Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870.Die Vertheilung der Gewerbetreibenden. allzu zahlreich Lehrlinge angenommen werden, da lernensie in der ersten Zeit so wenig wie früher. Aber auch später lernen sie theilweise heute nicht mehr so viel wie früher, weil die einzelnen Geschäfte nur einseitig auf wenige Artikel sich werfen. Und innerhalb des spezialisirten Geschäfts wird der Lehrling zu einer ein- zelnen bestimmten Art der Arbeit gebraucht. Wie soll er da viel lernen? Die Prüfung ist weggefallen und damit jedenfalls auch ein gewisser Sporn. Die zu große Unabhängigkeit vom 14. Jahre ab steigert bei der Masse nicht den Trieb, etwas zu lernen. Die allgemeine Aus- bildung bleibt so leicht zurück.1 Böhmert, der eifrigste Vertheidiger der Gewerbefreiheit, muß zugeben, daß die schweizer Gewerbetreibenden sehr gerne deutsche Gesellen aus Ländern, wo noch Prüfungen existiren, haben, weil sie dieselben für fleißiger, geschickter und anstelliger halten. Und aus ähnlichem Grunde sind deutsche Ge- sellen in Frankreich und England beliebt. Daraus will ich entfernt keinen Schluß ziehen, der 1 Viel Wahres über diese und ähnliche Punkte in den
amtlichen Protokollen, welche über die "Verhandlungen der 1865 zur Berathung der Koalitionsfrage berufenen Kommission" publizirt wurden. Berlin, Decker 1865. Die Vertheilung der Gewerbetreibenden. allzu zahlreich Lehrlinge angenommen werden, da lernenſie in der erſten Zeit ſo wenig wie früher. Aber auch ſpäter lernen ſie theilweiſe heute nicht mehr ſo viel wie früher, weil die einzelnen Geſchäfte nur einſeitig auf wenige Artikel ſich werfen. Und innerhalb des ſpezialiſirten Geſchäfts wird der Lehrling zu einer ein- zelnen beſtimmten Art der Arbeit gebraucht. Wie ſoll er da viel lernen? Die Prüfung iſt weggefallen und damit jedenfalls auch ein gewiſſer Sporn. Die zu große Unabhängigkeit vom 14. Jahre ab ſteigert bei der Maſſe nicht den Trieb, etwas zu lernen. Die allgemeine Aus- bildung bleibt ſo leicht zurück.1 Böhmert, der eifrigſte Vertheidiger der Gewerbefreiheit, muß zugeben, daß die ſchweizer Gewerbetreibenden ſehr gerne deutſche Geſellen aus Ländern, wo noch Prüfungen exiſtiren, haben, weil ſie dieſelben für fleißiger, geſchickter und anſtelliger halten. Und aus ähnlichem Grunde ſind deutſche Ge- ſellen in Frankreich und England beliebt. Daraus will ich entfernt keinen Schluß ziehen, der 1 Viel Wahres über dieſe und ähnliche Punkte in den
amtlichen Protokollen, welche über die „Verhandlungen der 1865 zur Berathung der Koalitionsfrage berufenen Kommiſſion“ publizirt wurden. Berlin, Decker 1865. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0376" n="354"/><fw place="top" type="header">Die Vertheilung der Gewerbetreibenden.</fw><lb/> allzu zahlreich Lehrlinge angenommen werden, da lernen<lb/> ſie in der erſten Zeit ſo wenig wie früher. Aber<lb/> auch ſpäter lernen ſie theilweiſe heute nicht mehr ſo viel<lb/> wie früher, weil die einzelnen Geſchäfte nur einſeitig<lb/> auf wenige Artikel ſich werfen. Und innerhalb des<lb/> ſpezialiſirten Geſchäfts wird der Lehrling zu einer ein-<lb/> zelnen beſtimmten Art der Arbeit gebraucht. Wie ſoll<lb/> er da viel lernen? Die Prüfung iſt weggefallen und<lb/> damit jedenfalls auch ein gewiſſer Sporn. Die zu große<lb/> Unabhängigkeit vom 14. Jahre ab ſteigert bei der Maſſe<lb/> nicht den Trieb, etwas zu lernen. Die allgemeine Aus-<lb/> bildung bleibt ſo leicht zurück.<note place="foot" n="1">Viel Wahres über dieſe und ähnliche Punkte in den<lb/> amtlichen Protokollen, welche über die „Verhandlungen der<lb/> 1865 zur Berathung der Koalitionsfrage berufenen Kommiſſion“<lb/> publizirt wurden. Berlin, Decker 1865.</note> Böhmert, der eifrigſte<lb/> Vertheidiger der Gewerbefreiheit, muß zugeben, daß die<lb/> ſchweizer Gewerbetreibenden ſehr gerne deutſche Geſellen<lb/> aus Ländern, wo noch Prüfungen exiſtiren, haben, weil<lb/> ſie dieſelben für fleißiger, geſchickter und anſtelliger<lb/> halten. Und aus ähnlichem Grunde ſind deutſche Ge-<lb/> ſellen in Frankreich und England beliebt.</p><lb/> <p>Daraus will ich entfernt keinen Schluß ziehen, der<lb/> auf Wiederherſtellung des Zunftweſens und der Zunft-<lb/> prüfungen ginge. Dieſe Wiederherſtellung wäre aus<lb/> andern Gründen ſchädlich, ja unmöglich. Aber das<lb/> glaube ich mit dem Angeführten bewieſen zu haben,<lb/> daß die Beibehaltung der alten vierjährigen Lehrling-<lb/> ſchaft, ohne die Prüfungen und ohne die alte viel-<lb/> ſeitige Werkſtatt, die aufwachſende gewerbliche Gene-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [354/0376]
Die Vertheilung der Gewerbetreibenden.
allzu zahlreich Lehrlinge angenommen werden, da lernen
ſie in der erſten Zeit ſo wenig wie früher. Aber
auch ſpäter lernen ſie theilweiſe heute nicht mehr ſo viel
wie früher, weil die einzelnen Geſchäfte nur einſeitig
auf wenige Artikel ſich werfen. Und innerhalb des
ſpezialiſirten Geſchäfts wird der Lehrling zu einer ein-
zelnen beſtimmten Art der Arbeit gebraucht. Wie ſoll
er da viel lernen? Die Prüfung iſt weggefallen und
damit jedenfalls auch ein gewiſſer Sporn. Die zu große
Unabhängigkeit vom 14. Jahre ab ſteigert bei der Maſſe
nicht den Trieb, etwas zu lernen. Die allgemeine Aus-
bildung bleibt ſo leicht zurück. 1 Böhmert, der eifrigſte
Vertheidiger der Gewerbefreiheit, muß zugeben, daß die
ſchweizer Gewerbetreibenden ſehr gerne deutſche Geſellen
aus Ländern, wo noch Prüfungen exiſtiren, haben, weil
ſie dieſelben für fleißiger, geſchickter und anſtelliger
halten. Und aus ähnlichem Grunde ſind deutſche Ge-
ſellen in Frankreich und England beliebt.
Daraus will ich entfernt keinen Schluß ziehen, der
auf Wiederherſtellung des Zunftweſens und der Zunft-
prüfungen ginge. Dieſe Wiederherſtellung wäre aus
andern Gründen ſchädlich, ja unmöglich. Aber das
glaube ich mit dem Angeführten bewieſen zu haben,
daß die Beibehaltung der alten vierjährigen Lehrling-
ſchaft, ohne die Prüfungen und ohne die alte viel-
ſeitige Werkſtatt, die aufwachſende gewerbliche Gene-
1 Viel Wahres über dieſe und ähnliche Punkte in den
amtlichen Protokollen, welche über die „Verhandlungen der
1865 zur Berathung der Koalitionsfrage berufenen Kommiſſion“
publizirt wurden. Berlin, Decker 1865.
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