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Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870.

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Die Aufnahmen der kleinern Staaten.
einzelner intelligenter und bemittelter Meister, die Hand-
weberei auf den rechten Weg zu führen und wieder zu
heben."

Die Baumwollweberei hat ihren Hauptsitz in Ober-
franken, im Voigtlande, wo eine rührige fleißige Bevöl-
kerung mit erschöpfender Thätigkeit und Arbeitslust ihr
rührend genügsames Dasein fristet.1 Der 30ste Mensch
ist in Oberfranken ein Weber, in ganz Baiern der 96ste.
Im Bezirke Müncheberg kommen auf 24000 Seelen
etwa 2000 Webermeister mit ungefähr 1000 Gesellen,
also eine Weberbevölkerung von gegen 10000--12000
Menschen. Die Baumwollweberei entwickelte sich hier als
freieres Gewerbe gegenüber der strengern zunftmäßigen
Leinenweberei seit dem 15. Jahrhundert. Noch gegen
Ende des vorigen Jahrhunderts war es ein blühender
Zustand. Einige wenige Fabrikanten beschäftigten schon
140--150 Stühle; die meisten nur wenige Stühle;

1 Siehe Bavaria III, erste Abtheilung S. 336. Fentsch,
der lokalkundige unparteiische Verfasser dieses Abschnitts sagt:
"Der Oberfranke ist im Allgemeinen rührig und fleißig. In
den Bezirken, wo eine industrielle Beschäftigung vorwiegend ist,
bei den Paterlmachern, den Verfertigern von Holzschuhen und
den Schwingenmachern im Gebirge, den Korbflechtern am Main
und an der Rodach, den Tafelmachern im Thüringer Wald,
in den Weberdistrikten des Voigtlandes und des Wunsiedler
Kreises, dann um Berneck, wo das Plauisch-Nähen (die Sticke-
rei) in einem großen Theil der Hütten und Bürgerhäuser alle
Hände beschäftigt, ist die Arbeit nahebei zur Mühsal geworden.
Der geringe Verdienst gestattet nur wenig Ruhepunkte, und auf
dem Werktagsleben lastet eine unerquickliche Monotonie, deren
Wirkung sich in einem Mangel an Frische und Freudigkeit kund-
giebt."

Die Aufnahmen der kleinern Staaten.
einzelner intelligenter und bemittelter Meiſter, die Hand-
weberei auf den rechten Weg zu führen und wieder zu
heben.“

Die Baumwollweberei hat ihren Hauptſitz in Ober-
franken, im Voigtlande, wo eine rührige fleißige Bevöl-
kerung mit erſchöpfender Thätigkeit und Arbeitsluſt ihr
rührend genügſames Daſein friſtet.1 Der 30ſte Menſch
iſt in Oberfranken ein Weber, in ganz Baiern der 96ſte.
Im Bezirke Müncheberg kommen auf 24000 Seelen
etwa 2000 Webermeiſter mit ungefähr 1000 Geſellen,
alſo eine Weberbevölkerung von gegen 10000—12000
Menſchen. Die Baumwollweberei entwickelte ſich hier als
freieres Gewerbe gegenüber der ſtrengern zunftmäßigen
Leinenweberei ſeit dem 15. Jahrhundert. Noch gegen
Ende des vorigen Jahrhunderts war es ein blühender
Zuſtand. Einige wenige Fabrikanten beſchäftigten ſchon
140—150 Stühle; die meiſten nur wenige Stühle;

1 Siehe Bavaria III, erſte Abtheilung S. 336. Fentſch,
der lokalkundige unparteiiſche Verfaſſer dieſes Abſchnitts ſagt:
„Der Oberfranke iſt im Allgemeinen rührig und fleißig. In
den Bezirken, wo eine induſtrielle Beſchäftigung vorwiegend iſt,
bei den Paterlmachern, den Verfertigern von Holzſchuhen und
den Schwingenmachern im Gebirge, den Korbflechtern am Main
und an der Rodach, den Tafelmachern im Thüringer Wald,
in den Weberdiſtrikten des Voigtlandes und des Wunſiedler
Kreiſes, dann um Berneck, wo das Plauiſch-Nähen (die Sticke-
rei) in einem großen Theil der Hütten und Bürgerhäuſer alle
Hände beſchäftigt, iſt die Arbeit nahebei zur Mühſal geworden.
Der geringe Verdienſt geſtattet nur wenig Ruhepunkte, und auf
dem Werktagsleben laſtet eine unerquickliche Monotonie, deren
Wirkung ſich in einem Mangel an Friſche und Freudigkeit kund-
giebt.“
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[130/0152] Die Aufnahmen der kleinern Staaten. einzelner intelligenter und bemittelter Meiſter, die Hand- weberei auf den rechten Weg zu führen und wieder zu heben.“ Die Baumwollweberei hat ihren Hauptſitz in Ober- franken, im Voigtlande, wo eine rührige fleißige Bevöl- kerung mit erſchöpfender Thätigkeit und Arbeitsluſt ihr rührend genügſames Daſein friſtet. 1 Der 30ſte Menſch iſt in Oberfranken ein Weber, in ganz Baiern der 96ſte. Im Bezirke Müncheberg kommen auf 24000 Seelen etwa 2000 Webermeiſter mit ungefähr 1000 Geſellen, alſo eine Weberbevölkerung von gegen 10000—12000 Menſchen. Die Baumwollweberei entwickelte ſich hier als freieres Gewerbe gegenüber der ſtrengern zunftmäßigen Leinenweberei ſeit dem 15. Jahrhundert. Noch gegen Ende des vorigen Jahrhunderts war es ein blühender Zuſtand. Einige wenige Fabrikanten beſchäftigten ſchon 140—150 Stühle; die meiſten nur wenige Stühle; 1 Siehe Bavaria III, erſte Abtheilung S. 336. Fentſch, der lokalkundige unparteiiſche Verfaſſer dieſes Abſchnitts ſagt: „Der Oberfranke iſt im Allgemeinen rührig und fleißig. In den Bezirken, wo eine induſtrielle Beſchäftigung vorwiegend iſt, bei den Paterlmachern, den Verfertigern von Holzſchuhen und den Schwingenmachern im Gebirge, den Korbflechtern am Main und an der Rodach, den Tafelmachern im Thüringer Wald, in den Weberdiſtrikten des Voigtlandes und des Wunſiedler Kreiſes, dann um Berneck, wo das Plauiſch-Nähen (die Sticke- rei) in einem großen Theil der Hütten und Bürgerhäuſer alle Hände beſchäftigt, iſt die Arbeit nahebei zur Mühſal geworden. Der geringe Verdienſt geſtattet nur wenig Ruhepunkte, und auf dem Werktagsleben laſtet eine unerquickliche Monotonie, deren Wirkung ſich in einem Mangel an Friſche und Freudigkeit kund- giebt.“

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_kleingewerbe_1870/152>, abgerufen am 21.11.2024.