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Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870.

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Die Schattenseiten des proletarischen Kleinbetriebs.

Hiervon giebt es in großen Städten einige wenige
Ausnahmen, besonders was große Vergnügungslokale
betrifft; aber in der Hauptsache ist der kleine Mann
auch in der größten Stadt auf die kleine elende Gar-
küche, auf die erbärmlichste Schnapsschenke, auf den
korruptesten Spezereiladen angewiesen; sie allein nehmen
ihn als Kunden an, weil sie keine bessern erhalten.
Selbst die Hökerfrauen auf dem Gemüse-, dem
Butter-, dem Fischmarkt machen strenge Unterschiede
der Art.

So leiden die kleinen Leute nicht bloß als Produ-
zenten, sondern vor Allem auch als Konsumenten. Die
Vortheile der großen Geschäfte kommen ihnen nicht ein-
mal da zu Gute. Die kapitalbesitzende Privatspekulation
arbeitet nicht für sie, weil sie sich nicht mit ihnen
beschmutzen will, weil sie sich vor ihrer Zahlungsunfähig-
keit fürchtet. Es ist dieselbe Ursache, welche in den
großen Städten die Miethpreise für ärmliche Wohnungen
unnatürlich anschwellen läßt, während die Privatspekulation
noch fortfährt elegante Quartiere zu bauen, selbst wenn
solche schon in übergroßer Zahl angeboten sind.

Ein Beweis, daß diese Mißstände vorhanden sind,
liegt darin, daß längst humane Fabrikanten, Vereine,
Gemeinden, der Staat, wo er Privatunternehmungen
hat, vor Allem aber Genossenschaften von Arbeitern selbst
sich entschlossen haben, einzugreifen, das zu über-
nehmen, was die Privatspekulation für die armen Leute
nicht leistet.

Man streitet sich in Paris, ob die neuen eleganten
ungeheuren Arbeitercafes, in denen die Arbeiter und

Die Schattenſeiten des proletariſchen Kleinbetriebs.

Hiervon giebt es in großen Städten einige wenige
Ausnahmen, beſonders was große Vergnügungslokale
betrifft; aber in der Hauptſache iſt der kleine Mann
auch in der größten Stadt auf die kleine elende Gar-
küche, auf die erbärmlichſte Schnapsſchenke, auf den
korrupteſten Spezereiladen angewieſen; ſie allein nehmen
ihn als Kunden an, weil ſie keine beſſern erhalten.
Selbſt die Hökerfrauen auf dem Gemüſe-, dem
Butter-, dem Fiſchmarkt machen ſtrenge Unterſchiede
der Art.

So leiden die kleinen Leute nicht bloß als Produ-
zenten, ſondern vor Allem auch als Konſumenten. Die
Vortheile der großen Geſchäfte kommen ihnen nicht ein-
mal da zu Gute. Die kapitalbeſitzende Privatſpekulation
arbeitet nicht für ſie, weil ſie ſich nicht mit ihnen
beſchmutzen will, weil ſie ſich vor ihrer Zahlungsunfähig-
keit fürchtet. Es iſt dieſelbe Urſache, welche in den
großen Städten die Miethpreiſe für ärmliche Wohnungen
unnatürlich anſchwellen läßt, während die Privatſpekulation
noch fortfährt elegante Quartiere zu bauen, ſelbſt wenn
ſolche ſchon in übergroßer Zahl angeboten ſind.

Ein Beweis, daß dieſe Mißſtände vorhanden ſind,
liegt darin, daß längſt humane Fabrikanten, Vereine,
Gemeinden, der Staat, wo er Privatunternehmungen
hat, vor Allem aber Genoſſenſchaften von Arbeitern ſelbſt
ſich entſchloſſen haben, einzugreifen, das zu über-
nehmen, was die Privatſpekulation für die armen Leute
nicht leiſtet.

Man ſtreitet ſich in Paris, ob die neuen eleganten
ungeheuren Arbeitercafés, in denen die Arbeiter und

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[443/0465] Die Schattenſeiten des proletariſchen Kleinbetriebs. Hiervon giebt es in großen Städten einige wenige Ausnahmen, beſonders was große Vergnügungslokale betrifft; aber in der Hauptſache iſt der kleine Mann auch in der größten Stadt auf die kleine elende Gar- küche, auf die erbärmlichſte Schnapsſchenke, auf den korrupteſten Spezereiladen angewieſen; ſie allein nehmen ihn als Kunden an, weil ſie keine beſſern erhalten. Selbſt die Hökerfrauen auf dem Gemüſe-, dem Butter-, dem Fiſchmarkt machen ſtrenge Unterſchiede der Art. So leiden die kleinen Leute nicht bloß als Produ- zenten, ſondern vor Allem auch als Konſumenten. Die Vortheile der großen Geſchäfte kommen ihnen nicht ein- mal da zu Gute. Die kapitalbeſitzende Privatſpekulation arbeitet nicht für ſie, weil ſie ſich nicht mit ihnen beſchmutzen will, weil ſie ſich vor ihrer Zahlungsunfähig- keit fürchtet. Es iſt dieſelbe Urſache, welche in den großen Städten die Miethpreiſe für ärmliche Wohnungen unnatürlich anſchwellen läßt, während die Privatſpekulation noch fortfährt elegante Quartiere zu bauen, ſelbſt wenn ſolche ſchon in übergroßer Zahl angeboten ſind. Ein Beweis, daß dieſe Mißſtände vorhanden ſind, liegt darin, daß längſt humane Fabrikanten, Vereine, Gemeinden, der Staat, wo er Privatunternehmungen hat, vor Allem aber Genoſſenſchaften von Arbeitern ſelbſt ſich entſchloſſen haben, einzugreifen, das zu über- nehmen, was die Privatſpekulation für die armen Leute nicht leiſtet. Man ſtreitet ſich in Paris, ob die neuen eleganten ungeheuren Arbeitercafés, in denen die Arbeiter und

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870, S. 443. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_kleingewerbe_1870/465>, abgerufen am 22.11.2024.