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Schmoller, Gustav: Die Volkswirtschaft, die Volkswirtschaftslehre und ihre Methode. Frankfurt (Main), 1893.

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verschiedene Weltanschauungen stets nebeneinander möglich, die von-
einander abweichen, wie die verschiedenen Temperamente; schon die
optimistische und die pessimistische Anschauung wird stets zu verschie-
denem Resultate kommen. Realismus und Idealismus, antike und
christliche Denkungsart, aristokratische und demokratische Prinzipien
und wie die großen Gegensätze alle heißen, werden stets verschiedene
Weltbilder und Auffassungen und damit verschiedene Lebensideale er-
zeugen. Die verschiedenen möglichen Vorstellungen von Gott und dem
Leben nach dem Tode, von Fortschritt oder Rückschritt im Laufe der
Geschichte müssen stets auch zu verschiedenen Urteilen über alle
Pflichten und alles Handeln führen. So haben diese verschiedenen
Möglichkeiten, die Welt im ganzen zu verstehen, eine Reihe verschie-
dener philosophischer und ethischer, sich bekämpfender Systeme ge-
schaffen und sie bestehen auch heute getrennt nebeneinander fort und
werden künftig getrennt fortbestehen. Sie haben nur in ähnlichem
Maße sich einander genähert, wie es auch die höheren Religionssysteme
taten; die fortschreitende psychologische Erkenntnis des Menschen, die
fortschreitende Erkenntnis der Natur und der Geschichte haben die
extremen Anschauungen beseitigt, haben die Ethik immer mehr zu-
gleich zu einer Erfahrungswissenschaft des Seienden gemacht, aus der
heraus nun die einzelnen Teile als besondere Wissenschaften vom Staate,
vom Rechte, von der Volkswirtschaft sich loslösen konnten.

Aber in ihrem Grundcharakter blieben die ethischen Systeme doch et-
was ähnliches, wie die religiösen; sie ruhen auf einem Glauben, auf
einem Fürwahrhalten gewisser letzter Prinzipien. Dieses Fürwahrhalten
entsteht unter bestimmten realen und psychologischen Voraussetzungen
bei den gleichen oder ähnlichen Menschen mit ähnlicher Notwendigkeit,
wie das Wissen der Erfahrungswelt; es ist ein Fürwahrhalten der letz-
ten Dinge, dem der Materialist wie der Theist und der Christ gleich-
mäßig unterliegt. Eben weil es sich dabei um die letzten Dinge han-
delt, um die höchsten Prinzipien, so verleiht dieses Fürwahrhalten eine
Spannkraft des Willens, die eine empirische Erkenntnis nicht gibt.
Es ist eine Gewißheit, die zum Handeln befähigt, die den einzelnen
veranlaßt, für seine Prinzipien alles, unter Umständen sein Leben zu
opfern. Die Gewißheit, die der einzelne oder ganze Menschengruppen
durch neue zündende, praktische Systeme des religiösen oder mora-
lischen Glaubens erhalten, ist zwar eine subjektive, aber sie ist dafür
eine weltbewegende, teils erschütternde und auflösende, teils auf-
bauende und Neues schaffende. Die Prinzipien, die im Mittelpunkt
stehen, sind zur Zeit ihrer Entstehung und kräftigen Wirksamkeit
noch nicht begrenzt, noch nicht auseinandergesetzt mit anderen gleich-
berechtigten Prinzipien und dem Bestehenden. So wirken sie epoche-
machend und revolutionär, werden maßlos übertrieben und sind da-

verschiedene Weltanschauungen stets nebeneinander möglich, die von-
einander abweichen, wie die verschiedenen Temperamente; schon die
optimistische und die pessimistische Anschauung wird stets zu verschie-
denem Resultate kommen. Realismus und Idealismus, antike und
christliche Denkungsart, aristokratische und demokratische Prinzipien
und wie die großen Gegensätze alle heißen, werden stets verschiedene
Weltbilder und Auffassungen und damit verschiedene Lebensideale er-
zeugen. Die verschiedenen möglichen Vorstellungen von Gott und dem
Leben nach dem Tode, von Fortschritt oder Rückschritt im Laufe der
Geschichte müssen stets auch zu verschiedenen Urteilen über alle
Pflichten und alles Handeln führen. So haben diese verschiedenen
Möglichkeiten, die Welt im ganzen zu verstehen, eine Reihe verschie-
dener philosophischer und ethischer, sich bekämpfender Systeme ge-
schaffen und sie bestehen auch heute getrennt nebeneinander fort und
werden künftig getrennt fortbestehen. Sie haben nur in ähnlichem
Maße sich einander genähert, wie es auch die höheren Religionssysteme
taten; die fortschreitende psychologische Erkenntnis des Menschen, die
fortschreitende Erkenntnis der Natur und der Geschichte haben die
extremen Anschauungen beseitigt, haben die Ethik immer mehr zu-
gleich zu einer Erfahrungswissenschaft des Seienden gemacht, aus der
heraus nun die einzelnen Teile als besondere Wissenschaften vom Staate,
vom Rechte, von der Volkswirtschaft sich loslösen konnten.

Aber in ihrem Grundcharakter blieben die ethischen Systeme doch et-
was ähnliches, wie die religiösen; sie ruhen auf einem Glauben, auf
einem Fürwahrhalten gewisser letzter Prinzipien. Dieses Fürwahrhalten
entsteht unter bestimmten realen und psychologischen Voraussetzungen
bei den gleichen oder ähnlichen Menschen mit ähnlicher Notwendigkeit,
wie das Wissen der Erfahrungswelt; es ist ein Fürwahrhalten der letz-
ten Dinge, dem der Materialist wie der Theist und der Christ gleich-
mäßig unterliegt. Eben weil es sich dabei um die letzten Dinge han-
delt, um die höchsten Prinzipien, so verleiht dieses Fürwahrhalten eine
Spannkraft des Willens, die eine empirische Erkenntnis nicht gibt.
Es ist eine Gewißheit, die zum Handeln befähigt, die den einzelnen
veranlaßt, für seine Prinzipien alles, unter Umständen sein Leben zu
opfern. Die Gewißheit, die der einzelne oder ganze Menschengruppen
durch neue zündende, praktische Systeme des religiösen oder mora-
lischen Glaubens erhalten, ist zwar eine subjektive, aber sie ist dafür
eine weltbewegende, teils erschütternde und auflösende, teils auf-
bauende und Neues schaffende. Die Prinzipien, die im Mittelpunkt
stehen, sind zur Zeit ihrer Entstehung und kräftigen Wirksamkeit
noch nicht begrenzt, noch nicht auseinandergesetzt mit anderen gleich-
berechtigten Prinzipien und dem Bestehenden. So wirken sie epoche-
machend und revolutionär, werden maßlos übertrieben und sind da-

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[24/0028] verschiedene Weltanschauungen stets nebeneinander möglich, die von- einander abweichen, wie die verschiedenen Temperamente; schon die optimistische und die pessimistische Anschauung wird stets zu verschie- denem Resultate kommen. Realismus und Idealismus, antike und christliche Denkungsart, aristokratische und demokratische Prinzipien und wie die großen Gegensätze alle heißen, werden stets verschiedene Weltbilder und Auffassungen und damit verschiedene Lebensideale er- zeugen. Die verschiedenen möglichen Vorstellungen von Gott und dem Leben nach dem Tode, von Fortschritt oder Rückschritt im Laufe der Geschichte müssen stets auch zu verschiedenen Urteilen über alle Pflichten und alles Handeln führen. So haben diese verschiedenen Möglichkeiten, die Welt im ganzen zu verstehen, eine Reihe verschie- dener philosophischer und ethischer, sich bekämpfender Systeme ge- schaffen und sie bestehen auch heute getrennt nebeneinander fort und werden künftig getrennt fortbestehen. Sie haben nur in ähnlichem Maße sich einander genähert, wie es auch die höheren Religionssysteme taten; die fortschreitende psychologische Erkenntnis des Menschen, die fortschreitende Erkenntnis der Natur und der Geschichte haben die extremen Anschauungen beseitigt, haben die Ethik immer mehr zu- gleich zu einer Erfahrungswissenschaft des Seienden gemacht, aus der heraus nun die einzelnen Teile als besondere Wissenschaften vom Staate, vom Rechte, von der Volkswirtschaft sich loslösen konnten. Aber in ihrem Grundcharakter blieben die ethischen Systeme doch et- was ähnliches, wie die religiösen; sie ruhen auf einem Glauben, auf einem Fürwahrhalten gewisser letzter Prinzipien. Dieses Fürwahrhalten entsteht unter bestimmten realen und psychologischen Voraussetzungen bei den gleichen oder ähnlichen Menschen mit ähnlicher Notwendigkeit, wie das Wissen der Erfahrungswelt; es ist ein Fürwahrhalten der letz- ten Dinge, dem der Materialist wie der Theist und der Christ gleich- mäßig unterliegt. Eben weil es sich dabei um die letzten Dinge han- delt, um die höchsten Prinzipien, so verleiht dieses Fürwahrhalten eine Spannkraft des Willens, die eine empirische Erkenntnis nicht gibt. Es ist eine Gewißheit, die zum Handeln befähigt, die den einzelnen veranlaßt, für seine Prinzipien alles, unter Umständen sein Leben zu opfern. Die Gewißheit, die der einzelne oder ganze Menschengruppen durch neue zündende, praktische Systeme des religiösen oder mora- lischen Glaubens erhalten, ist zwar eine subjektive, aber sie ist dafür eine weltbewegende, teils erschütternde und auflösende, teils auf- bauende und Neues schaffende. Die Prinzipien, die im Mittelpunkt stehen, sind zur Zeit ihrer Entstehung und kräftigen Wirksamkeit noch nicht begrenzt, noch nicht auseinandergesetzt mit anderen gleich- berechtigten Prinzipien und dem Bestehenden. So wirken sie epoche- machend und revolutionär, werden maßlos übertrieben und sind da-

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Die Volkswirtschaft, die Volkswirtschaftslehre und ihre Methode. Frankfurt (Main), 1893, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_volkswirtschaftslehre_1893/28>, abgerufen am 21.11.2024.