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Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870.

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Der Hausirhandel.
gesendet, ihre Produkte in die weiteste Ferne bringen,
diesen Industrien vielfach erst Absatz schaffen; dann wie-
der Sammler von Abfällen, Aufkäufer von Obst, Ge-
flügel, Eier, Garnsammler und wandernde Flachsver-
käufer, die letztgenannten alles Leute, die mit festem
Wohnsitz den Verkehr höchstens auf einige Meilen ver-
mitteln, in kurzen Zeiträumen immer wieder erscheinen.

Diese Verschiedenheit derjenigen, die man unter dem
Begriff der Hausirer umfaßt, und die bisher nach den
meisten Gesetzgebungen ziemlich gleichmäßig unter den gesetz-
lichen Bestimmungen über den Gewerbebetrieb im Umher-
ziehen standen, erklärt auch die Verschiedenheit der An-
sichten über Werth und Berechtigung des Hausirhandels.
Je nachdem die eine oder andere Art vorwiegt, je nachdem
die sonstigen begleitenden Kulturzustände sind, muß das
Urtheil anders ausfallen. Ich will nur flüchtig anzu-
deuten suchen, wie je nach den verschiedenen Branchen,
je nach den Zeitverhältnissen der Hausirhandel zu- oder
abnehmen mußte, günstiger oder ungünstiger beurtheilt
wurde.

Bei ganz rohen Zuständen, wie heute noch in
vielen Gegenden Nordamerika's, ist der Hausirer der
einzige Vermittler mit der übrigen Kulturwelt, der ein-
zige, der Kunstprodukte, Gewebe, Nadel und Faden,
Geräthe und Instrumente dem abgelegen wohnenden
Landmanne bringt. Der römische Hausirer durchzog die
germanischen Lande; ähnliche Dienste leistete im Mittel-
alter der Jude, der Lombarde, der Zigeuner, später
auch viele Deutsche selbst. In armen gebirgigen Gegen-
den warfen sich ganze Ortschaften auf diesen mühevollen

Der Hauſirhandel.
geſendet, ihre Produkte in die weiteſte Ferne bringen,
dieſen Induſtrien vielfach erſt Abſatz ſchaffen; dann wie-
der Sammler von Abfällen, Aufkäufer von Obſt, Ge-
flügel, Eier, Garnſammler und wandernde Flachsver-
käufer, die letztgenannten alles Leute, die mit feſtem
Wohnſitz den Verkehr höchſtens auf einige Meilen ver-
mitteln, in kurzen Zeiträumen immer wieder erſcheinen.

Dieſe Verſchiedenheit derjenigen, die man unter dem
Begriff der Hauſirer umfaßt, und die bisher nach den
meiſten Geſetzgebungen ziemlich gleichmäßig unter den geſetz-
lichen Beſtimmungen über den Gewerbebetrieb im Umher-
ziehen ſtanden, erklärt auch die Verſchiedenheit der An-
ſichten über Werth und Berechtigung des Hauſirhandels.
Je nachdem die eine oder andere Art vorwiegt, je nachdem
die ſonſtigen begleitenden Kulturzuſtände ſind, muß das
Urtheil anders ausfallen. Ich will nur flüchtig anzu-
deuten ſuchen, wie je nach den verſchiedenen Branchen,
je nach den Zeitverhältniſſen der Hauſirhandel zu- oder
abnehmen mußte, günſtiger oder ungünſtiger beurtheilt
wurde.

Bei ganz rohen Zuſtänden, wie heute noch in
vielen Gegenden Nordamerika’s, iſt der Hauſirer der
einzige Vermittler mit der übrigen Kulturwelt, der ein-
zige, der Kunſtprodukte, Gewebe, Nadel und Faden,
Geräthe und Inſtrumente dem abgelegen wohnenden
Landmanne bringt. Der römiſche Hauſirer durchzog die
germaniſchen Lande; ähnliche Dienſte leiſtete im Mittel-
alter der Jude, der Lombarde, der Zigeuner, ſpäter
auch viele Deutſche ſelbſt. In armen gebirgigen Gegen-
den warfen ſich ganze Ortſchaften auf dieſen mühevollen

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[239/0261] Der Hauſirhandel. geſendet, ihre Produkte in die weiteſte Ferne bringen, dieſen Induſtrien vielfach erſt Abſatz ſchaffen; dann wie- der Sammler von Abfällen, Aufkäufer von Obſt, Ge- flügel, Eier, Garnſammler und wandernde Flachsver- käufer, die letztgenannten alles Leute, die mit feſtem Wohnſitz den Verkehr höchſtens auf einige Meilen ver- mitteln, in kurzen Zeiträumen immer wieder erſcheinen. Dieſe Verſchiedenheit derjenigen, die man unter dem Begriff der Hauſirer umfaßt, und die bisher nach den meiſten Geſetzgebungen ziemlich gleichmäßig unter den geſetz- lichen Beſtimmungen über den Gewerbebetrieb im Umher- ziehen ſtanden, erklärt auch die Verſchiedenheit der An- ſichten über Werth und Berechtigung des Hauſirhandels. Je nachdem die eine oder andere Art vorwiegt, je nachdem die ſonſtigen begleitenden Kulturzuſtände ſind, muß das Urtheil anders ausfallen. Ich will nur flüchtig anzu- deuten ſuchen, wie je nach den verſchiedenen Branchen, je nach den Zeitverhältniſſen der Hauſirhandel zu- oder abnehmen mußte, günſtiger oder ungünſtiger beurtheilt wurde. Bei ganz rohen Zuſtänden, wie heute noch in vielen Gegenden Nordamerika’s, iſt der Hauſirer der einzige Vermittler mit der übrigen Kulturwelt, der ein- zige, der Kunſtprodukte, Gewebe, Nadel und Faden, Geräthe und Inſtrumente dem abgelegen wohnenden Landmanne bringt. Der römiſche Hauſirer durchzog die germaniſchen Lande; ähnliche Dienſte leiſtete im Mittel- alter der Jude, der Lombarde, der Zigeuner, ſpäter auch viele Deutſche ſelbſt. In armen gebirgigen Gegen- den warfen ſich ganze Ortſchaften auf dieſen mühevollen

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870, S. 239. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_kleingewerbe_1870/261>, abgerufen am 24.11.2024.