Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870.Die berechtigten Eingriffe ins Privateigenthum. außerordentlichen Zeiten können auch große Opfer gefor-dert werden. In einem Staate der allgemeinen Wehr- pflicht, in einem Staate, welcher das Recht hat, das Leben seiner Bürger jeden Augenblick fürs Ganze zu fordern, wie lächerlich ist da eine Eigenthumstheorie, welche das kleinste Opfer für das Ganze als unsinnigen Sozialismus bezeichnet. Sind irgendwo die Klassen- und Besitzverhältnisse durch wirthschaftliche oder andere Ur- sachen so abnorm geworden, daß dadurch die ganze Zukunft des Staates und der Gesellschaft bedroht ist, und greift dann eine hochherzige Regierung auf gesetz- lichem Wege ein, stellt die Maßregeln nach genauen Prüfungen fest, läßt sie geordnet ausführen, so werden immer Privatinteressen verletzt werden, so werden die Verletzten über Vergewaltigung immer klagen, so werden einzelne darüber zu Grunde gehen, aber der unbefangene Historiker einer späteren Zeit wird die Maßregel nicht als unheilvoll sozialistisch verdammen. Ist nicht heute noch das Herz jedes Edeldenkenden auf Seite Solon's, wenn er die Schuldverhältnisse der untern Klassen Athens ordnet, ihre Schulden reduzirt; sind wir nicht heute noch alle auf Seite der landfordernden Plebejer in Rom, auf Seite jener späteren kaiserlichen Gesetze, welche verboten, dem Kolonen den Pachtzins weiter zu erhöhen? Billigen wir nicht die mittelalterlichen und späteren Säkularisationen, die eben auch nichts waren als Eigenthumsverletzungen, um eine ungesunde An- häufung des Besitzes aufzuheben, wieder eine gesun- dere Grundbesitzvertheilung herbeizuführen. Was ist unsere ganze moderne Agrargesetzgebung, Separation Die berechtigten Eingriffe ins Privateigenthum. außerordentlichen Zeiten können auch große Opfer gefor-dert werden. In einem Staate der allgemeinen Wehr- pflicht, in einem Staate, welcher das Recht hat, das Leben ſeiner Bürger jeden Augenblick fürs Ganze zu fordern, wie lächerlich iſt da eine Eigenthumstheorie, welche das kleinſte Opfer für das Ganze als unſinnigen Sozialismus bezeichnet. Sind irgendwo die Klaſſen- und Beſitzverhältniſſe durch wirthſchaftliche oder andere Ur- ſachen ſo abnorm geworden, daß dadurch die ganze Zukunft des Staates und der Geſellſchaft bedroht iſt, und greift dann eine hochherzige Regierung auf geſetz- lichem Wege ein, ſtellt die Maßregeln nach genauen Prüfungen feſt, läßt ſie geordnet ausführen, ſo werden immer Privatintereſſen verletzt werden, ſo werden die Verletzten über Vergewaltigung immer klagen, ſo werden einzelne darüber zu Grunde gehen, aber der unbefangene Hiſtoriker einer ſpäteren Zeit wird die Maßregel nicht als unheilvoll ſozialiſtiſch verdammen. Iſt nicht heute noch das Herz jedes Edeldenkenden auf Seite Solon’s, wenn er die Schuldverhältniſſe der untern Klaſſen Athens ordnet, ihre Schulden reduzirt; ſind wir nicht heute noch alle auf Seite der landfordernden Plebejer in Rom, auf Seite jener ſpäteren kaiſerlichen Geſetze, welche verboten, dem Kolonen den Pachtzins weiter zu erhöhen? Billigen wir nicht die mittelalterlichen und ſpäteren Säkulariſationen, die eben auch nichts waren als Eigenthumsverletzungen, um eine ungeſunde An- häufung des Beſitzes aufzuheben, wieder eine geſun- dere Grundbeſitzvertheilung herbeizuführen. Was iſt unſere ganze moderne Agrargeſetzgebung, Separation <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0709" n="687"/><fw place="top" type="header">Die berechtigten Eingriffe ins Privateigenthum.</fw><lb/> außerordentlichen Zeiten können auch große Opfer gefor-<lb/> dert werden. In einem Staate der allgemeinen Wehr-<lb/> pflicht, in einem Staate, welcher das Recht hat, das<lb/> Leben ſeiner Bürger jeden Augenblick fürs Ganze zu<lb/> fordern, wie lächerlich iſt da eine Eigenthumstheorie,<lb/> welche das kleinſte Opfer für das Ganze als unſinnigen<lb/> Sozialismus bezeichnet. 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Die berechtigten Eingriffe ins Privateigenthum.
außerordentlichen Zeiten können auch große Opfer gefor-
dert werden. In einem Staate der allgemeinen Wehr-
pflicht, in einem Staate, welcher das Recht hat, das
Leben ſeiner Bürger jeden Augenblick fürs Ganze zu
fordern, wie lächerlich iſt da eine Eigenthumstheorie,
welche das kleinſte Opfer für das Ganze als unſinnigen
Sozialismus bezeichnet. Sind irgendwo die Klaſſen- und
Beſitzverhältniſſe durch wirthſchaftliche oder andere Ur-
ſachen ſo abnorm geworden, daß dadurch die ganze
Zukunft des Staates und der Geſellſchaft bedroht iſt,
und greift dann eine hochherzige Regierung auf geſetz-
lichem Wege ein, ſtellt die Maßregeln nach genauen
Prüfungen feſt, läßt ſie geordnet ausführen, ſo werden
immer Privatintereſſen verletzt werden, ſo werden die
Verletzten über Vergewaltigung immer klagen, ſo werden
einzelne darüber zu Grunde gehen, aber der unbefangene
Hiſtoriker einer ſpäteren Zeit wird die Maßregel nicht
als unheilvoll ſozialiſtiſch verdammen. Iſt nicht heute
noch das Herz jedes Edeldenkenden auf Seite Solon’s,
wenn er die Schuldverhältniſſe der untern Klaſſen
Athens ordnet, ihre Schulden reduzirt; ſind wir nicht
heute noch alle auf Seite der landfordernden Plebejer
in Rom, auf Seite jener ſpäteren kaiſerlichen Geſetze,
welche verboten, dem Kolonen den Pachtzins weiter zu
erhöhen? Billigen wir nicht die mittelalterlichen und
ſpäteren Säkulariſationen, die eben auch nichts waren
als Eigenthumsverletzungen, um eine ungeſunde An-
häufung des Beſitzes aufzuheben, wieder eine geſun-
dere Grundbeſitzvertheilung herbeizuführen. Was iſt
unſere ganze moderne Agrargeſetzgebung, Separation
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