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Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870.

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Die Umbildung einzelner Gewerbszweige.

Man wird mir entgegnen, diese Behauptungen
seien übertrieben und ich gebe es auch zu, daß sie es,
so allgemein ausgesprochen, sind. Ich muß mein Urtheil
noch etwas begrenzen. Es ist ganz wahr nur so weit,
als diese Geschäfte mehr dem Dienste der untern Klassen
sich zuwenden.

Die Restaurants, in welchen der Gebildete ißt,
die feinen Weinstuben, die Detailläden mit guter Kund-
schaft sind etwas für sich; sie erfordern größeres Kapital,
einen anständigen Geschäftsführer. Je weiter man aber
herabsteigt, desto schlimmer wird es. Und da ist die
eigenthümliche Ursache, welche die vielfach korrupten
kleinen theuren Geschäfte erhält, eben die, daß der wohl-
habendere anständigere Geschäftsmann, der ihnen allein
mit Erfolg Konkurrenz machen, sie, was wünschenswerth
wäre, ganz beseitigen könnte, dazu keine Lust hat wegen
der Personen, mit denen er dadurch zu thun bekäme.
Mehr als man glauben sollte, sucht jeder Gewerbe-
treibende in seinem Geschäfte neben dem Gewinn den
sozialen Zusammenhang; jeder will möglichst vornehme,
wohlhabende Kunden.

sind die Folge. -- Der Altenaer Handelskammerbericht pro 1867
(preuß. H.-K.-B. S. 1182) sagt: "Das Kapital trägt eine
schwer wiegende Schuld, so lange man zugeben muß, daß der
Arbeiter seine Lebensbedürfnisse am theuersten bezahlt, obgleich
seine Mittel die kleinsten sind. Niemand kann sich auch mit
Unwissenheit entschuldigen gegenüber dem schreienden Mißstande,
daß ein großer Theil der Arbeiter noch in der traurigsten Ab-
hängigkeit in Folge der leichtsinnigen Borgschulden lebt." --
Segensvoll wird in dieser Beziehung das gesetzliche Verbot der
Beschlagnahme nicht verdienter Löhne wirken.
Die Umbildung einzelner Gewerbszweige.

Man wird mir entgegnen, dieſe Behauptungen
ſeien übertrieben und ich gebe es auch zu, daß ſie es,
ſo allgemein ausgeſprochen, ſind. Ich muß mein Urtheil
noch etwas begrenzen. Es iſt ganz wahr nur ſo weit,
als dieſe Geſchäfte mehr dem Dienſte der untern Klaſſen
ſich zuwenden.

Die Reſtaurants, in welchen der Gebildete ißt,
die feinen Weinſtuben, die Detailläden mit guter Kund-
ſchaft ſind etwas für ſich; ſie erfordern größeres Kapital,
einen anſtändigen Geſchäftsführer. Je weiter man aber
herabſteigt, deſto ſchlimmer wird es. Und da iſt die
eigenthümliche Urſache, welche die vielfach korrupten
kleinen theuren Geſchäfte erhält, eben die, daß der wohl-
habendere anſtändigere Geſchäftsmann, der ihnen allein
mit Erfolg Konkurrenz machen, ſie, was wünſchenswerth
wäre, ganz beſeitigen könnte, dazu keine Luſt hat wegen
der Perſonen, mit denen er dadurch zu thun bekäme.
Mehr als man glauben ſollte, ſucht jeder Gewerbe-
treibende in ſeinem Geſchäfte neben dem Gewinn den
ſozialen Zuſammenhang; jeder will möglichſt vornehme,
wohlhabende Kunden.

ſind die Folge. — Der Altenaer Handelskammerbericht pro 1867
(preuß. H.-K.-B. S. 1182) ſagt: „Das Kapital trägt eine
ſchwer wiegende Schuld, ſo lange man zugeben muß, daß der
Arbeiter ſeine Lebensbedürfniſſe am theuerſten bezahlt, obgleich
ſeine Mittel die kleinſten ſind. Niemand kann ſich auch mit
Unwiſſenheit entſchuldigen gegenüber dem ſchreienden Mißſtande,
daß ein großer Theil der Arbeiter noch in der traurigſten Ab-
hängigkeit in Folge der leichtſinnigen Borgſchulden lebt.“ —
Segensvoll wird in dieſer Beziehung das geſetzliche Verbot der
Beſchlagnahme nicht verdienter Löhne wirken.
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[442/0464] Die Umbildung einzelner Gewerbszweige. Man wird mir entgegnen, dieſe Behauptungen ſeien übertrieben und ich gebe es auch zu, daß ſie es, ſo allgemein ausgeſprochen, ſind. Ich muß mein Urtheil noch etwas begrenzen. Es iſt ganz wahr nur ſo weit, als dieſe Geſchäfte mehr dem Dienſte der untern Klaſſen ſich zuwenden. Die Reſtaurants, in welchen der Gebildete ißt, die feinen Weinſtuben, die Detailläden mit guter Kund- ſchaft ſind etwas für ſich; ſie erfordern größeres Kapital, einen anſtändigen Geſchäftsführer. Je weiter man aber herabſteigt, deſto ſchlimmer wird es. Und da iſt die eigenthümliche Urſache, welche die vielfach korrupten kleinen theuren Geſchäfte erhält, eben die, daß der wohl- habendere anſtändigere Geſchäftsmann, der ihnen allein mit Erfolg Konkurrenz machen, ſie, was wünſchenswerth wäre, ganz beſeitigen könnte, dazu keine Luſt hat wegen der Perſonen, mit denen er dadurch zu thun bekäme. Mehr als man glauben ſollte, ſucht jeder Gewerbe- treibende in ſeinem Geſchäfte neben dem Gewinn den ſozialen Zuſammenhang; jeder will möglichſt vornehme, wohlhabende Kunden. 1 1 ſind die Folge. — Der Altenaer Handelskammerbericht pro 1867 (preuß. H.-K.-B. S. 1182) ſagt: „Das Kapital trägt eine ſchwer wiegende Schuld, ſo lange man zugeben muß, daß der Arbeiter ſeine Lebensbedürfniſſe am theuerſten bezahlt, obgleich ſeine Mittel die kleinſten ſind. Niemand kann ſich auch mit Unwiſſenheit entſchuldigen gegenüber dem ſchreienden Mißſtande, daß ein großer Theil der Arbeiter noch in der traurigſten Ab- hängigkeit in Folge der leichtſinnigen Borgſchulden lebt.“ — Segensvoll wird in dieſer Beziehung das geſetzliche Verbot der Beſchlagnahme nicht verdienter Löhne wirken.

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870, S. 442. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_kleingewerbe_1870/464>, abgerufen am 22.11.2024.