Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Umbildung einzelner Gewerbszweige.
sondern blieb Hausweberei; fast nirgends so, daß die
Weber als selbständige Unternehmer Garn gekauft und
das Gewebe an die Fabrikanten verkauft hätten, sondern
so, daß sie die Garne nebst Muster und Anweisung
erhielten, um bestimmten Lohn webten. Die Vermitt-
lung des Faktors wurde dadurch in der Baumwoll-
weberei noch viel häufiger, als in der Leineweberei; alle
Mißstände dieser Geschäftsorganisation zeigten sich hier in
fast noch grellerem Lichte, als bei der Linnenindustrie.

In England hatte sich für alle einfachern Gewebe
der Uebergang zum Maschinenstuhl schon in den zwanziger
und dreißiger Jahren vollzogen, in Verbindung freilich
mit entsetzlicher Noth unter den Handwebern. In
Deutschland hatte man kaum Kapital genug, für die
sonstigen Einrichtungen; die direkte Konkurrenz der eng-
lischen Maschinenstühle war durch die Schutzzölle abge-
halten. Der Ueberfluß der sich anbietenden Hand-
weber war so groß, der Preis zu dem sie sich anboten
so niedrig, daß von einem Uebergang zu Maschinen-
stühlen nicht die Rede sein konnte. Die zahllosen ver-
armten Leineweber in Schlesien, in Sachsen, am Rhein
waren froh, hier wenigstens wieder Beschäftigung zu
finden. Die rasche Bevölkerungszunahme in den Weber-
distrikten hielt das Angebot Arbeitsuchender auf einer
stets bedenklichen Höhe.

Der Lohn eines Baumwollwebers war in den
zwanziger Jahren im Voigtlande und im sächsischen
Erzgebirge nicht über 2 Gr. täglich.1 In Schlesien

1 Gülich II, 489.

Die Umbildung einzelner Gewerbszweige.
ſondern blieb Hausweberei; faſt nirgends ſo, daß die
Weber als ſelbſtändige Unternehmer Garn gekauft und
das Gewebe an die Fabrikanten verkauft hätten, ſondern
ſo, daß ſie die Garne nebſt Muſter und Anweiſung
erhielten, um beſtimmten Lohn webten. Die Vermitt-
lung des Faktors wurde dadurch in der Baumwoll-
weberei noch viel häufiger, als in der Leineweberei; alle
Mißſtände dieſer Geſchäftsorganiſation zeigten ſich hier in
faſt noch grellerem Lichte, als bei der Linneninduſtrie.

In England hatte ſich für alle einfachern Gewebe
der Uebergang zum Maſchinenſtuhl ſchon in den zwanziger
und dreißiger Jahren vollzogen, in Verbindung freilich
mit entſetzlicher Noth unter den Handwebern. In
Deutſchland hatte man kaum Kapital genug, für die
ſonſtigen Einrichtungen; die direkte Konkurrenz der eng-
liſchen Maſchinenſtühle war durch die Schutzzölle abge-
halten. Der Ueberfluß der ſich anbietenden Hand-
weber war ſo groß, der Preis zu dem ſie ſich anboten
ſo niedrig, daß von einem Uebergang zu Maſchinen-
ſtühlen nicht die Rede ſein konnte. Die zahlloſen ver-
armten Leineweber in Schleſien, in Sachſen, am Rhein
waren froh, hier wenigſtens wieder Beſchäftigung zu
finden. Die raſche Bevölkerungszunahme in den Weber-
diſtrikten hielt das Angebot Arbeitſuchender auf einer
ſtets bedenklichen Höhe.

Der Lohn eines Baumwollwebers war in den
zwanziger Jahren im Voigtlande und im ſächſiſchen
Erzgebirge nicht über 2 Gr. täglich.1 In Schleſien

1 Gülich II, 489.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0586" n="564"/><fw place="top" type="header">Die Umbildung einzelner Gewerbszweige.</fw><lb/>
&#x017F;ondern blieb Hausweberei; fa&#x017F;t nirgends &#x017F;o, daß die<lb/>
Weber als &#x017F;elb&#x017F;tändige Unternehmer Garn gekauft und<lb/>
das Gewebe an die Fabrikanten verkauft hätten, &#x017F;ondern<lb/>
&#x017F;o, daß &#x017F;ie die Garne neb&#x017F;t Mu&#x017F;ter und Anwei&#x017F;ung<lb/>
erhielten, um be&#x017F;timmten Lohn webten. Die Vermitt-<lb/>
lung des Faktors wurde dadurch in der Baumwoll-<lb/>
weberei noch viel häufiger, als in der Leineweberei; alle<lb/>
Miß&#x017F;tände die&#x017F;er Ge&#x017F;chäftsorgani&#x017F;ation zeigten &#x017F;ich hier in<lb/>
fa&#x017F;t noch grellerem Lichte, als bei der Linnenindu&#x017F;trie.</p><lb/>
          <p>In England hatte &#x017F;ich für alle einfachern Gewebe<lb/>
der Uebergang zum Ma&#x017F;chinen&#x017F;tuhl &#x017F;chon in den zwanziger<lb/>
und dreißiger Jahren vollzogen, in Verbindung freilich<lb/>
mit ent&#x017F;etzlicher Noth unter den Handwebern. In<lb/>
Deut&#x017F;chland hatte man kaum Kapital genug, für die<lb/>
&#x017F;on&#x017F;tigen Einrichtungen; die direkte Konkurrenz der eng-<lb/>
li&#x017F;chen Ma&#x017F;chinen&#x017F;tühle war durch die Schutzzölle abge-<lb/>
halten. Der Ueberfluß der &#x017F;ich anbietenden Hand-<lb/>
weber war &#x017F;o groß, der Preis zu dem &#x017F;ie &#x017F;ich anboten<lb/>
&#x017F;o niedrig, daß von einem Uebergang zu Ma&#x017F;chinen-<lb/>
&#x017F;tühlen nicht die Rede &#x017F;ein konnte. Die zahllo&#x017F;en ver-<lb/>
armten Leineweber in Schle&#x017F;ien, in Sach&#x017F;en, am Rhein<lb/>
waren froh, hier wenig&#x017F;tens wieder Be&#x017F;chäftigung zu<lb/>
finden. Die ra&#x017F;che Bevölkerungszunahme in den Weber-<lb/>
di&#x017F;trikten hielt das Angebot Arbeit&#x017F;uchender auf einer<lb/>
&#x017F;tets bedenklichen Höhe.</p><lb/>
          <p>Der Lohn eines Baumwollwebers war in den<lb/>
zwanziger Jahren im Voigtlande und im &#x017F;äch&#x017F;i&#x017F;chen<lb/>
Erzgebirge nicht über 2 Gr. täglich.<note place="foot" n="1">Gülich <hi rendition="#aq">II,</hi> 489.</note> In Schle&#x017F;ien<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[564/0586] Die Umbildung einzelner Gewerbszweige. ſondern blieb Hausweberei; faſt nirgends ſo, daß die Weber als ſelbſtändige Unternehmer Garn gekauft und das Gewebe an die Fabrikanten verkauft hätten, ſondern ſo, daß ſie die Garne nebſt Muſter und Anweiſung erhielten, um beſtimmten Lohn webten. Die Vermitt- lung des Faktors wurde dadurch in der Baumwoll- weberei noch viel häufiger, als in der Leineweberei; alle Mißſtände dieſer Geſchäftsorganiſation zeigten ſich hier in faſt noch grellerem Lichte, als bei der Linneninduſtrie. In England hatte ſich für alle einfachern Gewebe der Uebergang zum Maſchinenſtuhl ſchon in den zwanziger und dreißiger Jahren vollzogen, in Verbindung freilich mit entſetzlicher Noth unter den Handwebern. In Deutſchland hatte man kaum Kapital genug, für die ſonſtigen Einrichtungen; die direkte Konkurrenz der eng- liſchen Maſchinenſtühle war durch die Schutzzölle abge- halten. Der Ueberfluß der ſich anbietenden Hand- weber war ſo groß, der Preis zu dem ſie ſich anboten ſo niedrig, daß von einem Uebergang zu Maſchinen- ſtühlen nicht die Rede ſein konnte. Die zahlloſen ver- armten Leineweber in Schleſien, in Sachſen, am Rhein waren froh, hier wenigſtens wieder Beſchäftigung zu finden. Die raſche Bevölkerungszunahme in den Weber- diſtrikten hielt das Angebot Arbeitſuchender auf einer ſtets bedenklichen Höhe. Der Lohn eines Baumwollwebers war in den zwanziger Jahren im Voigtlande und im ſächſiſchen Erzgebirge nicht über 2 Gr. täglich. 1 In Schleſien 1 Gülich II, 489.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_kleingewerbe_1870
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_kleingewerbe_1870/586
Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870, S. 564. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_kleingewerbe_1870/586>, abgerufen am 22.11.2024.