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Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870.

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Die bairische Weberei.
die kleinern verkauften ihr Produkt an die großen, waren
aber als besitzende Leute von diesen nicht abhängig. In
diesem Jahrhundert nahm die Verarmung mit den sin-
kenden Preisen der Baumwolle und der Baumwollpro-
dukte zu. Viele hatten bald keine eigenen Stühle, keine
eigenen Spulen mehr; Spullohn und Miethe für den
Stuhl wurde ihnen vorweg am Verdienst abgezogen.
Kapital zu Ankauf eigener Twiste war nicht mehr da.
So wurden die Weber reine Lohnarbeiter; die Auswahl,
für diesen oder jenen Fabrikanten zu arbeiten, wurde im-
mer kleiner, da die kleinen Fabrikanten selbst Bankerott
machten. Der Höhepunkt des Elends war in den vier-
ziger Jahren. Seither ist es eher wieder besser gewor-
den, besonders seit sächsische Fabrikanten, durch die Bil-
ligkeit des Lohnes angezogen, viel im Voigtlande arbei-
ten lassen und so den wenigen inländischen Großgeschäf-
ten, die den Weber ganz in den Händen hatten, Kon-
kurrenz machten. Die Zahl der Baumwollstühle hat
in Oberfranken sogar von 11301 auf 13378 von 1847
bis 61 zugenommen.

Die Gesammtzahl der Webermeister in Baiern aber
hat nach der Berechnung von Hermann1 von 38323
im Jahre 1847 auf 30935 abgenommen, d. h. um
23,9 %, während die Bevölkerung um 4,7 % wuchs;
auch in der Pfalz nahmen die Webermeister um 13,9 %
ab. Welche Kämpfe, welches Elend, wie viel zerrüttetes
Familienglück liegen zwischen zwei solchen Zahlen!

1 Die Bevölkerung und die Gewerbe etc. im Jahre 1861.
S. 162.
9 *

Die bairiſche Weberei.
die kleinern verkauften ihr Produkt an die großen, waren
aber als beſitzende Leute von dieſen nicht abhängig. In
dieſem Jahrhundert nahm die Verarmung mit den ſin-
kenden Preiſen der Baumwolle und der Baumwollpro-
dukte zu. Viele hatten bald keine eigenen Stühle, keine
eigenen Spulen mehr; Spullohn und Miethe für den
Stuhl wurde ihnen vorweg am Verdienſt abgezogen.
Kapital zu Ankauf eigener Twiſte war nicht mehr da.
So wurden die Weber reine Lohnarbeiter; die Auswahl,
für dieſen oder jenen Fabrikanten zu arbeiten, wurde im-
mer kleiner, da die kleinen Fabrikanten ſelbſt Bankerott
machten. Der Höhepunkt des Elends war in den vier-
ziger Jahren. Seither iſt es eher wieder beſſer gewor-
den, beſonders ſeit ſächſiſche Fabrikanten, durch die Bil-
ligkeit des Lohnes angezogen, viel im Voigtlande arbei-
ten laſſen und ſo den wenigen inländiſchen Großgeſchäf-
ten, die den Weber ganz in den Händen hatten, Kon-
kurrenz machten. Die Zahl der Baumwollſtühle hat
in Oberfranken ſogar von 11301 auf 13378 von 1847
bis 61 zugenommen.

Die Geſammtzahl der Webermeiſter in Baiern aber
hat nach der Berechnung von Hermann1 von 38323
im Jahre 1847 auf 30935 abgenommen, d. h. um
23,9 %, während die Bevölkerung um 4,7 % wuchs;
auch in der Pfalz nahmen die Webermeiſter um 13,9 %
ab. Welche Kämpfe, welches Elend, wie viel zerrüttetes
Familienglück liegen zwiſchen zwei ſolchen Zahlen!

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S. 162.
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[131/0153] Die bairiſche Weberei. die kleinern verkauften ihr Produkt an die großen, waren aber als beſitzende Leute von dieſen nicht abhängig. In dieſem Jahrhundert nahm die Verarmung mit den ſin- kenden Preiſen der Baumwolle und der Baumwollpro- dukte zu. Viele hatten bald keine eigenen Stühle, keine eigenen Spulen mehr; Spullohn und Miethe für den Stuhl wurde ihnen vorweg am Verdienſt abgezogen. Kapital zu Ankauf eigener Twiſte war nicht mehr da. So wurden die Weber reine Lohnarbeiter; die Auswahl, für dieſen oder jenen Fabrikanten zu arbeiten, wurde im- mer kleiner, da die kleinen Fabrikanten ſelbſt Bankerott machten. Der Höhepunkt des Elends war in den vier- ziger Jahren. Seither iſt es eher wieder beſſer gewor- den, beſonders ſeit ſächſiſche Fabrikanten, durch die Bil- ligkeit des Lohnes angezogen, viel im Voigtlande arbei- ten laſſen und ſo den wenigen inländiſchen Großgeſchäf- ten, die den Weber ganz in den Händen hatten, Kon- kurrenz machten. Die Zahl der Baumwollſtühle hat in Oberfranken ſogar von 11301 auf 13378 von 1847 bis 61 zugenommen. Die Geſammtzahl der Webermeiſter in Baiern aber hat nach der Berechnung von Hermann 1 von 38323 im Jahre 1847 auf 30935 abgenommen, d. h. um 23,9 %, während die Bevölkerung um 4,7 % wuchs; auch in der Pfalz nahmen die Webermeiſter um 13,9 % ab. Welche Kämpfe, welches Elend, wie viel zerrüttetes Familienglück liegen zwiſchen zwei ſolchen Zahlen! 1 Die Bevölkerung und die Gewerbe ꝛc. im Jahre 1861. S. 162. 9 *

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_kleingewerbe_1870/153>, abgerufen am 21.11.2024.