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Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870.

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Die preußischen Aufnahmen.
selben ab-, die Zahl der Bankerotte unter ihnen
erschreckend zunehme; da hatten sie geklagt über um sich
greifende Entsittlichung, unzuverlässigere, schlechtere Arbeit
der Handwerker, über die Thatsache, daß das Bedürfniß
der Berliner Armenkasse von 104137 Thlr. im Jahre
1821 auf 373530 Thlr. im Jahre 1838 gestiegen sei.1
Und solche Klagen waren nicht alleinstehend. Köln hatte
eine ähnliche Bittschrift dem Könige überreicht.

Statistisch zeigt sich die Krisis sprechend genug in
dem Stillstand der Zahlen. Ziehen wir für 1846 circa
100000, für 1849 circa 200000 Personen von der
preußischen Handwerkertabelle ab, so bleiben die Haupt-
summen so ziemlich auf dem Niveau von 1843, wäh-
rend die Bevölkerung zunimmt.

Vergleicht man die einzelnen Handwerke in ihren
Zahlen von 1843 und 46, so nehmen wohl noch
manche der wichtigern unbedeutend zu; eine wesentliche
Zunahme zeigt nur die Zahl der Maurergehülfen, was
Folge der Eisenbahnbauten und Fabrikanlagen ist. Viele
bleiben stabil; manche zeigen schon eine Abnahme --
theilweise von nicht geringer Bedeutung; es sind solche,
die unter der Konkurrenz der Fabrikwaaren leiden; ein-
zelne von ihnen haben später wieder zugenommen als
Reparaturgewerbe oder durch andere Ursachen. Was sie
zunächst niederdrückt, ist der erste Gewaltstoß der neuen
Zeit, der neuen Technik, dem sie nicht gewachsen sind,
vor allem damals noch nicht gewachsen waren, da der

1 Ueber das Innungswesen und die Verhältnisse der
städtischen Handwerke überhaupt von M. M. Gießen 1843.
S. 13.

Die preußiſchen Aufnahmen.
ſelben ab-, die Zahl der Bankerotte unter ihnen
erſchreckend zunehme; da hatten ſie geklagt über um ſich
greifende Entſittlichung, unzuverläſſigere, ſchlechtere Arbeit
der Handwerker, über die Thatſache, daß das Bedürfniß
der Berliner Armenkaſſe von 104137 Thlr. im Jahre
1821 auf 373530 Thlr. im Jahre 1838 geſtiegen ſei.1
Und ſolche Klagen waren nicht alleinſtehend. Köln hatte
eine ähnliche Bittſchrift dem Könige überreicht.

Statiſtiſch zeigt ſich die Kriſis ſprechend genug in
dem Stillſtand der Zahlen. Ziehen wir für 1846 circa
100000, für 1849 circa 200000 Perſonen von der
preußiſchen Handwerkertabelle ab, ſo bleiben die Haupt-
ſummen ſo ziemlich auf dem Niveau von 1843, wäh-
rend die Bevölkerung zunimmt.

Vergleicht man die einzelnen Handwerke in ihren
Zahlen von 1843 und 46, ſo nehmen wohl noch
manche der wichtigern unbedeutend zu; eine weſentliche
Zunahme zeigt nur die Zahl der Maurergehülfen, was
Folge der Eiſenbahnbauten und Fabrikanlagen iſt. Viele
bleiben ſtabil; manche zeigen ſchon eine Abnahme —
theilweiſe von nicht geringer Bedeutung; es ſind ſolche,
die unter der Konkurrenz der Fabrikwaaren leiden; ein-
zelne von ihnen haben ſpäter wieder zugenommen als
Reparaturgewerbe oder durch andere Urſachen. Was ſie
zunächſt niederdrückt, iſt der erſte Gewaltſtoß der neuen
Zeit, der neuen Technik, dem ſie nicht gewachſen ſind,
vor allem damals noch nicht gewachſen waren, da der

1 Ueber das Innungsweſen und die Verhältniſſe der
ſtädtiſchen Handwerke überhaupt von M. M. Gießen 1843.
S. 13.
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[80/0102] Die preußiſchen Aufnahmen. ſelben ab-, die Zahl der Bankerotte unter ihnen erſchreckend zunehme; da hatten ſie geklagt über um ſich greifende Entſittlichung, unzuverläſſigere, ſchlechtere Arbeit der Handwerker, über die Thatſache, daß das Bedürfniß der Berliner Armenkaſſe von 104137 Thlr. im Jahre 1821 auf 373530 Thlr. im Jahre 1838 geſtiegen ſei. 1 Und ſolche Klagen waren nicht alleinſtehend. Köln hatte eine ähnliche Bittſchrift dem Könige überreicht. Statiſtiſch zeigt ſich die Kriſis ſprechend genug in dem Stillſtand der Zahlen. Ziehen wir für 1846 circa 100000, für 1849 circa 200000 Perſonen von der preußiſchen Handwerkertabelle ab, ſo bleiben die Haupt- ſummen ſo ziemlich auf dem Niveau von 1843, wäh- rend die Bevölkerung zunimmt. Vergleicht man die einzelnen Handwerke in ihren Zahlen von 1843 und 46, ſo nehmen wohl noch manche der wichtigern unbedeutend zu; eine weſentliche Zunahme zeigt nur die Zahl der Maurergehülfen, was Folge der Eiſenbahnbauten und Fabrikanlagen iſt. Viele bleiben ſtabil; manche zeigen ſchon eine Abnahme — theilweiſe von nicht geringer Bedeutung; es ſind ſolche, die unter der Konkurrenz der Fabrikwaaren leiden; ein- zelne von ihnen haben ſpäter wieder zugenommen als Reparaturgewerbe oder durch andere Urſachen. Was ſie zunächſt niederdrückt, iſt der erſte Gewaltſtoß der neuen Zeit, der neuen Technik, dem ſie nicht gewachſen ſind, vor allem damals noch nicht gewachſen waren, da der 1 Ueber das Innungsweſen und die Verhältniſſe der ſtädtiſchen Handwerke überhaupt von M. M. Gießen 1843. S. 13.

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_kleingewerbe_1870/102>, abgerufen am 21.11.2024.