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Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. 3. Aufl. Bd. 1. Nordhausen, 1740.

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Fässer, Packen und Küsten ausräumeten und durch-
suchten, allein, ob sich schon ungemein kostbare Sa-
chen darinnen fanden, so war doch sehr wenig dabey,
welches die bevorstehende Hungers-Noth zu ver-
treiben vermögend war.

Wir armen Menschen sind so wunderlich gear-
tet, daß wir zuweilen aus blossen Muthwillen solche
Sachen vornehmen, von welchen wir doch im vor-
aus wissen, daß dieselben mit tausendfachen Gefähr-
lichkeiten verknüpfft sind; Jm Gegentheil, wenn un-
ser Gemüthe zu anderer Zeit nur eine einfache Ge-
fahr vermerckt, die doch eben so wohl noch nicht ein-
mahl gegenwärtig ist, stellen wir uns an, als ob wir
schon lange Zeit darinnen gesteckt hätten. Jch will
zwar nicht sagen, daß alle Menschen von dergleichen
Schlage wären, bey uns 4en aber braucht es keines
Zweifels, denn wir hatten, wiewohl nicht alles aus
der Erfahrung, jedoch vom hören und lesen, daß man
auf der Schiffarth nach Ost-Jndien, die Gefähr-
lichkeiten von Donner, Blitz, Sturmwind, Regen,
Hitze, Frost, Selaverey, Schiffbruch, Hunger,
Durst, Kranckheit und Tod zu befürchten habe;
doch deren keine eintzige konte den Vorsatz nach Ost-
Jndien zu reisen unterbrechen, nunmehro aber, da
wir doch schon ein vieles überstanden, noch nicht den
geringsten Hunger gelitten, und nur diesen eintzigen
Feind, binnen etlichen Tagen zu befürchten hatten,
konten wir uns allerseits im voraus schon dermassen
vor dem Hunger fürchten, daß auch nur das blosse
Drandencken unsere Cörper auszuhungern vermö-
gend war.

Lemelie that nichts als essen und trincken, To-

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Faͤſſer, Packen und Kuͤſten ausraͤumeten und durch-
ſuchten, allein, ob ſich ſchon ungemein koſtbare Sa-
chen darinnen fanden, ſo war doch ſehr wenig dabey,
welches die bevorſtehende Hungers-Noth zu ver-
treiben vermoͤgend war.

Wir armen Menſchen ſind ſo wunderlich gear-
tet, daß wir zuweilen aus bloſſen Muthwillen ſolche
Sachen vornehmen, von welchen wir doch im vor-
aus wiſſen, daß dieſelben mit tauſendfachen Gefaͤhr-
lichkeiten verknuͤpfft ſind; Jm Gegentheil, wenn un-
ſer Gemuͤthe zu anderer Zeit nur eine einfache Ge-
fahr vermerckt, die doch eben ſo wohl noch nicht ein-
mahl gegenwaͤrtig iſt, ſtellen wir uns an, als ob wir
ſchon lange Zeit darinnen geſteckt haͤtten. Jch will
zwar nicht ſagen, daß alle Menſchen von dergleichen
Schlage waͤren, bey uns 4en aber braucht es keines
Zweifels, denn wir hatten, wiewohl nicht alles aus
der Erfahrung, jedoch vom hoͤren und leſen, daß man
auf der Schiffarth nach Oſt-Jndien, die Gefaͤhr-
lichkeiten von Donner, Blitz, Sturmwind, Regen,
Hitze, Froſt, Selaverey, Schiffbruch, Hunger,
Durſt, Kranckheit und Tod zu befuͤrchten habe;
doch deren keine eintzige konte den Vorſatz nach Oſt-
Jndien zu reiſen unterbrechen, nunmehro aber, da
wir doch ſchon ein vieles uͤberſtanden, noch nicht den
geringſten Hunger gelitten, und nur dieſen eintzigen
Feind, binnen etlichen Tagen zu befuͤrchten hatten,
konten wir uns allerſeits im voraus ſchon dermaſſen
vor dem Hunger fuͤrchten, daß auch nur das bloſſe
Drandencken unſere Coͤrper auszuhungern vermoͤ-
gend war.

Lemelie that nichts als eſſen und trincken, To-

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[151/0165] Faͤſſer, Packen und Kuͤſten ausraͤumeten und durch- ſuchten, allein, ob ſich ſchon ungemein koſtbare Sa- chen darinnen fanden, ſo war doch ſehr wenig dabey, welches die bevorſtehende Hungers-Noth zu ver- treiben vermoͤgend war. Wir armen Menſchen ſind ſo wunderlich gear- tet, daß wir zuweilen aus bloſſen Muthwillen ſolche Sachen vornehmen, von welchen wir doch im vor- aus wiſſen, daß dieſelben mit tauſendfachen Gefaͤhr- lichkeiten verknuͤpfft ſind; Jm Gegentheil, wenn un- ſer Gemuͤthe zu anderer Zeit nur eine einfache Ge- fahr vermerckt, die doch eben ſo wohl noch nicht ein- mahl gegenwaͤrtig iſt, ſtellen wir uns an, als ob wir ſchon lange Zeit darinnen geſteckt haͤtten. Jch will zwar nicht ſagen, daß alle Menſchen von dergleichen Schlage waͤren, bey uns 4en aber braucht es keines Zweifels, denn wir hatten, wiewohl nicht alles aus der Erfahrung, jedoch vom hoͤren und leſen, daß man auf der Schiffarth nach Oſt-Jndien, die Gefaͤhr- lichkeiten von Donner, Blitz, Sturmwind, Regen, Hitze, Froſt, Selaverey, Schiffbruch, Hunger, Durſt, Kranckheit und Tod zu befuͤrchten habe; doch deren keine eintzige konte den Vorſatz nach Oſt- Jndien zu reiſen unterbrechen, nunmehro aber, da wir doch ſchon ein vieles uͤberſtanden, noch nicht den geringſten Hunger gelitten, und nur dieſen eintzigen Feind, binnen etlichen Tagen zu befuͤrchten hatten, konten wir uns allerſeits im voraus ſchon dermaſſen vor dem Hunger fuͤrchten, daß auch nur das bloſſe Drandencken unſere Coͤrper auszuhungern vermoͤ- gend war. Lemelie that nichts als eſſen und trincken, To- back K 4

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Zitationshilfe: Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. 3. Aufl. Bd. 1. Nordhausen, 1740, S. 151. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata01_1740/165>, abgerufen am 18.05.2024.