Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.Zweites Buch. Die gesellschaftliche Verfassung der Volkswirtschaft. "Cumpani is Lumperi". Die individualistische Aufklärung kann sich nicht denken, daßeine Gesellschaft von Kapitalisten die richtigen Leiter finde: den Direktoren, sagt Smith, fehlt Fleiß, Umsicht, Fähigkeit, den Beamten die Ehrlichkeit; beide verwalten ja fremdes, nicht eigenes Vermögen; sie wirtschaften leichtsinnig, wie die Kammerdiener reicher Leute. Die Lähmung des Wirtschaftslebens durch die Kriegszeit und die lange nach- folgende Erholungszeit bis gegen 1830--40 schien solchen Stimmen recht zu geben. Erst von 1830--60 begann das Bedürfnis nach großen dauernden lebensfähigen Geschäfts- anstalten mit riesenhaften Kapitalien wieder sich geltend zu machen: die neue Technik, die neuen Verkehrs- und Krediteinrichtungen drängten dahin, ein neuer Aufschwung kam in das Aktiengesellschaftswesen. Die Gesetzgebung der meisten Staaten versuchte in wiederholten Anläufen, die Teils mit dem Wechsel der Gesetzgebung, teils mit den geschäftlichen Aufschwungs- Die heutigen Aktiengesellschaften sind von privaten Personen gegründete und ver- Die jährlich einmal berufene, ein bis zwei Stunden tagende Generalversammlung Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft. „Cumpani is Lumperi“. Die individualiſtiſche Aufklärung kann ſich nicht denken, daßeine Geſellſchaft von Kapitaliſten die richtigen Leiter finde: den Direktoren, ſagt Smith, fehlt Fleiß, Umſicht, Fähigkeit, den Beamten die Ehrlichkeit; beide verwalten ja fremdes, nicht eigenes Vermögen; ſie wirtſchaften leichtſinnig, wie die Kammerdiener reicher Leute. Die Lähmung des Wirtſchaftslebens durch die Kriegszeit und die lange nach- folgende Erholungszeit bis gegen 1830—40 ſchien ſolchen Stimmen recht zu geben. Erſt von 1830—60 begann das Bedürfnis nach großen dauernden lebensfähigen Geſchäfts- anſtalten mit rieſenhaften Kapitalien wieder ſich geltend zu machen: die neue Technik, die neuen Verkehrs- und Krediteinrichtungen drängten dahin, ein neuer Aufſchwung kam in das Aktiengeſellſchaftsweſen. Die Geſetzgebung der meiſten Staaten verſuchte in wiederholten Anläufen, die Teils mit dem Wechſel der Geſetzgebung, teils mit den geſchäftlichen Aufſchwungs- Die heutigen Aktiengeſellſchaften ſind von privaten Perſonen gegründete und ver- Die jährlich einmal berufene, ein bis zwei Stunden tagende Generalverſammlung <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0458" n="442"/><fw place="top" type="header">Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft.</fw><lb/> „Cumpani is Lumperi“. Die individualiſtiſche Aufklärung kann ſich nicht denken, daß<lb/> eine Geſellſchaft von Kapitaliſten die richtigen Leiter finde: den Direktoren, ſagt Smith,<lb/> fehlt Fleiß, Umſicht, Fähigkeit, den Beamten die Ehrlichkeit; beide verwalten ja fremdes,<lb/> nicht eigenes Vermögen; ſie wirtſchaften leichtſinnig, wie die Kammerdiener reicher<lb/> Leute. Die Lähmung des Wirtſchaftslebens durch die Kriegszeit und die lange nach-<lb/> folgende Erholungszeit bis gegen 1830—40 ſchien ſolchen Stimmen recht zu geben.<lb/> Erſt von 1830—60 begann das Bedürfnis nach großen dauernden lebensfähigen Geſchäfts-<lb/> anſtalten mit rieſenhaften Kapitalien wieder ſich geltend zu machen: die neue Technik,<lb/> die neuen Verkehrs- und Krediteinrichtungen drängten dahin, ein neuer Aufſchwung<lb/> kam in das Aktiengeſellſchaftsweſen.</p><lb/> <p>Die Geſetzgebung der meiſten Staaten verſuchte in wiederholten Anläufen, die<lb/> neuen Bildungen einem gleichmäßigen Rechte zu unterwerfen, die beſchränkte Haft der<lb/> Aktie einerſeits, die Entſtehung und die Pflichten der Organe der Geſellſchaft andererſeits<lb/> zu normieren, die Geſellſchaften einer gewiſſen Öffentlichkeit zu unterwerfen, z. B. dem<lb/> Zwange, ihre Geſellſchaftsberichte wahrheitsgetreu zu publizieren, ſich anzumelden und<lb/> in ein öffentliches Regiſter eintragen zu laſſen. Die älteren Geſetze knüpften die Entſtehung<lb/> meiſt noch an eine ſtaatliche Konzeſſion; doch ließ man dieſe 1844—85 in den meiſten<lb/> Staaten fallen; ähnlich die laufende Aufſicht durch Staatsbeamte. Nur für gewiſſe<lb/> Arten, z. B. Eiſenbahnen, Notenbanken, Verſicherungsgeſellſchaften u. ſ. w. behielt man<lb/> meiſt ſtaatliche Konzeſſion und Aufſicht bei. Die Freigebung ſuchte man durch ver-<lb/> ſtärkte Publizität und geſteigerte geſetzliche Normativbeſtimmungen über die Begründung<lb/> der Geſellſchaften, die Verantwortlichkeit der Gründer, der Vorſtände und Beamten<lb/> zu erſetzen.</p><lb/> <p>Teils mit dem Wechſel der Geſetzgebung, teils mit den geſchäftlichen Aufſchwungs-<lb/> perioden hing die ſteigende Ausbreitung der Aktiengeſellſchaften zuſammen. Nach den<lb/> Mißbräuchen in den Epochen des geſchäftlichen Schwindels angeklagt und diskreditiert,<lb/> zeitweiſe abnehmend oder ſtillſtehend, haben ſie immer bald wieder zugenommen. Unſere<lb/> heutige Großinduſtrie, unſere großen Verkehrs- und Kreditanſtalten ſind ohne die Aktien-<lb/> geſellſchaft nicht zu denken. Was ſtellen ſie nun dar?</p><lb/> <p>Die heutigen Aktiengeſellſchaften ſind von privaten Perſonen gegründete und ver-<lb/> waltete Vereine mit juriſtiſcher Perſönlichkeit, welche in der Weiſe feſte gleiche Kapital-<lb/> beiträge zu einem beſtimmten, genau fixierten Geſchäftszwecke zuſammenlegen, daß die<lb/> Mitglieder nur mit dieſen haften, ſie aber auch während des Beſtehens nicht zurück-<lb/> ziehen dürfen, daß Gewinn und Verluſt auf dieſe Beiträge verteilt wird, und daß die<lb/> Geſchäftsleitung durch Majoritätsbeſchlüſſe und Wahl von Vorſtänden nach dem Maß-<lb/> ſtab der Beiträge herbeigeführt wird. Die über dieſe Beiträge ausgeſtellten Urkunden<lb/> heißen Aktien, ſie lauten meiſt auf den Inhaber, ſind ſo leicht verkäuflich. Die Gleichheit<lb/> des Aktienbetrages ſchließt nicht aus, daß einzelne Mitglieder ſehr viele, andere ſehr<lb/> wenige oder nur eine Aktie haben. Meiſt gedeihen die Aktiengeſellſchaften am beſten, deren<lb/> Hauptaktienſtamm in wenigen geſchäftskundigen Händen iſt; wie überhaupt thatſächlich<lb/> das gleiche Recht jeder Aktie nur eine juriſtiſche Fiktion darſtellt; faſt überall handelt<lb/> es ſich um die Verbindung zwei ganz verſchiedener Gruppen von Aktionären: einerſeits<lb/> um die geſchäftsunkundigen Privatleute, die in der Aktie nur die Kapitalanlage ſehen, und<lb/> andererſeits um die geſchäftskundigen Aktionäre, welche die Initiative bei der Begründung<lb/> hatten, die Geſellſchaft und das Geſchäft beherrſchen und leiten. Die Aktiengeſellſchaft<lb/> hat ihre Wurzel im privaten Geſchäftsleben; einzelne durch Wahl berufene Geſchäftsleute<lb/> führen als Aufſichtsräte und Direktoren die Verwaltung in ähnlicher Weiſe wie<lb/> private Geſchäfte. Aber die Größe ihrer Zwecke, ihres Kapitals, ihrer dauernden Anlagen,<lb/> ihr großes Perſonal, ihre Tauſende von Arbeitern, oft ihre monopolartige Stellung<lb/> geben der Aktiengeſellſchaft, jedenfalls der größeren, thatſächlich eine halböffentliche<lb/> Stellung, eine Bedeutung, wie ſie ſonſt nur eine große Stadt- oder Kreisverwaltung<lb/> haben kann. Wie können dem ihre Organe gerecht werden?</p><lb/> <p>Die jährlich einmal berufene, ein bis zwei Stunden tagende Generalverſammlung<lb/> der Aktionäre hat das wichtige Recht, den Aufſichtsrat und eventuell auch den Vor-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [442/0458]
Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft.
„Cumpani is Lumperi“. Die individualiſtiſche Aufklärung kann ſich nicht denken, daß
eine Geſellſchaft von Kapitaliſten die richtigen Leiter finde: den Direktoren, ſagt Smith,
fehlt Fleiß, Umſicht, Fähigkeit, den Beamten die Ehrlichkeit; beide verwalten ja fremdes,
nicht eigenes Vermögen; ſie wirtſchaften leichtſinnig, wie die Kammerdiener reicher
Leute. Die Lähmung des Wirtſchaftslebens durch die Kriegszeit und die lange nach-
folgende Erholungszeit bis gegen 1830—40 ſchien ſolchen Stimmen recht zu geben.
Erſt von 1830—60 begann das Bedürfnis nach großen dauernden lebensfähigen Geſchäfts-
anſtalten mit rieſenhaften Kapitalien wieder ſich geltend zu machen: die neue Technik,
die neuen Verkehrs- und Krediteinrichtungen drängten dahin, ein neuer Aufſchwung
kam in das Aktiengeſellſchaftsweſen.
Die Geſetzgebung der meiſten Staaten verſuchte in wiederholten Anläufen, die
neuen Bildungen einem gleichmäßigen Rechte zu unterwerfen, die beſchränkte Haft der
Aktie einerſeits, die Entſtehung und die Pflichten der Organe der Geſellſchaft andererſeits
zu normieren, die Geſellſchaften einer gewiſſen Öffentlichkeit zu unterwerfen, z. B. dem
Zwange, ihre Geſellſchaftsberichte wahrheitsgetreu zu publizieren, ſich anzumelden und
in ein öffentliches Regiſter eintragen zu laſſen. Die älteren Geſetze knüpften die Entſtehung
meiſt noch an eine ſtaatliche Konzeſſion; doch ließ man dieſe 1844—85 in den meiſten
Staaten fallen; ähnlich die laufende Aufſicht durch Staatsbeamte. Nur für gewiſſe
Arten, z. B. Eiſenbahnen, Notenbanken, Verſicherungsgeſellſchaften u. ſ. w. behielt man
meiſt ſtaatliche Konzeſſion und Aufſicht bei. Die Freigebung ſuchte man durch ver-
ſtärkte Publizität und geſteigerte geſetzliche Normativbeſtimmungen über die Begründung
der Geſellſchaften, die Verantwortlichkeit der Gründer, der Vorſtände und Beamten
zu erſetzen.
Teils mit dem Wechſel der Geſetzgebung, teils mit den geſchäftlichen Aufſchwungs-
perioden hing die ſteigende Ausbreitung der Aktiengeſellſchaften zuſammen. Nach den
Mißbräuchen in den Epochen des geſchäftlichen Schwindels angeklagt und diskreditiert,
zeitweiſe abnehmend oder ſtillſtehend, haben ſie immer bald wieder zugenommen. Unſere
heutige Großinduſtrie, unſere großen Verkehrs- und Kreditanſtalten ſind ohne die Aktien-
geſellſchaft nicht zu denken. Was ſtellen ſie nun dar?
Die heutigen Aktiengeſellſchaften ſind von privaten Perſonen gegründete und ver-
waltete Vereine mit juriſtiſcher Perſönlichkeit, welche in der Weiſe feſte gleiche Kapital-
beiträge zu einem beſtimmten, genau fixierten Geſchäftszwecke zuſammenlegen, daß die
Mitglieder nur mit dieſen haften, ſie aber auch während des Beſtehens nicht zurück-
ziehen dürfen, daß Gewinn und Verluſt auf dieſe Beiträge verteilt wird, und daß die
Geſchäftsleitung durch Majoritätsbeſchlüſſe und Wahl von Vorſtänden nach dem Maß-
ſtab der Beiträge herbeigeführt wird. Die über dieſe Beiträge ausgeſtellten Urkunden
heißen Aktien, ſie lauten meiſt auf den Inhaber, ſind ſo leicht verkäuflich. Die Gleichheit
des Aktienbetrages ſchließt nicht aus, daß einzelne Mitglieder ſehr viele, andere ſehr
wenige oder nur eine Aktie haben. Meiſt gedeihen die Aktiengeſellſchaften am beſten, deren
Hauptaktienſtamm in wenigen geſchäftskundigen Händen iſt; wie überhaupt thatſächlich
das gleiche Recht jeder Aktie nur eine juriſtiſche Fiktion darſtellt; faſt überall handelt
es ſich um die Verbindung zwei ganz verſchiedener Gruppen von Aktionären: einerſeits
um die geſchäftsunkundigen Privatleute, die in der Aktie nur die Kapitalanlage ſehen, und
andererſeits um die geſchäftskundigen Aktionäre, welche die Initiative bei der Begründung
hatten, die Geſellſchaft und das Geſchäft beherrſchen und leiten. Die Aktiengeſellſchaft
hat ihre Wurzel im privaten Geſchäftsleben; einzelne durch Wahl berufene Geſchäftsleute
führen als Aufſichtsräte und Direktoren die Verwaltung in ähnlicher Weiſe wie
private Geſchäfte. Aber die Größe ihrer Zwecke, ihres Kapitals, ihrer dauernden Anlagen,
ihr großes Perſonal, ihre Tauſende von Arbeitern, oft ihre monopolartige Stellung
geben der Aktiengeſellſchaft, jedenfalls der größeren, thatſächlich eine halböffentliche
Stellung, eine Bedeutung, wie ſie ſonſt nur eine große Stadt- oder Kreisverwaltung
haben kann. Wie können dem ihre Organe gerecht werden?
Die jährlich einmal berufene, ein bis zwei Stunden tagende Generalverſammlung
der Aktionäre hat das wichtige Recht, den Aufſichtsrat und eventuell auch den Vor-
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