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Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870.

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Schluß und Resultate.
angesteckt von den Lastern der Besitzenden, sich proleta-
risch vermehrend, bis in Folge der Laster auch dieß auf-
hört; -- als letztes Ergebniß soziale und kommunistische
Revolutionen von oben oder unten, allgemeinen Umsturz
oder eine Tyrannys, welche die Besitzenden beraubt, um
den Besitzlosen panem et circenses ohne Arbeit zu
reichen.

Noch sind wir weit hiervon entfernt, noch sind die
guten Elemente zahlreich, noch ist die Ungleichheit des
Besitzes nicht so groß, noch haben wir einen nicht
unbedeutenden Mittelstand; aber kurzsichtig wäre es,
zu verneinen, daß unsere gegenwärtige industrielle Ent-
wicklung dahin neigt. Mit allen Mitteln ist deßhalb
der steigenden Vermögensungleichheit entgegenzuarbeiten,
und eine der wichtigsten praktischen Fragen ist eben die
möglichste Erhaltung des noch vorhandenen Handwerker-
standes.

Manche Anfänge dazu sind auch vorhanden, ich
habe sie da und dort erwähnt. Am wichtigsten ist die
genossenschaftliche Bewegung. Aber viel bleibt daneben
zu thun. Der ganze Standpunkt, von dem aus diese
Frage meist beurtheilt worden, ist ein ungenügender.
Ich meine damit die Uebertragung des schönen Wortes
wirthschaftlicher Freiheit von der Beseitigung veralteter
mittelalterlicher Gesetze, die vom Liberalismus mit Recht
gefordert und durchgeführt wurde, -- auf die Negation
positiver Aufgaben, die, wo es an freiwilligen Organen
der Gesellschaft fehlt, der Staat wenigstens theilweise
in die Hand nehmen muß, die theilweise ohne ein neues
Recht, ohne positive Gesetze gegenüber dem Schlendrian

Schluß und Reſultate.
angeſteckt von den Laſtern der Beſitzenden, ſich proleta-
riſch vermehrend, bis in Folge der Laſter auch dieß auf-
hört; — als letztes Ergebniß ſoziale und kommuniſtiſche
Revolutionen von oben oder unten, allgemeinen Umſturz
oder eine Tyrannys, welche die Beſitzenden beraubt, um
den Beſitzloſen panem et circenses ohne Arbeit zu
reichen.

Noch ſind wir weit hiervon entfernt, noch ſind die
guten Elemente zahlreich, noch iſt die Ungleichheit des
Beſitzes nicht ſo groß, noch haben wir einen nicht
unbedeutenden Mittelſtand; aber kurzſichtig wäre es,
zu verneinen, daß unſere gegenwärtige induſtrielle Ent-
wicklung dahin neigt. Mit allen Mitteln iſt deßhalb
der ſteigenden Vermögensungleichheit entgegenzuarbeiten,
und eine der wichtigſten praktiſchen Fragen iſt eben die
möglichſte Erhaltung des noch vorhandenen Handwerker-
ſtandes.

Manche Anfänge dazu ſind auch vorhanden, ich
habe ſie da und dort erwähnt. Am wichtigſten iſt die
genoſſenſchaftliche Bewegung. Aber viel bleibt daneben
zu thun. Der ganze Standpunkt, von dem aus dieſe
Frage meiſt beurtheilt worden, iſt ein ungenügender.
Ich meine damit die Uebertragung des ſchönen Wortes
wirthſchaftlicher Freiheit von der Beſeitigung veralteter
mittelalterlicher Geſetze, die vom Liberalismus mit Recht
gefordert und durchgeführt wurde, — auf die Negation
poſitiver Aufgaben, die, wo es an freiwilligen Organen
der Geſellſchaft fehlt, der Staat wenigſtens theilweiſe
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[678/0700] Schluß und Reſultate. angeſteckt von den Laſtern der Beſitzenden, ſich proleta- riſch vermehrend, bis in Folge der Laſter auch dieß auf- hört; — als letztes Ergebniß ſoziale und kommuniſtiſche Revolutionen von oben oder unten, allgemeinen Umſturz oder eine Tyrannys, welche die Beſitzenden beraubt, um den Beſitzloſen panem et circenses ohne Arbeit zu reichen. Noch ſind wir weit hiervon entfernt, noch ſind die guten Elemente zahlreich, noch iſt die Ungleichheit des Beſitzes nicht ſo groß, noch haben wir einen nicht unbedeutenden Mittelſtand; aber kurzſichtig wäre es, zu verneinen, daß unſere gegenwärtige induſtrielle Ent- wicklung dahin neigt. Mit allen Mitteln iſt deßhalb der ſteigenden Vermögensungleichheit entgegenzuarbeiten, und eine der wichtigſten praktiſchen Fragen iſt eben die möglichſte Erhaltung des noch vorhandenen Handwerker- ſtandes. Manche Anfänge dazu ſind auch vorhanden, ich habe ſie da und dort erwähnt. Am wichtigſten iſt die genoſſenſchaftliche Bewegung. Aber viel bleibt daneben zu thun. Der ganze Standpunkt, von dem aus dieſe Frage meiſt beurtheilt worden, iſt ein ungenügender. Ich meine damit die Uebertragung des ſchönen Wortes wirthſchaftlicher Freiheit von der Beſeitigung veralteter mittelalterlicher Geſetze, die vom Liberalismus mit Recht gefordert und durchgeführt wurde, — auf die Negation poſitiver Aufgaben, die, wo es an freiwilligen Organen der Geſellſchaft fehlt, der Staat wenigſtens theilweiſe in die Hand nehmen muß, die theilweiſe ohne ein neues Recht, ohne poſitive Geſetze gegenüber dem Schlendrian

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870, S. 678. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_kleingewerbe_1870/700>, abgerufen am 22.11.2024.