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Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870.

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Ein Stand verheiratheter Gesellen.
bunden. Das alte Verhältniß, den Lehrling und die
Gesellen im Hause zu haben, wird verlassen, nicht aus
der theoretischen Einsicht heraus, daß man zur reinen
Geldwirthschaft übergehen, daß man nach der heutigen
Gehülfenzahl einen verheiratheten Gesellenstand erhalten
müsse, sondern weil es zunächst bequemer oder schein-
bar billiger ist, weil die Stück- und Akkordarbeit das
Zusammensein überhaupt, selbst während der Arbeit
überflüssig macht. Der Meister, der in guter Verkehrs-
lage miethet, hat nicht Raum, die Leute zu beher-
bergen, oftmals nicht Raum zum Arbeiten in seinem
Lokale. Er spart, wenn er die Leute zu Hause arbeiten
läßt, Licht und Heizung, oft auch das Handwerkszeug.
Der Geselle hat zu Hause ohnedieß ein geheiztes Kämmer-
chen, besonders wenn er verheirathet ist; Frau und
Kinder können mithelfen. Es ist dieß unvermeidlich,
hat auch seine guten Seiten, aber vorerst hört man
darüber Klagen aller Art, wie z. B. Regierungsrath
Mülman1 in seinem Bericht über die rheinischen Ver-
hältnisse hauptsächlich die Schattenseiten betont. "Die
alte patriarchalische Sitte" -- sagt er -- "die Gewerbs-
gehülfen als zum Hausstande des Meisters gehörig zu
betrachten, herrscht fast nirgendwo mehr, vielmehr wird
der Lohn nur in baarem Gelde gegeben. Die Gesellen
stehen sich hierbei nicht besser, da sie für Kost und
Wohnung überall mehr ausgeben müssen, als ihnen der
Meister anrechnen konnte. Aber das Streben nach un-

1 Mülmann, Statistik des Regierungsbezirks Düsseldorf.
II, zweite Hälfte. S. 491--93.

Ein Stand verheiratheter Geſellen.
bunden. Das alte Verhältniß, den Lehrling und die
Geſellen im Hauſe zu haben, wird verlaſſen, nicht aus
der theoretiſchen Einſicht heraus, daß man zur reinen
Geldwirthſchaft übergehen, daß man nach der heutigen
Gehülfenzahl einen verheiratheten Geſellenſtand erhalten
müſſe, ſondern weil es zunächſt bequemer oder ſchein-
bar billiger iſt, weil die Stück- und Akkordarbeit das
Zuſammenſein überhaupt, ſelbſt während der Arbeit
überflüſſig macht. Der Meiſter, der in guter Verkehrs-
lage miethet, hat nicht Raum, die Leute zu beher-
bergen, oftmals nicht Raum zum Arbeiten in ſeinem
Lokale. Er ſpart, wenn er die Leute zu Hauſe arbeiten
läßt, Licht und Heizung, oft auch das Handwerkszeug.
Der Geſelle hat zu Hauſe ohnedieß ein geheiztes Kämmer-
chen, beſonders wenn er verheirathet iſt; Frau und
Kinder können mithelfen. Es iſt dieß unvermeidlich,
hat auch ſeine guten Seiten, aber vorerſt hört man
darüber Klagen aller Art, wie z. B. Regierungsrath
Mülman1 in ſeinem Bericht über die rheiniſchen Ver-
hältniſſe hauptſächlich die Schattenſeiten betont. „Die
alte patriarchaliſche Sitte“ — ſagt er — „die Gewerbs-
gehülfen als zum Hausſtande des Meiſters gehörig zu
betrachten, herrſcht faſt nirgendwo mehr, vielmehr wird
der Lohn nur in baarem Gelde gegeben. Die Geſellen
ſtehen ſich hierbei nicht beſſer, da ſie für Koſt und
Wohnung überall mehr ausgeben müſſen, als ihnen der
Meiſter anrechnen konnte. Aber das Streben nach un-

1 Mülmann, Statiſtik des Regierungsbezirks Düſſeldorf.
II, zweite Hälfte. S. 491—93.
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[349/0371] Ein Stand verheiratheter Geſellen. bunden. Das alte Verhältniß, den Lehrling und die Geſellen im Hauſe zu haben, wird verlaſſen, nicht aus der theoretiſchen Einſicht heraus, daß man zur reinen Geldwirthſchaft übergehen, daß man nach der heutigen Gehülfenzahl einen verheiratheten Geſellenſtand erhalten müſſe, ſondern weil es zunächſt bequemer oder ſchein- bar billiger iſt, weil die Stück- und Akkordarbeit das Zuſammenſein überhaupt, ſelbſt während der Arbeit überflüſſig macht. Der Meiſter, der in guter Verkehrs- lage miethet, hat nicht Raum, die Leute zu beher- bergen, oftmals nicht Raum zum Arbeiten in ſeinem Lokale. Er ſpart, wenn er die Leute zu Hauſe arbeiten läßt, Licht und Heizung, oft auch das Handwerkszeug. Der Geſelle hat zu Hauſe ohnedieß ein geheiztes Kämmer- chen, beſonders wenn er verheirathet iſt; Frau und Kinder können mithelfen. Es iſt dieß unvermeidlich, hat auch ſeine guten Seiten, aber vorerſt hört man darüber Klagen aller Art, wie z. B. Regierungsrath Mülman 1 in ſeinem Bericht über die rheiniſchen Ver- hältniſſe hauptſächlich die Schattenſeiten betont. „Die alte patriarchaliſche Sitte“ — ſagt er — „die Gewerbs- gehülfen als zum Hausſtande des Meiſters gehörig zu betrachten, herrſcht faſt nirgendwo mehr, vielmehr wird der Lohn nur in baarem Gelde gegeben. Die Geſellen ſtehen ſich hierbei nicht beſſer, da ſie für Koſt und Wohnung überall mehr ausgeben müſſen, als ihnen der Meiſter anrechnen konnte. Aber das Streben nach un- 1 Mülmann, Statiſtik des Regierungsbezirks Düſſeldorf. II, zweite Hälfte. S. 491—93.

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870, S. 349. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_kleingewerbe_1870/371>, abgerufen am 24.11.2024.