Aber wie viele kleine Webermeister stehen doch noch über diesem Niveau; wie manche Fortschritte der Technik, der Bildung, welche andere tüchtigere Menschen voraussetzen, sind wenigstens in einzelnen Gegenden zu konstatiren. Und doch fehlt es an jeder erheblichen Zunahme, während doch der genossenschaftliche Betrieb gerade in der Weberei am angezeigtesten wäre, während es kein zahlreicheres, älteres, der Erhaltung würdigeres Gewerbe in Deutschland gibt. Das tausendmal geprie- sene System der Hausindustrie drückt, an große Fabriken angelehnt, die Arbeiter doch leicht zum Proletariat herab, genossenschaftlich aber organisirt würde es tausende und aber tausende kleiner gesunder Geschäfte erhalten. In der ganzen volkswirthschaftlichen Geschichte des 19. Jahr- hunderts wäre neben der Konservirung unseres deutschen Bauernstandes eine Erhaltung der kleinen Webermeister die wichtigste Maßregel, wenn man überhaupt auf eine sozial und politisch segensvolle größere Gleichheit der Besitz- und Einkommensverhältnisse Werth legt.
Aber es geht hier wie in andern Geschäftsbranchen. So lange der kleine Meister noch zur Noth von dem lokalen Absatz leben kann, so lange der Hausweber noch mit halbwegs leidlichem Lohn vom Fabrikanten beschäf- tigt wird, so denkt er nicht an solche radikale Reformen. Auch in diesen Kreisen überwiegt das träge Kleben am Althergebrachten; zu was Mühe, Sorge, Gefahr auf sich nehmen, wenn es im alten Geleise noch geht? Wenn die Noth dann eintritt und einige Zeit, einige Jahre und noch länger gedauert hat, ja dann fehlt es an Kapital, dann sind die Tüchtigern unter den Leuten
Die Bedingungen der genoſſenſchaftlichen Weberei.
Aber wie viele kleine Webermeiſter ſtehen doch noch über dieſem Niveau; wie manche Fortſchritte der Technik, der Bildung, welche andere tüchtigere Menſchen vorausſetzen, ſind wenigſtens in einzelnen Gegenden zu konſtatiren. Und doch fehlt es an jeder erheblichen Zunahme, während doch der genoſſenſchaftliche Betrieb gerade in der Weberei am angezeigteſten wäre, während es kein zahlreicheres, älteres, der Erhaltung würdigeres Gewerbe in Deutſchland gibt. Das tauſendmal geprie- ſene Syſtem der Hausinduſtrie drückt, an große Fabriken angelehnt, die Arbeiter doch leicht zum Proletariat herab, genoſſenſchaftlich aber organiſirt würde es tauſende und aber tauſende kleiner geſunder Geſchäfte erhalten. In der ganzen volkswirthſchaftlichen Geſchichte des 19. Jahr- hunderts wäre neben der Konſervirung unſeres deutſchen Bauernſtandes eine Erhaltung der kleinen Webermeiſter die wichtigſte Maßregel, wenn man überhaupt auf eine ſozial und politiſch ſegensvolle größere Gleichheit der Beſitz- und Einkommensverhältniſſe Werth legt.
Aber es geht hier wie in andern Geſchäftsbranchen. So lange der kleine Meiſter noch zur Noth von dem lokalen Abſatz leben kann, ſo lange der Hausweber noch mit halbwegs leidlichem Lohn vom Fabrikanten beſchäf- tigt wird, ſo denkt er nicht an ſolche radikale Reformen. Auch in dieſen Kreiſen überwiegt das träge Kleben am Althergebrachten; zu was Mühe, Sorge, Gefahr auf ſich nehmen, wenn es im alten Geleiſe noch geht? Wenn die Noth dann eintritt und einige Zeit, einige Jahre und noch länger gedauert hat, ja dann fehlt es an Kapital, dann ſind die Tüchtigern unter den Leuten
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Die Bedingungen der genoſſenſchaftlichen Weberei.
Aber wie viele kleine Webermeiſter ſtehen doch
noch über dieſem Niveau; wie manche Fortſchritte der
Technik, der Bildung, welche andere tüchtigere Menſchen
vorausſetzen, ſind wenigſtens in einzelnen Gegenden zu
konſtatiren. Und doch fehlt es an jeder erheblichen
Zunahme, während doch der genoſſenſchaftliche Betrieb
gerade in der Weberei am angezeigteſten wäre, während
es kein zahlreicheres, älteres, der Erhaltung würdigeres
Gewerbe in Deutſchland gibt. Das tauſendmal geprie-
ſene Syſtem der Hausinduſtrie drückt, an große Fabriken
angelehnt, die Arbeiter doch leicht zum Proletariat herab,
genoſſenſchaftlich aber organiſirt würde es tauſende und
aber tauſende kleiner geſunder Geſchäfte erhalten. In
der ganzen volkswirthſchaftlichen Geſchichte des 19. Jahr-
hunderts wäre neben der Konſervirung unſeres deutſchen
Bauernſtandes eine Erhaltung der kleinen Webermeiſter
die wichtigſte Maßregel, wenn man überhaupt auf eine
ſozial und politiſch ſegensvolle größere Gleichheit der
Beſitz- und Einkommensverhältniſſe Werth legt.
Aber es geht hier wie in andern Geſchäftsbranchen.
So lange der kleine Meiſter noch zur Noth von dem
lokalen Abſatz leben kann, ſo lange der Hausweber noch
mit halbwegs leidlichem Lohn vom Fabrikanten beſchäf-
tigt wird, ſo denkt er nicht an ſolche radikale Reformen.
Auch in dieſen Kreiſen überwiegt das träge Kleben am
Althergebrachten; zu was Mühe, Sorge, Gefahr auf
ſich nehmen, wenn es im alten Geleiſe noch geht?
Wenn die Noth dann eintritt und einige Zeit, einige
Jahre und noch länger gedauert hat, ja dann fehlt es
an Kapital, dann ſind die Tüchtigern unter den Leuten
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Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870, S. 589. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_kleingewerbe_1870/611>, abgerufen am 22.11.2024.
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