Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870.

Bild:
<< vorherige Seite

Die preußischen Aufnahmen.
mögenslosen jungen Manne bleibt also, will er nicht
Zeitlebens Tagelöhner sein, nur übrig, in industrie-
reichen Gegenden einen Hausstand zu gründen."

Man könnte diesen traurigen Aussprüchen gegenüber
die Frage aufwerfen, ob es jemals früher in diesen
Kreisen besser bestellt war? Man könnte daran erin-
nern, daß jede starke Bevölkerungszunahme, man mag
sie im Allgemeinen als noch so günstig betrachten, in
einzelnen Kreisen, für Stellungen, die leicht zugänglich
sind, einen stärkeren Andrang und damit ein gewisses
Unbehagen erzeugen muß, daß aus diesem Unbehagen
heraus ja aller Fortschritt stattfindet. Beide Einwen-
dungen schwächen die Klagen über die gegenwärtige
Lage der Handwerker ab; aber sie machen sie nicht ver-
stummen. Die Hauptursachen des Druckes liegen in der
volkswirthschaftlichen Umbildung aller unserer Verhält-
nisse seit 20 Jahren.

Wenn man das bei den eigentlichen Handwerkern
leugnen wollte, jedenfalls müßte man es zugeben in
Bezug auf die Hausindustrie der Weber, die von unserer
bisherigen Untersuchung ausgeschlossen war. War ihre
Lage 1850--60 vielfach wieder eine bessere als
1840--50, im Ganzen war sie doch jammervoll genug,
wie die Mittheilungen aus den landräthlichen Kreisbe-
schreibungen ebenfalls zeigen. Es gilt wenigstens für
den größern Theil der Handweberei, was der Landrath
des Kreises Landeshut in Schlesien (1860) sagt: "Die
Beschäftigung so vieler Menschen mit einem unterge-
henden Gewerbe läßt kaum einer Hoffnung des Besser-
werdens Raum."

Die preußiſchen Aufnahmen.
mögensloſen jungen Manne bleibt alſo, will er nicht
Zeitlebens Tagelöhner ſein, nur übrig, in induſtrie-
reichen Gegenden einen Hausſtand zu gründen.“

Man könnte dieſen traurigen Ausſprüchen gegenüber
die Frage aufwerfen, ob es jemals früher in dieſen
Kreiſen beſſer beſtellt war? Man könnte daran erin-
nern, daß jede ſtarke Bevölkerungszunahme, man mag
ſie im Allgemeinen als noch ſo günſtig betrachten, in
einzelnen Kreiſen, für Stellungen, die leicht zugänglich
ſind, einen ſtärkeren Andrang und damit ein gewiſſes
Unbehagen erzeugen muß, daß aus dieſem Unbehagen
heraus ja aller Fortſchritt ſtattfindet. Beide Einwen-
dungen ſchwächen die Klagen über die gegenwärtige
Lage der Handwerker ab; aber ſie machen ſie nicht ver-
ſtummen. Die Haupturſachen des Druckes liegen in der
volkswirthſchaftlichen Umbildung aller unſerer Verhält-
niſſe ſeit 20 Jahren.

Wenn man das bei den eigentlichen Handwerkern
leugnen wollte, jedenfalls müßte man es zugeben in
Bezug auf die Hausinduſtrie der Weber, die von unſerer
bisherigen Unterſuchung ausgeſchloſſen war. War ihre
Lage 1850—60 vielfach wieder eine beſſere als
1840—50, im Ganzen war ſie doch jammervoll genug,
wie die Mittheilungen aus den landräthlichen Kreisbe-
ſchreibungen ebenfalls zeigen. Es gilt wenigſtens für
den größern Theil der Handweberei, was der Landrath
des Kreiſes Landeshut in Schleſien (1860) ſagt: „Die
Beſchäftigung ſo vieler Menſchen mit einem unterge-
henden Gewerbe läßt kaum einer Hoffnung des Beſſer-
werdens Raum.“

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0120" n="98"/><fw place="top" type="header">Die preußi&#x017F;chen Aufnahmen.</fw><lb/>
mögenslo&#x017F;en jungen Manne bleibt al&#x017F;o, will er nicht<lb/>
Zeitlebens Tagelöhner &#x017F;ein, nur übrig, in indu&#x017F;trie-<lb/>
reichen Gegenden einen Haus&#x017F;tand zu gründen.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Man könnte die&#x017F;en traurigen Aus&#x017F;prüchen gegenüber<lb/>
die Frage aufwerfen, ob es jemals früher in die&#x017F;en<lb/>
Krei&#x017F;en be&#x017F;&#x017F;er be&#x017F;tellt war? Man könnte daran erin-<lb/>
nern, daß jede &#x017F;tarke Bevölkerungszunahme, man mag<lb/>
&#x017F;ie im Allgemeinen als noch &#x017F;o gün&#x017F;tig betrachten, in<lb/>
einzelnen Krei&#x017F;en, für Stellungen, die leicht zugänglich<lb/>
&#x017F;ind, einen &#x017F;tärkeren Andrang und damit ein gewi&#x017F;&#x017F;es<lb/>
Unbehagen erzeugen muß, daß aus die&#x017F;em Unbehagen<lb/>
heraus ja aller Fort&#x017F;chritt &#x017F;tattfindet. Beide Einwen-<lb/>
dungen &#x017F;chwächen die Klagen über die gegenwärtige<lb/>
Lage der Handwerker ab; aber &#x017F;ie machen &#x017F;ie nicht ver-<lb/>
&#x017F;tummen. Die Hauptur&#x017F;achen des Druckes liegen in der<lb/>
volkswirth&#x017F;chaftlichen Umbildung aller un&#x017F;erer Verhält-<lb/>
ni&#x017F;&#x017F;e &#x017F;eit 20 Jahren.</p><lb/>
          <p>Wenn man das bei den eigentlichen Handwerkern<lb/>
leugnen wollte, jedenfalls müßte man es zugeben in<lb/>
Bezug auf die Hausindu&#x017F;trie der Weber, die von un&#x017F;erer<lb/>
bisherigen Unter&#x017F;uchung ausge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en war. War ihre<lb/>
Lage 1850&#x2014;60 vielfach wieder eine be&#x017F;&#x017F;ere als<lb/>
1840&#x2014;50, im Ganzen war &#x017F;ie doch jammervoll genug,<lb/>
wie die Mittheilungen aus den landräthlichen Kreisbe-<lb/>
&#x017F;chreibungen ebenfalls zeigen. Es gilt wenig&#x017F;tens für<lb/>
den größern Theil der Handweberei, was der Landrath<lb/>
des Krei&#x017F;es Landeshut in Schle&#x017F;ien (1860) &#x017F;agt: &#x201E;Die<lb/>
Be&#x017F;chäftigung &#x017F;o vieler Men&#x017F;chen mit einem unterge-<lb/>
henden Gewerbe läßt kaum einer Hoffnung des Be&#x017F;&#x017F;er-<lb/>
werdens Raum.&#x201C;</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[98/0120] Die preußiſchen Aufnahmen. mögensloſen jungen Manne bleibt alſo, will er nicht Zeitlebens Tagelöhner ſein, nur übrig, in induſtrie- reichen Gegenden einen Hausſtand zu gründen.“ Man könnte dieſen traurigen Ausſprüchen gegenüber die Frage aufwerfen, ob es jemals früher in dieſen Kreiſen beſſer beſtellt war? Man könnte daran erin- nern, daß jede ſtarke Bevölkerungszunahme, man mag ſie im Allgemeinen als noch ſo günſtig betrachten, in einzelnen Kreiſen, für Stellungen, die leicht zugänglich ſind, einen ſtärkeren Andrang und damit ein gewiſſes Unbehagen erzeugen muß, daß aus dieſem Unbehagen heraus ja aller Fortſchritt ſtattfindet. Beide Einwen- dungen ſchwächen die Klagen über die gegenwärtige Lage der Handwerker ab; aber ſie machen ſie nicht ver- ſtummen. Die Haupturſachen des Druckes liegen in der volkswirthſchaftlichen Umbildung aller unſerer Verhält- niſſe ſeit 20 Jahren. Wenn man das bei den eigentlichen Handwerkern leugnen wollte, jedenfalls müßte man es zugeben in Bezug auf die Hausinduſtrie der Weber, die von unſerer bisherigen Unterſuchung ausgeſchloſſen war. War ihre Lage 1850—60 vielfach wieder eine beſſere als 1840—50, im Ganzen war ſie doch jammervoll genug, wie die Mittheilungen aus den landräthlichen Kreisbe- ſchreibungen ebenfalls zeigen. Es gilt wenigſtens für den größern Theil der Handweberei, was der Landrath des Kreiſes Landeshut in Schleſien (1860) ſagt: „Die Beſchäftigung ſo vieler Menſchen mit einem unterge- henden Gewerbe läßt kaum einer Hoffnung des Beſſer- werdens Raum.“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_kleingewerbe_1870
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_kleingewerbe_1870/120
Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_kleingewerbe_1870/120>, abgerufen am 21.11.2024.