte nach gemeinſamen<lb/> Regeln und mit Unterſtützung gemeinſamer Einrichtungen denjenigen ſpäteren Handels-<lb/> gilden, die man als regulierte Compagnien bezeichnet; wie wir ſchon erwähnten, waren<lb/> das Genoſſenſchaften von Kaufleuten und Reedern, welche mit getrenntem Kapital und<lb/> auf Rechnung der einzelnen, aber unter einheitlicher Leitung von Vorſtehern einen<lb/> beſtimmten Zweig des Handels betrieben, ihre Gemeinſamkeit unter Umſtänden bis zur<lb/> Zuſammenlegung ihrer Fonds ſteigerten und auf gemeinſame Gefahr ihre Geſchäfte<lb/> machten. Viele der wirklichen Compagnien waren halb oder ganz Staatsanſtalten; einzelne<lb/> führten nur eine Scheinexiſtenz als private Handels- oder Produktionsgeſchäfte, ſie<lb/> waren in Wahrheit Staatsanleihen, wobei ein Gläubigerausſchuß die Verwaltung hatte.<lb/> Faſt alle waren mit ſtaatlichen Vorrechten, viele mit Handelsmonopolen verſehen; die<lb/> wichtigſten waren im Kolonialhandel erwachſen. Einzelne verfügten ſchon über ſehr<lb/> große Kapitalien und ein Perſonal von 10—30000 Perſonen (Matroſen, Schiffsperſonal,<lb/> kaufmänniſche Verwalter, Kolonialbeamte). Von den meiſten (55—100) iſt keine nähere<lb/> Nachricht zu erhalten. Sie wurden im 17. Jahrhundert ebenſo von Praxis und Theorie als<lb/> das wichtigſte Mittel, Handel und Induſtrie emporzubringen, gerühmt, wie von 1750 an<lb/> von der individualiſtiſchen Tagesmeinung verurteilt: die Mißbräuche der Beamten, die<lb/> Unterſchlagungen, die teure Wirtſchaft des großen Apparates hatte 1700—1800 viele<lb/> bis zum Bankerott gebracht. Von Savary bis zu A. Smith und Büſch hören wir<lb/> nur Verurteilungen des Syſtems; die franzöſiſche Revolution verbietet 1793 alle Aktien-<lb/> geſellſchaften; Büſch ſchließt ſich dem Ausſpruch eines Hamburger Kaufmanns an:<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [441/0457]
Die Entſtehung des Geſellſchaftsweſens. Die offene Handels- und die Aktiengeſellſchaft.
des ſtädtiſch-kaufmänniſchen Patriciats fähig, die offenen Handelsgeſellſchaften, die
Kommanditgeſellſchaften und die großen Compagnien des 17.—18. Jahrhunderts, die
Vorläufer der Aktiengeſellſchaften, zu ſchaffen.
Die offene Handelsgeſellſchaft, wie ſie ſich im heutigen europäiſchen Rechte kon-
ſolidiert und in neuerer Zeit immer weiter ausgedehnt hat, gedeiht auch heute noch am
beſten in den Händen von Verwandten; ſie ſtellt den gemeinſamen Betrieb eines Geſchäftes
durch mehrere gleichberechtigte Geſellſchafter unter voller Haft derſelben dar. Eine
einheitliche Firma und ein vom Privatvermögen der Geſellſchafter getrenntes Geſellſchafts-
vermögen ſtellt die Einheit nach außen in viel ſtärkerer Weiſe als einſt in der römiſchen
societas her; Tod, Austritt, Bankerott eines Geſellſchafters endigt das Geſchäft nicht
notwendig; meiſt ſetzen es die Erben fort; die innere Einheit iſt am beſten gewahrt,
wenn die an ſich gleichberechtigten Socii doch einem, dem Vater, dem Älteſten oder
Fähigſten ſich thatſächlich fügen. Die offene Handelsgeſellſchaft erhält die Geſchäfte
durch Generationen, verſtärkt das Geſchäftskapital, verhindert Auszahlung an Miterben;
ſie ſetzt an die Stelle des einen mehrere Leiter, die paſſend ſich in die Geſchäfte teilen
können, während das Riſiko und der Erwerbstrieb doch ähnliche bleiben, wie im Privat-
geſchäft mit einem Leiter. Immer iſt die Schlagfertigkeit und Energie der Leitung
geringer; die inneren Reibungen bringen eine große Zahl der neugegründeten Handels-
geſellſchaften ſtets wieder zu raſcher Auflöſung. In Preußen waren in den achtziger
Jahren von 102000 — 111000 ins Handelsregiſter eingetragenen Firmen etwa der
vierte Teil, 21—25000 Handelsgeſellſchaften, von letzteren wurden jährlich 2300—3500
neu eingetragen, 1700—3100 gelöſcht. In Deutſchland zählte man 1882 51108, 1895
55239 offene Handelsgeſellſchaften, von welchen 32216 auf die Gewerbe mit 1,25 Mill.
Perſonen, 22426 auf Handel und Verkehr mit 0,21 Mill. Perſonen kamen. Im
Gebiete des Handels iſt dieſe Form des vergrößerten Leitungsapparates der Geſchäfte
älter, verbreiteter, ſchon bei geringerer Zahl der beſchäftigten Perſonen angezeigt; eine
offene Handelsgeſellſchaft umfaßt im ganzen hier 9—10, in den Gewerben 39—40
Perſonen; 1882 waren es 7 und 28.
Die Aktiengeſellſchaften ſind erwachſen aus der Geſchäftspraxis und den
Privilegien der großen Compagnien des 17. und 18. Jahrhunderts. Dieſe waren teils
im Anſchluß an die Sitten der älteren Handelsgeſellſchaften und Schiffspartnerſchaften
entſtanden, teils hatten ſie anderen Einrichtungen einzelnes entnommen: ſo die Teilung
eines großen Kapitals in viele kleinere, gleichgroße Anteile den älteren italieniſchen
Staatsanleihen, den gleichzeitigen Betrieb großer Handelsgeſchäfte nach gemeinſamen
Regeln und mit Unterſtützung gemeinſamer Einrichtungen denjenigen ſpäteren Handels-
gilden, die man als regulierte Compagnien bezeichnet; wie wir ſchon erwähnten, waren
das Genoſſenſchaften von Kaufleuten und Reedern, welche mit getrenntem Kapital und
auf Rechnung der einzelnen, aber unter einheitlicher Leitung von Vorſtehern einen
beſtimmten Zweig des Handels betrieben, ihre Gemeinſamkeit unter Umſtänden bis zur
Zuſammenlegung ihrer Fonds ſteigerten und auf gemeinſame Gefahr ihre Geſchäfte
machten. Viele der wirklichen Compagnien waren halb oder ganz Staatsanſtalten; einzelne
führten nur eine Scheinexiſtenz als private Handels- oder Produktionsgeſchäfte, ſie
waren in Wahrheit Staatsanleihen, wobei ein Gläubigerausſchuß die Verwaltung hatte.
Faſt alle waren mit ſtaatlichen Vorrechten, viele mit Handelsmonopolen verſehen; die
wichtigſten waren im Kolonialhandel erwachſen. Einzelne verfügten ſchon über ſehr
große Kapitalien und ein Perſonal von 10—30000 Perſonen (Matroſen, Schiffsperſonal,
kaufmänniſche Verwalter, Kolonialbeamte). Von den meiſten (55—100) iſt keine nähere
Nachricht zu erhalten. Sie wurden im 17. Jahrhundert ebenſo von Praxis und Theorie als
das wichtigſte Mittel, Handel und Induſtrie emporzubringen, gerühmt, wie von 1750 an
von der individualiſtiſchen Tagesmeinung verurteilt: die Mißbräuche der Beamten, die
Unterſchlagungen, die teure Wirtſchaft des großen Apparates hatte 1700—1800 viele
bis zum Bankerott gebracht. Von Savary bis zu A. Smith und Büſch hören wir
nur Verurteilungen des Syſtems; die franzöſiſche Revolution verbietet 1793 alle Aktien-
geſellſchaften; Büſch ſchließt ſich dem Ausſpruch eines Hamburger Kaufmanns an:
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |