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Schmoller, Gustav: Die Volkswirtschaft, die Volkswirtschaftslehre und ihre Methode. Frankfurt (Main), 1893.

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neben doch die Voraussetzung einer neuen Zeit und höherer Formen
der Gesellschaft.

Es sei gestattet, hieran noch zwei Bemerkungen zu knüpfen, die metho-
dologische Bedeutung haben.

Das, was man oberste Prinzipien in den ethischen Systemen nennt,
ihre letzten Ideale sind Vorstellungen über die Richtungen, in denen
sich der gute Wille, das Sollen, zu bewegen habe. Meist stehen nun
mehrere solcher Ideen nebeneinander, in einer gegenseitigen Über-
oder Unterordnung, Nebenordnung oder Begrenzung. Aber gar leicht
wird eine als die herrschende vorangestellt, man will ihre Konse-
quenzen auf alle Gebiete übertragen. Ich nenne als solche Ideen die
der persönlichen Freiheit und die der gesellschaftlichen Ordnung, die
der Gerechtigkeit und die der fortschreitenden Vervollkommnung des
einzelnen und der Gesellschaft, die der Gleichheit und die der hin-
gebenden Aufopferung für die Gesamtheit. Es sind abstrakte Ziel-
punkte, deren keiner im praktischen Leben einseitig für sich allein
ins Auge gefaßt werden kann, ohne zu Mißbrauch und zu Übertrei-
bung zu führen. Alle Freiheit setzt zugleich die Ordnung, alle Gleich-
heit eine Verschiedenheit im Interesse des Ganzen und des Fortschritts
voraus. Wer die Freiheit, oder die Gerechtigkeit, oder die Gleichheit,
wie es so oft heute in politischen und volkswirtschaftlichen Erörte-
rungen geschieht, als isoliertes oberstes Prinzip hinstellt, aus dem man
mit unerbittlicher strenger Logik das richtige Handeln deduktiv ab-
leiten könne, der verkennt gänzlich die wahre Natur dieser ethischen
Postulate; sie sind Leitsterne und Zielpunkte, die dem Handelnden vor-
schweben, die in richtiger Kombination das gute Handeln vorschreiben,
die Kraft und Leidenschaft zum richtigen Handeln geben, die zu habi-
tuellen Eigenschaften geworden, der Seele des einzelnen Würde und
Charakter geben, die aber nicht empirische Wahrheiten darstellen, aus
denen man syllogistisch weiter schließen könnte.

Ist so vor einem häufigen Mißbrauche zu warnen, der sich an die ethi-
schen Systeme anschließt, so ist andererseits zu betonen, daß, wenn
diese Systeme stets durch eine Synthese, durch eine einheitlich die
Elemente unserer Erkenntnis und unseres Glaubens verknüpfende An-
schauung entstehen, deshalb nicht jede einheitliche Verknüpfung von
einzelnen Erkenntnisstücken zu einem Ganzen problematisch ist und
bleibt. Gewiß, eine Synthese, welche die Welt und ihre Geschichte als
Ganzes erklären will, bleibt stets diskutabel. Aber eine Synthese, welche
ein Volk, eine Zeit, ein Menschenleben als Ganzes begreift, welche von
reicher Erfahrung ausgeht, in welcher sich vollendete Sachkenntnis
mit künstlerischer Intuition verbindet, kann sich der wirklichen Er-
kenntnis so nähern, daß sie für unsere Zwecke mit ihr zusammenfällt.
Wie in allen Geisteswissenschaften, so ist auch in der Volkswirtschafts-

neben doch die Voraussetzung einer neuen Zeit und höherer Formen
der Gesellschaft.

Es sei gestattet, hieran noch zwei Bemerkungen zu knüpfen, die metho-
dologische Bedeutung haben.

Das, was man oberste Prinzipien in den ethischen Systemen nennt,
ihre letzten Ideale sind Vorstellungen über die Richtungen, in denen
sich der gute Wille, das Sollen, zu bewegen habe. Meist stehen nun
mehrere solcher Ideen nebeneinander, in einer gegenseitigen Über-
oder Unterordnung, Nebenordnung oder Begrenzung. Aber gar leicht
wird eine als die herrschende vorangestellt, man will ihre Konse-
quenzen auf alle Gebiete übertragen. Ich nenne als solche Ideen die
der persönlichen Freiheit und die der gesellschaftlichen Ordnung, die
der Gerechtigkeit und die der fortschreitenden Vervollkommnung des
einzelnen und der Gesellschaft, die der Gleichheit und die der hin-
gebenden Aufopferung für die Gesamtheit. Es sind abstrakte Ziel-
punkte, deren keiner im praktischen Leben einseitig für sich allein
ins Auge gefaßt werden kann, ohne zu Mißbrauch und zu Übertrei-
bung zu führen. Alle Freiheit setzt zugleich die Ordnung, alle Gleich-
heit eine Verschiedenheit im Interesse des Ganzen und des Fortschritts
voraus. Wer die Freiheit, oder die Gerechtigkeit, oder die Gleichheit,
wie es so oft heute in politischen und volkswirtschaftlichen Erörte-
rungen geschieht, als isoliertes oberstes Prinzip hinstellt, aus dem man
mit unerbittlicher strenger Logik das richtige Handeln deduktiv ab-
leiten könne, der verkennt gänzlich die wahre Natur dieser ethischen
Postulate; sie sind Leitsterne und Zielpunkte, die dem Handelnden vor-
schweben, die in richtiger Kombination das gute Handeln vorschreiben,
die Kraft und Leidenschaft zum richtigen Handeln geben, die zu habi-
tuellen Eigenschaften geworden, der Seele des einzelnen Würde und
Charakter geben, die aber nicht empirische Wahrheiten darstellen, aus
denen man syllogistisch weiter schließen könnte.

Ist so vor einem häufigen Mißbrauche zu warnen, der sich an die ethi-
schen Systeme anschließt, so ist andererseits zu betonen, daß, wenn
diese Systeme stets durch eine Synthese, durch eine einheitlich die
Elemente unserer Erkenntnis und unseres Glaubens verknüpfende An-
schauung entstehen, deshalb nicht jede einheitliche Verknüpfung von
einzelnen Erkenntnisstücken zu einem Ganzen problematisch ist und
bleibt. Gewiß, eine Synthese, welche die Welt und ihre Geschichte als
Ganzes erklären will, bleibt stets diskutabel. Aber eine Synthese, welche
ein Volk, eine Zeit, ein Menschenleben als Ganzes begreift, welche von
reicher Erfahrung ausgeht, in welcher sich vollendete Sachkenntnis
mit künstlerischer Intuition verbindet, kann sich der wirklichen Er-
kenntnis so nähern, daß sie für unsere Zwecke mit ihr zusammenfällt.
Wie in allen Geisteswissenschaften, so ist auch in der Volkswirtschafts-

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[25/0029] neben doch die Voraussetzung einer neuen Zeit und höherer Formen der Gesellschaft. Es sei gestattet, hieran noch zwei Bemerkungen zu knüpfen, die metho- dologische Bedeutung haben. Das, was man oberste Prinzipien in den ethischen Systemen nennt, ihre letzten Ideale sind Vorstellungen über die Richtungen, in denen sich der gute Wille, das Sollen, zu bewegen habe. Meist stehen nun mehrere solcher Ideen nebeneinander, in einer gegenseitigen Über- oder Unterordnung, Nebenordnung oder Begrenzung. Aber gar leicht wird eine als die herrschende vorangestellt, man will ihre Konse- quenzen auf alle Gebiete übertragen. Ich nenne als solche Ideen die der persönlichen Freiheit und die der gesellschaftlichen Ordnung, die der Gerechtigkeit und die der fortschreitenden Vervollkommnung des einzelnen und der Gesellschaft, die der Gleichheit und die der hin- gebenden Aufopferung für die Gesamtheit. Es sind abstrakte Ziel- punkte, deren keiner im praktischen Leben einseitig für sich allein ins Auge gefaßt werden kann, ohne zu Mißbrauch und zu Übertrei- bung zu führen. Alle Freiheit setzt zugleich die Ordnung, alle Gleich- heit eine Verschiedenheit im Interesse des Ganzen und des Fortschritts voraus. Wer die Freiheit, oder die Gerechtigkeit, oder die Gleichheit, wie es so oft heute in politischen und volkswirtschaftlichen Erörte- rungen geschieht, als isoliertes oberstes Prinzip hinstellt, aus dem man mit unerbittlicher strenger Logik das richtige Handeln deduktiv ab- leiten könne, der verkennt gänzlich die wahre Natur dieser ethischen Postulate; sie sind Leitsterne und Zielpunkte, die dem Handelnden vor- schweben, die in richtiger Kombination das gute Handeln vorschreiben, die Kraft und Leidenschaft zum richtigen Handeln geben, die zu habi- tuellen Eigenschaften geworden, der Seele des einzelnen Würde und Charakter geben, die aber nicht empirische Wahrheiten darstellen, aus denen man syllogistisch weiter schließen könnte. Ist so vor einem häufigen Mißbrauche zu warnen, der sich an die ethi- schen Systeme anschließt, so ist andererseits zu betonen, daß, wenn diese Systeme stets durch eine Synthese, durch eine einheitlich die Elemente unserer Erkenntnis und unseres Glaubens verknüpfende An- schauung entstehen, deshalb nicht jede einheitliche Verknüpfung von einzelnen Erkenntnisstücken zu einem Ganzen problematisch ist und bleibt. Gewiß, eine Synthese, welche die Welt und ihre Geschichte als Ganzes erklären will, bleibt stets diskutabel. Aber eine Synthese, welche ein Volk, eine Zeit, ein Menschenleben als Ganzes begreift, welche von reicher Erfahrung ausgeht, in welcher sich vollendete Sachkenntnis mit künstlerischer Intuition verbindet, kann sich der wirklichen Er- kenntnis so nähern, daß sie für unsere Zwecke mit ihr zusammenfällt. Wie in allen Geisteswissenschaften, so ist auch in der Volkswirtschafts-

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Die Volkswirtschaft, die Volkswirtschaftslehre und ihre Methode. Frankfurt (Main), 1893, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_volkswirtschaftslehre_1893/29>, abgerufen am 23.11.2024.