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Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870.

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Das Alter der gewerblichen Kultur.
Sie schafft eine dichtere, unter Umständen wohlhabendere
Bevölkerung. Ob diese aber viele Handwerker beschäftigt,
hängt ab von dem Grade der Wohlhabenheit der Ar-
beiter, von der Art des Zusammenwohnens, von einer
Reihe weiterer Umstände. Besonders in den Groß-
städten beschäftigt die größte Zahl Fabrikarbeiter nicht
sowohl Handwerker, als zahlreiche Detailhändler und
Magazine, große und kleine Speisehäuser und Schank-
wirthschaften.

Viel hängt in dieser Beziehung ab von den
hergebrachten Sitten und den häuslichen Gewohn-
heiten einer Gegend. An allem Hergebrachten hängt
die Mehrzahl viel zäher fest, als die National-
ökonomen meist glauben. Das verschiedene Alter
der gewerblichen Kultur, das den ganzen Westen
Deutschlands von dem Osten unterscheidet, kommt da
in Betracht. Wo ein zahlreicher kleiner Handwerker-
stand ist, da erhält er sich wenigstens theilweise durch
die zähe Festigkeit bestehender Lebensgewohnheiten und
Geschäftssitten; wo eine gewerbliche Entwickelung erst
mit der Zeit der Dampfmaschinen und Eisenbahnen
eintritt, da wird, worauf ich schon in anderem Zu-
sammenhang aufmerksam machte, das nun neu Anzu-
fangende nicht im alten, sondern in neuem großen
Style begonnen. Die größere Zahl Handwerker am
Rhein, im Südwesten Deutschlands hängt hiermit zu-
sammen. Aber wieder wäre es falsch, wenn man diese
Wahrheit zu sehr erweiterte, zu allgemein ausspräche.
Thüringen hatte 1846 noch 3,4 %. Handwerker, 1861
8,6 %; seine gewerbliche Entwickelung ist also sehr jung,

Das Alter der gewerblichen Kultur.
Sie ſchafft eine dichtere, unter Umſtänden wohlhabendere
Bevölkerung. Ob dieſe aber viele Handwerker beſchäftigt,
hängt ab von dem Grade der Wohlhabenheit der Ar-
beiter, von der Art des Zuſammenwohnens, von einer
Reihe weiterer Umſtände. Beſonders in den Groß-
ſtädten beſchäftigt die größte Zahl Fabrikarbeiter nicht
ſowohl Handwerker, als zahlreiche Detailhändler und
Magazine, große und kleine Speiſehäuſer und Schank-
wirthſchaften.

Viel hängt in dieſer Beziehung ab von den
hergebrachten Sitten und den häuslichen Gewohn-
heiten einer Gegend. An allem Hergebrachten hängt
die Mehrzahl viel zäher feſt, als die National-
ökonomen meiſt glauben. Das verſchiedene Alter
der gewerblichen Kultur, das den ganzen Weſten
Deutſchlands von dem Oſten unterſcheidet, kommt da
in Betracht. Wo ein zahlreicher kleiner Handwerker-
ſtand iſt, da erhält er ſich wenigſtens theilweiſe durch
die zähe Feſtigkeit beſtehender Lebensgewohnheiten und
Geſchäftsſitten; wo eine gewerbliche Entwickelung erſt
mit der Zeit der Dampfmaſchinen und Eiſenbahnen
eintritt, da wird, worauf ich ſchon in anderem Zu-
ſammenhang aufmerkſam machte, das nun neu Anzu-
fangende nicht im alten, ſondern in neuem großen
Style begonnen. Die größere Zahl Handwerker am
Rhein, im Südweſten Deutſchlands hängt hiermit zu-
ſammen. Aber wieder wäre es falſch, wenn man dieſe
Wahrheit zu ſehr erweiterte, zu allgemein ausſpräche.
Thüringen hatte 1846 noch 3,4 %. Handwerker, 1861
8,6 %; ſeine gewerbliche Entwickelung iſt alſo ſehr jung,

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[313/0335] Das Alter der gewerblichen Kultur. Sie ſchafft eine dichtere, unter Umſtänden wohlhabendere Bevölkerung. Ob dieſe aber viele Handwerker beſchäftigt, hängt ab von dem Grade der Wohlhabenheit der Ar- beiter, von der Art des Zuſammenwohnens, von einer Reihe weiterer Umſtände. Beſonders in den Groß- ſtädten beſchäftigt die größte Zahl Fabrikarbeiter nicht ſowohl Handwerker, als zahlreiche Detailhändler und Magazine, große und kleine Speiſehäuſer und Schank- wirthſchaften. Viel hängt in dieſer Beziehung ab von den hergebrachten Sitten und den häuslichen Gewohn- heiten einer Gegend. An allem Hergebrachten hängt die Mehrzahl viel zäher feſt, als die National- ökonomen meiſt glauben. Das verſchiedene Alter der gewerblichen Kultur, das den ganzen Weſten Deutſchlands von dem Oſten unterſcheidet, kommt da in Betracht. Wo ein zahlreicher kleiner Handwerker- ſtand iſt, da erhält er ſich wenigſtens theilweiſe durch die zähe Feſtigkeit beſtehender Lebensgewohnheiten und Geſchäftsſitten; wo eine gewerbliche Entwickelung erſt mit der Zeit der Dampfmaſchinen und Eiſenbahnen eintritt, da wird, worauf ich ſchon in anderem Zu- ſammenhang aufmerkſam machte, das nun neu Anzu- fangende nicht im alten, ſondern in neuem großen Style begonnen. Die größere Zahl Handwerker am Rhein, im Südweſten Deutſchlands hängt hiermit zu- ſammen. Aber wieder wäre es falſch, wenn man dieſe Wahrheit zu ſehr erweiterte, zu allgemein ausſpräche. Thüringen hatte 1846 noch 3,4 %. Handwerker, 1861 8,6 %; ſeine gewerbliche Entwickelung iſt alſo ſehr jung,

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870, S. 313. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_kleingewerbe_1870/335>, abgerufen am 22.11.2024.