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Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870.

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Die Umgestaltung von Produktion und Verkehr.
noch vor dem Anfang dieses Jahrhunderts begründet
wurde, der kann sich eine Vorstellung davon machen,
was wir meinen. Wem diese Erinnerung fehlt, der
möge einen Blick in Kießelbach's reizende Skizze über die
"drei Generationen"1 werfen. Ich will nur mit einigen
Worten an jene Zeit erinnern.

Die Spindel war noch immer das Symbol der
Hausfrau; selbstgesponnenes Linnen zu tragen, war
Ehre und Stolz; eine heilsame Sitte war es, daß in
allen Kreisen die Jungfrau nicht für eigentlich berechtigt
galt zur Ehe zu schreiten, ehe sie die Aussteuer aus
selbstgesponnenerLeinwand beschaffen konnte. Dem Weber
des Hauses wurde das Garn überliefert, er hatte die
Leinwand zu fertigen; für die Bleiche sorgte wieder die
Hausfrau. Aber nicht nur an Leinwand, auch an Tuch,
selbst an Leder hielt man eigene, sorgfältig bereitete oder
gewählte Vorräthe; die Schränke mußten wohlgefüllt sein.
Das Weißzeug, die Kleider, die Beschuhung selbst wurden
im Hause gefertigt; der Schneider, der Schuster kam
dazu als technischer Gehülfe.

Auch Polsterwaaren und Betten entstanden in ähn-
licher Weise. Von selbst geschlachtetem Geflügel wurden
die Federn durch eine Schaar eigens sich hiezu ver-
miethender Weiber ausgelesen; das Roßhaar wurde sorg-
fältig gereinigt; der Polsterarbeiter mehr als jeder andere
mußte unter dem Auge der Hausfrau arbeiten, damit
die Füllung der Bettstücke, der Matratzen, der Sophas
sicher mit dem gewählten Material und in der gewünschten

1 Deutsche Vierteljahrsschrift 1860. 3 tes Heft S. 1 -- 57.

Die Umgeſtaltung von Produktion und Verkehr.
noch vor dem Anfang dieſes Jahrhunderts begründet
wurde, der kann ſich eine Vorſtellung davon machen,
was wir meinen. Wem dieſe Erinnerung fehlt, der
möge einen Blick in Kießelbach’s reizende Skizze über die
„drei Generationen“1 werfen. Ich will nur mit einigen
Worten an jene Zeit erinnern.

Die Spindel war noch immer das Symbol der
Hausfrau; ſelbſtgeſponnenes Linnen zu tragen, war
Ehre und Stolz; eine heilſame Sitte war es, daß in
allen Kreiſen die Jungfrau nicht für eigentlich berechtigt
galt zur Ehe zu ſchreiten, ehe ſie die Ausſteuer aus
ſelbſtgeſponnenerLeinwand beſchaffen konnte. Dem Weber
des Hauſes wurde das Garn überliefert, er hatte die
Leinwand zu fertigen; für die Bleiche ſorgte wieder die
Hausfrau. Aber nicht nur an Leinwand, auch an Tuch,
ſelbſt an Leder hielt man eigene, ſorgfältig bereitete oder
gewählte Vorräthe; die Schränke mußten wohlgefüllt ſein.
Das Weißzeug, die Kleider, die Beſchuhung ſelbſt wurden
im Hauſe gefertigt; der Schneider, der Schuſter kam
dazu als techniſcher Gehülfe.

Auch Polſterwaaren und Betten entſtanden in ähn-
licher Weiſe. Von ſelbſt geſchlachtetem Geflügel wurden
die Federn durch eine Schaar eigens ſich hiezu ver-
miethender Weiber ausgeleſen; das Roßhaar wurde ſorg-
fältig gereinigt; der Polſterarbeiter mehr als jeder andere
mußte unter dem Auge der Hausfrau arbeiten, damit
die Füllung der Bettſtücke, der Matratzen, der Sophas
ſicher mit dem gewählten Material und in der gewünſchten

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[178/0200] Die Umgeſtaltung von Produktion und Verkehr. noch vor dem Anfang dieſes Jahrhunderts begründet wurde, der kann ſich eine Vorſtellung davon machen, was wir meinen. Wem dieſe Erinnerung fehlt, der möge einen Blick in Kießelbach’s reizende Skizze über die „drei Generationen“ 1 werfen. Ich will nur mit einigen Worten an jene Zeit erinnern. Die Spindel war noch immer das Symbol der Hausfrau; ſelbſtgeſponnenes Linnen zu tragen, war Ehre und Stolz; eine heilſame Sitte war es, daß in allen Kreiſen die Jungfrau nicht für eigentlich berechtigt galt zur Ehe zu ſchreiten, ehe ſie die Ausſteuer aus ſelbſtgeſponnenerLeinwand beſchaffen konnte. Dem Weber des Hauſes wurde das Garn überliefert, er hatte die Leinwand zu fertigen; für die Bleiche ſorgte wieder die Hausfrau. Aber nicht nur an Leinwand, auch an Tuch, ſelbſt an Leder hielt man eigene, ſorgfältig bereitete oder gewählte Vorräthe; die Schränke mußten wohlgefüllt ſein. Das Weißzeug, die Kleider, die Beſchuhung ſelbſt wurden im Hauſe gefertigt; der Schneider, der Schuſter kam dazu als techniſcher Gehülfe. Auch Polſterwaaren und Betten entſtanden in ähn- licher Weiſe. Von ſelbſt geſchlachtetem Geflügel wurden die Federn durch eine Schaar eigens ſich hiezu ver- miethender Weiber ausgeleſen; das Roßhaar wurde ſorg- fältig gereinigt; der Polſterarbeiter mehr als jeder andere mußte unter dem Auge der Hausfrau arbeiten, damit die Füllung der Bettſtücke, der Matratzen, der Sophas ſicher mit dem gewählten Material und in der gewünſchten 1 Deutſche Vierteljahrsſchrift 1860. 3 tes Heft S. 1 — 57.

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_kleingewerbe_1870/200>, abgerufen am 21.11.2024.