einige Linderung verschaffen können. Doch da ich zurück schrieb: daß um diese Zeit alle Collegia aufs neue angiengen, weßwegen ich nicht allein sehr viel versäumen, sondern über dieses seine und meine Hertzens-Wunde ehe noch weiter aufreissen als heilen würde, erlaubte mir mein Vater, nebst Ueber- sendung eines Wechsels von 200. spec. Ducaten noch ein halbes Jahr in Kiel zu bleiben, nach Ver- fliessung dessen aber solte nach Hause kommen, über Winters bey ihm zu verharren, sodann im Früh- Jahre das galante Leipzig zu besuchen, und meine Studia daselbst zu absolviren.
Sein Wille war meine Richt-Schnur, dan- nenhero die noch übrige Zeit in Kiel nicht verabsäu- mete mich in meinem ergriffenen studio nach mög- lichkeit zu cultiviren, gegen Martini aber mit den herrlichsten Attastaten meiner Professoren verse- hen nach Hause reisete. Es war mir zwar eine hertzliche Freude, meinen werthen Vater und liebe Schwester nebst andern Anverwandten und guten Freunden in völligen Glücks-Stande anzutreffen; allein der Verlust der Mutter that derselben unge- meinen Einhalt. Kurtz zu sagen: es war kein ein- ziges Divertissement, so mir von meinem Vater, so wohl auch andern Freunden gemacht wurde, ver- mögend, das einwurtzelende melancholische We- sen aus meinem Gehirne zu vertreiben. Derowe- gen nahm die Zuflucht zu den Büchern und suchte darinnen mein verlohrnes Vergnügen, welches sich denn nicht selten in selbigen finden ließ.
Mein Vater bezeigte theils Leid, theils Freude über meine douce Aufführung, resolvirte sich aber
bald
A 2
einige Linderung verſchaffen koͤnnen. Doch da ich zuruͤck ſchrieb: daß um dieſe Zeit alle Collegia aufs neue angiengen, weßwegen ich nicht allein ſehr viel verſaͤumen, ſondern uͤber dieſes ſeine und meine Hertzens-Wunde ehe noch weiter aufreiſſen als heilen wuͤrde, erlaubte mir mein Vater, nebſt Ueber- ſendung eines Wechſels von 200. ſpec. Ducaten noch ein halbes Jahr in Kiel zu bleiben, nach Ver- flieſſung deſſen aber ſolte nach Hauſe kommen, uͤber Winters bey ihm zu verharren, ſodann im Fruͤh- Jahre das galante Leipzig zu beſuchen, und meine Studia daſelbſt zu abſolviren.
Sein Wille war meine Richt-Schnur, dan- nenhero die noch uͤbrige Zeit in Kiel nicht verabſaͤu- mete mich in meinem ergriffenen ſtudio nach moͤg- lichkeit zu cultiviren, gegen Martini aber mit den herrlichſten Attaſtaten meiner Profeſſoren verſe- hen nach Hauſe reiſete. Es war mir zwar eine hertzliche Freude, meinen werthen Vater und liebe Schweſter nebſt andern Anverwandten und guten Freunden in voͤlligen Gluͤcks-Stande anzutreffen; allein der Verluſt der Mutter that derſelben unge- meinen Einhalt. Kurtz zu ſagen: es war kein ein- ziges Divertiſſement, ſo mir von meinem Vater, ſo wohl auch andern Freunden gemacht wurde, ver- moͤgend, das einwurtzelende melancholiſche We- ſen aus meinem Gehirne zu vertreiben. Derowe- gen nahm die Zuflucht zu den Buͤchern und ſuchte darinnen mein verlohrnes Vergnuͤgen, welches ſich denn nicht ſelten in ſelbigen finden ließ.
Mein Vater bezeigte theils Leid, theils Freude uͤber meine douçe Auffuͤhrung, reſolvirte ſich aber
bald
A 2
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0015"n="3"/>
einige Linderung verſchaffen koͤnnen. Doch da ich<lb/>
zuruͤck ſchrieb: daß um dieſe Zeit alle <hirendition="#aq">Collegia</hi><lb/>
aufs neue angiengen, weßwegen ich nicht allein ſehr<lb/>
viel verſaͤumen, ſondern uͤber dieſes ſeine und meine<lb/>
Hertzens-Wunde ehe noch weiter aufreiſſen als<lb/>
heilen wuͤrde, erlaubte mir mein Vater, nebſt Ueber-<lb/>ſendung eines Wechſels von 200. <hirendition="#aq">ſpec. Ducat</hi>en<lb/>
noch ein halbes Jahr in Kiel zu bleiben, nach Ver-<lb/>
flieſſung deſſen aber ſolte nach Hauſe kommen, uͤber<lb/>
Winters bey ihm zu verharren, ſodann im Fruͤh-<lb/>
Jahre das <hirendition="#aq">galante</hi> Leipzig zu beſuchen, und meine<lb/><hirendition="#aq">Studia</hi> daſelbſt zu <hirendition="#aq">abſolvir</hi>en.</p><lb/><p>Sein Wille war meine Richt-Schnur, dan-<lb/>
nenhero die noch uͤbrige Zeit in Kiel nicht verabſaͤu-<lb/>
mete mich in meinem ergriffenen <hirendition="#aq">ſtudio</hi> nach moͤg-<lb/>
lichkeit zu <hirendition="#aq">cultivir</hi>en, gegen <hirendition="#aq">Martini</hi> aber mit den<lb/>
herrlichſten <hirendition="#aq">Attaſtat</hi>en meiner <hirendition="#aq">Profeſſor</hi>en verſe-<lb/>
hen nach Hauſe reiſete. Es war mir zwar eine<lb/>
hertzliche Freude, meinen werthen Vater und liebe<lb/>
Schweſter nebſt andern Anverwandten und guten<lb/>
Freunden in voͤlligen Gluͤcks-Stande anzutreffen;<lb/>
allein der Verluſt der Mutter that derſelben unge-<lb/>
meinen Einhalt. Kurtz zu ſagen: es war kein ein-<lb/>
ziges <hirendition="#aq">Divertiſſement,</hi>ſo mir von meinem Vater, ſo<lb/>
wohl auch andern Freunden gemacht wurde, ver-<lb/>
moͤgend, das einwurtzelende <hirendition="#aq">melancholi</hi>ſche We-<lb/>ſen aus meinem Gehirne zu vertreiben. Derowe-<lb/>
gen nahm die Zuflucht zu den Buͤchern und ſuchte<lb/>
darinnen mein verlohrnes Vergnuͤgen, welches ſich<lb/>
denn nicht ſelten in ſelbigen finden ließ.</p><lb/><p>Mein Vater bezeigte theils Leid, theils Freude<lb/>
uͤber meine <hirendition="#aq">douçe</hi> Auffuͤhrung, <hirendition="#aq">reſolvirt</hi>e ſich aber<lb/><fwplace="bottom"type="sig">A 2</fw><fwplace="bottom"type="catch">bald</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[3/0015]
einige Linderung verſchaffen koͤnnen. Doch da ich
zuruͤck ſchrieb: daß um dieſe Zeit alle Collegia
aufs neue angiengen, weßwegen ich nicht allein ſehr
viel verſaͤumen, ſondern uͤber dieſes ſeine und meine
Hertzens-Wunde ehe noch weiter aufreiſſen als
heilen wuͤrde, erlaubte mir mein Vater, nebſt Ueber-
ſendung eines Wechſels von 200. ſpec. Ducaten
noch ein halbes Jahr in Kiel zu bleiben, nach Ver-
flieſſung deſſen aber ſolte nach Hauſe kommen, uͤber
Winters bey ihm zu verharren, ſodann im Fruͤh-
Jahre das galante Leipzig zu beſuchen, und meine
Studia daſelbſt zu abſolviren.
Sein Wille war meine Richt-Schnur, dan-
nenhero die noch uͤbrige Zeit in Kiel nicht verabſaͤu-
mete mich in meinem ergriffenen ſtudio nach moͤg-
lichkeit zu cultiviren, gegen Martini aber mit den
herrlichſten Attaſtaten meiner Profeſſoren verſe-
hen nach Hauſe reiſete. Es war mir zwar eine
hertzliche Freude, meinen werthen Vater und liebe
Schweſter nebſt andern Anverwandten und guten
Freunden in voͤlligen Gluͤcks-Stande anzutreffen;
allein der Verluſt der Mutter that derſelben unge-
meinen Einhalt. Kurtz zu ſagen: es war kein ein-
ziges Divertiſſement, ſo mir von meinem Vater, ſo
wohl auch andern Freunden gemacht wurde, ver-
moͤgend, das einwurtzelende melancholiſche We-
ſen aus meinem Gehirne zu vertreiben. Derowe-
gen nahm die Zuflucht zu den Buͤchern und ſuchte
darinnen mein verlohrnes Vergnuͤgen, welches ſich
denn nicht ſelten in ſelbigen finden ließ.
Mein Vater bezeigte theils Leid, theils Freude
uͤber meine douçe Auffuͤhrung, reſolvirte ſich aber
bald
A 2
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
1731 erschien die Erstausgabe. Die zweite Auflage… [mehr]
1731 erschien die Erstausgabe. Die zweite Auflage folgte schon 1732. Zum Zeitpunkt der Digitalisierung stand nur die dritte Auflage von 1740 zur Verfügung. (Link zur Erstausgabe: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:gbv:3:1-459276)
Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. 3. Aufl. Bd. 1. Nordhausen, 1740, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata01_1740/15>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.