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Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870.

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Die Auflösung der alten Handwerkszustände.
verschiedenen Arbeitskräfte, die man heute nebeneinander
in einem Geschäfte braucht, unhaltbar geworden sind.
Für leichtere Arbeit verwendet man jetzt vielfach Frauen-
hände, für gemeine Arbeit Tagelöhner. Letztere auch im
Handwerk anzuwenden ist ganz passend, ermäßigt die Zahl
derer, die Meister werden wollen, vermeidet Vergeudung
höherer Kräfte zu niederer Arbeit. Das hat ja auch die
Verordnung von 1849 zugelassen. Sie wollte aber hin-
dern, daß der gelernte Tischlergeselle bei einem Zimmer-
meister arbeite, sie wollte alle Meister zwingen sich nicht
an Gesellen, sondern an Meister der andern Gewerbe zu
wenden, wenn sie deren Hülfe brauchten. Es war ein
lächerlicher Versuch, den Lauf der Dinge zu fesseln, es war
überdieß ein erbärmlicher unmoralischer Versuch, weil man
dem Fabrikanten erlaubte, was man dem Meister verbot.

Mit der andern Technik, mit der veränderten Ab-
grenzung der Geschäfte gegeneinander, mit der größern
Spezialisirung aller Produktion ist, um hierauf noch zu
kommen, auch die Stellung des Lehrlings, soweit es sich
gerade um das Erlernen des Gewerbes handelt, eine total
andere geworden. Wurde er früher oft ein Jahr lang und
länger als Laufbursche verwendet, von der Frau Mei-
sterin zu allen möglichen häuslichen Dienstleistungen
gebraucht und mißbraucht, so lernte und sah er doch
später Alles, was in der Werkstatt gemacht wurde, und
alle die verschiedene Arbeiten seines Gewerbes kamen in
der Werkstatt vor. Die Prüfungen nöthigten ihn zu
einer gewissen Ausbildung nach allen Seiten.

Der Mißbrauch ersterer Art ist nicht verschwunden;
wo heute, um Taglöhner oder Dienstboten zu sparen,

Schmoller, Geschichte d. Kleingewerbe. 23

Die Auflöſung der alten Handwerkszuſtände.
verſchiedenen Arbeitskräfte, die man heute nebeneinander
in einem Geſchäfte braucht, unhaltbar geworden ſind.
Für leichtere Arbeit verwendet man jetzt vielfach Frauen-
hände, für gemeine Arbeit Tagelöhner. Letztere auch im
Handwerk anzuwenden iſt ganz paſſend, ermäßigt die Zahl
derer, die Meiſter werden wollen, vermeidet Vergeudung
höherer Kräfte zu niederer Arbeit. Das hat ja auch die
Verordnung von 1849 zugelaſſen. Sie wollte aber hin-
dern, daß der gelernte Tiſchlergeſelle bei einem Zimmer-
meiſter arbeite, ſie wollte alle Meiſter zwingen ſich nicht
an Geſellen, ſondern an Meiſter der andern Gewerbe zu
wenden, wenn ſie deren Hülfe brauchten. Es war ein
lächerlicher Verſuch, den Lauf der Dinge zu feſſeln, es war
überdieß ein erbärmlicher unmoraliſcher Verſuch, weil man
dem Fabrikanten erlaubte, was man dem Meiſter verbot.

Mit der andern Technik, mit der veränderten Ab-
grenzung der Geſchäfte gegeneinander, mit der größern
Spezialiſirung aller Produktion iſt, um hierauf noch zu
kommen, auch die Stellung des Lehrlings, ſoweit es ſich
gerade um das Erlernen des Gewerbes handelt, eine total
andere geworden. Wurde er früher oft ein Jahr lang und
länger als Laufburſche verwendet, von der Frau Mei-
ſterin zu allen möglichen häuslichen Dienſtleiſtungen
gebraucht und mißbraucht, ſo lernte und ſah er doch
ſpäter Alles, was in der Werkſtatt gemacht wurde, und
alle die verſchiedene Arbeiten ſeines Gewerbes kamen in
der Werkſtatt vor. Die Prüfungen nöthigten ihn zu
einer gewiſſen Ausbildung nach allen Seiten.

Der Mißbrauch erſterer Art iſt nicht verſchwunden;
wo heute, um Taglöhner oder Dienſtboten zu ſparen,

Schmoller, Geſchichte d. Kleingewerbe. 23
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[353/0375] Die Auflöſung der alten Handwerkszuſtände. verſchiedenen Arbeitskräfte, die man heute nebeneinander in einem Geſchäfte braucht, unhaltbar geworden ſind. Für leichtere Arbeit verwendet man jetzt vielfach Frauen- hände, für gemeine Arbeit Tagelöhner. Letztere auch im Handwerk anzuwenden iſt ganz paſſend, ermäßigt die Zahl derer, die Meiſter werden wollen, vermeidet Vergeudung höherer Kräfte zu niederer Arbeit. Das hat ja auch die Verordnung von 1849 zugelaſſen. Sie wollte aber hin- dern, daß der gelernte Tiſchlergeſelle bei einem Zimmer- meiſter arbeite, ſie wollte alle Meiſter zwingen ſich nicht an Geſellen, ſondern an Meiſter der andern Gewerbe zu wenden, wenn ſie deren Hülfe brauchten. Es war ein lächerlicher Verſuch, den Lauf der Dinge zu feſſeln, es war überdieß ein erbärmlicher unmoraliſcher Verſuch, weil man dem Fabrikanten erlaubte, was man dem Meiſter verbot. Mit der andern Technik, mit der veränderten Ab- grenzung der Geſchäfte gegeneinander, mit der größern Spezialiſirung aller Produktion iſt, um hierauf noch zu kommen, auch die Stellung des Lehrlings, ſoweit es ſich gerade um das Erlernen des Gewerbes handelt, eine total andere geworden. Wurde er früher oft ein Jahr lang und länger als Laufburſche verwendet, von der Frau Mei- ſterin zu allen möglichen häuslichen Dienſtleiſtungen gebraucht und mißbraucht, ſo lernte und ſah er doch ſpäter Alles, was in der Werkſtatt gemacht wurde, und alle die verſchiedene Arbeiten ſeines Gewerbes kamen in der Werkſtatt vor. Die Prüfungen nöthigten ihn zu einer gewiſſen Ausbildung nach allen Seiten. Der Mißbrauch erſterer Art iſt nicht verſchwunden; wo heute, um Taglöhner oder Dienſtboten zu ſparen, Schmoller, Geſchichte d. Kleingewerbe. 23

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870, S. 353. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_kleingewerbe_1870/375>, abgerufen am 25.11.2024.